Volltext Seite (XML)
Nr. 25. PAPIER-ZEITUNG. 797 Englische Briefpapiere und Einladungskarten. Nachdruck verboten. Obwohl seit meinem letzten Berichte erst kurze Zeit ver flossen ist, so haben die meisten darin erwähnten Sonder-Erzeug nisse, obgleich sie theilweise noch recht gangbar sind, doch bereits das Anrecht verloren, zu dem »Neuesten« gezählt zu werden. Das Geschäft in Sonder-Erzeugnissen des Briefpapierfaches wird von Jahr zu Jahr schwieriger. Der Papierhändler bestellt eine gewisse Menge besonderer Neuheiten, die nach seinem Urtheile ziehen müssen. Seine Erwartungen erfüllen sich vielleicht, und das eine oder andere Sondererzeugniss findet Anklang; aber kaum fängt das selbe an, etwas beliebt zu werden, so wird plötzlich mitten in die Saison ein Artikel möglichst aussergewöhnlicher Art geworfen; er wird zur »rage«, wie man hier sagt, Alles muss jetzt diesen einen Artikel haben, und das Andere bleibt liegen. Dies dauert so lange, bis wieder eine andere Ueberspanntheit das Neueste alt macht. Nachdem man in getönten Briefpapieren die ganze Farben skala von Weiss bis zu Schwarz glücklich durchgemacht hat, ver suchte man es mit Nachahmung anderer Stoffe. Man schrieb auf alle möglichen Ledersorten, auf Schlangen-, Eidechsen-, Krokodilshaut, auf Holzplatten, Korkplatten, auf imitirtes braunes Strohpapier, vergilbtes Handpapier usw., und Viele thun es noch. Die vornehme Londoner Damenwelt fand aber nach reiflicher Ueberlegung, dass nur tausendjähriges, wohlgelagertes Pergamentpapier würdig sei, von einem hochgeborenen Gänsekiel bekritzelt zu werden, und eben dieses »Archive Ancient Parchment«, wie es genannt wird, ist die neueste Modethorheit. Die Neuheit sieht eigenartig genug aus. Sie besteht aus ziemlich starkem, glattem Papier von qua dratischem Schnitt, ist aber an den Rändern unregelmässig ausgestanzt. Durch Farbendruck in braunen Tönen ist dem Papier das Aussehen von uraltem, vielfach zerknittertem und aus einzelnen viereckigen Stückchen mit Bindfaden zusammengeheftetem Pergament gegeben. Dasselbe Bild weisen die länglichen, mit einer langen, spitzigen Seitenklappe versehenen Umschläge, sowie die Kartons auf, die Bogen und Umschläge enthalten. Gleichzeitig kamen auch grosse, etwa 1/2 m im Geviert messende Pergamentrollen aus demselben Stoff auf den Markt, die, mit imitirten Lederstreifen und Siegel verschlossen, wohl hauptsächlich zur Verzierung des Schreibtisches bestimmt sind. Neu sind ferner Briefpapiere mit Randeinfassungen, zu denen solche mit imitirten Spitzen-Einfassungen, namentlich in Feston- Art, gehören. Es wurde dies auch in Weiss versucht, mit blauen, rothen oder orangefarbigen Festonsäumen und zackig aus gestanzt, was jedoch nicht sehr geschmackvoll ist. Getöntes Papier eignet sich besser dazu, und zwar nimmt sich ein perlgraues, in zwei Grössen erscheinendes Papier mit ganz schmalem, glattem weissem Saume am feinsten aus. Ein quadratischer Bogen wird einfach umgefaltet in einen etwa 15 cm breiten und 5 cm hohen Umschlag mit langer spitzer Seitenklappe gesteckt, und ein kleineres Format, das von unverhältnissmässig geringer Höhe, mehr einem Streifen gleicht, kommt in einen kleinen quadratischen Umschlag mit viereckiger, an den Ecken abgerundeter Verschlussklappe, die sich nach oben öffnet. Soeben erschien eine sehr rauhe, hand- papierartige, aber schneeweisse Sorbe in kleinem quadratischem Format, mit rundum gezogenem, 1/4 cm breitem Silberrand in glatter, etwas vertiefter Pressung, den auch die langen, mit spitziger Seitenklappe versehenen Umschläge aufweisen. Dieser nahe verwandt ist eine andere Neuheit mit sehr blassgetönter, grünlichbrauner Krokodilshaut-Imitation und dem eben erwähnten Silberrande. In einfacheren getönten Papieren gilt jetzt ein lichtes, aber sattes Kastanienbraun, Violette und Mauve für das Feinste, und ein grosses, erhaben gepresstes Silbersiegel oder kleine Emailstempelchen mit Metalltönen schmücken die linke obere Ecke. Sehr modern sind Briefbogen und Umschläge, die voll ständig mit sehr zartgetönten Blüthen oder Ornamenten englischen Stils bedeckt sind. Eine wunderhübsche Neuheit, die ein Frühjahrsartikel ersten Ranges zu werden ver spricht, weist auf crömefarbigem Grunde gleichmässig verstreute Kleeblätter in sehr zartem, lichtem Grün auf, während in der oberen linken Ecke einige kleinere Kleeblättchen in erhabenem, glänzend grünem Bronzedrucke hervortreten. Das modernekastanien- braune Papier wurde zu einer hübschen Spielerei benutzt. Niedrige streifenartige Bögchen, wie man sie jetzt hat, wurden am oberen Rande wie abgerissen unregelmässig'ausgestanzt, während einige weisse Mäuschen darauf Verstecken zu spielen scheinen. Eines derselben ist im Begriff, von hinten über den Rand hervor zuklettern, und ein anderes sieht aus einem scheinbaren Riss im Papier heraus. I Feinere Papiersorten mit bunten Verzierungen werden jetzt fast ausschliesslich quadratisch gehalten, sodass sie, einmal um gefaltet, in die modernen länglichen Umschläge passen. Unter den neu erschienenen Sachen dieser Art sind als besonders wirkungs voll hervorzuheben weisse, quadratische Bogen aus fein satinirtem Papier, die in der oberen linken Ecke eine Reihe von Stiefmütter chen, Veilchen oder Margueriten tragen, die sich, immer kleiner werdend, dem oberen Rande entlang ziehen. Das Papier erschien, in den verschiedenen Blumen sortirt, in hochfeinem, geschmackvoll ausgestattetem Karton. Eine Eigenthümlichkeit der jetzigen Mode liegt darin, dass die Verzierungen oder Briefköpfe öfters in die rechte obere Ecke gesetzt werden. Dies ist nament lich häufig bei den auf phototypischem Wege hergestellten Sachen der Fall, die augenblicklich sehr beliebt sind, und worunter nur eine Frauenbüste im Empire-Stil und die bekannten zwei Raphaelschen Engel als besonders hübsch erwähnt sein sollen. Unter der fast endlosen Auswahl von Tanzkarten finden sich ein zelne geschmackvolle Neuheiten, die der Beachtung werth sind. Auf fallend ist die grosse Zahl von getönten Tanzkarten, während in früheren Jahren fast ausschliesslich weiss üblich war, ferner die grosse Vorliebe für zackig ausgestanzte Ränder. Eine ganz ungewöhnliche Erscheinungbilden Karten von leuchtendem, nahe an Gelb streifendem Hellgrün mit schräger verzierter Silberaufschrift, theils glatten, theils ausgezackten Rändern und mit Silberschnur. Denselben hellgrünen Ton weist eine Karte auf, deren Vorderseite einen in vielfarbigem Emaildruck ausgeführten Herold zeigt, von dessen Trompete eine bunte Flagge mit der Aufschrift »Dances« herabhängt. Man liebt es gegenwärtig, die Aufschrift nicht auf den leeren Grund zu setzen, sondern irgend einen Vorwurf dafür zu suchen, in dessen Wahl der Phantasie ein weiter Spielraum gelassen ist. So macht sich z. B. sehr schön ein lederartig körnig gepresster weisser Karton mit einer senkrechten Goldstange auf der linken Seite und mit einem waagerechten Träger, von welchem ein rechteckiges, reichverziertes, blassblaues Schild mit der Aufschrift in Golddruck herabhängt. Ganz ähnlich sind getönte Karten mit verzierten Standarten oder Flaggen. Von guter Wirkung ist auch ein blass meergrüner, glatt geschnittener Karton, dessen obere rechte Ecke umgebogen und ziegelroth getönt ist. Zu den anmuthigsten Sachen gehören wieder solche im Rokokostil, dessen leichte und elegante Formen sich für Tanzkarten ganz besonders eignen. Die Karten tragen in der Regel irgend eine hübsche Gruppen-Dar- stellung im Rokokogeschmack aus Tanzsaal und Salon oder Schäferbildchen, Kavalkaden, Jagdgesellschaften usw., die theil weise mit bemerkenswerther Feinheit ausgeführt und stets mit stilgerechten Ornamenten eingefasst werden, in deren Kurvenlinien man die Kartenränder gerne ausstanzt. Von guter humoristischer Wirkung ist ein steifer alter Geck im bunten Rokokofrack mit Puderperrücke und Schönheitspflästerchen im Gesicht. Unter den zahlreichen Karten mit Blumenverzierungen nehmen sich solche am elegantesten aus, deren hellfarbiger Grund mit ganz zartgetönten, verstreuten Blüthen von Veilchen, Stiefmütterchen, Margueriten oder Chrisanthemen bedeckt ist, während immer zwei oder drei der entsprechenden Blüthen auf der linken oberen Hälfte der Karte in buntem, erhabenem Emaildruck erscheinen. Darunter wird die Aufschrift schräg in Golddruck angebracht Die Mehrzahl der Karten zeigt natürlich den altbeliebten schnee weissen Grund, und zwar wird in der Regel sehr rauher, hand papierartiger oder körnig gepresster Karton gewählt. Die Auf schrift in Gold- oder Silberdruck und die bunte Seidenschnur bilden häufig den einzigen Schmuck, und man könnte nicht sagen, dass solche Karten anderen an Eleganz nachstehen. Indessen, die Welt wünscht Abwechslung, die sich ohne die Anwendung von Verzierungen kaum bieten lässt. Einfach und doch hübsch sind weisse Karten mit lederartiger Pressung, mit einem glattgepressten schrägen, die Aufschrift tragenden Parallelogramm in der Mitte, das theils weiss bleibt, theils etwas getönt wird. Art der Verzierung findet jedoch nicht nur auf weisse Karten Anwendung, sondern auch auf solche mit ziegelrothem. Mauve-, Heliotrop- oder kastanienbraunem Grunde. Es thut häufig der Wirkung viel Eintrag, dass bei der Anwendung von Farben druck des Guten zu viel gethan wird, während sich doch bei mässigem Gebrauch der Farben feinere Wirkungen erzielen lassen. Man kann sich nichts Frischeres und Anmuthigeres denken, als eine reinweisse Karte von grobkörniger Pressung, die äusser der Goldaufschrift keinen Schmuck trägt, als auf der oberen linken Hälfte drei rosige Apfelblüthen in Reliefdruck, ohne Blätter, Stiele oder sonst welche Verzierung. Kupferstiche und photographische Abbildungen sind auf Tanzkarten sehr beliebt, und sie werden stets so zierlich wie möglich gehalten, sodass sie nur die Mitte