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niederstürzte. Fluchend raffte er sich wieder auf und sah er staunt auf ein junges Mädchen, daß mit einem Rapier in der Rechten sich schützend vor die Großmutter gestellt hatte und wunderschön in ihrer Erregung aussah. Helene Stein, welche vergebens den Schlaf gesucht, und, von bangen Ahnungen gefoltert, wieder aufgestanden war, hatte, in einen Schlafrock gehüllt, sich ans Fenster gefetzt, um den Garten zu beobachten, wo sie ebensowohl das ferne Rollen des Wagens, wie das Rauschen in den Gebüschengehört undathem- los auf jedes weitere Geräusch gelauscht hatte. Sie konnte diesen unerträglichen Zustand nicht lange aushalten, kleidete sich rasch an, und beschloß, sich ins Schlafzimmer der Groß mutter zu schleichen, um dort die Nacht zuzubringen. Plötzlich durchzuckte es sie vom Scheitel bis zur Sohle, als sie den schwachen Hülferus aus dem parterrewärts gelegenen Wohnzimmer vernahm. Entschlossen, wie sie von Natur aus war, sprang sie in des Doktors früheres Zimmer, riß ein dort hängendes Rapier von der Wand und flog wie der Sturmwind die Treppe hinab, wo sie sogleich ihren angeborenen Muth, wie wir gesehen, bewährte. „Alle Wetter!" rief Werneck sonor mit lautem Gelächter, „Du spielst wohl dieJungfrau von Orleans, mein Püppchen?" — Wirf das Ding auf die Seite und pack Dich rasch," setzte er dann drohend hinzu; „ich bin's nicht gewohnt, mit Dirnen zu fechten, obwohl Du mir ganz gut gefällst." „Ihr seid es wohl gewohnt, greise Frauen zu würgen, und wollet mich ausfragen, elender Mordgeselle!" rief Helene furchtlos; „ich sage Euch, dieses Ding ist scharf, hab's oft im Scherz geschwungen und werde mich nicht fürchten, es jetzt im blutigen Ernste zu gebrauchen." „Sieh, steh, bist wohl ein Töchterchen, — nein, zu jung dazu, aber eine Enkelin der Alten da," grinste der Uhrmacher, sie wohlgefällig betrachtend; „das ist kostbar auf 'Ehre! würde der Junker Landenberg sagen. Na, Kind, Du gefällst mir, weißt Du, wer ich bin?" „Ein Räuber und Mörder seid Ihr," versetzte Helene rasch. „Wähle Deine Ausdrücke besser, tolle Dirne! Ich bin Dein Großvater!" „Der Himmel behüte mich vor solchem Großvater!" rief das junge Mädchen mit schauderndem Widerwillen, — „Ihr gehört ins Zuchthaus, aber nicht unter das Dach anständiger Frauen." „Vermaledeites Geschöpf!" knirschte der Vagabond, „ich mache euch beide kalt." — Er stürzte auf sie los und suchte ihr das Rapier zu entwinden. Sie wehrte sich mit übermenschlicher Kraft, wobei ihre jugendliche Elastizität ihr trefflich zu statten kam. Er hatte sich die linke Hand verletzt und trat jetzt wuthschäumend zurück. „Bete Dein Vaterunser!" höhnte er, langsam einen Re volver aus der Brusttasche ziehend; „ich wollte keinen Lärm machen, sehe mich aber doch dazu gezwungen. Auf die Knie, Dirne!" Helene erblaßte, als sie den Lauf der Waffe auf sich ge richtet sah; sie machte eine rasche Wendung, um die Großmutter, welche bewußtlos im Lehnstuhl zurückgesunken war, vollständig mit ihrem Körper zu decken, worauf sie Gott ihre Seele befahl und zusammenbebend die Augen schloß. Hm näch stenMoment donnerte ein Schuß durch den Raum, mit einem wilden Fluch stürzte der Uhrmacher im Rücken ge troffen, zusammen. Zwei junge Männer standen auf der Schwelle des Zimmers, schreckensbleich auf die Scene schauend, der eine von ihnen hielt das noch rauchende Pistol in der Hand. Helene Stein öffnete zaghaft die Augen und sah durch den leichten Pulverrauch in ein bekanntes Gesicht, das sich be wundernd über sie beugte. „O, Gott sei gelobt, Herr Reinhold!" sprach sie leise. „Sie sind zur rechten Minute gekommen; wo ist der schreck liche Mensch?" „Dort liegt der Mensch, meine Kugel hat hoffentlich gut getroffen," versetzte der junge Baumeister, ihre Hand ergreifend. „Sie sind eine kleine Heldin!" fuhr er mit bewegter Stimme fort, „Gott zeigte mir den Weg, um ein echt weibliches Herz, eine sich selbst zum Opfer bringende Frauenseele zu erkennen und nach ihrem Werth zu würdigen." Purpurgluth überzog ihr eben noch so bleiches Antlitz und sanft befreite sie ihre Hand, um nach der Großmutter zu sehen. — „Großer Gott! sie ist doch nicht todt?" bebte es von ihren Lippen. „Hoffentlich nicht, ich will sogleich einen Arzt und auch die Polizei holen." „Ah, diesen Hallunken kenne ich," tönte plötzlich die Stimme des zweiten Herrn dazwischen, „es ist ien Wegelagerer, ein ganz gefährlicher Spitzbube, der mich in der letzten Gewitternacht im Walde räuberisch überfiel. Er scheint, Gott sei dank genug zu haben." „O, Himmel, Graf Obernitz!" flüsterte Helene, mit ent setzten Augen zu jenem hinüberstarrend, „wo ist Hedwig? — Was hat dies zu bedeuten?" „Davon später, liebe Helene!" versetzte Reinhold ernst; „sorgen Sie einstweilen für die Großmutter, ich glaube, daß wir beide ihr heute Nacht einen großen Dienst geleistet haben." Dem Grafen eine leise Mittheilung davon machend, ver ließ er eiligst das Haus. Helene holte rasch entschlossen ein Glas Wasser, um die Bewußtlose durch Waschen und Reibungen neu zu beleben. „Lassen Sie das, bis der Arzt kommt, Fräulein Stein!" nahm Graf Obernitz jetzt das Wort, „es wird jedenfalls besser sein, daß sie diesem Anblick hier erst entzogen wird. Ich würde Ihnen helfen, die Großmutter in ihr Schlafzimmer zu tragen, doch ich muß nothwendig am Platze bleiben, bis die Polizei hier ist. Nur um eine Mittheilung möchte ich sie bitten: waren Sie bei Frau Werneck, als dieser Spitzbube eindrang?" „Nein, ich habe diese Zeit über hier im Hause geschlafen, um die alte Frau nicht allein zu lassen, und war bereits zur Ruhe gegangen, als die Angst, — der schreckliche Mensch hatte mich gestern Abend bereits verfolgt — mich wieder auftrieb. Dann hörte ich einen Hülferuf, nahm des Doktors Rapier und flog die Treppe hinunter. „Sie sind eine muthige junge Dame," nickte der Graf, „hat der Vagabond in Ihrer Gegenwart nichts weiter geäußert?" „O ja, aber nur zu mir, ich sagte ihm derbe Wahrheiten, worauf er sich für meinen Großvater ausgab. Frau Werneck wird schon ohnmächtig gewesen sein, wenn der Schreck sie nur nicht getödtet hat, die arme, alte Dame!" „Wollen das Beste hoffen, liebes Fräulein!" meinte der Graf, sichtlich erleichtert aufathmend, worauf Beide sich ihrem Nachdenken überließen, bis Reinhold mit dem Arzte unk einem Polizeikommissar, dem zwei Schutzleute mit einer Bahre folgien, erschien. Der Arzt erklärte nach kurzer Untersuchung, daß der Er schossene mausetodt sei. Die ganze Situation gab ohne weitere Auseinandersetzung schon eine klare Uebersicht; nachdem der Kommissar die betheiligten Personen sich notirt, ließ er die Leiche auf die Bahre legen und entfernte sich, die Anwesenden er suchend, nicht ohne gerichtliche Erlaubniß die Stadt zu verlassen. Mittlerweile war der Arzt zu der Großmutter getreten, um ihren Zustand zu untersuchen. „Wollen hoffen, daß es nichts weiter ist als eine schwere Ohnmacht," sagte er kopfschüttelnd; „fassen Sie an, liebes Fräulein! — wer einen solchen Banditen in Schach halten konnte, wird auch noch diese Last auf sich nehmen können. Wir müssen Frau Werneck in ihr Schlafzimmer tragen!" „Dürfen wir das Resultat hier erwarten, Herr Doktor?" fragte Obernitz hastig. „Natürlich," nickte der Arzt, „bleiben Sie noch, hier meine Herren, ich könnte noch möglicherweise Ihres Beistandes be dürftig sein." Reinhold ließ es sich nicht nehmen, bei dem Transport der alten Dame behülflich zu sein, und schon nach wenigen Minuten ruhte sie in ihren Bette, worauf der Arzt die geeig neten Mittel zu ihrer Wiederbelebung anwandte. Doch Alles schien vergebens zu sein und die furchtbare Scene ihren Lebensfaden jäh zerschnitten zu haben. Graf Obernitz wanderte ruhelos im Wohnzimmer auf- und nieder. Ein tiefer Schmerz, eine bittere Zerknirschung preßte ihm das Herz zusammen, da er die Hauptschuld dieses furchtbaren Unglücks sich beimessen mußte, weil bei der Enkel Anwesenheit jener entsetzliche Mensch sein Ziel nicht erreicht haben würde. „Aber er hätte Schande und Verzweiflung über sie ge bracht", tröstete er sich, „Gott hat es so gefügt, daß wir zur rechten Minute zurückkehrten und das Rächeramt übernehmen konnten." (Forts, folgt.) Rechnungsformulare hält vorräthig die Druckerei dieses Blattes.