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2. Inhrg., V » ,n m e r 10. Montag, den 3. März 1853. Deiblatt zur „Sächsischen Elb-Zeitung". Verantwortlicher Nedactenr und Verleger t L « d w i gD o n ath in Schandau. Motto: Wcr stctü mit ernstem Sinn so Wort und That bewacht, Zu Schanden wird an dem des Schicksals böse Macht. I. A. Gepuffert. Die Preis stücke. Novelle von L. Mihlbach. (Fortsetzung.) Auch heute schienen sic ihre Aufmerksamkeit am lebhaftesten dem Triumphator des gestrigen Abends zugewandt zu haben! Immer wieder flogen ihre Blicke zu Romeo empor, und jetzt in dieser großen Scene ruhten sie unverwandt auf ihm. Es war gerade der Moment,, wo die Tochter den Arm erhob, um den Fluch auf ihre Mutter herabzuschlcudcrn. Romeo neigte sich vorwärts, und machte den sechs Männern da drinnen ein unmerklichcö leises Zeichen. Ein donnernder Applaus, ein stürmisches Bravo war die Folge davon. Es begann bei den sechs Männern und fand hier und dort im Parterre und- in den Logen seinen Wiederhall. Aber zu gleicher Zeit vernahm man jenes schrille, durchdringende Zischen, welches das Blut in den Adern der Schauspieler erstarren macht, und sofort das Feuer ihrer Begeisterung auszulöschen pflegt. Das Zeichen war gegeben! Der Sturm brauste los! Immer gewaltiger ertönte der Applaus und schien doch das Geheul und Pfeifen des Ungewit- ters nur zu steigern. ES war ein heftiger Kampf, ein gewaltiges Ringen der Elemente. Aber diesmal siegte die Neu gierde des bezahlenden Publikums noch einmal über die Bosheit der Bezahlten und über die Mißgunst der Neidischen. Es trat wieder Ruhe ein und die Scene konnte weiter gehen. Maric fühlte sich einer Ohnmacht nahe, ihre Zähne schlugen aufeinander, wie im Fie berfrost, und glühende Gebete der Angst und des Entsetzens schickte ihr Herz zu Gott empor. Antonie saß da, farblos und unbeweglich, wie ein Marmorbild. Sic fühlte ihr Herz zu Stein er starren, und eine wilde, vernichtende Wuth tobte in ihr. Sic hätte diese heulende wilde Rotte, gcnannc Publikum, ecrasiren mögen, ihr Auge schleuderte Blitze hinunter in dieses Parterre, von woher das Zischen ertönte. Sic stampfte mit dem Fuß auf den Boden und fragte ihren Vater mit Thronen dcö Zornes: ob er nicht Befehl geben wolle, diese Ruhe störer zu verhaften und daS Achselzucken und Lächeln deö Ministers brachte se außer sich. Unwillkürlich flog ihr Blick hinüber zu jener kleinen vergitterten Loge, in welcher sich Ernst befand. Von ihrem Platze auS konnte sie dieselbe beobachten! sie sah sein bleiches, farbloses Gesicht sich an das Gitter pressen, sic sah, wie er seinen entsetzten Blick nach dem Parterre richtete. Antonic aber wandtc daS Auge fort von Ernst und ihre Stirn legte sich in finstere Falten. Sie mochte in diesem Moment Ernst nicht sehen, denn sie fühlte, daß sic ihn nicht blov hassen, sondern viel leicht sogar verachten könne, und hmler seinem Git ter erschien er ihr wie ein cmgcsangcneö wildcö Thier, daö mit machtlosem Geheul die Peitschen hiebe seines Herr» erdulden muß. — ES war eine so sehr unwürdige Position für den Geliebten der stolzen MlNisterslochter, dao Hohngelachter und Ge heul dieses Publitumö ertragen, diesen Schimpf er dulden zu müssen, ohne das Publikum oasür in'S Gesicht schlagen und unter die Füße trete» zu tonnen. Aber, wie gesagt, es trat eine augenblickliche Ruhe ein, die Scene ging weiter.' Ernst athmetc noch einmal wieder auf und trat von dem Gitter zurück. Er fühlte sich wie in einem Delirium, alle seine Glieder bebten, seine Pulse zit terten und mit Centnerschwcre lastete cS auf seiner Brust. Er mußte sein Gewand öffnen, um nicht zu ersticken. Als er eben kraftlos und ermattet an der Thüre lehnte, welche auf den Corridvr hinausführtc, hörte er draußen den langsamen, gleichmäßigen Schritt der Logenschließer, welche mit ihren Schlüsseln klirrend auf- und niedergingen.