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Aeitage zu Ao. 2 des Wochenblattes für Wilsdruff etc. Tante Hannas Geheimuitz. Original-Roman von E. v. Linden. (Nachdruck verboten.) (Fortsetzung.) „Ach was," fuhr der rücksichtslose Maler, sie ruhig auf ihren Platz zurückzichend eifrig fort, ich will meine Geschichte doch zu Ende bringen, und was die Spatzen sich vor zehn Jahren auf den Dächern erzählten, das kann wohl auch ein braver Mann wie ihr Nachbar Marburg hier, anhören. „Aber keine Anzüglichkeiten," sprach der junge Mann ernst, „sonst verzichte ich auf das Ende Ihrer Geschichte, welche ich mir schon zusammenreimen kann. Was ich von Fräulein Holten, von ihrem Charakter, der mit weiblicher Milde männliche Energie und einen scharfen Verstand verbindet, bislang gehört, ist so bewunderungswürdig, daß ich es kaum wage, mich ihr als Nach bar vorzustellen." „Unsinn," brummte Reinhardt, „Sie bleibt bei all' ihren Vorzügen doch immer nur ein Frauenzimmer —" „Das den Beweis geliefert, als Gutsbesitzerin einen Herren und Meister ganz gut entbehren zu können", fiel Tante Hanna mit ungewöhnlicher Schärfe ein. Der Maler blickte sie sinnend an. „Ja," sagte er nach einer Weile, „sie ist eine Perle ihres Geschlechs, aber schade ist es doch." „Was ist schade?" fragte Hanna gereizt. „Daß sie sich nicht verheirathet hat, bevor Musje Stein dorf zurückgekommen. Na, schießen Sie nur nicht so gereizt auf mich los, kleine Tante!" setzte er laut lachend hinzu. „Was ist Ihnen denn so urplötzlich in die Krone gefahren, als ob Sie mich zum Nachtessen verspeisen wollten? Weiß wohl, daß man Ihr Schoßkind nicht schief ansehen darf, aber ich mein'es ja doch so von Herzen gut mit ihr, und Sie wissen, wie die Welt urtheilt, der schlaue Julius Steindorf voran, dem das schöne Edenheim und die artigen Baarcapitalien der einst ver schmähten Erbin gut zu statten kämen. Stecken Sie's ihr, Tant chen, wir sind ja unter uns, da ich für meinen Leonhardt bürge. Der edle Herr Julius glaubt, daß sie ihm die Treue bewahrt und um seinetwillen nicht geheirathet hat." Drinnen wurde ein Geräusch hörbar, als ob ein Stuhl gerückt wurde. „Spukt es bei Ihnen, oder ist's die Lise?" „Lise ist verreist, es wird meine Mignon sein, — mein Kätzchen nämlich", wandte Hanna, die in der Dämmerung sehr bleich aussah, sich an Marbach. „Hat er solches ausgesprochen!" sagte der junge Mann, „und — ist er bier in der Stadt?" „Er ist hier und hat dergleichen angedeutet," versetzte Rein hardt fest, schade, daß ich nicht dabei gewesen bin, um ihm die richtige Antwart darauf zu ertheilen. Er wird auch mit Ihnen wegen Rotenhof anbinden, mein Lieber! Soll bereits mit einem Rechtsanwalt in Verbindung getreten sein." „Nun?" richtete der junge Mann sich erstaunt empor. „Will er meinen Besitztitel vielleicht angreifen? — Dann soll er mich gewappnet finden. Abtrotzen lass' ich mir nichts. Ich ersah allerdings aus den Papieren meines Onkels, daß er das Gui aus dem Concurse für einen Spottpreis erstanden und wundert mich, daß Herr Holten es nicht an sich gebracht." „Das hatte seine besonderen Gründe," nahm Tante Hanna das Wort. „Herr Julius Steindorf erhielt eine übermäßig hohe Summe ausgezahlt, weil sem Vater ihn nicht mehr sehen mochte, worauf die Mutter bald starb und Alles in Verwirrung gerieth. Der alte Steindorf wurde tiefsinnig, unredliche Ver walter beuteten ihn aus und auf Herrn Holten wollte er nicht hören, weil er Fräulein Armgard die ganze Schuld beimaß. Er soll ihm sogar die Thür gezeigt haben. So war das Ende bald genug da, das abgewirthschaftete Gut kam unter den Hammer und Ihr Onkel ertstand dasselbe für einen Spottpreis, weil ein Jeder sich gescheut haben soll, darauf zu bieten, als man sah, daß Herr Holten sich ganz fern hielt." „Und der alte, unglückliche Herr Steindorf?" fragte Mar bach leise. „Man fand ihn am Tage nach der Auction todt in seinem Bette am Schlagfluß gestorben, wie es hieß." Es wurde jetzt ganz still in dem kleinen Kreise. Die Sonne war längst untergegangen, hoch oben im blauen Aether erglänzte die Mondsichel, Blumen und Bluthen dufteten berau schend, und im nahen Gebüsch schlug eine Nachtigall. Mig non hatte sich auf den Schooß ihrer Herrin geflüchtet und schnurrte. Sie hob den zierlichen Kopf und schien etwas Jagd lust zu empfinden, denn ihre Augen phosphorescirten bedenklich. Doch war sie zu wohl erzogen, um nicht augenblicklich ihre Ge lüste nach der kleinen Sängerin zu unterdrücken und weiter zu träumen. Plötzlich erhob sich der Maler, reichte der alten Freundin die Hand und bat leise: „Verzeihen Sie mir, wenn ich Sie geärgert habe, ich kann mich nicht mehr ändern. Gute Nacht!" Sie drückte ihm stumm die Hand, auch dem jungen Guts besitzer, der sich entschuldigen wollte, doch ruhig mit einem herz lichen „Gute Nacht" entlassen wurde. Als die Pforte sich hinter beiden geschlossen, schritt sie eiligst ins Haus. „Armgard!" rief sie leise und ängstlich, indem sie rasch eine Kerze anzündete. Dort saß sie, am offenen Fenster, von der Gardine halb verhüllt. „Schließen Sie Fenster und Gardinen, Tante!" bat sie mit fester Stimme, die einen seltsam fremden, kalten Klang hatte. Tante Hanna gehorchte zitternd, ihr war auf einmal so kalt geworden, daß sie zusammenfröstelte. Armgard sah nach ihrer Uhr. „Es ist spät, schon nach neun Uhr, Conrad wartet mit dem Wagen auf mich, da ich in meinem Hause nicht über nachten, sondern noch nach Edenheim hinaus wollte. Aber — was thut's — mag erwarten, er ist ja unter Dach und Fach." „Die alte Cathrin, welche für Liese die Arbeit übernommen hat, wird soeben gekommen sein. Ich schicke sie in die Stadt, um Conrad Bescheid zu sagen." Ich bitte darum, Tante Hanna, da ich noch ein Stündchen mit Ihnen plaudern möchte. Conrad mag sich um zehn Uhr hier einstellen." Hanna ging hinaus, während Armgard langsam im Zim mer umherschritt. Das sonst so blühende Antlitz war leichen blaß, um die festgeschlossenen Lippen lag ein herber Zug, der sie um ein paar Jahre älter erscheinen ließ und aus den freund lichen braunen Augen blitzte es wie Menschenverachtung und Haß. Tante Hanna kehrte zurück. Sie ergriff Armgards Hände und zog sie sanft nach dem Sopha, wo sie sie in eine Ecke niederdrückte. Dann zündete sie die Lampe an und ließ sich an ihrer Seite nieder. „Sie haben alles mit angehört, Kind?" „Ich mußte wohl, da mir jeder Ausweg verschlossen war," lautete die bittere Antwort. „O nein, Herzchen, die Nothwendigkeit lag gerade nicht vor. Sie konnten durch die Hofthür in mein Obstgärtchen gehen, da ich leider nur den einen Ein- und Ausgang habe. Aber natürlich blieben Sie hier, um sich von diesem Igel von Maler noch tiefer verwunden zu lassen. Was man nicht weiß, das —" „Ja, ja, Tantchen, ich blieb aus Neugierde, es ist ganz gut, zu wissen, was Andere über uns denken und urtheilen, weil das die Demuth weckt. Die Lehren dieses stachlichen Igels waren schmerzhaft, aber doch gut. Es ist nur gar zu demüthigend, Laß die Welt und dieser Mensch von mir glauben können, ich hätte um seinetwillen nicht geheirathet! — Das könnte mich noch heute zu einem verzweifelten Entschluß bringen." „Meine beste einzige Armgard!" bat Hanna, den Arm um sie legend, „verachten Sie das Geschwätz der Welt, wie Sie es stets gethan. Mag der Elende doch kommen, für den Sie sicherlich Verachtung empfinden. — Oder," setzte sie er schreckt hinzu, als sie sah, wie das blasse Gesicht sich mit einer tiefen Gluth bedeckte, „sollte ich mich geirrt haben und Ihr Herz noch immer für ihn empfinden?" Armgardt legte den Kopf an ihre Schulter und brach in Thränen aus. „Verachten Sie mich, Tante Hanna," sprach sie endlich leise, mit Anstrengung, „ich habe in all' den Jahren nur zu