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wie weit der Hahn des Dampfkesselchens geöffnet werden musste, um Kammersäure von 48 bis 50° Bä zu erzielen. Von den sich dabei abspielenden chemischen Prozessen hatte er keine Idee, stellte jedoch ganz intelligente Fragen. Die Kammersäure wird in Bleipfannen auf 60° Bä konzentrirt und in gewöhnlichen Bier flaschen oder Steinkrügen verpackt. Die Indier erhalten etwa ein Drittel weniger Säure aus dem Schwefel als in den Fabriken in Europa erzielt wird. Salzsäure und Salpetersäure, wofür übrigens der Bedarf in Indien noch sehr gering ist, verstehen die Leute nicht darzustellen. Auch die Fabrikation von Eisen vitriol und Alaun ist ihnen unbekannt. Farben. Obschon Indien reich ist an Pflanzenfarben aller Art, fahrt der Papier-Fabrikant besser dabei, wenn er, wie es auch ausnahmslos geschieht, die künstlichen europäischen Farbstoffe verwendet. Selbst Kurkuma, welche in manchen Gegenden fast umsonst zu haben ist, lässt sich nicht vortheilhaft verwenden. Zur Darstellung der geringen Mengen blauen Papiers, welche in Indien verbraucht werden, legt man sich zweckmässig die mit Indigo gefärbten Lumpen beiseite und schönt den daraus erhaltenen Stoff durch Zusatz von Methylen-Blau oder Ultramarin. Für rothes Lösch papier nimmt man selbstverständlich die türkisch-rothen Lumpen. Ich erwähnte beiläufig des Salpeters, als ich von den natür lichen Salz-Auswitterungen sprach. Der indische Salpeter war bekanntlich in frühem Zeiten, als man den Chilisalpeter noch nicht in Kalisalpeter umzusetzen verstand, von grösster Wichtigkeit für die Schiesspulver-Fabriken Europas. Er wird auch aus Aus witterungen gewonnen, die aber nicht auf freiem Felde zu finden sind, sondern auf den oft ausgedehnte Hügel bildenden Ruinen alter Ortschaften. Die über das ganze Land zerstreuten Salpeter- Fabriken arbeiten in der denkbar einfachsten Weise. Einige grosse Pfannen auf Lehmherden über offenem Feuer, und eine Anzahl hölzerner Krystallisations-Kästen bilden die ganze Ein richtung. Die Salpeter-Erde wird ausgelaugt und die erhaltene Flüssigkeit mit Asche »gebrochen«, um den Kalksalpeter in Kalisalpeter umzuwandeln. Durch Eindampfen der geklärten Lauge werden die Chlorsalze usw. ausgefällt, und durch wieder holtes Krystallisiren der eingedickten Flüssigkeit Salpeter von der gewünschten Reinheit erhalten. Da sich mit einiger Uebung am Bruche der Salpeter-Krystalle erkennen lässt, wie viel Prozente andere Salze sie noch enthalten, sind die Indier längst schon ausgezeichnete Kenner von Salpeter und haben von uns nichts zu lernen. Die Fabrikation liegt daher gänzlich in den Händen der Eingeborenen und für den europäischen Chemiker ist da nichts zu holen. Allgemeines. Bei der sich rasch entwickelnden Industrie Indiens steigt auch jährlich der Bedarf an Chemikalien, und schon heute ist der Werth der Einfuhr chemischer Erzeugnisse so bedeutend, dass oft die Frage gestellt wird, ob die Errichtung einer chemischen Fabrik in Indien sich lohnen würde. Die Antwort ist nicht leicht, denn es kommen viele und theilweise schwer zu übersehende Um stände in Betracht. Natürlich müsste man sich vor allem billige Schwefelsäure herstellen. Dies böte keine Schwierigkeit, da sizilianischer Schwefel bei den billigen Schiffsfrachten sich zu ziemlich demselben Preise nach den indischen Hafenplätzen legen lässt, wie nach den meisten europäischen Häfen. Aber wie weiter fahren? welchen Fabrikationszweig aufnehmen? An Auswahl fehlt es freilich nicht, auch wenn wir die schwieriger herzustellenden und werthvollern Produkte ganz äusser Acht lassen, die man wie die künstlichen Farbstoffe immer billiger aus Europa beziehen wird. Man könnte beispielsweise schwefelsaure Thonerde für die Papier-Fabriken und Alaun für die vielen Färbereien machen; an Kaolin-Lagern fehlt es nicht, und die in den Salpeter-Fabriken ausfallenden Salze würden das nöthige Kali liefern. Auch für Eisenvitriol ist bedeutender Absatz und Eisen-Abfall im Ueberfluss vorhanden. Oder man könnte die stickstoffhaltigen Abfälle der Schlächtereien grosser Städte, der Gerbereien usw. auf schwefel saures Ammoniak verarbeiten und daneben eine Leimsiederei betreiben. Für beide Produkte wäre der Absatz in Europa zu suchen, was jedoch bei den billigen Frachten nicht ins Gewicht fiele. Knochen werden in sehr grossen Mengen nach Europa verschifft, und an manchen Orten Indiens sind sie fast umsonst erhältlich. Man könnte also aus den Knochen erst das Fett und den Leim gewinnen, und sie dann dämpfen und als Düngermehl verschiffen. Superphosphat zu machen, würde sich schwerlich empfehlen, da in Indien sehr wenig Käufer dafür zu finden wären. Aber viel leicht fände man mit der Zeit Absatz für Phosphor, denn es sind bereits verschiedene Anläufe gemacht worden, um die grossen Mengen von Zündhölzchen, welche Indien einführt, durch ein heimisches Fabrikat zu verdrängen; eine sehr passende Tannenart wächst in den Vorgebirgen des Himalayas in grossen Mengen. Wer sich für Oele interessirt, könnte sein Glück mit den vielen und geradezu riesigen Mengen von Oelsamen probiren, nament lich auch mit der Ausziehung der häufig noch sehr viel Oel ent haltenden Oelkuchen der Indier. Gerade leicht wäre zwar das Arbeiten mit den flüchtigen Lösungsmitteln in Indien nicht, doch liesse es sich durch künstliche Kühlung mit Eis vielleicht schon bewerkstelligen. Da ich gerade von Eis spreche, will ich auch von dem nicht unbeträchtlichen Bedarf an Aether und konzentrirtem Ammoniak der vielen Eismaschinen erwähnen, wofür des schwierigen Transportes von Europa wegen hohe Preise zu erzielen wären. Durch einfaches Pressen von Oel mit europäischen Maschinen Geld zu verdienen würde schwerlich gelingen, wie viele Europäer und Eingeborene in den ver schiedensten Theilen Indiens erfahren mussten. Es ist das eine beliebte Spielerei, die schon Manchen um sein sauer erworbenes Geld gebracht hat. Ob Kerzen-Fabrikation, zu der mich einst einige Eingeborene durch Anbietung von Kapital und nutzloser Maschinerie verleiten wollten, bessere Aussicht auf Erfolg hätte, bezweifle ich, obschon mässiger Absatz für Kerzen vorhanden ist. Besserer Erfolg wäre vielleicht von der Fabrikation von Essig säure und essigsauren Salzen und dergl. zu erwarten, auch die Spiritusfabrikation scheint noch lange nicht auf der Höhe der Zeit zu stehen. Weshalb z. B. bei dem ungeheuren Verbrauch von Whisky und dem so billigen Getreide noch niemand eine Brennerei für Kornbranntwein errichtet hat, ist mir ein Räthsel. Für die Fabrikation von Blutlaugensalz sind die Rohstoffe in Hülle und Fülle vorhanden, und Chromsalze liessen sich wohl ebenfalls herstellen; für die letztem ist guter Bedarf in Indien, nicht aber für Blutlaugensalz. An die Herstellung von Chlorkalk, die Lieblings - Idee mancher indischen Papierleute, lässt sich schon der hohen Temperaturen wegen nicht ernstlich denken, obschon mir ganz vorzüglicher indischer Braunstein zu Gesicht gekommen ist. Versprechender dagegen wäre die Fabrikation von Eisenoxyd als Anstrichfarbe für die vielen eisernen Eisenbahnbrücken, wie auch von Wasserglas als »Silikat-Farbe.« Wie man schon aus diesen wenigen Beispielen sieht, steht dem Chemiker ein weites Feld offen, aber wenn je das Sprüch- wort, dass aller Anfang schwer ist, sich bewahrheitet, so ist das sicherlich der Fall für Denjenigen, der in Indien den Reigen eröffnen will. An den grossen Handelsplätzen der Küste ist man zu nahe der europäischen Konkurrenz, im Innern hat man mit grossen Entfernungen und andern Schwierigkeiten zu rechnen. Die Hauptschwierigkeit jedoch besteht in der Erwerbung der nöthigen Uebersicht: der frisch von Europa kommende Chemiker braucht mindestens zwei oder drei Jahre, bis er sich in die indischen Verhältnisse eingelebt hat, während der in Indien ansässige Kaufmann, mit sehr wenigen Ausnahmen, nur die Rohstoffe kennt, mit denen er Handel treibt, — wie Baumwolle, Jute, Getreide, Oel, — und von den Gewerben der Indier sowie den für den Chemiker in Betracht kommenden Landesprodukten nicht die geringste Kenntniss hat. Der Eine kann daher dem Andern nicht helfen. Ueberdies steht bei der riesigen Ausdehnung des Landes mehr als anderswo die Gefahr im Hintergrund, dass wenn Einer einen lohnenden Fabrikationszweig herausgefunden und glücklich eingeführt hat, ein Anderer, der Land und Leute besser kennt, an einem günstiger gelegenen Orte eine ähnliche Anlage errichtet und die des Ersten lahm legt. Diese Schwierigkeiten machen es begreiflich, dass trotz der Unternehmungslust sowohl der Eng länder als auch der Eingeborenen die chemische Industrie noch nicht Fuss in Indien gefasst hat; dass sie aber unüberwindlich sind, glaube ich nicht, sondern halte vielmehr dafür dass, richtig angefasst, eine chemische Fabrik ausgezeichnete Aussichten auf Erfolg hätte, da gerade die nicht von dem Ersten Besten zu bewältigenden Hindernisse den besten Schutz gegen das Hineinpfuschen von Spekulanten gewähren würden. Wenn an geeignetem Orte in Verbindung mit einem die Hilfs quellen des Landes und die Absatz-Verhältnisse genau kennenden Kaufmann mit Schwefelsäure und Alaun angefangen würde, wofür sich von vornherein schon eine genaue Ertrags-Rechnung aufstellen liesse, so würden sich nach und nach weitere Fabrikationszweige für den Bedarf der Färbereien, Apotheker, Eisenbahnen, Gerbereien usw. leicht anschliessen lassen. Die indische Regierung bringt industriellen Unternehmungen stets grösstes Wohlwollen entgegen, und die Eisenbahn-Verwaltungen sind immer bereit, durch Gewährung billiger Frachtsätze die Errichtung neuer Anlagen zu ermöglichen. Der Regierung wäre jedenfalls die Einführung chemischer Industrie schon deshalb sehr angenehm, weil sie ihr rauchloses Pulver »Cordit« in Indien selbst darstellen würde, wenn sie die dazu nöthigen grossen Mengen von Schwefel- und Salpetersäure zu vernünftigen Preisen kaufen könnte. Pahäri.