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Erscheint wöchentlich zweimal u. zwar Dienstags und Freitags. — Abonnementspreis ' vierteljährlich 1 Mk., durch die Post bezogen 1 Mk. 25 Pf. — Einzelne j Nummern 10 Pf. Tharimdt, Nchn. Äkbtnlehn md die Umgegenden. Imtsblult Inserate werden Montags und Donnerstags bis Mittags 12 Uhr angenommen. JnsertionspreiS 10 Pf. pro dreigespaltene Corpuszeile. für die Rgl. Amtshauxtmannschaft Meißen, für das Rgl. Amtsgericht und den Stadtrach zu Wilsdruff, sowie für das Rgl. Forstrentamt zu Tharandt. Druck und Verlag von Martin Berger in Firma H. A. Berger in Wilsdruff. — Verantwortlich für die Redaktion H. A. Berger daselbst. No. 58. Freitag, den 20. Juli 1894. den 22. dieses Monats Bekanntmachung. Hiermit wird zur öffentlichen Kenntniß gebracht, daß die Königliche Amtshauptmanntschaft zu Meißen auf Grund von 8 105 b Absatz 2 der Reichsgewerbeordnung vom I.Juni 1891 zum Schützenfestssnntag den Betrieb des Handelsgewerbes in der Stadt wie auf der Schießwiese auf zv Stunden von Vormittags ssv Uhr bis Abends 8 Uhr freigegeben bat, Wilsdruff, am 16. Juli 1894. Der Bürge^"etj.»r. Ficker. Deutschland und Spanien. Mit der durch Botschafter v. Radowitz dem Madrider Cabinet übermittelten Erklärung der deutschen Regierung, daß sie den Handelsvertrag mit Spanien endziltig zurückzieht, ist der Bruch in den offiziellen handelspolitischen Beziehungen zwischen Deutschland und Spanien ein vollständiger geworden. Es bedarf wohl kaum eines nochmaligen Hinweises darauf, daß die Schuld an dieser gewiß nicht erfreulichen Wendung der Dinge ausschließlich auf spanischer Seite liegt. Denn die sprich wörtliche Geduld und Langmuth des deutschen Michels haben sich gerade in den langen handelspolitischen Verhandlungen mit Spanien wiederum „glänzend" gezeigt. Mindestens ein Halb dutzend Mal hat die Reichsregierung immer wieder die Ver längerung des deutsch-spanischen Zollprovisoriums zugestanden, und dies stets unter der stillschweigenden Voraussetzung, daß es alsdann zu einer festen vertragsmäßigen Regelung der handels politischen Beziehungen zwischen Deutschland und Spanien kommen werde. Aber diese gewiß vollberechtigte Erwartung wurde durch die ablehnende Haltung der einflußreichen schutzzöllnerischen Partei in den spanischen Cortes zu Nichte gemacht. Dieselbe wußte bekanntlich die Entscheidung über den vom deutschen Reichstage schon längst genehmigten Handelsvertrag zu verschleppen, bis die Cortes Knall und Fall geschloffen wurden, womit dann der Handelsvertrag mit Deutschland eigentlich von selbst in den Papierkorb des spanischen Parlaments gefallen ist. Hinterher versuchte alsdann das Cabinet Sagasta, dessen ganze Haltung in der Handelsvertragsangelegenhcit der schutz- zöllnerischen Opposition gegenüber sich als eine höchst schwäch liche gezeigt hat, zwar, eine nochmalige Verlängerung des Zoll provisoriums bei der deutschen Regierung durchzusetzen. Aber mit vollstem Recht wurde dieses Ansinnen, auf welches die Reichsregierung schon vom Standpunkte der Wahrung der na tionalen Würde und Selbstachtung aus nicht eingehen konnte, seitens des Reichskanzlers sofort zurückgewiesen und mit dieser entschlossenen Stellungnahme befindet sich die definitive Zurück ziehung des Handelsvertrages lediglich im Einklang. Mit letzterem Schritte der deutschen Regierung ist der Zollkrieg zwischen Deutschland und Spanien, welcher schon nach Ablauf des letzten und nicht mehr erneuerten handelspolitischen Pro visoriums zwischen beiden Staaten ausbrach, in Permanenz er klärt. In dem faclischen gegenseitigen Verhältnisse beider Länder auf handelspolitischem Gebiete wird freilich zunächst weiter keine Aenderung eintreten, da ja schon seit Ende Mai auf beiden Seiten die Kampfzölle gegen den anderen Theil zur Anwendung gebracht werden, die Importe beider Staaten unterliegen in dem anderen Lande dem Maximal-, bez. dem autonomen Zolltarife nebst einem Zuschläge von fünfzig Prozent. Es wird also darauf ankommen, wer von den streitenden Parteien den ein- getretenen vertragslosen Zustand mit all seinen Conscquenzen länger aushält, ob Deutschland, ob Spanien, allerdings dürfte sich dies erst bei längerer Dauer des Kampfes herausstellen, doch kann man wohl schon jetzt mit einiger Zuversicht behaupten, daß das deutsche Reich in dem entbrannten wirlhschaftlichen Kampfe mit dem Lande der Kastanien gleich von vornherein der Stärkere ist. Ob nun die handelspolitische Fehde, in der sich Deutsch land und Spanien mit einander befinden, auch auf das rein politische Verhältniß dieser Länder zurückwirken wird, das bleibt zwar noch ahzuwarten, unwahrscheinlich ist es jedoch nicht, daß auch die rein politischen Beziehungen zwischen Deutschland und Spanien unter dem Zollkriege leiden werden. Hierbei wäre aber Spanien offenbar ebenfalls mehr im Nachtheil als Deutsch land, dem mächtigen deutschen Reiche könnte eine politische Ver stimmung mit einer Macht zweiten Ranges, wie Spanien, nichts weiter schaden. Umgekehrt ist indessen die Sache mit Spanien, denn es könnten leicht Fälle eintreten, in denen die stolzen Dons das Wohlwollen Deutschlands recht gut brauchen würden, z. B. wäre Deutschland bei neuen Verwickelungen in der ma rokkanischen Frage sehr wohl im Stande, Spanien erhebliche diplomatische und moralische Unterstützung angedeihen zu lassen, daß aber eine solche bei etwaigen politischen Verstimmungen zwischen Berlin und Madrid gewährt werden würde, dies er scheint denn doch höchst zweifelhaft. — Tagesgerichte. Eine erfreuliche Nachricht kommt aus Böhmen. Dort hat sich der von allen Nationalgesinnten längst ersehnte Zu sammenschluß aller Deutschnationalen in einen großen „Bund der Deutschen in Böhmen" endlich vollzogen. Damit ist dem gefährdeten Deutschthum ein kräftiger Schutzwall gegen die slavische Hochfluth entstanden. Der Bund setzt sich die Auf gabe, „die geistige und wirthschaftliche Wohlfahrt des deutschen Volksstammes in Böhmen zu fördern" und glaubt dieses Ziel am besten zu erreichen, wenn er auf die Mitarbeit oller Nicht deutschen, also in erster Linie der Nichtdeutschen, der Juden, völlig verzichtet. Mehrere Ortschaften in der Umgebung von München wurden am Sonnabend von einer cyklonartigen Windhose heim gesucht. 200 Anwesen sind zerstört. Hundert Pioniere wurden zur Hilfeleistung abgesandt. Der Prinzregent Luitpold hat für die durch den Cyklon Geschädigten 3000 Mark gespendet. — Weiter wird berichtet: Das am Sonntag über einige Ort schaften Oberbayerns niedergegangene Unwetter hat enormen Schaden angerichtet. Eine Windhose zerstörte die Stadt Forst inning vollständig. Von 150 Wohnhäusern wurden SO dem Erdboden gleich gemacht. Selbst ältere Waldbestände wurden vollständig niedergemäht. In Moos und Schwabenwegen sind ebenfalls viele Häuser demolirt. In Forstern wurde der Kirch thurm niedergeschmettert. Ueberall ist die Ernte vernichtet. — Ein Verbrechen, wie es scheußlicher nicht geplant werden konnte, ist im letzten Augenblicke durch die Aufmerk samkeit zweier Männer glücklich verhindert worden. Am Sonn abend Nachmittag gegen 3 Uhr befanden sich der Arbeiter Rohr bach und der Glasermeister Sprenger am südlichen Theile des Friedrichshaines bei Berlin. Plötzlich hörten sie ein Kinderge schrei, das nach und nach schwächer wurde und schließlich so dumpf klang, als ob es aus der Erde hervorkäme. Sie gingen nun dem Schalle nach und fanden hinter einem Gebüsche einen frisch aufgeworfenen Grabhügel, der leise Bewegungen zeigte. Die beiden Männer gruben sofort mit den Händen die Erde auf und fanden bald ein neugeborenes Kind weiblichen Ge schlechts, daß noch Lebenszeichen von sich gab. Sprenger wickelte die Kleine in seine Schürze und lief nach der nahe gelegenen Wache des 51. Polizeireviers, um sie hier abzugeben. Von dort wurde das Kind sofort dem Krankenhause in Friedrichs hain zugeführt. Es unterliegt keinem Zweifel, daß das Kind eines qualvollen Todes gestorben wäre, wenn nicht ganz zu fällig die beiden Männer in der Nähe des Thatortes sich auf- gehalten hätten. Denn obwohl dieser nur wenige Schritte von > der Friedrichstraße entfernt ist, hat doch kein Passant von dem Vorfälle etwas bemerkt. Den Thäter haben auch die Retter des Kindes nicht gesehen; von ihm fehlt noch jede Spur. Zu bemerken ist noch, daß das Kind Wunden am Kopfe zeigt, die darauf hindeuten, daß Faustschläge nach ihm geführt worden sind. Eine Eisenbahnverbindung zwischen Europa und Amerika herzustellen, ist ein Gedanke, der neuerdings in Amerika auf getaucht ist. Der Anlaß zu dec Idee darf in dem Umstande ! gesehen werden, daß die russische Regierung den Ban der großen ! sibirischen Eisenbahn ln Angriff genommen hat und dieser der artig energisch betrieben wird, daß der ganze Schienenweg schon im Jahre 1901 fertiggestellt werden soll. Dieser Umstand hat nun die erfinderischen Amerikaner auf den Gedanken gebracht, mit Hülfe der sibirischen Eisenbahn eine direkte Bahnverbindung zwischen Amerika und Europa herzustellen. Zu diesem Zwecke ! soll eine neue Eisenbahn von Chicago nach Alaska gebaut werden, welche die Fortsetzung der vorhandenen Bahnlinie New- i Aork-Chikago bilden soll. Es wären alsbald die beiden Schie- nenwege New-Iork-Alaska und Wladiwostok-St. Petersburg fertiggestellt und es bliebe nur noch die Strecke zwischen Alaska ' und Wladiwostok. Diese Strecke wird durch die Gewässer der Beringsstraße ausgefüllt, die das Beringsmeer mit dem nörd lichen Eismeere verbindet und im Norden des Stillen Ozeans liegt. An ihrer schmälsten Stelle soll dieselbe überbrückt, oder, was wahrscheinlicher 'st, unter derselben ein Tunnel errichtet werden. Man wird alsdann mit direktem Billet und ohne Umsteigen die Eisenbahnfahrt von New-Jork nach St. Peters burg oder einer anderen Hauptstadt Europas zurücklegcn können. Nordamerika. Von dem Millionär Pullmann, dessen Ausbeutersystem die Ursache des großen Eisenbahnstreikes war, entwirft ein Kenner in der „Neuen Züricher Zeitung" folgendes Charakterbild: George M. Pullmann war. einst ein blutarmer Mann, Schulmeister oder so etwas, aber er worein feiner Kopf für commerzielle Möglichkeiten, er war mit einem Worte „smurt". Er faßte gar viele Dinge in sein kluges Auge, darunter auch die damaligen „slsspsrs". der Eisenbahnen, un geschlachte Dinger, von denen das Stück 4000 Doll, kostete Pullmann beurthellte seine Landsleute, denen 15 Cts. die Cigarre oder ein Gläschen Wisky nicht zu viel ist, falls die Waare gut, sehr richtig. Für persönlichen Comfort giebt der Amerikaner williger Geld aus, wie für irgend etwas Anderes, und als daher Pullmann seinen ersten slsspsr für 18000 Doll, konstruut hatte, in dem es sich schlafen ließ, wie in einem Hotel erster Ciasse, da behielt er Recht und nicht die sonst sehr klugen Leute, die da meinten, der neue Comfort werde dem großen Publikum zu theuer sein. Die Leute zahlten willig '/, bis I Dollar mehr wie in den alten Schlafwagen, und heute läßt Pullmann in ganz Amerika 2000 seiner Schlafpaläste laufen, die er seine „Flotte" nennt. Daneben hat er 58 Speise- und 650 Buffetwagen. In den ersteren bekommt man nur vollständige Mahlzeiten, in den letzteren alle erdenklichen Kleinigkeiten der amerikanischen Schnellküche und kalte Sachen. In derselben Zeit, wo Pullmann Millionär wurde, brachten es auch Marshall Field und Armour zu diesem Ronge, beide dadurch, daß sie billiger verkauften als alle ihre Concurrenten. Das hat Pullmann nie gethan; er rechnete stets auf die Kund schaft Derer, die das Beste im Markte für das Billigste halten. Aber große Werkstätten und großer Reichthnm waren dem Ehr geize Pullmanns nicht genug, sowie es überhaupt meines Wissens keinen amerikanischen Millionär giebt, der sich an einem ersten großen Erfolge genügen lassen würde. Pullmann wollte nicht nur eine große Centralwerkstätte, sondern auch seine eigene, nach ihm benannte Stadt haben. Zu diesem Zweck gründete er eine große Gesellschaft, die Pullmann-Compagny, mit einem Capital von 30 Mill. Doll. Vierzehn englische Meilen vom Mittelpunkte Chikagos kaufte diese, deren Actien heute glänzend stehen, einen Tract von 3000 Acres sumpfigen Prärielandes, das zuerst trocken gelegt werden mußte. Darauf wurde nun die Stadt „Pullmann" erbaut, die ich in den achtziger Jahren besucht habe. Der Kern derselben besteht natürlich aus den ungeheuren Ateliers der Gesellschaft, welche nicht nur Schlaf wagen und gewöhnliche Eisenbahnwagen, sondern auch Wagen für Kabelbahnen, elektrische und Tramways baut, mit einem Wort Alles, was der Begriff Eisenbahnwagen im weitesten Sinne umfaßt. Diese Fabriken können im Jahre 12000 Frachtwagen, 300 Sleepers, 600 Passagierwagen und an 1000 Straßenbahnwagen Herstellen, in denen sie, wenn in voller Arbeit, 14000 Menschen beschäftigen. Ich vergesse nie den Eindruck, den diese „Stadt" auf mich machte. Sie sieht schon seltsam von Weitem aus, do sie ganz aus rothen Back steinen erbaut ist. Ich war etwa eine Stunde lang gewesen, als ich mit der Ueberzeugung erfüllt war, die Stadt Pullmann sei der zur Stadt versteinerte Egoismus, eine aus Backsteinen gebildete Allegorie der rastlosen Habsucht. Ich habe seiner Zeit wiederholt Dickens „Hard Times" gelesen, kann mich aber jetzt nicht mehr an die Namen in dem Buche erinnern. Ich weiß nur, daß das Werk eine Lebensanschauung sä ubsuräum führt, welche in „Pullmann" als Stadt personifizirt ist. Da ist Alles „Facts", Alles Arbeit, Alles Gewinn und keine Regung des Genusses und der Freude. Es giebt in der ganzen Stadt kein Plätzchen, wo man Lier oder Wein trinken kann, denn