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Wilsdruffer Tageblatt : 11.06.1939
- Erscheinungsdatum
- 1939-06-11
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1782027106-193906116
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1782027106-19390611
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1782027106-19390611
- Sammlungen
- LDP: Bestände des Heimatmuseums der Stadt Wilsdruff und des Archivs der Stadt Wilsdruff
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Wilsdruffer Tageblatt
-
Jahr
1939
-
Monat
1939-06
- Tag 1939-06-11
-
Monat
1939-06
-
Jahr
1939
- Titel
- Wilsdruffer Tageblatt : 11.06.1939
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Koms/r ps/r OMA oo» FaM/» klrkeberrecktssckutr ciurck Karl Köbler L Lo., Lerlin-Seklenckort Wolken zogen über den Himmel, und wenn der Mond sie traf, wurden es lange, schwarze Schalten, die zu uns heraus krochen, die über uns her huschten oder pfeilschnell in Täler hinabjagten. Wir standen aus einer kleinen Terrasse. Vor uns ging es Wieder steil bergauf, um uns die weite weiße tote Landschaft. Evelyn hob plötzlich die Arme, schlang sie mir um die Schulter. „Ich kann nicht mehr gehen, und ich will doch nicht sterben." „Evelyn, liebe, kleine Evelyn." Nie hatte ich gewagt, von meiner Liebe zu sprechen, wußte nicht, ob sie dieselbe ahnte. Jetzt sah sie mich an, unendliche Trauer war in ihren Augen, eine rührende Bitte, und ein Wehes Lächeln um ihren Mund. „Rette mich, wenn du mich liebst." Ich riß sie wieder in meine Arme und begann, weiterzu gehen. Ich war trotz allem trunken vor Glück und wußte, daß ihr Leben in meiner Hand lag. Wieder war ihr Gesicht an dem meinen, war es der Hauch ihres Atems, oder hatte sie mich geküßt? Wie schwer mir jeder Schritt wurde. Ich mußte die Zähne zusammenbeißen, ich fühlte, wie meine Knie zitterten, und der Weg war steil und glatt, ich konnte nicht einmal die eisernen Griffe fassen, ich stapfte fest auf, daß der Eissporn meines Stiefels mir Halt gab Eine halbe Stunde verging. Schweiß floß über meinen Körper und ich fror doch. Eine Art Be täubung war über mir, mein Herz pochte stürmisch, mein Körper war nichts mehr wie eine Niaschine, deren Füße vor wärts stampften, deren Arme sich nm Evelyn preßten, und meine Augen waren starr auf den Weg gerichtet. Dann w?r es vorbei, dann fühlte ich, daß meine Kraft er lahmt war und ertappte mich darüber, daß meine Augen zu fielen, und wenn ich sie wieder ausriß, begriff ich nicht, daß ich immer noch ging und nicht in die Tiefe gestürzt war. „Ein Hans! Ein Haus, gleich sind wir da." Die Stimme drang wie aus weiter Ferne zu mir, ich begriff erst nach Sekunden, daß es Evelyn war, die gesprochen, ver stand erst ganz langsam den Sinn ihrer Worte. „Wo, wo?" Es waren keine Worte, sondern nur ein dumpfes Stöhnen, das aus meiner Brust kam Sie wollte aus meinen Armen, aber es schien, als sei ich jetzt unfähig, dieselben zu öffnen. Ich wankte weiter, der Weg stieg nicht mehr bergan, ich stand aus einem Gipfel — ich starrte geradeaus —, vor mir stand ein großes, düsteres Blockhaus. Evelyn noch immer in meinen Armen, brach ich in meine Knie. Einige Minuten der Rube gaben mir wieder Kraft. Ich stand auf, rüttelte au der Tür, aber diese war gar nicht verschlossen, sondern gab nach. Evelyn rief ganz laut: „Vater! Vater!" Nichts antwortete: dieses große Haus, wahrscheinlich irgend ein Hotel für die Sommergäste, war vollkommen leer. Wir standen in einem großen dnnklcn Raum. Ich griff in meine Tasche. Wenigstens Zündhölzer hatte ich bei mir und steckte eines derselben an. Für den Augenblick hatte uns das Gefühl des Geborgenseins wieder Kraft gegeben. Dieser erste Raum war ohne Möbel, aber alle möglichen Dinge standen an seinen Wänden herum. Im Hintergründe war eine kleine Treppe, die wohl in ein anderes Zimmer führte. Bei dem flackernden Schein des kleinen Hölzchens tasteten wir i» dieses Zimmer. Es war ein kleines Gemach, natürlich auch kalt, aber ganz behaglich eingerichtet. Auf dem Tisch, der vor einem breiten Divan stand, war eine gefüllte Petroleumlampe, die ich ent zündete. Wie ich wieder aufsah, bemerkte ich, daß Evelyn auf dem Divan zusammcngesunken war und schon wieder schlief. Anch ich war unglaublich müde, und mir war, als ob Fieber in meinen Adern glühte. Auf einem Schemel neben dem Sofa lag sorgfältig zu sammengefaltet ein Stapel Decken. Ich war in diesem Augen blick unfähig, darüber nachzudenken, was dies für ein Haus sei und woher dies alles kam. Ich legte Evelyn vollends alft den Divan und hüllte sie dicht in viele Decken, dann sah ich mich nach einem Laaer sür mich um. Ein dumpfer Schlag drang an mein Obr. Draußen hatte sich aanz plötzlich ein Wind erhoben, und dieser batte wohl die Tür zugeworfen. So lächerlich es war, in einer Nervenschwäche fürchtete ich plötzlich einen Feind, der von außen kommen könne. Ich nahm die Lampe vom Tisch und ging wieder in den Vorraum hinaus: ich wollte versuchen, die Tür wieder zu schließen. Jetzt erhellte die Lampe den Vorraum, und gleich zeitig packte mich ein neues Entsetzen. Etwas Langes, Un heimliches lag neben der einen Wand — ein toter Mensch — ein toter alter Mann. Wahrscheinlich der Bewohner des Hauses, die Lösung des Rätsels, warum hier alles so wohnlich erschien. Ich riß die Decke von meiner Schulter, die ich vorher ge nommen hatte, und breitete sie über den Toten, dann schob ich den schweren Riegel vor das Haustor und wankte wieder in das Zimmer zurück. Evelyn schlief fest und ruhig, ich breitete einige Felle auf den Boden und nahm die übrigen Decken. Schlafen! Schlafen! Ich weiß nicht, wie ich die Kraft sand, noch die Lampe zu löschen, ich fiel ans die Felle und hüllte mich in die Decken. In der nächsten Sekunde schliefen wir alle drei: Evelyn aus dem Divan, ich in meine Decken gehüllt und der Tote da draußen den ewigen Schlaf: der Nachtsturm aber brauste und rüttelte nm das einsame Haus. Zweites Kapitel Ich erwache, aber ich öfsue die Augen noch nicht. In mei nem ganzen Körper ist noch eine starke Erschlaffung und die Müdigkeit einer dnrcharbeitetcn Woche. Es ist Sonntag. Ich weiß, daß eS Sonntag ist, und darum strecke ich mich behaglich aus, lege die Hände unter meinen Kopf und bleibe mit geschlossenen Augen liegen. Wie hellhörig die Lust ist. Ich höre ganz deutlich das Orgel spiel, das aus der nahen Kirche hcrübertönt, und dann den feierlichen Gesang eines Chores, der einen Choral zum Vor trag bringt. Wie schön ist eS, so zu liegen und diesen sonntäglichen Feierklängen zu lauschen. Und dabei ist es so seltsam, ich versuche zu überlegen, was ich denn in der vergangenen Woche getan habe, ich vermag keinen Gedanken zu fassen. Es mutz doch wohl schon spät sein, daß sie in der Kirche schon singen, aber im Hause ist es noch totenstill. Auch mein Bruder, der mit mir das Schlafzimmer teilt, mutz noch schlafen, ich höre seine leichten, gleichmätzigen Atemzüge. Der Choral ist zu Ende. Jetzt mutz Wohl die Predigt beginnen. Haben sie denn die Kirchtttren auf, daß ich dies alles so deutlich zu hören vermag? Werde ich jetzt auch den Prediger hören? Plötzlich erklingen ganz laute Fanfaren, Trompeten fallen ein. Es ist die laute, schallende Musik, die eine Prozession begleitet. Sie kommt weit her, wahrscheinlich die Straße her auf, ich höre dazu laute, singende Stimmen. Wohl ein Zug der Heilsarmee, die in den Golden Gate Park zum Gottesdienst rieht. Ihre Stimmen und die schallende Musik ihrer Trom peten, Pauken und Posaunen ist jetzt ganz laut, sie müssen dicht vor meinem Fenster sein Ich fahre aus und schaue hinaus. Ich sehe — schließe meine Augen wieder, fasse mit beiden Händen an meine Schläfen und schaue wieder hinaus. Dicht vor meinem Lager ist ein großes Fenster und draußen? Blutrot und kreisrund steigt die Sonnenschcibe über einem schneeigen Berggipfel empor, vor mir ist Schnee, endloser weißer Schnee, Täler senken sich ein, Berge recken überall ihre Häupter empor und überall Schnee. Ich hocke jetzt aufrecht auf meinen Knien. Ich fühle, daß es kein Bett ist, auf dem ich liege, sondern ein Lager von Decken. Wie ich unwillkürlich an meinem Körper herabtaste, bemerke ich, daß ich angekleidet bin. Der Sturm, der in dieser Nacht gebraust hat, ist vorbei, da für sinken ganz leise Schneeflocken vom Himmel herunter. All mählich beginnt meine Erinnerung wieder wach zu werden, und ein furchtbarer Schreck ergreift mich. Ich bin ja gar nicht daheim. Ich habe ia gestern mit Evelyn Pitt die furchtbare Wanderung vom Aellowstone See hinauf in die Berge ge macht. — Ich bin in einer einsamen Hütte. Jetzt ist es ein leiser, schmeichelnder Gesang, der an mein Ohr klingt. Eine fremde Sprache, die ich nicht verstehe, aber die Laute sind süß und weich, und dazu erklingt, wie das leise Flüstern aus Vogclkehlcn, wunderbare Musik. Draußen steigt die Sonne empor, immer noch als runde Scheibe, unwirklich, so seierlich, wie ich es noch niemals ge sehen habe und dazu dieses Lied und diese Musik. Ich sehe mich um. Ich bin ja leider so ein moderner Mensch, daß mein Sinn nicht lange in Wundern befangen bleibt. Wie soll ein Radio in diese Wildnis kommen? Was können diese Stimmen und diese Musik anders sein, als eine Ueber- tragung einer Sendcstation? Alles ist still. Ich stehe jetzt auf recht und wundere mich wieder. Jetzt umfängt mich ein neues Rätsel. Es ist behaglich warm in diesem Zimmer, so warm, wie in einer gut geheizten Wohnung, und es müßte doch eisig kalt fein in diesem einsamen Blockhaus. Draußen fällt der Schnee stärker in großen Flocken. So kommt es, daß es auch jetzt nicht recht hell wird im Zimmer. Ich bleibe lauschend stehen. Jetzt weiß ich alles wieder. Dort drüben auf dem Divan liegt Evelyn Pitt und schläft. Schläft noch, ich höre es an ihren gleichmäßigen Atemzügen. Meine Hand hat unwillkürlich ein Nohr berührt, das an der Wand entlang gebt. Es ist sehr warm. Ich folge ihm und sehe, daß unter dem Fenster ein großer Heizkörper steht. Dieses Blockbaus bat Zentralheizung. So müssen doch Menschen hier sein. So mutz doch ein Mensch zum wenigsten diese Heizung bedienen Und doch höre ich keinen Laut. Ich trete an Evelyns Lager. Sie liegt behaglich ausgestreckt, ihren einen Arm hat sie unter den Kopf gezogen, ihre dunkel braunen Locken, die sich gestern im Sturme der Lawine gelöst haben nnd die sie nicht Zeit gefunden, Wieder zu ordnen, liegen über den Wangen, und diese sind leicht gerötet, wie die eines schlummernden Kindes. Ich schleiche auf meinen Zehen hinaus in den Vorranm. Auch hier ist eS warm, und mein erster Blick fällt auf die unheimliche Gestalt — auf den Toten, den ich in der Nacht mit der Decke verhüllte. Er liegt unverändert. Ich verstehe das alles nicht. Ich höre jetzt ein leises gleichmäßiges Ticken. Eine Nbr mutz hier irgendwo sein. Ich gehe diesem Geräusch nach, ich öffne eine zweite Tür, die zu einer Treppe führt. Ich steige in ein oberes Stockwerk hinaus. Hier ist ein voll kommen eingerichtetes Arbeitszimmer. Ein Schreibtisch mit aufgeschlagcnen Büchern und beschriebenen Papieren, an der andern Seite ein kleines chemisches Laboratorium. Eine Menge von Apparaten, von seltsam geformten Flaschen irnd Retorten. Das alles sieht so aus, als habe ein Mann der Wissenschaft hier gewirkt. Ich verstehe, ich beginne zu begre.ifcn. Evelyn hat recht ge habt, ein gütiger Zufall hat uns in das einsame Observato rium Benjamin Pitts, ihres Vaters, geführt. Aber wo ist er — wo sind seine Gehilfen? Ich trete an den Schreibtisch. Ein großes Buch ist dort aufgeschlagen. Ein Tagebuch, wie ich bemerke. Ich versuche die seltsam verkritzelte Schrift auf der offenen Seite zu lesen: „Mack Elliot nun schon drei Tage im Weltenraum unter wegs. Ich bin allein und fttble mich krank." Ein furchtbarer Schreck durchzuckt mich, und nun glaube ich alles zu wissen. Der wahnsinnige Versuch ist ausgeführt worden. Der tollkühne Schotte Mack Elltot ist mit der Rakete in den Weltraum geflogen, dem sicheren Tode entgegen. Ben jamin Pitt ist allein geblieben, ist erkrankt — der Tote da unten im Vorraum ist Veniamin Pitt. Er ist vielleicht wenige Stunden, ehe das Schicksal sein Kind in seine Einsamkeit führte, einem Herzschlag erlegen. Ich denke nach. Unten im Zimmer schläft Evelyn Pitt. Sie wird erwachen, ihr Herz wird voller Granen sein bei dem Gedanken an diese einsame Bande, oder vielleicht voller Hoff nung und Freude in der Erwartung, ihren Vater zu finden. Sie wird hinaustreten — nein, das darf nicht geschehen, sie darf den toten Vater nicht finden. Ist er wirklich tot? Ich habe gestern in meiner Erschöpfung ihn nur klüchtig betrachtet. Ich schleiche wieder hinab, ich lausche an der Tür des Zim- m^s, dann nehme ich die Decke von dem Toten. Es ist ein alter Mann im derben Sportanzug. Sein glattrasiertes Gesicht hat einen friedlichen Ausdruck. Sein Weißes, merkwürdig struppiges Haar hängt in die Schläfen. Ich öffne das Gewand. Seine Brust, dunkelbraun gebrannt und sehnig, ist kalt. Kein Zweifel, es ist Benjamin Pitt, und er ist tot. Ich fasse schnell einen Entschluß. Der Tote kann nicht im Hanse bleiben. Evelyn darf ibn nicht sehen, aber ich habe auch keine Möglichkeit, ibn zu begraben. Wie sollte ich in dem gefrorenen Erdreich eine Gruft schaufeln. Ich wickele den to ten Körper in die Decke. Ich sehe einen Teppich am Boden liegen und hülle auch diesen noch um den Leichnam. Zum Glück schläft Evelyn noch immer, ich öffne die Haustür leise und trage den Toten hinaus. Es ist eisig kalt draußen und der Schnee fällt in immer dichteren Flocken. Ich stapfe um das große Blockhaus herum Ich sehe jetzt, daß es ein ganz be deutendes Gebäude mit einem großen Turm ist. An der Seite ist auch eine Art steinerner Grotte, vielleicht ist im Som mer hier ein Brunnen, jetzt lege ich den Toten in diese Grotte und häufe Schnee über ihn. Ich muß es mit meinen Händen tun, weil ich kein Werkzeug zur Hand habe. Ich weiß, der Himmel selbst wird mir helfen und mein Werk vollenden. Ich gehe wieder zurück, schließe die Tür hinter mir und klopfe sorgfältig den Schnee von meinen Kleidern, dann gehe ich wieder in das Zimmer. Evelyn ist erwacht, sie steht im Zimmer, hat ihr Haar und ihr Kleid geordnet und sieht frisch aus. „Haben Sie meinen Vater gesehen?" „Es ist niemand in diesem Hause." „Er mutz hier sein. Es ist das Haus meines Vaters, ich kenne die Bilder an der Wand." „Anch ich glaube, daß uns das Schicksal in das Observato rium Ihres Vaters geführt hat. Ich habe das Haus durch sucht und sein Arbeitszimmer gefunden." Sie hat ein besorgtes Gesicht. „Und er ist wirklich nicht da." „Gcwitz nicht." „Lassen Sie uns beide noch einmal suchen." Jetzt ärgerte ich mich, daß ich nicht auch das letzte Blatt des Tagebuches, aus dem er von seinem Unwohlsein geschrie ben hatte, vernichtete. Ich führe Evelnn in das Arbeitszimmer hinauf. Ihr Ge sicht strahlt, wie sie Hineintritt. Sie erkennt die Bücher und Apparate, sie eilt zu dem Schreibtisch und liest, dann schreit sie auf: „Vater ist krank!" Unwillkürlich blätter: sie weiter — ich atme auf — auch das nächste Blatt ist noch beschrieben. „Ich bin wieder Wohler, ich will zur Höhle hinüber. Jetzt wird vor drei Tagen kein Zeichen von Elliot kommen. Der hinterste Teil der Rakete ist in das Schneefeld hinter dem Hause gefallen Der Flug geht fahrplanmäßig vonstatten. Ick halte es vor Unruhe im Hause nicht aus, übermorgen bin ick zurück, dann erwarte ich Nachricht." Unter dieser Aufzeichnung, die wirklich die letzte war, stand das Datum des gestrigen Tages. Ich wußte alles, bei dem Versuch, das Haus zu verlassen, hatte ihn der Herzschlag ereilt, aber Evelyn war völlig be ruhigt. „Helsen Sie mir, wir müssen jene Tür dort öffnen." Die vierte Wand des Arbeitszimmers nahm eine mächtigt Bohlentür ein, die durch einen sehr schweren Riegel ver schlossen war. Ich schob ihn mit großer Mühe zurück und di< Tür sprang auf. Sie führte in einen sehr hohen und großen Raum. Ein« Kuppel schloß ihn ab, und in diese Kuppel, die sich nach alle» Richtungen drehen und verschieben ließ, war ein großes Fern rohr eingebaut. Eine kleine, eiserne Wendeltreppe führte zu dem Sitz del Beobachters hinauf, und auch dieser Sitz war auf einem dreh baren Gestell. Evelyn berührte einen Hebel, und sogleich setzt« sich der Apparat in langsame Bewegung. „Ich war überrascht. „Wo ist die Maschine, die dieses treibt? Woher kommt dil hydrauliche Kraft? Wer bedient die Zentralheizung?" Evelyn lachte vergnügt: „Wie wenig kennen Sie meinen Vater. Er hat sicher dkl unterirdische Kraft einer beißen Quelle sich dienstbar gemacht und seine Maschinen treibt ein gebändigter Geiser " Aber auch das Fernrohr mit seinen hydraulichen Appa raten war nicht das merkwürdigste in diesem Raum. An der einen Wand stand hochaufgerichtet ein langer, run der, vorn spitz zugehender Apparat. Eine Granate von zehr Meter Länge. „Dort ist die Rakete." Evelyn sprang darauf zu, plötzlich blieb sie stehen, ich sah, daß ihr schwindelig wurde, und sie wäre zu Boden gefallen, hätte ich sie nicht in meinen Armen gehalten. „Was ist?" Sie schmiegte sich an mich und stützte sich auf meinen Arm, aber ein Lächeln war auf ihrem Gesicht. „Ich glaube, ich habe furchtbaren Hunger." Wie sie dies aussprach, hatte auch ich die Erklärung der Schwäche, die mich nicht loslassen wollte. „Wir haben ja auch seit gestern Mittag, seit wir zum letz ten Male jenseits der natürlichen Brücke gelagert, nichts mehr genossen." Wir gingen in das Wohnzimmer zurück. Evelyn war über ihren Vater vollkommen beruhigt, sie öffnete Schränke und Fächer, nnd bald daraus brodelte im Kessel ein starker Kaffe« und Schinken und Wurst und gute Konservenbutter stand uw uns herum. Das Kochen war wenig mühsam, denn aus dem einer Halm der Wasserleitung kam siedendes Wasser, das natürliöf auch von derselben Quelle stammte, die unsere Heizung betrieb. Wir aßen und tranken, wir sprachen miteinander, ich Wal glücklich, daß sie mir nicht Wehrie, auch jetzt das „Du" zu ge brauchen. Es War das alles wie selbstverständlich, und nicht einen Augenblick kam uns der Gedanke, daß wir beide in die sem Haus ganz allein waren. Und während wir aßen, begann auch wieder das Radio seine leise, weihevolle Sonntagsmusik. Evelyn horchte aus. Was mir an diesem Morgen als ein Wunder erschienen, nahm sie wie selbstverständlich hin. „Natürlich hat Vater hier einen Empfänger und einen Sender." Ich begriff nicht. „Wie kann er einen Sender haben ohne elektrische Kraft?" Sie lächelt mich an. „Das weiß ich nicht, aber Vater kann alles." Nach dem Essen sind wir wie neugeboren, und ich flüstere Evelyn etwas zu, das sie laut auflachen läßt. „Ich mutz dir ein Geheimnis verraten, ich habe mich heute noch nicht gewaschen." Sie zeigt auf eine kleine verborgene Tür. „Dort ist Vaters Schlafzimmer, ich war schon darin." Auch dieses war einfach, aber behaglich. Zwei Betten, für Pitt und sür Evelyn, zwei Schränke und eine Badewanne mit heißem und kaltem Wasser. Wie wohl tat das Bad. Und als ich wieder hinaustrat, war Evelyn in das Arbeitszimmer des Vaters gegangen. Jetzt glühte ihr ganzes Gesicht vor Freude und Stolz. „Ich habe das Tagebuch durchgeblättert, Vater hat alles erreicht. Du bast die Rakete gesehen —" „Ich verstehe von alledem nichts." „Du kennst doch die Erfindung, die fast gleichzeitig der Deutsche Hermann Oberth und der Amerikaner Robert Goddard gemacht haben, die Erfindung, mit einer Rakete sich in den Weltenraum emporschießcn zu lassen und willkürlich von Stern zu Stern zu fahren. Was die beiden theoretisch er dacht haben, bat Vater praktisch vollendet, und Mack Elliot landet wahrscheinlich in wenigen Stunden schon auf dem Mond." „Aber Evelyn." Sie war erregt. „Glaubst du mir nicht? Hast du die Rakete denn nicht ge sehen? Die oben bereftstand." Ich batte Wohl von diesem phantastischen Gedanken gehört, aber ich hatte ihn nicht für ernst genommen. Ich wutzte auch, daß Benjamin Pitt diesen Gedanken ausgenommen hatte und daß man mitleidig über seine Phantastereien lächelte. Ich kannte auch den Schotten, der in dem Ruf eines Abenteurers stand. Evelyn war ärgerlich. „Du willst mich lieb haben und zweifelst an meinem Va ter? Haben sic nicht auch den deutschen Grafen Zeppelin sür verrückt gehalten, bis er ihnen zeigte, daß er klüger war als sie alle. Deshalb ist ja Vater hier in die Berge gegangen, da mit er dann die ganze Welt überrascht. Es ist nicht recht, daß du zweifelst." Wie wunderhübsch war sie in ihrem Zorn, aber wie sollt« ich glauben. Ich war an das Fenster getreten und blickte hinaus. Der Schnee lag mindestens einen Viertel Meter hoch und fiel noch immer. Es war trübe draußen und obgleich es Mittag war, fast dunkel. „Wir werden gar nicht hinnnterkommcn." „Glaubst du, ich würde jetzt hier fortgehen? Tu's, wen« du willst, ich bleibe bei meinem Vater." Sie ging schmollend hinaus und wieder in das Arbeit^ zimmer hinaus. Ich blieb in tiefen Gedanken zurück. OMMuug folgt.)
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