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MchaM sm MM Beilage zu No. 48. Freitag, den 15. Juni 1894. 7IW M iü !>! l « !!!III >»! ÜHIÜIII MMf!tWff>DWiiWII1WWrU1WWWWM Mein Vater steht am Ruder. Die Darke treibt auf wilder See, Umtobt von Sturmesbrausen. Am Bord ist Jammer, am Bord ist Weh Und Händeringen und Grausen. Doch sieh! des Schiffers Lieblingskind, Am Mast lehnt's mit Vertrauen, Und lächelt hinaus in Wetter und Wind, Vor Slurm kann ihm nicht grauen. Der Bootsniann staunt: „Wie? schreckt dich nicht Solch gräßlich Abenteuer?" „„Was soll ich zagen?"" der Knabe spricht, „„Mein Vater steht am Ruder!"" Wenn hin ist all des Herzens Glück, Hin all dein irdisch Lieben — Blick aufwärts! blicke nicht zurück! Ein Anker ist dir geblieben. Ein Ohr bleibt treu dir zugewandt, Dein frommes Flehn zu gewähren. In Lächeln kehrt eine starke Hand Dir alle die heißen Zähren. Drum trau auf ihn, du wundes Herz, In Not und Weh um so treuer; Und sprich, ein arglos Kind, im Schmerz: „Mein Vater steht am Ruder!" Auf Jrrpfaden. Original-Roman von E. Heinrichs. lNachdruck verboten.) (Fortsetzung.) Ein heftiges Zittern überfiel ihn bei diesem Gedanken, er gedachte unwillkürlich der ernsten Mahnung der Großmutter, die jede Mesalliance für ein schweres Unglück erklärte. „Sie stand in geistiger Hinsicht zu hoch über dem Gatten", dachte er, sich beruhigend, „das ist nicht mein Fall, auch fließt dasselbe Blut in meinen Adern, auch ich entstamme der Familie Landenberg." Ein sonniges Lächeln des Glücks überflog das schöne Ant litz des jungen Mannes. In seinen Gedanken hielt er eine solche Verbindung für eine Fügung des Himmels, für eine gött liche Sühne. „Großmutter," flüsterte er, „so räche ich Dich, so soll Dein Name wieder leuchten in dem stolzen Geschlecht Deiner Ahnen. O, unsere Zeit ist anders geworden, zu den Männern der Wissenschaft neigen die Fürstentöchter sich herab, — die Aerzte führen Prinzessinnen an ihren häuslichen Herd." Seine Augen leuchteten im freudigen Triumph und die Zaghaftigkeit war verschwunden. 14. Kapitel. Umsonst. Wie wollte Angelika von Landenberg ihrem Gefängniß ent kommen? Wie ihr gegebenes Wort, um zehn Uhr unter der Linde auf dem großen Platze zu sein, erfüllen? Man brachte das Diner nach ihrem Zimmer, wohin Graf Wildhagen sie des Anstandes halber führte, und erklärte sie für krank. Auf ihr Klingeln erschien stets der Oheim, welcher schließ lich ihr mittheilte, daß sie sich zur Abreise bereit halten müsse, da Graf Kurt mit ihnen um elf Uhr abends abreisen wollte. Die Tante Obernitz sei nach soeben empfangenem Telegramm krank geworden und könne zu dem verabredeten Rendezvous nicht cintreffen. „Ich werde bereit sein," setzte die Comtesse ruhig, „wenn man mir um neun Uhr meine Zofe schickt." Der Graf versprach es und ließ seine Nichte allein. — Angelika packte mit bewunderungswürdiger Ruhe eine Reisetasche mit dem nothwendigsten Bedarf, wählte aus iyren Juwelen die Schmuckgegenstände, welche sie von ihrer Mutter geerbt hatte, und verschloß die übrigen Brillanten sorgfältig. Um neun Uhr erschien die Zofe, um ihre Befehle entgegen zu nehmen. „Rosi," sagte sie leise, „warst Du gern bei mir?" Das Mädchen blickte sie erstaunt an. „Wie sollte ich nicht, meine gnädigste Comtesse!" „Nimm dies zur Erinnerung an mich, Rost, ich bitte Dich um einen großen Dienst." Sie gab der Zofe einen hübschen Ring. „O, Comtesse sind so gütig," stammelte das Mädchen be stürzt, „befehlen Sie über mich." „Bringe mir Deinen Mantel und Hut," fuhr Angelika leise fort, „ich muß um zehn Uhr einen Gang machen, — Du kannst aus meiner Garderobe nach Belieben Dir auswählen, was Dein Herz begehrt. Du wirst bemerkt haben, Rosi, daß der Graf mich wie eine Gefangene hält —" „O, gnädigste Comtesse," flüsterte die Zofe zitternd, „der Herr Graf wird mich der Polizei übergeben —" „Ich werde an ihn schreiben, Kind, Du kannst deshalb ruhig sein, Dir wird nichts geschehen, da der Graf doch jeden Skandal vermeiden muß. Späterhin kannst Du wieder in meinen Dienst treten, Rosi! Ich werde Dir meine Adresse zurücklassen. Sprich," drängte sie ungeduldig, „es hängt mein Glück und Leben daran." „Nun wohl ich gehorche," sprach die Zofe entschlossen, „die gnädige Comtesse ist meine Gebieterin, was kann mir geschehen?" „Du schweigst darüber, Rosi?" „Wie das Grab." Rosi schlüpfte hinaus, um das Verlangte zu holen. „Wenn sie mich nur gleich mitnehmen wollte," dachte sie; „wer hätte da« von der stolzen Comtesse geglaubt — hat die auch endlich ihr Herz entdeckt." Rasch kehrte sie mit Hut und Mantel zurück, — Rosi war bedeutend kleiner als die Comtesse, doch mußte aus der Noth eine Tugend gemacht werden. „Comtesse müssen ein wenig gebückt gehen, wie eine alte Dame. So, das geht, man erkennt sie ganz gewiß nicht, — O, gnädige Comtesse, wäre es nicht besser, mich jetzt gleich mit- zanehmen?" Angelika blickte sie nachdenklich an. War es denn in der That nicht besser, in Rosis Begleitung den Rubikon zu über schreiten? „Das wäre ein Trost für mich, Rosi, — wie solches aber bewerkstelligen?" „O, Comtesse, die Geschichte würde sich prächtig machen lassen. Ich habe eine alte Verwandte bei mir zum Besuch, kann sie doch hinausbegleiten und ihr eine Strecke dos Geleit geben! Comtesse müssen meinen Arm freilich nehmen." „Ich danke Dir, Rost!" nickte Angelika zufrieden, „die Sache muß gehen, ich gelte für Deine Verwandte, vor zehn Uhr wird der Graf jedenfalls wieder kommen, Du bittest mich bei seiner Gegenwart um die Erlaubniß, Deine Verwandte zu begleiten, was ich natürlich mit dem Hinweis, gleich zurückzukehren, kurz gestatte. Werde aber noch vorher Deiner Dienste bedürfen, um uns die Thür offen zu halten. Das Uebrige müssen wir unserm Glücksstern anheimstellen." Rost eilte jetzt in ihr Zimmer, um eiligst auch für fick das Nothwendigste einzupocken, ohne Verdacht zu erregen; sie verschloß dann ihre übrigen Sachen und kehrte zur Comtesse zurück, welche mit fliegender Feder einige Zeilen aufs Papier warf, dieselben versiegelte und mit der Adresse des Grafen Wild hagen versah. Sie hatte nur noch Zeit, das Briefchen zu ver bergen, als sie Schritte und ein leises Klopfen vernahm — „Der Herr Graf," flüsterte Rosi, „ich habe die Thür verriegelt." „Oeffne!" gebot die Comtesse laut. „Ich bitte nur um zwei Worte, liebe Angelika!" rief er ihr zu; „Onkel Kurt bittet Dich, mit uns zu soupiren." „Bedaure sehr, Oheim, ich habe keine Neigung zum Essen und noch recht viel zu ordnen und zu packen, um zur rechten Zeit fertig zu sein." „Das konnte Deine Zofe sehr gut besorgen," memte der Graf ungeduldig. „Sie hat auch für sich noch zu packen; bitte, Onkel, laß mich zufrieden, sonst reise ich nicht mit Euch." „Ach, gnädigste Comtesse," bat jetzt Rosi, sich demüthig nähernd, „dürfte ich meine alte Verwandte, welche bei mir zum Besuch ist, eine Strecke nach Hause geleiten? Sie ist alt und schwach, — ich werde mit Windeseile zurückkehren." „Auch das noch," rief Angelika, kaum den Kopf wendend; „geh — ich gebe Dir eine Viertelstunde, und die sofortige Ent lassung, wenn Du dann nicht hier bist —" Sie warf einen Blick auf die Uhr. „Bald zehn Uhr, Du kennst meinen Willen. Noch einen Augenblick, Rosi, Deine Verwandte mag so lange warten. Fristre mich erst, — ich kann mich so nicht auf die Reise begeben." Sie blickte den Grafen an, der sich sofort entfernte.^ Er durfte die Thür jetzt nicht verschließen und faßte keinen Argwohn. Rosi verriegelte die Thür. „Jetzt rasch, die Zeit ist um," flüsterte Angelika, und in wenigen Minuten war die Metamorphose vollendet. Sie nahmen die leichten Taschen unter den Mantel, — die Comtesse legte den Brief auf ihren Toilettentisch und, die gebückte Stellung annehmend, verließen Beide, tief verschleiert, das Zimmer. Auf dem Corridor war es augenblicklich sehr still. Sie konnten in dem gegenüberliegenden Salon die scharfe Stimme des Grafen Kurt vernehmen. Einige Kellner blickten den beiden sonderbaren Gestalten verwundert nach und machten ihre Glossen. Man hielt sie indeß nirgends an. Jetzt befanden sich die Comtesse und ihre Zofe auf der Straße, Erstere ließ den Arm ihrer Begleiterin los und eilte der Linde zu. Vom nahen Thurme schlug es zehn. Doktor Werneck war bereits am Platze. Er trat zurück, als die beiden Frauen nahten. „Ich bin's, Herr Doktor!" flüsterte Angelika athemlos, „meine Zofe begleitet mich. Fort, fort, bevor man meine Flucht bemerkt." Er reichte ihr schweigend den Arm und führte sie rasch durch verschiedene Straßen bis zu dem Hause des Kutschers, wo der verschlossene Wagen bereits ihrer harrte. Die Zofe mußte mit cinsteigen, wodurch dem bösen Leu mund der Stachel genommen wurde und so ging es vorwärts durch die stille, dunkle Nacht. Als sie die Stadt verlassen hatten und die Chaussee eine Unterhaltung ermöglichte, beugte sich der Doktor zu der Com tesse und fragte leise: „Wohin befehlen Sie, Gnädigste?" „Welchen Plan haben sie gefaßt, Herr Doktor?" „Ich beabsichtigte, diesen Wagen bis zur nächsten Station und von da an den Zug zu benutzen." „Meine beiden Oheime werden mit demselben Zuge fahren," versetzte Angelika, „wenn sie uns erblicken!" „Dann werden wir dort bleiben und mit dem folgenden Zug erst weiterfahren; derselbe führt uns. allerdings den ent gegengesetzten Weg, was in diesem Falle freilich auch dringend geboten wäre." „Und welches Endziel haben Sie ins Auge gefaßt?" „Das Haus meiner Großmutter, Comtesse! „Melanies Haus," flüsterte sie vor sich hin; „wie wird sie mich, die Nichte Kurts von Landenberg, aufnehmen?" „Grübeln Sie doch nicht darüber, Comtesse," bat Werneck leise und zärtlich, „nun schenken sie mir volles, ungetheiltes Vertrauen." „Habe ich das nicht schon bereits gethan?" „Ich danke Ihnen aus Herzensgrund dafür." Die Zofe hatte von dieser leisen Unterhaltung kein Wort vernommen, obwohl ihre Neugier auf einen höchst bedenklichen Punkt gestiegen war. Wer mochte dieser geheimnißvolle Unbe kannte, den sie am Tage allerdings in der Gesellschaft ihrer Herrschaft gesehen, sein? — Was mochte er vorstellen in der menschlichen Gesellschaft? — Sie zerbrach sich vergebens den Kopf über vie geradezu wunderbare Umwandlung ihrer stolzen Gebieterin und fühlte sich doch wiederum ganz glücklich in dem romantischen Gedanken, die Theilnehmerin einer solchen qeheim- nißvollen Entführung zu sein. So gelangte der Wagen zur ersten Station, wo er die Passagiere am Bahnhof absetzte und mit einem reichen Trinkgeld zurückfuhr. Der Doktor reichte der Comtesse den Arm und führte sie den nur schwach erleuchteten Perron entlang, während Rosi auf das Gepäck Acht geben mußte. „Ich möchte doch gleich mit," sagte Angelika leicht zusam menschaudernd, „der Zug kann im Augenblick kommen, wir fahren in der zweiten Klaffe und kommen keinesfalls mit meinen Verwandten in Berührung." „Ihr Wunsch ist mir Befehl, Comtesse!" — versetzte Wer neck, „ich löse sogleich die Billets." „Rost muß bei uns bleiben," fuhr sie zögernd fort. „Gewiß, meine Gnädigste!" „Sie zürnen mir nicht, Werneck, daß ich Sie in diese zweifelhafte Lage gebracht?" fragte sie leise. „O, ich Ihnen zürnen, zum Glücklichsten aller Sterblichen haben Sie mich dadurch gemacht." „Sie drückte seinen Arm und er wagte es, ihre Hand zu erfassen. — „Nennen Sie mir Ihren Vornamen, Doktor!" „Alexander!" „Ein kühner, vielv°rsprechender Name," lächelte sie, „auch Sie zerhauen in dieser Stunde einen gordischen Knoten, Alex! — Den Knoten der Standes-Vorurtheile." Er bebte zusammen. „Angelika," flüsterte er leidenschaftlich, „o, wüßten Sie, wie ich Sie liebe, anbete —" „Ich weiß es doch, — wäre ich sonst hier bei Ihnen, Alexander?" „Und Sie — Sie —" stammelte er verwirrt. „O, Sie kurzsichtiger, zaghafter Ritter," versetzte sie leise, „ist es denn jemals gehört worden, daß eine Dame mit einem ungeliebten Manne entflohen wäre?" „Angelika!" „Still, ungestümer Mensch, — löse die Billets." Er preßte ihren Arm an sich und führte sie dann zu der Zofe zurück. Die Ankunft des Zuges wurde in diesem Augenblick sig« nalisirt. Bald darauf donnerte er heran und hielt. „Zwei Minuten Aufenthalt!" Unsere Reisenden hielten sie verborgen. Rosi stand mit ihren Taschen auf dem Perron. Sie hatte, alle Gefahr ver gessend, den Schleier zurückgeschlagen und freute sich auf die Weiterreise. Die Comtesse bestieg rasch ein Coupee zweiter Klasse, Rost folgte ihr, der Doktor, als der Letzte, wollte einspringen, als er sich plötzlich zurückgeschleudert fühlte und mit furchtbarer Wucht auf einen Eckstein niederschlug. Die Coupeethür wurde im selben Augenblick zugeschlagen; der Zug setzte sich in Bewegung. Dieser Vorgang war das Werk weniger Sekunden und so blitzartig in Scene gesetzt worden, daß weder die Comtesse, noch Rosi einen rechten Begriff davon erhielten. Jetzt aber fuhren Beide zugleich mit einem Schreckens schrei hoch empor, denn an Angelikas Seite saß — Graf Wildhagen. — „Ruhig", gebot er kalt und streng, „kein Aufsehen, wenn ich bitten darf; ich müßte mich sonst zu gewaltsamen Maßregeln veranlaßt sehen. Sie, Mamsell Rosi, könnten mit der Polizei Bekanntschaft machen, während es für solche tolle Streiche," setzte er leiser, dicht zu der todtblassen Angelika sich beugend, hinzu, „noch sichere Anstalten giebt, um Schmach und Schimpf von den Wappen hoher Familien auszulöschen." Die Comtesse saß regungslos, wie erstarrt von dem jähen Wechsel der Dinge, sie schien momentan alle Besinnung ver loren zu haben und es durchaus nicht fassen zu können, wo ihr Begleiter geblieben und wie der Graf so plötzlich an ihrer Seite auftauchen konnte. War denn Alles nur ein Traum gewesen, und sie nun erst wieder erwacht zur nüchternen Wirklichkeit? Plötzlich richtete sie sich auf, ihre alte Energie schien zurück zukehren. Sie legte die. Hand auf des Grafen Arm und fragte mit Anstrengung: „Onkel! wie kommst Du hierher? — Gieb mir Antwort, unumwundene Wahrheit." „Recht gern!" versetzte der Graf, mit einem sarkastischen Blick auf die gegenübersitzende Zofe, der es offenbar recht un behaglich zu Muthe war. „Als wir Deine Abwesenheit be merkten, hofften wir Dich selbstverständlich am Bahnhof zu finden, da wir Dich unmöglich als einen verlorenen Gegenstand beider Polizei anmelden konnten. Du warst nicht dort und wir reisten, irgend eine Caprice vvraussetzend, ohne Dich ab. Auf jener ersten Station blickte ich, wie ich versichern kann, ganz zufällig, aus dem Fenster und bemerkte die Person dort, welche sehr unvor sichtig ihren Schleier zurückgeschlagen, auf dem Perron stehen. Das Uebrige magst Du selber Dir zusammenreimen. — Die Gelegenheit, denke ich, war zu günstig, um eine kleine Ueber- raschung nicht zu riskiren." Die Comtesse lehnte sich in die Ecke zurück und überließ sich ihren Betrachtungen, die eben nicht angenehmer Art sein mochten, während Rosi sich scheu in einen Winkel zurückzog. So wurde schweigend die nächste Station erreicht. „Du wirst die Güte haben, mir jetzt zum Onkel Kurt zu folgen, liebe Angelika!" sagte der Graf sehr liebenswürdig, „es