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— Krackau, S. Mai. Streikende Bergarbeiter wollten heute früh die Arbeiter am Dreifaltigkeitsschacht in Polnisch- Ostrau überfallen. Die Gendarmen machten von ihren Wassen Gebrauch, wobei ungefähr 20 Personen getödtet oder verwundet wurden. Zur Herstellung der Ordnung wurde Militär requi- rirt. Der Landesprästdent hat sich heute früh nach Polnisch- Ostrau begeben. Nach weiteren Meldungen wurden neun der Streikenden getödtet und zwanzig verwundet. Der Ukas des Königs Alexander von Serbien, welcher die Wiedereinsetzung Milans und Nataliens in ihre Rechte als Mitglieder des serbischen Königshauses ausspricht, ist sämmtlichen serbischen Gesandtschaften im Auslande offiziell untgetheilt worden. Wie es heißt, hätte der neue Gesandte Rußlands in Belgrad im Auftrage seiner Regierung Protest gegen die Re- habilitirung Milans erhoben. Vaterländisches. — Wo kommt das Geld der sozialdemokratischen Arbeiter hin? Das „Fränkische Arbciterblatt" beantwortet die Frage, wo die 10 Millionen M., die von 2 Millionen deutscher Arbeiter jährlich für die Sozialdemokratie beigesteuert werden, bleiben, folgendermaßen: Gehalt für 50 der oberen Führer jährlich je 10000 Mk., gleich 500000 Mk., desgleichen für 300 solcher zweiter Güte je 500 Mk., gleich 1000000 Mark, für 500 solcher, die zu Wanderpredigern und Reichs tagsabgeordneten ausgebildet werden sollen, je 3000 Mk., gleich 1500000 M., Diäten an Reichstagsabgeordnete, gleich 120000 Mark, 359 Wahlbezirke jährlich zu bearbeiten, je 10 000 M., gleich 3590000 M. Jnsgesammt zur Gründung von Zeich nungen, Zuschuß für die Herausgabe von Büchern, Druckheften, Flugblättern, für Streiks 1880000 M., Summa 9 000000 Mark. Von der verbleibenden Million würden jedenfalls noch Schaaren von Arbeitern bezahlt, die sich zwar Arbeiter nennen, die aber nichts Anderes seien als Parteibummler! Das Blatt behauptet, seine Angaben seien wahr! Die Aufstellung ist in vielen Zeitungen erschienen und blieb unwidersprochen. Sie verdient, daß jeder Arbeiter sie sich merkt. Auf ähnliche Weise dürfte übrigens auch das Geld der Arbeiter anderer Länder seine Verwendung finden. — Meißen. In der hiesigen Aktienbierbrauerei Meißner Felsenkeller wurde von zehn Brauern am 21. April plötzlich die Arbeit eingestellt, weil sich die Direktion zur Bewilligung der vom Fachvereine der Braugesellen neuerdings gestellten Forderungen nicht ohne Weiteres bereit erklärte. Nach Nieder legung der Arbeit seitens der Streikenden sah sich die Direktion veranlaßt, die freigewordenen Stellen anderweitig zu besetzen. Die streikenden Brauerburschen hatten sich nun mit der sozial demokratischen Partei in Verbindung gesetzt und in mehreren Versammlungen wurde die Streikangelegenheit berathen. Man beschloß Meißner Felsenkellerbier so lange nicht mehr zu trinken, als die Verwaltung die Aussperrung der abgegangenen Leute aufrecht erhält. Die Brauereidirektion hat aber trotz dieser Be schlüsse keinen der Brauergehülfen wieder in Arbeit gestellt. — Dem Verhungern nahe worein 19 Jahre alter Hand werksgeselle, welcher, an einem Steinbreche an der Zehrener Straße in Meißen sitzend, am Sonntag Abend von Spazier gängern angetroffen wurde. Der junge Wanderer, aus Leipzig stammend, hatte nach seinen Angaben keine Arbeit bekommen und seit drei Tagen nichts gegessen, da seit dieser Zeit seine geringe Baarschaft aufgezehrt war. Er war auf dem Heim wege begriffen und nicht mehr im Stande, weiter zu gehen. Unter Thränen betheuerte er, nicht betteln zu können. Es fanden sich weitere Passanten ein, von denen einer einigen Mundvorrath bei sich führte. Rührend war es anzusehen, mit welcher Gier der arme Teufel die Speisen verzehrte. Eine Geld sammlung ermöglichte dem Bedauernswerthen die Heimreise per Bohn, die er noch am selben Abende antrat. Am Tage da rauf ging bei einem der Wohlthäter ein Brief ein, in welchem sich Eltern und Sohn für die menschenfreundliche That bedanken. — Dresden. Das Schicksal der altehrwürdigen, archi tektonisch schön wirkenden Augustusbrücke scheint, wie man dem „Leipziger Tageblatt" von hier schreibt, besiegelt zu sein. Dieselbe bildet, wie bekannt, ein gefährliches Hemmniß für die Schifffahrt, da die Anlage der kleinen Bogen zu einer Zeit er folgte, in der nur kleine Zillen, Nachen und Gondeln die Brücke passirten. Die Neuzeit schuf für den Wasserweg große Fahr zeuge, die nur noch durch Lootsen durch die Brücke geführt werden können und jeden Augenblick Gefahr laufen, an den Bogenwänden Havarie zu erleiden. Die größeren Personen dampfer dürfen nur ohne Passagiere die Brücke durchfahren. Zwischen den städtischen und Staatsbehörden ist unlängst die Vorfrage wegen Neubaues einer der Jetztzeit entsprechenden Brücke erörtert worden. Hierbei wurde festgestellt, daß beim Augustus- Brückenamt der von derselben veraltete im Jahre 1861 gegrün dete Baufonds für die neue Brücke bereits 2^ Millionen M. betrögt. Derselbe wird aus den Erträgnissen des auf der Au gustusbrücke erhobenen Zolles gebildet. Bei der Ausführung des Neubaues würde die Achse der neuen Brücke über das jetzige Vergnügungsetablissement Helbligs hinweg direkt auf die Alt städter Hauptwache zuführen. — Auf dem alten Neustädter Friedhöfe in Dresden hat am Mittwoch Nachmittag 5 Uhr in aller Stille durch die Be erdigungsgesellschaft „Heimkehr" die Beisetzung der Gebeine des seinerzeit in der Gegend von Chiavenna an der Mera in Italien auf nicht ermittelte Weise ums Leben gekommenen Referendars Or. jur. v. Süßmilch-Hörnig, Sohn des in Dresden lebenden Generalmajors v. Süßmilch-Hörnig, stattgefunden. Die irdischen Ueberreste waren, soweit sie aufgefundcn worden sind, vor einigen Tagen von dem Fundorte in Dresden eingetroffen. — Ein sehr werthvolles Geschenk hat der Fährmeister Heinrich Thiele der Gemeinde Kötitz gemacht mit einem präch tigen, aber einfach würdigen Leichenwagen, der einen Werth von über 1000 Mk. haben mag. Thiele, der bekannte Fähr mann zwischen Gauernitz und Kötitz, der sich schon mehrfach um die Gemeinde Kötitz hochverdient gemacht hat, hatte ur sprünglich der Gemeinde einen Platz zum Schulhaus-Neubau zugesichert. Da aber die Ausschulung von Kötitz aus der Schulgemeinde Coswig die behördliche Genehmigung nicht er hielt, so hat auch der edle Schenkgeber in dieser Weise sich ein Denkmal dauernder Erinnerung in der GemeindeKötitz geschaffen. Nächsten Monat, und zwar den 9. und 10. Juni, wird in Döbeln das 25jährige Jubiläum des König!. Realgymnasiums und der landwirthschaftlichen Schule stattfinden. — Das Lehrerseminar zu Waldenburg feiert in den nächsten Tagen seinen fünfzigsten Geburtstag. Wie aber die Seminar direktion in der vorletzten Nummer der „Sachs. Schulzeitung" allen „Seminar Waldenburgern" bekannt giebt, wird die Ju biläumsfeier wegen Umbaues des Seminars auf nächstes Jahr verschoben. — Aus dem Vogtland wird berichtet: daß der Saa tenstand dort prächtig steht, an einzelnen warmgelegenen Orten, besonders im Elsterthale, ist der Roggen bis zur Aehrenbildung gediehen. Alles steht prächtig. Der Regen der verhangenen Woche hat Alles erfrischt, der Klee und die Wiesen stehen in einer Ueppigkeit, wie lange nicht. Tritt nicht Mißwetter da zwischen, so wird eine vorzügliche Heuernte zu verzeichnen sein. In Folge der günstigen Futterverhältnisse ergänzt jetzt der vogt ländische Bauer seinen reduzirten Viehbestand, wobei allerdings höhere Preise für Vieh infolge der stärkeren Nachfrage anzu legen sind. — In Gürth im obern Vogtlande entspann sich zwischen mehreren Gutsbesitzern, welche am Dienstag nach Vornahme einer Wegebau-Arbeit heimwärts zogen, ein Streit. Im Be griffe, denselben zu schlichten, trat der Gcmeindevorstand Rogler den Srreitenden entgegen. Rogler kam hierbei zum Fallen und es drang ihm der spitze Theil einer Hacke tief in den Leib, sodaß er wenige Minuten später sein Leben aushauchte. — In der Nacht zum 10. d. M. wurde bei einem Gärt ner in Zittau ein Einbruchsdiebstahl verübt, bei welchem den Dieben 1300 Mark zur Beute fielen. Das Geld bestand in 5 Einhundertmarkscheinen, 300 Mark in Gold, 300 Mark in Silber, 150 österreichischen Gulden rc. Der Bestohlene hat auf die Ergreifung der Diebe eine Belohnung von 300 Mk. ausgesetzt. — Hartha, 11. Mai. Ein tiefbeklagenswerthes Un glück ereignete sich in den Nachmittagsstunden des gestrigen Tages in dem benachbarten Gersdorf dadurch, daß 3 Personen, der 34 Jahre alte Gutsbesitzer Franz Liebig, dessen Knecht und ein hinzugekommener Stuhlbauer durch Gase in der Jauchen grube erstickten. Alle angestellten Wiederbelebungsversuche blieben erfolglos. — Altenburg. Eine Stadt ohne Schulden dürfte heute zu den Seltenheiten gehören, und doch erfreut sich unsere Nachbarstadt Meuselwitz dieses Vorzuges. Noch vor Jahresfrist wies auch Meuselwitz eine Schuld von 83 215 M. aut, aber durch den Verkauf des sogenannten Stadthauses erhielt es so viel, daß die Schuld bis auf den letzten Heller vertilgt werden konnte. — Leipzig, 11. Mai. Ein Brandstifter schrecklichster Sorte, der Dienstknecht Frisch, der nur aus Vergnügen das J.'sche Stadtgut in Oschatz in Brand gesteckt hatte, wurde vom hiesigen Schwurgericht zu 6 Jahren Zuchthaus und 10 Jahren Ehrverlust verurtheilt. Auf Jrrpfaden. Original-Roman von E. Heinrichs. (Nachdruck verboten.) (Fortsetzung.) „Es ist gut," nickte der Polizeichef, „wir arretiren keine unbescholtenen Leute, werden indessen die Sache untersuchen und ein Verbrechen jedenfalls verhindern. Sie bleiben hier in der Stadt?" „Der Graf soll sich heute hier befinden, ich muß seinen Aufenthalt erforschen und ihn zur schnellsten Abreise zu bewegen suchen; — so lautet meine Instruktion." „Gut, ich werde Ihnen einige zuverlässige Leute, welche die genaueste Lokalkenntniß besitzen, mitgeben, — doch wird der Graf jedenfalls in einem Hotel wohnen." „Wenn er es nicht vorziehen sollte, ein dRambrsAariu unter fremden Namen zu beziehen, Herr Direktor!" „Man wird ihn auch in diesem Falle aufspüren," nickte der Chef, „guten Morgen!" Der Mann im Kaisermantel verlies das Zimmer und nach einer Viertelstunde, von einem geheimen Beamten bekleidet, das Polizeigebäude, um sich zunächst die großen Hotels der Stadt zu betrachten. 9. Kapitel. Der Oberst auf der Reise. An demselben Morgen und zur selben Stunde, als Rein hold von dem Commissar in F. in Empfang genommen wurde, standen der Oberst Wolfsberg und Doktor Alexander Werneck auf dem Perron des Nestdenzstädtischen Bahnhofes, den Abgang des Zuges erwartend. „Ich bin von einer unerklärlichen Unruhe gepackt," sprach Werneck, „da ich es seit dem Empfange des Briefes von meinem Freunde Reinhold vor mir selber nicht verantworten kann, hier müßig zurückzubleiben, während Fremde für meines Hauses Ehre eintreten wollen." Der Oberst zündete sich gemüthlich eine Cigarre an und blickte den jungen Mann, dessen Erregung sich auf dem schönen Antlitz nur gar zu deutlich spiegelte, mit einem wehmüthigen Lächeln an. „Sie sehen Ihrer Großmutter ähnlich," nickte er dann; „ganz das Landenbergsche Gesicht. Gleicht die Schwester Ihnen, lieber Doktor?" Alex blickte düster vor sich hin. »Ja, ich soll leider meinem seligen Vater, welcher dem verhaßten Kurt geglichen, sehr ähnlich sehen," versetzte er nach einer Weile dumpf, „während Hedwig seltsamer Weise ganz und gar das Ebenbild der Großmutter sein soll." „Nun gut, um Ihrer Großmutter willen, die ich einst sehr geliebt, trete ich für die Ehre der Enkelin ein, Sie bleiben hier, jünger Heißsporn! — ein Duell wäre unvermeidlich, und was gewönne Ihre Ehre dadurch? — Bah, mein junger Freund, — dadurch wäre dieselbe nicht reparirt, nur die Ehe kann Ihre Schwester vor der Welt rechtfertigen, denn nur vor dieser ein zigen Thatsache beugt sich die große Splitterrichterin." „Und wenn Graf Obernitz heute wirklich einträfe?" fragte Alex fieberhaft erregt. — „Wenn er meine Schwester irgendwo in Sicherheit gebracht und meines Freundes Nachricht auf einer Täuschung beruhte?" Der Oberst blies aus seiner Cigarre einige Dampfwolken in die Luft. „Er wird nicht eintreffen, mein Freund," versetzte er dann äußerst ruhig. „Der gute Wildhagen hätte jedenfalls die darauf bezügliche Depesche mitgebracht, wenn eine solche wirklich existirt hätte. Man will Sie zurückhalien, um mittlerweile den Grafen aufzustöbern. Unterstützen wir diese kleine Jntrigue, indem wir die Herrschaften sicher machen. Nur eins noch, lieber junger Freund!" setzte er mit herzlichem Tone ihm die Hand auf die Schulter legend, hinzu, „lassen Sie sich nicht von der Dirne fangen, Sie wissen, wen ich meine." „Unbesorgt," lächelte Alex gezwungen, wobei er es doch nicht verhindern konnte, daß ihm die verrätherische Röth- inS Antlitz stieg, „sie beachtet den bürgerlichen Doktor Werneck nicht, ich bin für sie eine Null." „Hm, es sollte mir lieb sein, wenn die Dame es auch ferner thun wollte," sagte der Oberst: „es könnte sich aber doch ereignen, daß eine neue Taktik beliebt würde und ein neuer Plan Ihre Eroberung nöthig machte. Nehmen Sie sich in Acht, Doktor! Ihre ganze Medizin würde kein Präservativ gegen solche Zauberkünste enthalten." Der junge Arzt wurde der Antwort durch die Ankunft des Zuges enthoben. Mit einem festen Händedruck verabschiedete sich der Oberst vom ihm, um sogleich einzusteigen, obwohl der Zug zehn Minuten Aufenthalt hatte, als er plötzlich wie vor einem Gespenst zurückprallte und den Arm des Doktors krampf haft umspannte. Dieser glaubte nicht anders, als das dem Oberst ein plötzliches Unwohlsein ergriffen, da das Gesicht desselben asch farben aussah und die Augen mit starrem Ausdruck geradeaus schauten. Alex umfaßte seine Schulter und legte erschreckt den Finger auf seinen Puls. „Ist Ihnen nicht wohl, Herr Oberst?" „Es ist nichts, nichts," murmelte dieser, sich in seiner ganzen Höhe wieder aufrichtend, „kommen Sie, Freund!" Er zog den erstaunten jungen Mann mit sich fort, dann blickte er sich um und flüsterte jenem erregt zu: „Haben Sie Acht auf den Mann dort im grauen Ueberzieher mit dem kurz geschnittenen Bart und Kopfhaar. Es ist ein eisgrauer Schurke, — Herr mein Gott! — Sie dürfen mit ihm nicht in Berühr ung kommen." „Ich sehe keinen grauen Mann," versetzte Alex umher spähend, „haben Sie eine Vision, Herr Oberst?" „Wollte Gott, es wäre eine Vision, mein Freund, — dort ist er wieder, — still, ich muß sehen, wo er bleibt, ah, er steigt nebenan in ein Coupee. Gut, gut, jetzt bin ich ruhig." Der Oberst stieg ein, sein Gesicht hatte die natürliche Farbe wieder, — er reichte dem jungen Mann die Hand zum Abschiede. Wenns nöthig ist, rufe ich Sie per Draht, Herr Doktor," sprach er dann leise, „versprechen Sie mir volles Vertrauen und Folgsamkeit." „Herr Oberst!" „Geloben Sie mir Beides," bat jener dringend, „ich be schwöre Sie darum im Namen Ihrer Großmutter, deren letzte Lebenslage von einem neuen Unheil bedroht sind." „Nun wohl, ich gelobe volles Vertrauen," versetzte Wer neck entschlossen. „Und unbedingte Folge meiner Rathschläge," fuhr der Oberst fort. „Es ist viel, im Grunde wohl zu viel verlangt, — in dessen ich gelobe auch dieses." „Ihr Ehrenwort, lieber Werneck!" „Ich gab es Ihnen mit dem Versprechen," versetzte der jungen Mann. Die Lokomotive pfiff, der Zug setzte sich in Bewegung. Werneck trat auf den Perron zurück. „He, Doktor! — Guten Morgen!" rief eine Stimme aus dem nächsten Coupee und ein flotter Student streckte ihm ver gnügt die Hand entgegegen. „Guten Morgen, — Hellmann!" — nickte Werneck, rasch einen Händedruck mit ihm wechselnd, „wohin des Wegs?" „Ins Thüringecland, — komm mit!" Der Doktor schüttelte wehmüthig den Kopf und warf noch einen Blick aus das vordere Coupee. „Erlauben Sie mir einen Blick auf den Perron, junger Herr?" brummte em alter Herr den Studenten jetzt an. Dieser gewährte ihm die Bitte. Der Alte im grauen Ueberzieher blickte scharf zu Werneck hinüber und verfolgte ihn, als der Zug davonbrauste, so lange er ihn sehen konnte. Dann setzte er sich ruhig auf seinen Platz zurück. „Der junge Mann, den Sie Doktor titulirten, kam mir auffällig bekannt vor," wandte sich der Graue an den Studenten, „dürfte ich Sie um seinen Namen bitten?" „Warum nicht?" gab jener leicht zurück, „es ist Doktor Werneck aus X., — mein Studienfreund, praklizirender Arzt, ein — reines Meerwunder an Fleiß und Ausdauer." „Werneck," wiederholte der Alte, sich mit seinem häßlichen Lächeln den grauen Bart streichend, „Habs mir gedacht, —steht seiner Großmutter sehr ähnlich, — oder nein, — doch nicht, — er hat ein anderes Gestchr, ist er nicht mit einem Grafen Laudenberg verwandt?" „Mir nicht bewußt," erwiderte der Student kopfschüttelnd, „hatte allerdings mit einem Grafen Obernitz in Heidelberg in time Freundschaft geschlossen, — war aber selbst nicht adelig." „Ob sein Vater noch lebt?" fragte der Alte hartnäckig weiter. „Der ist längst todt," weiß nur, daß er eine bildsaubere Schwester und eine Großmutter noch hat." „Sie wohnten früher in L. — Ich kannte den Großvater gut, kaufte bei dem Mann meine Uhren. „Glaub' ich nicht," sagte der Studend, sich eine Cigarre anzündend und den alten „Schwätzer" mit einem abweisenden Blick messend. „Doktor Werneck stammt jedenfalls eher von einem philiströsen Uhrmacher ab. — Seine Großmutter zum Erempel, ich habe die alte Dame nur einmalgesehen, — macht den Eindruck einer geborenen Gräfin." „Und sie wohnt jetzt in X. ?" Des Alten Züge nahmen bei dieser Frage einen so hämisch widerwärtigen Ausdruck an, daß der Student sich unangenehm davon berührt fühlte und entschlossen schien, keine Antwort weiter zu geben. Er lehnte sich zurück, zog eine Zeitung aus der Tasche und vertiefte sich darin. Auf der ersten Hauptstation stieg der alte Herr aus, grüßte den Studenten und schritt langsam den Perron entlang. — „Ein widerwärtiger Patron!" brummte unser Studios den Alten nachblickend. Der Oberst Wolfsberg sah ihm ebenfalls nach, die beiden Männer hatten sich einen Augenblick mit dem Ausdruck tiefsten Hasses angeschaut, und während der Alte hämisch vor sich hin lachte, sah der Oberst wieder erschreckend bleich aus. „Er ist es," murmelte er; „großer Gott, wenn er zurück kehrt. Was soll ich beginnen? — Die Unglückliche ihrem Schicksale überlassen?" Er wollte hinausspringen, eine Depesche aufgeben. „Er kennt ihren jetzigen Wohnort nicht," tröstete er sich, als der Zug sich wieder in Bewegung setzte, „und würde dec Doktor mir gehorchen? — Unter diesen Umständen schwerlich,