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Erzgebirgischer Volksfreund : 03.11.1922
- Erscheinungsdatum
- 1922-11-03
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1735709689-192211034
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1735709689-19221103
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1735709689-19221103
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Erzgebirgischer Volksfreund
-
Jahr
1922
-
Monat
1922-11
- Tag 1922-11-03
-
Monat
1922-11
-
Jahr
1922
- Titel
- Erzgebirgischer Volksfreund : 03.11.1922
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^rr. r-7. Z. November isr». Erzgebirglscher Dolkssreuno. Verlag L. M. TSrkner, Sur. Velblav. ' ———— > > -—MM—«-—» » Auf brkaaottn Pfad«. Die „L. N. N." schreiben: Auch Finanz- Minister Heldt glaubt jetzt vor den Wahlen auf den Spuren Ll- pinski» und Zeignerz wandeln zu müssen. So passierte vor wenigen Tagen folgende Sache: Sin Reisender verschaffte sich sofortige Vor- laffuna bet der Direktion der Staatlichen Elektrizitätswerke in Dres den mit der Behauptung, er käme vom Finanzministerium und müsse dringend gekört werden. Er wurde von einm Direktionsmitgliede empfangen, dem er erzählte, daß sofort Aufträge erteilt werden müß ten, damit seine Firma nicht Arbeiter zu entlassen brauche. Das Finanzministerium stünde hinter ihm. ,Das Direktionsmitglied be- merkte, daß zurzeit kein Bedarf vorliege und außerdem die früher ge lieferte War« nicht von bester Qualität gewesen sei. Daraufhin ant wortete der Reisend«, daß er im Finanzministerium Vorgesprächen habe und die Herren wünschten eine Auftragerteilung an ihn. Der Direktor wie» darauf hin, daß er mündliche Aussagen nicht anerken nen könne, sagte aber eine sachliche Prüfung der Angelegenheit zu. Wenige Tage später erhielt das betreffende Direktionsmitglicd ein Schreiben, in dem ihm sein« fristlose Entlassung mitgetcilt wurde. Als Begründung wurde angeführt, daß er den Minister bloßgestellt habe. Die Entlassung erfolgte ohne jeglich« Untersuchung irgend eines Tat- bestand«». Minister Heldt ließ außerdem in einem Telephongespräch d«m Betroffenen merken, daß er ihn auch deshalb entlassen habe, weil er früher Offizier gewesen sei. " Einstellung der staatlichen Kraftwagenllnien. Infolge der star ken Entwertung der Mark und der dadurch verursachten hohen Un kosten für den Betrieb hat sich das Finanzministerium ge nötigt gesehen, den Betrieb der staatlichen Kraftwagenlinien einzu- ftellen. Die der Postbeförderung dienenden Linien Königstein— Echweizermühle, Freiberg—Weißenborn, Hirschfelde—Wcigsdorf, Mittweida — Burgstädt — Limbach, Zwickau — Wildenfels, Aue — Zschorlau und Plauen —Rodewisch —Eiben- st o ck werden mit den letzten Fahrten am 12. November, alle übrigen Linien bereits am S. November stillgclegt. * Schlaf wag« nverkehr. Dom 12. November ab werben die Bettkartenpvtike für die Schlafwagenläuft im Neickiobahnbrreiche- wie sol-it erhöht: 1. Klaffe 1800 Mark, Dormcrlgabübr 180 Mark; 2. Klaffe SOO Mark, Vormerkgebühr 80 Mark; S. Klaffe 800 Mart, Dovmerlgebühr 50 Mark. * Die Befürchtung, daß bei Benutzung der Nernsprechapparat« ansteckende Krankheiten übertragen werden können, ist grund los. Die Ansteckungsgefahr beim Gebrauch d»r Fernsprechapparate ist nach den auf zahlreiche Versuche gestützten wissenschaftlichen Gutachten amtlicher Institut« praktisch obne jede Bedeutnna; es liegt deshalb auch kein Anlaß vor, die Fernsarcchappa^atc fortlaufend zu de«infi- zieren. Die von vielen Seiten in den Handel "»brachten Desinfektions apparat« für Fernsprechstellen sind zwecklos. Die Telegraphen- Verwaltung wird vorhandene Vorrichtungen dieser Art zwar zunächst nicht beanstanden, neue aber nicht mebr zulasten, al-ichviel ob die Dorrichtnnaen durch «inen Unternehmer oder durch die Anschluß!»- Haber selbst angebracht werden sollen. Aue, 2. Nov. In einer der letzten Nächte sind Diebe in den Laden der Geschäftsinhaberin Heinz in der Earolastraße eingebrungen und haben weißen Damast, blauen Herrenstoff, weißen Stoff, Sckür- zenstoff, Hemdentuch und Taschentücher im Werte von über 60 000 Mk. gestohlen. Aue, 2 Nov. Der 10jährige Markthelfer G. stahl zwei Kisten Margarine von je 30 Pfund im Werts von 50 000 Mk. und verkaufte ste an einen Unbekannten für 13 000 Mk., bezahlt« davon Schulden und verjubelte den Rest. Der Bursche kam zur Haft. j Neustädtel, 2. Nov. Dir am Montag stattgesund«»« öffent- llch« gemeinschaftlich« Sitzung d«« Rat«, und der Stadtverordn«i«n befaßte sich in der Hauptsache mit der Beratung und Berabschiodung de, städtischen Haushaltsplan«, für da» laufend« Johr. Derselb« wurde mit einigen Abscherungen, welche erhöhte Einstellungen für wöchentliche Almosen u.ch di« Bolk»büch«r«i betreffen, ein stimmig genehmigt, wenngleich verschiedene Rechnungen Lurch die Geldentwertung und Preissteigerung aller Bedürfnisse schon längst überholt sind und keine Unterlag«» für di« Verwaltung mehr bieten. Die 15 Rechnungen der Stadtyauptkasse schließen in der Vorlage ab mit 2 6985S8 Mark Einnahmen und 5 764 257 Mark Ausgaben oder mit 3 865 215 Mark Zuschüssen und 790 636 Mark Ueber- schliffen, sodaß ein Fehlbetrag von 3 065 650 einschließlich der schwebenden Schuld vom Vorjahr« in Höh« von 1735 000 Mark verbleibt. Hiervon können nur 1138 220 Dlark durch Steuern, Steueranteil« und Gebühren gedeckt werden; für die restlichen 1927 490 Mark fehlt vorläufig Sie Deckung. Von den Nebenkaffen schließt u. a. die Cchuldevtilgungskasse mit 200 750 Mark Einnahmen und 48266 Mark Zuschuß, die Frucraerätekaff« mit 8010 Mark Ein nahmen und 3860 Mark Bestand, Armenkasse mit 54 700 Mark Einnahmen rmd rund 220 000 Mark Zuschuß ab. Weitere erheb liche Zuschüße erfordern Besoldungen mit 172 300 Mark bei 1333 500 Mark Ausgaben, Polizeiverwaltung 238 000 Mark bei 240 100 Mark Ausgaben, Kapitalzinsen 116 200 Mark, Straßcubau- verwaltung 436 300 Mork, Wasserleitung 51 000 Mark, Schulwesen 627 000 Mark, Wohlfahrts- und Unterstütznnasanit 216 000 Dlark. Die Dernrögensübersicht nennt 13 013 209 Mark Desttzteile (2 729 835 Mark Vermögen, 1895 078 Mark freies Vermögen, 9 199 247 Mark Städtisches Holzwerk) und 8 734 988 Mark Verbindlichkeiten, sodaß sich ein Reinvermögen von 5 178 221 Mark ergibt. Im weiteren Zielkauf« -er Sitzung gab -der Na tsvor stand «ine Verordnung des Ministeriums d. I. bekannt, nach wcl<l/«r die Beschwerde der städ tische» Kollegien wogen Einreihung der Bürgermeister- und Schul- hausmannsstell« in die DesolLungsormmng abgewiesen wird, da die Entscheidung des Landesschiedsgerichtes erfolgen soll. Sodann wunde beschlossen, vom 1. Innnar 1923 ab den Zinsfuß für Spar kasseneinlagen auf 4 o. H., für Sparkassendarleh«» an hiesige Ein wohner auf 7 v. H. rmd an auswärtige Schuldner ans 8 o. H. zu erhöhen. Fernen sollen die Gasverkaufeprcise Einstig in der Höhe der Schneeberger Preise erhoben werden. m. Neustädtel, 2. Nov. Bei der am vergangenen Sonntag tattgefundenen wiederhol len Elternraswahl wurden von 862 Wahlberechtigten 392 (im Juni 239) Stimmzettel abgegeben; auf die Liste des christlichen Elternvsrcins entfielen 243 (150), aus die sozialistischen Parteien 140 (89). Gewählt wurden von der ersteren Kaufmann Willi Blenk, Fran Tischlermeister Lina Weiß flog, Bäckermeister Ewald Klinger und Frau Schuhmachermeistcr Johanne Leibiger, von der zweiten List« SchriVetzer Johannes Puschmann, Metallarbeiter Kurt Lorenr und Metallarbeiter Feig. Bei der ersten Wahl war das Verhältnis 5 : 2. Die Wahlbeteiligung war diesmal etwas stärker und betritt, 454 (26) v. H. Schwarzenberg, 2. Nov. Bei der Sparkasse betrugen im Oktober die Einlagen 1 140 446,23 Mark in 392 Posten, die Rück- zahlimgen 455 610 37 Mark in 237 Posten. Ausgestellt wurden 19 neu« Bücher, erleckchen sind 56. Oberschlema, 2. Nov. Aus dem Schmelzraum des Blaufarben werks find nachts zwei bleihaltine Wismntschüffcl» im Gewicht von je 13 bis 15 kg im Werte von 200 000 Mk. gestohlen worden. Johanngeorgenstadt, 2. Nov. Wegen Beihilfe zum Verbrechen wider das keimende Leben wurden der Arzt Dr. U. und der Apotheker is. gefänglich eingczogen. In der gleichen Angelegenheit ist sine 21- ährig« chandschuharbeiterin verhaftet worden. Wildenfels, 2. Nov. In seinem Dette tot anfgefunden wurde der 71 Jahr« alte Privatier Liebold, der durch einen tiefen Schnitt in die Halsschlagader Selbstmord begangen hatte. Der Grund ist ein schwe res Leiden, das ihm das Leben unerträglich machte. " Oelinitz l. v. Am Dlenstagvormittag wurde in der Bahnhof« straß« einem Geschäftsmann« au» d«r Ladenstube «in« Kaflettr, ein« hohen Betrag in Papier- und Silbergeld, sowie wertvolle Papier» enthaltend, gestohlen. Ueber den Dieb hat sich noch nicht» ermit- teln lassen. * gwicka«. Di« städtischen Körperschaften hab«» d«r Eingemetn- düng der Nachbargemeind« Schedewitz zugestimmt. " Braud^rbisdorf. Auf dem Bahnhofe explodierte «ine Ben- zinflache, die ein Reisender im Rucksack trug. Dem Eingreifen Mit- fahrender, die dem in Flammen Stehenden die brennenden Kleider oom Leibe rissen, gelang «», ihn vor schwerem Schaden zu bewahren. Er kam mit leichteren Brandwunden davon. " Limbach. In Pleißa ist nachts ein etwa 23jähriger Mann au» Lhemnitz in bewußtlosem, fast erstarrtem Zustand« aufgefunden wor den. Hilfsbereite Leute nahmen Wiederbelebungsversuche vor, dl« o>» Erfolg waren. Der junge Mann gab an, von vier Leuten Über fällen worden zu sein, wobei ihm seine Brieftasche mit 400 Mark In- halt und ein Stock mit silbernem Griff geraubt worden ist. " Leipzig. Der lüjährige Dienstknecht Hommel in Frauendorf unterhielt mit der wesentlich älteren Dienstmagd Rödig ein Liebes verhältnis, das nicht ohne Folgen blieb. Im Februar d. I. schrieb er dem Mädchen, er wolle mit ihm einen Besuch bei ihren Eltern in Nerchau machen. In Wirklichkeit hatte er sich aber vorgenommen, die illödig zu beseitigen. Als das Mädchen auf dem Wege nach Nerchau Verdacht schöpfte, lief sie davon, kam aber ruf einer Kreuzung der Trebsincr Kleinbahn mit der Straße zu Fall. Hommel, der der Fliehenden nachgesilt war, warf ihr nun einen bereitgehaltenen Strick nin den Hals und zog diesen mit aller Kraft zu. Durch einen Zug wurde das Mädchen überfahren und getötet. Hommel, -er sich wegen Lieser Tat jetzt vor dem Schwurgericht zu verantworten hatte, wurde zum Tode verurteilt. " Freiberg. Um mit den neuzeitlichen Anforderungen Schrift halten zu können, wurden in den staatlichen Hüttenwerken in Mul- denhiitten und in Halsbrücke eine Anzahl An- und Umbauten nötig, die jetzt teils sertiggestellt, teils noch in Arbeit sind. In der staat lichen Münze hier wurde eine neue Präg«maschine aufgestellt, so daß nun monatlich bis 10 Millionen Stück Hartgeld hergcstellt wer den können. Der 24 Jahre alte Kellner Kurt Böhm, zuletzt in Breslau wohn- Haft, wurde Anfangs d. I. von einer Firma in Karlsruhe als Pro- visionsreiscnder zum Vertriebe des Werkes: „Helfferich, der Weltkriegs angestellt. Es kostet« damals 120 Mark. Böhm sollte sich von den Bestellern 35 Mark Anzahlung geben lassen, die er als Verdienst be halten konnte. Den übrigen Betrag hatten die Besteller nach Liefe rung des Werkes an die Firma zu zahlen. Böhm erhielt von der Parteileitung der dcutschnationalen Volkspartei in Breslau «in« Zeichnungsliste für die Einzeichnung von Kauflustigen, sowie «in Empfehlungsschreiben und Adressen von Parteimitgliedern ausgehän- digt. Bei seiner Tätigkeit hat sich Böhm vielfacher Betrügereien und Fälschungen schuldig gemacht, indem er Namen von Personen in die Liste eintrug, die gar nicht bestellt hatten, sich den vollen Kaufpreis, der inzwischen auf 295 Mk. gestiegen war, von den Bestellern aus händigen ließ und das Geld behielt, unbefugt von Mitgliedern der deutschnaiionalen Volkspartei Geldbeträge für die Parteikaffe erhob und für sich behielt, das Empfehlungsschreiben der Partei abänderte und dergl. mehr. Auf diese Weise ist es ihm gelungen, zusammen etwa 18009 Mk. zu kassieren und zum Lebensunterhalt sür sich und seine in seiner Begleitung befindliche Brant zu verwenden. Ausgetre ten ist er u. a. in Waldenburg^Glauchau, Tettau, Schlettau, Scheiben- berg, Hartenstein usw. B. wurde von der Zwickauer Strafkammer zu sieben Monaten Gefängnis verurteilt. Ohne Rettgwnsnnlerrrchk. Eine klein« Geschichte von Karl Hesselbacher. Na, nun haben wir den Pfaffen endlich aus der Schule weg!" rief Ler Schlosser Martin seelenvergnügt, -er hat lange genug unseren Kinsern sein« Dummheiten in den Kopf gesetzt. Kinder des 20. Jahrhunderts sollen noch Zeng lernen, wie die Erschaffung der Welt in sieben Tagen und Laß di« ganz« Mensächeit an einem dummen 'Apfelbiß unseres Uraltervaters zu Grund« gegangen jei! Er warf sein« Mütze ans den Skchl neben dem Ofen und rieb sich die Hände. Sein Weib gab ihm keine Antwort. Ei« wußte, er war nicht zu haben, wenn man ihm widersprach. Sonst hatte st« ihm vielleicht-gesagt, daß die Bibel die Mel.erschaffung nicht in sieben, sondern in sechs Tagen geschehen sein läßt, und -aß in der Geschichte vom Paradies em Stück ihrer Kindheit beschlossen iag. Denn sie sah immer ihren Elterngarten vor sich mit den herrlichen Apfelbäumen, und di« vier Backsteinmauern, auf Lie sie blicken mußte, seit sie mit dem Schlosser Martin in die Fabrikstadt g«. zogen war, schienen ihr höhnisch zuzurufen: Aus Lem Paradies bist du für immer vertrieben! Aber ihr Diann hatte immer Rech' Wenigstens sagt« «r es. Und wenn er etwas sagt«, hieß es, still sein! Ja, der Religionsunterricht war aus -er Schule verbannt. Soweit hatten es Lie Aufgeklärten gebracht. Jetzt sollt« die volle Sonne der Menschenweiehoit in die Kinderköpfe scheinen, und Lie Finisternis des Aberglaubens sollte auf Nimmerwiedersehen aus- getrieben sein. Jetzt gingen nicht mehr drei kostbare Dochcnstunden m't dom Neligionsgelernr verloren. Dafür lernten -ie Kleinen mehr Rechnen, Schreiben, Lesen, Naturkunde, Erdkunde im- wer weiß noch was für „Kunden"! Und ^as Ge jamme re des Wil- Heimchen, in dessen Kopf di« langen ^-rvers« und di« harten Katechioinussprsich« nicht hineingehcn wagten, hört« ein für alle mal auf. Es war doch etwas Großartiges um Lie FreMit! . . . Es ging gegen Weihnachten. Die Wend« waren lang. Der Schlosser kam schon um 4 Uhr nach Hause und saß gern im Dämmern am Ofen. Da war er in seinem Element. Denn im Gründe ge nommen war er «ine gutmütige Haut, wenn nicht seine Lall»« ver- dorben war. Er schaukelt« di« Kleinsten auf seine» Knieen und pfiff ein fröhliches Liedchen dazu. Manchmal erzählte er von d«r Dorfheimat und von allerhand guten Nachbarn und Freunden. Und wi« sie an der Mutter Schurzbändel gehangen Ha ien, und wie es um die Weihnachtszeit so heimlich und köstlich gewesen sei. Mit einmal Mol schob er -rn Kleinen von Len Knie:» her unter. „Weiß der Kuckuck!" rief er. „Ihr seid eine trockne Gesell schaft! Nein, wir waren andere Leute, wir Dubin. Menn es Weihnachten geworden ist, haben wir uns «ins gcstmgen, was das Zeug hielt. Ich habe noch kein einziges Mal das „Sliüch Nacht" gehört. Es wird ja gar kein Weihnack/en, wenn man das Lied nicht hört. Warum singt ihr denn das nicht? Ist denn euer Lehrer von Holz, daß er euch den Mund nickst aufüringt?" Dier Kinder starrten ihn mit offenem Munde an. SI« ver standen ihn nicht. „Aber Mann," unterbrach ihn die Frau, etwas zaghaft. „Das darf dach -er Lehrer nicht. Das gehört Loch in di« „Religion", und ihr kämet dem armen Wann schön auf den Pelz, wenn er WeHnachtsliober singen wollt« mit den Kleinen. Und ich? Golt weiß! Ich hab keime Freude mehr an den Liedern. Mir ist Las Herz schwer. Da kommt man nicht zum Singen!" Und dann kam Weihnacht. Der Daum brannte. Kümmerlich genug. Man bekam ja nur ein paar Kerzen, und dis kosteten «in Seidengeld. Die Kinder saßen um Len Daum herum und zogen schiefe Gesichter. Es war arg. Der Ocküoffer hobst nicht io viel Geld im Beutel, daß er besonders große Aufwendungen für di« Geschenk« ma<b«n konnte. UnL drinn brummte er ärgerlich. „Weiß nicht, warm» ihr den Kopf hängsn laßt. Wir haben doch, «i« «lr klein gewesen sind, auch nicht viel gekrirat. Einen Louckäibtl. Len der Vater selbst geschnitzt hatte, «ine Puvve. zu Ler die Mutter die Kleider geschneidert hatte. Und wir waren doch so froh, und meinten, die Welt wäre neu gebacken, aus lauter Marzi pan! Warum mag keines von euch «in Gedichtlein sagen? „Ihr Kinderlein kommet!" Oder: „Der Ehrrstlaum ist der schönste Baum!". Dann käme dcch Zug hinein in di« Geschichte!" „Vater, sag doch", fing der Kleinste an. „Was ist denn das Lhristkind? Drüben bci's Hanselmwnns haben sie eine Geschichte erzählt. Di« war so schön. Wie mitten in der Nacht der Himmel hellgowovden ist, und Scl-afe waren da und Schäfer, und di« sind zum Christkind gegangen. Das ist auf lauter Stroh gelegen unü hat geleuchtet wie die Sonn«! Weißt du etwas davon?" Da fuhr der Mann auf: „Wozu schickt man euch denn in d!« Schule, wenn ihr nicht einmal etwas von Weihnachten wißt? Ist das alles, ivas ihr lernt? Jetzt muß gar noch der Tater den Schulmeister machen. Dazu zahlt inan seine Steuer» nicht." Aber wieder zupfte ihn Lie Frau am Rockzipfel: „Mann, denk Loch dran! Das ist ans der Schul« hinaus- geworfcn. Und du hast es selber gewollt und dich darüber gefreut. Und w!« ich die Kinder in den Kindergottecdienst habe schicken wollen, hast du gescholten und gesagt: „Jetzt soll der Pfaff durch die Hintertür wieder herein, nachdem ich ihn vorn hinousgeworfen habe. Nein! Jetzt machen wir reinen Lisch!" Der Schlosser biß sich auf die Lippen und ging aus der Tür. Er saß den ganzen Abend in der Schenke. Aber ein fröhlicher Kamerad rvar er nicht. Es war ihm zu DLute, als sei rr wieder in seiner SEatcnzeit und habe sich auf seinen Urlaub gefreut, und d:r Feldwebel sei gekommen und habe ihm gesagt: 'Auf Schloß- wache! Die Heimat war versunken — damals. Und heute? Da war es wieder, als sei ein Stück Heimat versunken. Nur wußte er nicht recht, warum? — — Der Aelteste des Schlossers, -er Philipp, war ein „Besonderer". Er hatte den Trat köpf des Vaters geerbt. Und -l« Mutter war eine stille weiche Natur, Sie konnte nicht drcinfahrsn, wenn der Philipp seinen bösen Tag haste. So kam der Schlosser da'», wie der Philipp vor dem Hans« stand, die Hände in Len Hosentaschen und höhnisch zum dritten Stock hinaufiah, aus dem -es Schlossers Weib blickte. „Philipp, komm heraus! Du sollst doch dem Vater sein Bi"r besorge::, wenn er von der Arbeit kommt und müd und hungrig und durstig fit von der Werkstatt mit all dem Staub!" Der Junge pfiff. Es war die Melodie: „Du bist verriickt mein Kind!" Der Vtr er stand wie erstarrt. Was? Das war sein Kind? Sein Fl«rsch und Blut? Er holte aus und schlug dein Bengel ins Genick, daß d:r Bursche schier auf den Boden geMrzt wäre. „Hast du nie gehört: ehre Vater und Mntt?r!" schrie der Manu zoimig. W«ißt Lu nichts von den Buben des Eli, die in der Schande verkommen sind, weil st« ihren Vater verspottet haben? Und uns hat der Lehrer oft genug gesgat: Ein Auge, das -'n Vater spottet und verachtet, der Mutter zu gehorchen, das müssen di« Nab«n am Bach anshacken und di« jungen Adler fressen!" Der Dieb heulte erl-ärmlich. Aber es waren Tränen der Wut. Das 'werkte der Schlosser wohl. Tas war einer, -er Bub, der würde sich einmal gegen den eigene» Date: st«"en, wenn er stark genug dazu sein würde. Und dahin war es r icht mehr allzulang. Es lief Lem Mann stedcnheiß über den Rücken: .Du sollst deinen Vater und -eine Mut er ehren". — Ja, da« stand ja in den zehn Geboten, und -ie zehn Gebote. — Ja, die gehörten doch zu dem Psaffenwerk, das man aus der Schule hi nauegeworfen hatte. War am End« doch nicht alles Dummes t, was man einst in der NellgionsstunLe gelernt hatte? E« war den aanzen Absud Gewittersckwiil« in dem Schlosserhaus — urig noch in den Traumen schlug sich der Mann mit einer unheimlichen Angst herum, Lie er nicht m-ehr los wurde. Die alte Mutter Le» Sck'losser-Martin kam zu den Kindern zu Bestich. Es war ein bresthafte» Wbihchcn. Aber das gut« Früh- mH.- mit seiner Hellen Sonne hatte st« doch au» ihre » Dorf heraus- gelockt. „Einmal muß ich Loch nach euch gucken", meint« st«. „Werl weib. «I« lana mich d«r Herrvvtt noch oui der Welt lav ' „Am ersten Abend, als st« sich zu Dette gelegt hatte, rief ste dem Wilhelmchen. „Büblein, komm, bet mit mir den Abendsegen: „Nun ruhen alle Wälder." Ich möchte gern ruhig schlafen." Der Withelmchen fragte: „Großmutter, was ist denn da»? Abendsegen?" Da fragte die Alte erschreckt: „Was? Bin ich denn in einem ordentlichen Haus? Kei» einziges christliches Lied kennt mau bei euch? S«id ihr Len» Heiden geworden." Der Schlosser hätte gern etwas gesagt von -er Morgenluft der Freiheit. Aber vor den strengen Augen -er Mutter verstummte er und sah verlegen zu Boden. Am nächsten Morgen — es war ein Sonntag — rief die alte Frau di: Kinder um sich. „Jetzt lesen wir ein christliches Wort aus der Bibel." Und die Schlosserssrau muhte die Traubibel aus dem Schwanke holen, die sie einst am Altar erhalten hatten, und die seither n!« aufgemacht worden war. Die Mutter las di« Geschichte von der Heilung des Lahmen am Teich Bethesda. Als ste fertig war, ftagte das jüngste Kind, ein feines Mägdlein: „Großmutter, das war. aber eine schöne Geschichte. Sag mir doch, wer war denn der Mann, der den armen Lahme» heil ge macht hat?" Die Großmutter legte die Hände in den Schoß un- sah -em Kind herzlich in di« Äugen: „Du armes Murmle! Wie du durchs Loben kommen willst — das weiß ich nicht. Dein Vater und Leine Mutter haben sich an dir rnusündigt, Laß sie Ls in alle Ewigkeit nicht mehr gut machen können!" Der Schlosser stand daneben und wurde dunkelrot. Es war, als ob sein Herz nicht mehr schlagen wollte. So traf ihn das Wort der alt:» Frau. Er hatte es doch seiner Lebenstage jo gut wit seinen Kindern gemeint — und nun muht« er von der eigenen Mutter «in Donnerwort hören, das ihn schier in den Boden hinein verfluchte. Aber kein Wort der Rechtfertigung brachte er heraus. „Ernst, Ernst," sagte die alt« Fra» zu ihrem Sohn. „Du gibst deinen Kindern viel. Denn du bist ein braver Mann. Aber wenn du ihnen das Beste nicht gibst — gehen sie -och zu Grund. Und das Best« — das ist die Welt, aus der ein Heilanüsauge schaut. Ernst, denk an mich!" Am nächsten Morgen machte st: sich reisefertig. Der Sohn Lat: „Mutter, bleib doch noch eine Wache bei uns. Wer weiß, wenn ihr wieder zu uns kommen könnt!" „Ich weih nicht. Es könnte sein, daß mir etwas zustoßen könnt« bei Euch. Dann hätte ich niemand, der mir ein Trostwort sagen könnt« in all der ^rzcnsnot. Ich brauche «ixen, der mir die Hand unter den Kopf legt, wenn ich sterbe. Hier könnte ich nicht sterben. Ich will Loh'» gehen, wo mau noch bete» kann: „Wenn ich einmal soll scheiden! ' Und ji« ging. Aber -em Schlosser bohrten sich hundert feurige Pfeile in die Brust. Als die alte Frau in den Zug gestiegen war und noch einmal <-us dem Fenster winkt« und die Tränen über ihr runzllches Gesteht liefen, da packte es ihn. T«r wetterharte Mairn, der draußen im Schützengraben gelegen halt« und hundertmal dem Tod ins Auge qesohe- hatte, war wi: ein kleines Kind. Denn -aß seine Mutter im Lti- von Ihm geschieden war — das ging üb«r seine Kraft. Und ste hatte Recht. Tausendmal wehrte er sich dagegen. UnL tausendmal rief seine Seele: Sie hat Recht! Sie hat Recht! „Frau." sngle er, als sie heimkamen: „Mir müssen unsern Kindern Religion ins Herz pflanzen. Sonst ists gefehlt. Sie gehen nebeihinaus — und keine von uns kann st« zuvecht bringen." UnL al» wieder Dülgerausschnßsitzung war, stand Ltt Schloff« auf unü hielt eine Ned«, Mier die seine Gesinnnngsgenoffen di« Hände i^er den Kopf zusammenfchlngen. Denn seine Red« hieß: „Religion muß in die Schul« — sonst ists gekehlt!" Und im Städtchen gaben chm viel« Recht, di« den Mund nicht aufzntun wagten. Noch nicht aufzutnn wagten. Wer es wir- -i« Stunde kommen, in der sie reden rverden und dann wir- «» -urch das ganz« Städtchen laufen^ unwiderstehlich: „Religion muß in -i« Schule, sonst ist» gefehlt!"
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