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pochst zu sehr auf die Liebe Deiner Eltern, mein Kind, und ich werde mir den Segen deshalb noch einstweilen Vorbehalten.* „So wäre ich Ihnen als Schwiegersohn nicht willkommen?" fragte der Assessor bestürzt. „Ei, was fällt Ihnen denn ein, mein lieber junger Freund!" rief der Amtmann, ihm herzlich die Hand reichend. „Ein solcher Schritt will aber doch nicht über's Knie gebrochen, nicht wie eine Lappalie behandelt sein? Na, sieh mich nur nicht so vor wurfsvoll an, Kleine, wirst ja doch schließlich Deinen Willen durchsetzen —" „Ich hätte Dich nicht für so despotisch gehalten, Papa!" schmollte das Töchterchen, ihr duftiges Taschentuch an die Augen drückend. „Ich despotisch?" fragte der Amtmann erstaunt, „und nun gar Dir gegenüber. Das habe ich selbst noch gar nicht gewußt." Er lachte fröhlich vergnügt auf, wurde dann aber plötzlich wieder sehr ernst und fuhr mit einem gewissen Nachdruck fort: „Sie sind mir als Schwiegersohn durchaus angenehm, mein Leber Assessor, weil ich Sie persönlich sehr hoch schätze, und Ihnen auch darin Vertrauen schenke, daß die Person meiner Tochter bei der Heirath die Hauptsache bedeutet. Eine öffent liche Verlobung wäre mir jedoch augenblicklich in so fern nicht angenehm, als die Billingsche Criminal-Affaire das Hauptinte resse für Sic in Anspruch nehmen, Ihre Gedanken ausschließ lich beschäftigen müßte. Das Urtheil der öffentlichen Meinung würde nicht so günstig für einen Beamten lauten, welcher so dicht vor einer großen Entscheidung, die gar leicht seine ganze Carrie-re in der einen oder anderen Weise stimmen kann, noch Zeit für eine Liebeswerbung hat. Es ist dies auch meine eigene Meinung, weshalb ich Eurem Herzrnsbunde meinen Segen nicht verweigere, die öffentliche Verlobung aber bis nach völliger Be endigung jener unheimlichen Geschichte hinausschieben will." „Und darin stimme ich dem Papa bei," ließ sich jetzt die Mutter ebenfalls vernehmen, „weil der Zeitpunkt für eine der artige öffentliche Verlobungsfeier der denkbar ungünstigste sein würde." Helene sah nachdenklich in den Garten hinaus. Sie war es nicht gewohnt, sich einen solchen Querstrich durch ihre Rech nung ziehen zu lassen, zeigte sich aber zur Freude der Eltern plötzlich ganz nachgiebig. „Die Eltern haben Recht, lieber Viktor!" sprach sie, ihren Arm in den des jungen Mannes legend und ihm zärtlich in die Augen blickend, „es würde Dir Nachtheil und mir keine Freude bringen, halten wir deshalb unser Glück noch geheim, es soll dadurch an Zauber ja noch gewinnen, wie man sagt." Den letzten Satz hatte sie ihm ins Ohr geflüstert, worauf er sich nicht enthalten konnte, sie zärtlich an sein Herz zu ziehen. „Wenn aber," sagte er, bevor der Amtmann das Wort ergreifen konnte, „das Schicksal sich wieder mich wenden, meine Combinationen zu Schanden machen, mit einem Wort, wenn ich mich in der Billingschen Criminalsache trotz alledem und alledem geirrt haben sollte, — würden meine Glücks-Aktien auch dann noch denselben hohen Cours behalten?" „Sie würden im Gcgentheil bei mir bedeutend steigen," sprach Helene energisch. Der Amtmann aber schwieg eine Weile und erwiderte dann zögernd: „Nun, Ihre Aktien würden gerade nicht sinken, lieber Assessor, indessen wäre mir eine solche Niederlage meines künftigen Schwiegersohnes doch auch nicht erwünscht. Ich meine, daß Sie alsdann wohl umsatteln und — und " — er lachte verlegen — „nun meinetwegen in das diplomatische Fach übergehen sollten." Erdmann hatte, tief erblaßt, mit gerunzelter Stirn zugehört. „Weshalb trauen Sie mir, wenn ich zum Criminalisten nicht taugen sollte, eine Befähigung für das diplomatische Fach zu, Herr Amtmann?" „Aufrichtig gestanden, lieber Erdmann," erwiderte der jo viale Herr gutmuthig, „weil ich Sie in jener Gesellschaft lieber sehen möchte, als dort in der finsteren Region ler Verbrecher- Welt. — Ein Diplomat muß doch auch, soweit ich die Sache beurtheilen kann, öfters Maulwurfs-Arbeit verrichten und poli tische Combinationen machen, die sich auch nicht immer mit bürgerlichen Moral-Ansichten vertragen sollen, aber die Gesell schaft entschädigt dafür." „Und da meine ich nun, daß Sie im Stadium mensch licher Schlauheit eine tüchtige Schule hinter sich hätten, um als Diplomat Carrisre machen zu können. So, nun kennen Sie meine Meinung und nun seien Sie mir als Schwiegersohn willkommen, denn unsern Segen sollen unsere Kinder haben, nicht wahr, Mama?" „Gewiß, gewiß," sprach diese gerührt, „machen Sie unser einziges Kind recht glücklich, lieber Erdmann!" Eine Rühr-Scene war nicht nach Helenens Geschmack, sie wußte bald Alles in eitel Heiterkeit und Lust umzuwandeln und als der Assessor endlich den Heimweg angetreten, da schritt er im seligen Glück. Im Schlafe mußte er es dulden, daß ihm der Traumgott ein Schnippchen schlug und ihn im Kampfe mit dem Hamburger Billing und dem geheimnißvollen See mann eine furchtbare Schlappe erleiden ließ, aus welcher ihn Conrad Müllers kräftige Faust errettete. Mit einem Schrei fuhr er empor. Die kleine Stutzuhr im Wohnzimmer schlug fünf, er besann sich mit einem erleichternden Seufzer und be schloß, da ihm der Kopf schmerzte, aufzustehen und einen Spaziergang nach dem Wäldchen zu machen. Doch wollte der unangenehme Traum ihn nicht loslassen. Mitten in seinem Glückstraum hinein bohrte er sich hartnäckig und erregte ihm einen fast physischen Schmerz. Langsam schritt er aus der Stadt dem Wäldchen zu, in der Erinnerung, die überraschenden Vorfälle des gestrigen Abends noch einmal durch empfindend. Seltsamerweise aber drängte sich in dem Liebes zauber mit einer Art elementarer Gewalt, die er nicht zu ge bieten vermochte, das Versprechen hindurch, welches er der Ge liebten gegeben und wie Unkenruf tönten die Worte des Amt manns hinsichtlich seiner Befähigung als höhnende Begleitung dazu. „Natürlich mußte ein solcher Traum wohl darauf folgen", murmelte er zornig, mit seinem Spazicrstöckchen einige Nesseln am Wege köpfend, „ich sollte mich in dieser Sache irren? — Nimmermehr, der Polizeimeister stimmt mir jetzt bei, — die Sache liegt klar wie der Tag, Alles stimmt bis auf den kleinsten Punkt. —" Er durchschritt den Wald, der Morgen war herrlich, ein leises Rauschen ging durch die noch sommerlich grünen Baum blätter. Fühlte der Assessor sich von seiner eigenen Ueberzeug- ung gehoben? — Es schien doch nicht, da er, ohne den Wald zauber zu beachten, düster vor sich hinstarrend, weiter schritt, und sich in seinem hübschen Antlitz recht schwere innere Kämpfe malten. Nun hatte er den Waldsaum erreicht und den See vor sich. Unwillkürlich zusammenschreckend, blickte er auf einen Mann, welcher, mit Angeln beschäftigt, jetzt ängstlich bemüht schien, seine Geräthschaften zu verbergen. Die . Fischerei war von der Stadt verpachtet und unbefugtes Angeln somit strafbar. Der Assessor, in diesem Augenblick von ganz anderen Ge danken beherrscht, grüßte freundlich den Mann und fragte zer streut, ob er schon brav gefangen habe. „Nicht der Mühe werth, Herr," stotterte dieser, sich vor sein Netz stellend, in welchem bereits einige ansehnliche Exem plare zappelten, „meistens zum Spaß für meinen kleinen Jungen, dem ich ein paar Stichlinge bringen sollte. Aber was ich noch sagen wollte, Herr!" setzte er dann eilfertig hinzu, „ich hörte ja dazumal den Schuß, als man den Menschen hier fand, und sah auch den Herrn ohne Hut davon rennen, — das Wasser lief ihm nur so aus dem Zeug heraus, aber es regnete ja auch tüchtig, — der Herr hat dazumals vielleicht davon gehört —" »Ja, ja, so seid Ihr der Mann, welcher damals die Aus sage gemacht?" fragte der Assessor, ihn scharf anblickend. „Ja, Herr, den ich meinte —" „Könnt Ihr Euch erinnern, wie der Fremde aussah?" unterbrach ihn jener kurz. „Denkt mal nach." Der Landmann rieb sich die Stirn und suchte in seinem Gedächtniß. „Ja, Herr, genau kann ichs nicht sagen, aber das weiß ich bestimmt, daß er groß war und einen mächtigen Bart um Mund und Kinn hatte. „Vielleicht von röthlicher Farbe?" „Kann wohl sein, er war ja naß wie ein Katze und da kann man so was von Farbe nicht recht sehen. Er hatte es aber schrecklich eilig. Und was ich noch sagen wollte, Herr, die Kugel von dem Schuß, den ich hörte, steckt richtig drüben in der Eiche, ich Habs vorhin gefunden, als ich mir einen Stock schneiden wollte." Er deutete nach einem gegenüberstehenden Baum, auf welchen der Assessor hastig zuschritt, und benutzte jetzt die günstige Minute, seinen Fischkorb bei Seite zu bringen. Dann folgte er dem Assessor, um ihm die Stelle zu zeigen, wo wirklich eine Kugel eingedrungen war. Erdmann zog ein Taschenmesser hervor und begann die Kugel herauszuschneiden, was ihm nach einiger Anstrengung gelang. Er ließ sie in die Tasche gleiten und wandte sich wieder zu dem Landmann um. (Forts, folgt.)