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2. Aihrg., dt « in in e r 12. Peiblatt zur „Sächsischen Elb-Zeitung". Verantwortlicher Redacteur und Verleger: Ludwig Donath in S uda». Motto: Empfindest du für Andrer Menschen Noth Erbarmen, So frage nicht erst kalt: Gcbcut'S die Pflicht? Hilf! Fvrdrc keinen Dank von Arinen, Von Neichen hoff' ihn nicht. Z. E. A. Stiegler. Die Preisstücke. Novelle von L. Mühlbach. (Fortsetzung.) Ein uciieö Drama. Im Schauspiclhausc gab man heute ein neues Drama! und alle Welt strömte hin, cö zu sehen! Denn ein neues Drama ist immer noch eine Art Er« eigniß, eine neue Zerstreuung, wenn cs Glück macht, ein pikantes Amüsement, wenn cs durchfällt. Abcr Letzteres war heute gar nicht anzunchmcn, denn die Verfasserin war eine fchr beliebte, viclgewandte Büh« nendichtcrin und der große Haufe des Thcatcrpubli- kums schwärmte für sie und nannte Sophie Barth- Sänger die größte Dichterin ihrer Zeit, den weib lichen Shakespeare des neunzehnten Jahrhunderts! „Ihr neues Drama hieß: „DK unnatürliche Toch ter." Frei bearbeitet nach einem Nowan des Alex ander Dumas." — Man war daher gewiß, einen sehr genußreichen Abend zu Verleben, denn schon der Titel dieses Dramas war so pikant und vielverspre chend, und man wußte fa, „mit welcher großen Ge wandtheit und Bühncngerechtigkeit Sophie Barth- Sänger ihre „Original-Dramen aus den französi« scheu Romanen zu filtriren wußte." Das Schauspielhaus war also in allen Plätzen gefüllt und überall sah man lebhafte und gespannte 'Gesichter, Hörle man Ausrufungen der Ungeduld und der freudigen Erwartung! Es.waren so sehr inte ressante Stunden, denen man entgegen, ging, man war so gewiß, eine allerliebste Zerstreuung, einen harmlosen Genuß zu haben. Unten im Parterre standen wieder die sechs Männer, welche damals Ernst's Stück mit zu Grabe getragen, aber heute waren ihre Gesichter sehr zu- »ersichtlich, sehr heiter! ES galt heute nicht einen Feind zu vernichten, sondern einen Liebling zu be willkommnen und mit Beifall zu überschütten! Auch oben in den Logen gab es bekannte Gesichter. Dort in jener Loge sah man Antonien im vollen Glanze ihrer stolzen und majestätischen Schönheit. Ihr Ge sicht war ein wenig blässer, ihre Züge schroffer und strenger als damals, wo sie von derselben Stelle aus Ernst's Drama angesehen, und wenn sie lächelte, so hatte ihr Lächeln etwas Gezwungenes, Kaltes und Verächtliches, aber sie war doch immer noch schön, und die Welt nannte sie eine beneidenswcrthe Glück liche. Allerdings, ihr LooS war bencidcnswcrth! — Em Jahr war fast vergangen seit jenem unglückli chen Theaterabend I Antonie war seitdem die Gemah lin des Grafen Waldemar geworden und führte ein glänzendes und prächtiges Leben. Sie bewohnte mit ihrem Gemahl ein köstlich eingerichtetes Hotel, sic hatte eine zahlreiche Dienerschaft, eine auserlesene Equipage, die kostbarsten Pferde, die schönsten Bril lanten, die seltensten Cachcmirs. Sie war außerdem der Liebling der Fürstin, und im vertraulichen Hof zirkel nannte sie der Fürst sogar zuweilen „meine Tochter." Es war daher sehr natürlich, daß sic die Seele und der Mittelpunkt der Gefellschaft war und daß man sich um ihre Gunst und um ihr Lächeln in eifrigster Bemühung bewarb. Jeder Tag brachte für Antonien neue Freuden, neue Zerstreuungen, ir gend eine neue, glänzende Ueberraschung, ein neue- kostbares Geschenk ihres Gemahls; und Antonie stürzte sich mit einer Art Entzücken in alle Zerstreuungen und Feste, abcr inmitten des Festes erkaltete oft plötz lich ihr Lächeln und ein eisiger Hauch fuhr über ihr schönes Angesicht. Vielleicht sah es Niemand, aber Antonie fühlte es, sie fühlte diese kalte Hand, welche sich auf ihr Herz legte und es erstarren machte; sie hörte zuweilen eine Stimme, welche ihr traurige, Hränenreiche Worte zuflüstcrte; und inmitten ihrer Träume sah sie zuweilen ein bleiches, schmerzzerris« sencü Gesicht, zwei dunkle Augen, welche nut dem Ausdrucke unaussprechlichen Jammers auf sie gerich tet waren. Aber dies waren nur Träume und An tonie eilte in rauschenden.Vergnügungen die schwer« muthövollen Träume, die' schlaflosen Nächte zu ver gessen, und diese schauerlichen Stimmen, ^welche in ihrem Hcrzen flüsterten und seufzten, zu betäuben! Ihr Leden war eine ünunterbrochene Kette von Zer-