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Unterhaltungsschrift und A n z e t g e b la t t. Mit Beiblatt verantwortlicher Nedaeteur «. Verleger. Ludwig Ponath in -chandau. „Der Clbbote." Freiheit. Die Feinde der Hierarchie waren auch nicht mehr Willens, das Joch der bürgerlichen Tyrannei zu tragen: Denn die Lehren der Freiheit find unt^r sich verwandt, wie die Gc- fühle. Die Grenzen der kirchlichen Macht sollten gezogen wer den. Die Reformatoren konnten dies nicht, ohne zugleich den Kreis zu zeichnen, welchen die bürgerliche Gewalt umschließt. Die Gebietsbestimmung für beide war abhängig von der Un tersuchung ihrer beiderseitigen Natur, ihres Ursprungs und ih rer Zwecke. So wurde die Bahn eröffnet zur freisinnigen Bearbeitung eines wissenschaftlichen StaatsrechteS, und seit dieser Zeit ist auf diesem Gebiete weiter geschritten worden, obschon das Ziel selbst noch nicht erreicht ist. Denn dem Bunde der Reforma toren folgte sehr bald der Bund der Jesuiten und mit diesem hatte der erstere seit dieser Zeit zu kämpfen, weil der letztre seine Wirksamkeit zugleich auf Kirche, Schule und Staat ausdehnte. Der Hauptschlag ist gegen den Protestantismus und seine Fundamente, gegen die freie, bürgerliche Verfassung, gegen die Freiheit des Gewissens, gegen die freie wissenschaftliche Forsch ung gerichtet. Wie die Staaten Europas durch Vernichtung der Napoleonischen Univcrsalmonarchie ihre frühere Selbststän digkeit und Macht wieder errungen haben, so will auch Nom durch die Vernichtung der Ideen der Reformatoren seine alte Macht und Herrschaft wieder erkämpfen und seinen Sieg in dem Lande feiern, in welchem die Erhebung gegen die legitime Kirchengewalt ausgebrochen war, und diese ihre Niederlage er litten hatte. Und wie der Jesuitcrorden einst gegen den Pro testantismus errichtet worden ist, so sott derselbe auch seine Wiedererstehung durch die Besiegung des Protestantismus ver herrlichen. Daher bis auf die neuesten Zeiten die Verfolgung der Männer einer freieren Geistesrichtung, der Verfechter und Verfasser freierer Institutionen und Verfassungen. Ost schon ist das Neformationsfcst vergangen und wiedergekehrt, ohne daß wir vielleicht an die Leiden der für ihre Ueberzeugung gelittenen und gestorbenen edlen Gemüthcr gedacht, daß wir uns derjenigen erinnert, die noch dafür die Kcrkcrqualen zu ertragen haben, während ihre Angehörigen vielleicht am Hun gertuche nagen müssen, und Familienglück, Familienfreude zu Grabe getragen ist. Wir können ihr Andenken nicht schöner verherrlichen, als daß wir eingedenk unseres Namens fortwäh rend protestier», — denn daS Recht der Pxotestation ist ein Die Reformatoren. Vor 30Ü Jahren traten die Männer auf, welche sich zu den Principien der wahren Freiheit, mit welchen der Flor der Staaten, das bürgerliche Wohlsein, die Nationalkraft und die moralische Würde in enger Verbindung stehen, mit Hintenan- setzung ihrer eigenen persönlichen Sicherheit, ihres Lebens frci- «üthig bekannten. An der Spitze derselben stand v. Martin Luther. Er war ein Mann von tiefem, edlem Gemüthe, wie von reichem Geist, durch klare Vorstellung von der Welt und ihren Wirkungen über alle Vorurtheile erhaben, das Verderb niß der Kirche mit Ueberzeugung erkennend, durch Talent und Muth berufen zur Abschüttelung des Joches, überhaupt ein lebenskräftiger Ausdruck seines Zeitalters, befähigt und geneigt, in dessen Geist zu wirken. — Mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln trat der Pabst dagegen auf; alle Anstrengung wollte nicht gelingen. Luther war stark durch den Zeitgeist, welchem er diente, und den er keineswegeS schuf. Tausende waren für ihn, weil er aus der Seele von Tausenden gesprochen: Seine Feinde, welche durch bittere Schmähung und Verfolgung ihn reizten, trieben die Sache aufs Acußcrste, zwangen ihn selbst auch zum Aeußersten zu schreiten, und warfen so die Last auf ihn, den Saamcn alles nachfolgenden revolutionären Unheils ausgestreut zu ha be». Es ist wahr, die Reformation hat, wie alle derartige Zeitpcrioden, Betrübendes und Schreckliches mit sich grfüh t. Wilde Zwietracht und der Leidenschaften Wuth, langdaucrnde Verwüstung der Länder und ganze Ströme, des hier in Schlachtfeldern, dort auf Schaffolcn vergossenen Blutes. Doch fragen wir uns: Wären ohne diese Gräuelscencn die Zeiten friedlich, ohne den Kirchenstreit Freiheit und Recht unbcdroht, ohne die Gewaltthaten Kunst und Wissenschaft ungestört ge blieben? Mit Nichten. Fast alle die damaligen Lenker der Völker waren mit Vergrößerungsplanen beschäftigt und so die Aussichten zu langwierigen schrecklichen Kriegen zwischen Für sten und Nationen geöffnet. Die Reformatoren haben diesen bevorstehenden Kämpfen eine andere Richtung gegeben und die , durch sie veranlaßten Kriege weniger schrecklich gemacht, weil edler und heilbringender. Das Gleichgewicht eines europäi schen StaatcnspstemS wurde durch sie errungen und vor allen Dingen haben die Reformatoren das Bannier der Freiheit auf gepflanzt. Um dieses Bannier sammelten sich alle Freunde der Xi'. 44. /rcilag, den 2. UMbr. 1855