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368 chischcKohlciibrigg „Tcsero" scheiterte am 10. Nov. bei Gibraltar. Die mit Korn beladene österreichische Barke „Antonietta Amalia" stieß bei Tarifa am ll. Nov. mit einer preußischen Barke zusammen und beive Schisse versanken. Lie Mannschaft der letz- lercn wurde ,gerettet, während von der Bemannung der ersteren 6 Mann vermißt werden. Ferner strandete das österreichische Schiff „Luidi" und das preußische „Atho". Außerdem fanden noch viele Unglüekofällc statt. — Wie es heißt, soll bis nächsten Mai der „Leviathan", oder, wie er seht attglmein genannt wird, der Great Castern, vollendet sein und im Juni seine erste Probefahrt nach Canada antrctcn. Seine sechs Maste sind fertig, fünf davon sind aus Ciscn, (der höchste, 225 Fuß hoch, mißt 3 Fuß 6 Zoll im Durchmesser), der sechste aus Holz, damit er die Magnetnadel im Compaß nicht beirre. Türkei. Den neuesten Nachrichten zufolge soll Dscheddah von Engländern und Franzosen gleichzeitig besetzt worden sein; auch scheint man sich eifrig zu bemühen, die bei dem Blutbad bctheiligten Individuen herauözusindcn. Feuilleton. Dtkv Blinde von Sorrent. Novelle. Erstes Capitel. l. Es ist eine Stunde nach Mitternacht. Der November des Jahres 1840 beginnt düster und stürmisch. Ein starker Wind streicht durch das Labyrinth zahlloser Gassen, aus welchen der ältere Theil Neapels besteht. Die alten schmutzigen Häuser krachen und knarren, die Fenster klirren. In einem alten, kleinen Häuschen brennt noch ein Licht, dessen matter Schein einsam in das unheimliche Gäßchen hin- auölcuchtct. Die schwache Helle, Wesche die schon ziemlich ver brannte Kerze in der ärmlichen Stube verbreitet, fällt gespenstig auf die bleichen Züge eines noch in jungen Jahren stehenden ManncS, der am Tische sitzt und einen Mcnschenschädel vor sich liegen hat, an welchem noch einzelne Bluttropfcn sichtbar sind. Daö Gesicht dcS ManncS ist braun, hager und häßlich, die fleischige Oberlippe berührt beinahe die Spitze der stark ge formten Adlernase und wird von einem spärlichen Bartansatz schattirt. Der Blick ist fein und lebhaft, die breite Stirn von einer tiefen Falte durchfurcht. Der Blick auf dieses Gesicht läßt den Haß gegen alle Schönheit und jene allen von der Natur verwahrlosten Menschen eigene Reizbarkeit erkennen; jedoch spricht sich in dieser Gesichtsbildung auch ein hoher Scharfsinn und jene ernste Würde aus, welche allen, die sich mit tiefen wisscntschaft- lichcn Forschungen beschäftigen, eigen zu sein pflegt. Daö Kerzenlicht dient mehr dazu, durch die Stube unheim lichen Schatten zu streuen, als sie zu erhellen. An der rechten Seite der Wand befindet sich ein Schrank, auf welchem mehrere Bücher durcheinander liegen, und andere sind auf dem Tische vor vcm Sitzenden anfgcschlagcn. Die Wand der bescheidenen Behausung, deren einstige Bemalung im Lanfe der Zeiten völ lig geschwunden ist, gaben dem Ganzen daö Ansehen cineö Ge fängnisses, daS von Sonne und frischer Luft nie besucht wird. Das Elend wohnt in dieser Behausung. Die Acrmlichkeit der inncrn Behausung, die traurige Mahnung an den Tod, da zu draußen die schwarze Nacht und der Sturm, der heulend durch die halbmorschcn Fenster und Thiircn zieht; daö Alles, gicbt ein gräßliches Bild. Dieser Mann, dessen Antlitz schon die Züge reiferer Jahre trägt, ist noch nicht fünfundzwanzig, heißt Ganano und ist Ka- labarcse von Geburt. Seit zwei Stunden sitzt er am Tische, die Augen immer starr auf den Schädel, welchen er in den Händen hat, gerichtet Jetzt wendet er sich plötzlich nach rückwärts, wo eine alte Frau, Gartano'S Großmutter, auf einem Strohlager schlummert. Sie hatte den Namen „Gartano!" im Schlafe ansgcrufen. Gartano glaubte, sie sei erwacht und fuhr überrascht zusammen, denn er wollte nicht, daß sic dcn Schädel bemerke. Er hatte sich ge täuscht, die Frau schlief ruhig fort. Gariano versinkt wieder in seine Betrachtungen. Abcr daS kann nicht bloßes wissenschaftliches Forschen sein, denn seine Haare richten sich über die blasse Stirn, Thräncn rollen ihm über die Backen, daS Auge dreht sich krankhaft im Kreise und schließt sich von Zelt zu Zeit, als wolle cs dcm Gegenstand des Schreckens entfliehen. Der Schlaf senkt sich auf die ermüdeten Augcnlicdcr des Wachenden. Gartano erhebt sich und legt dcn Schädel in eine Blechbüchse, worin er die anatomischen Stücke, die er häufig auS dcm Spital nach Hause bringt, zu verbergen pflegt. Bevor er zu Bette geht, tritt er noch an S Fenster und wirft einen Blick auf die Straße. Beim Scheine der gegenüber- stehenden Laterne bemerkt er zwei Männer, welche im eifrigen Gespräch begriffen, um die Straßenecke biegen. Er sieht ganz deutlich, wie der Eine ein langes Messer auS dcm Rockärmcl zieht und unter dem Nocke versteckt. Dann verschwinden die Beiden im Schatten der Nacht. „Wie diese!" murmelte Gartano mit halblauter Stimme vor sich hin: „cs war vielleicht dieselbe Finsternis! in diesen Straßen! vielleicht derselbe Tag. Der 10. November! — viel leicht derselbe Tod! O! verflucht in alle Ewigkeit sei jener Abend! verflucht jene Nacht! verflucht der Ort, an dcm die fürchterliche Unthat geschah! verflucht, wer Nunzio Pisani dcn Arm geliehen, das teuflische Werk zu vollführen!" — Diese letzten Worte, mit steigender Heftigkeit gesprochen, hatte die Alte aus dcm Schlafe gestört. Sie richtete^ sich auf ihrem Lager auf und rief: „Gott, mein Gott! was für einen abscheulichen Traum habe ich geträumt!" Gartano abcr schlich, das Dnnkcl benützend, die Wand ent lang und warf sich auf sein Vette. — II. Die elfte Vormittagöstunde hat geschlagen. Im Hörsaale der pathologischen Anatomie sind die Bänke bereits mit Zuhö rern gefüllt. Auf dcm in dcr Mitte stehenden langen Marmor- tische liegt ein weiblicher Leichnam. Dcr Professor ist noch nicht erschienen. Die Studenten, etwa 50 an dcr Zahl, sitzen, stehen nnd lehnen in verschiedenen Gruppen umher, die Emen plaudern nnd lachen, die Andern singen und zanken. Dazwischen führt wohl auch Einer mit sel tenem Gleichmuts, Angesichts dcr Leiche ein kleines Frühstück zu sich. Nur Gartano nimmt an dcr geselligen Lustigkeit keinen An theil. In einem Winkel lehnend, starrt er auf die Leiche hin mit dcm Blicke eines Wahnsinnigen, und bemerkt es nicht, wie seine College» sich über ihn lustig machen, sich zuwinkcn und lachen, bis dcr Lärm endlich so arg wird, daß man sich weit mehr in einer Wirtschaft, als an einem Orte dcr ernstcn Stu dien zu befinden glaubt. Die Vorlcsungöstnndc war schon fast vorüber, als dcr Pc- dell ankündigt, dcr Professor sei heute Krankhcitöhalbcr ver hindert zu kommen. „Zum Teufel mit sammt seiner Vorlesung!" schrie der Eine. „Er hat seine Lektion selber noch nicht fertig studirt!" platzt ein Zweiter heraus. „Desto besser, daß er nicht kommt; kann ich doch meine Alma besuchen," ließ sich ein zartes Stimmchen vcrnehmcn, das aus einem eben so zarten, schmächtigen Jünglingslcibchcn kam. „Auf Wiedersehen, Schatz!" rief ein andcrer, indem er von seinem Platze aufstand und die Leiche am Kinn faßte. „Du kannst Dich zurückzichcn, heute findet keine Vorstellung statt." Unter solchen rohen Späßen lösen sich die Gruppen, und daö lustige Auditorium bewegte sich dcr Thürc zu, nlö plötzlich auö dcr Schaar cine starke Stimme ertönte, die allgemeine Ueberraschung erzeugte. „Meine Herren, bleiben Sie, ich werde an der Stelle des Professors Vortrag halten; die Krankheit, woran dieses Mäd-, chen.starb, habe ich mit Aufmerksamkeit von Anfang bis zu Ende verfolgt. Ich will nicht die Lchrkanzel besteigen, sondern nur die Frucht zweimonatlicher mcdicinischcr Studien vortragen, welche