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9228 PAPIER-ZEITUNG. «r. 70. Chinesische Zeitungen. Der französische Konsul in Canton hat der Gesellschaft für Handelsgeographie in Paris folgende interessanten Mittheilungen über das Zeitungswesen in China gemacht: Es ist bekannt, dass die Druckkunst in China bereits aus geübt wurde, als Europa sich noch in einem halbbarbarischen Zustande befand. Bereits im Jahre 581 (nach unserer Zeit rechnung} druckte man von Holzplatten, 904 wurden die Zeichen in Stein gravirt, und schon 1040 gebrauchte man Einzeltypen. Die Verwerthung dieser Kunst zur Verbreitung von Nachrichten oder Kenntnissen unterblieb aber; die amtliche Hof-Zeitung von Peking, welche vor mehr als 1000 Jahren gegründet wurde, kann zu den Zeitungen in dem heute gebräuchlichen Sinne nicht gerechnet werden. Dennoch ist es nicht möglich, diese Hof-Zeitung »Tsing-Pas« zu übergehen. Die Zeitung hat seit ihrer Gründung etwa um 713 verschiedene Veränderungen erfahren und erscheint in drei Ausgaben. Die erste (oder amtliche) Ausgabe ist mit Holztypen gedruckt, sie besteht aus 10 oder 12 Doppelblättern gelben Papiers in Grösse von 19 cm im Quadrat. Die Blätter sind nur auf einer Seite bedruckt und eingetheilt in sieben senkrecht stehende Reihen, jede mit 14 Schriftzeichen. Diese Ausgabe ist in gelben Umschlag geheftet und kostet monatlich etwa 1 M. nach unserem Gelde. Die zweite Ausgabe hat Langformat (9 X 24 cm), sie ist von Wachstafeln gedruckt, in welche die Zeichen eingravirt wurden. Der Druck ist oft ganz verschmiert, das Papier ist schlecht. Die Seiten zeigen sieben Schriftreihen, jede mit 22 Zeichen. Bezugs preis etwa 10 M. den Monat. Die dritte und kleinste Ausgabe ist Manuskript, sie ist auf Blätter von 9 X 16,5 cm Grösse sehr klar, doch meist in Kursiv geschrieben. Bezugspreis etwa 23 M. den Monat. Der Inhalt von »Tsing-Pas« wird europäischen Lesern wunderlich erscheinen. Die Söhne des himmlischen Reiches hatten zwar einen verhältnissmässig hohen Stand der Zivilisation erreicht, als Europa noch von wilden Völkerschaften bewohnt wurde. Aber seitdem hat China jahrhundertelang keinen Fortschritt gemacht, und das chinesische Volk in seiner Masse ist heute beinahe so beschränkt und unwissend, als wäre es unzivilisirt. Bis vor 20 Jahren hatte die amtliche Zeitung keinen Neben buhler, erst damals gründete ein Engländer mit Hjlfe einiger intelligenter Chinesen die »Shen-pao« in Shangai. Diese Zeitung hat jetzt eine tägliche Auflage von etwa 12000 Exemplaren. 1883 wurde von den Eigenthümern eine englisch-chinesische Zeitung »Hon-pao« (Hon bedeutet Shangai, pao heisst Zeitung) ins Leben gerufen und in Tien-Tsin besteht jetzt auch »Che-pao«, beide sind in chinesischer Schrift gedruckt. Vor vielleicht 10 Jahren begründete ein gelehrter Eingeborener das Blatt »Kooang-Pao« (Kooang: Kanton). Der Herausgeber war Mitglied einer chinesischen Erziehungsgesellschaft in denVereinigten Staaten und kannte das Englische durchaus. Die Zeitung wurde vor zwei Jahren unter nichtigen Vorwänden unterdrückt, erschien aber bald wieder unter anderem Titel. Eine andere Zeitung in Kanton heisst »Ling-nam ja pao« (Ling-nam ist die frühere Benennung von Kanton); sie ist ein Kampf blatt ärgster Art und wendet sich gegen alles, was nicht chinesisch ist. Die Auflage beträgt etwa 2500 Exemplare. »Shen-pao« hat als Muster für alle andern Zeitungen gedient. Das Blatt ist in 8 Seiten gefalzt und hat eine Länge von 1,25 m. Bezugspreis etwa 5 Pf. die Nummer. »Shen-pao« ist eine unabhängige, gut redigirte Zeitung, die nicht zögert, Missbräuche aufzudecken und der Regierung Rath zu ertheilen. Ein grosser Theil der Zeitung ist gefüllt mit allerlei kleinen Nachrichten über Lokal-Ereignisse, Unglücksfälle, Verbrechen usw. Die chinesischen Reporter sind sehr geschickt in ihrem Handwerk, aber sie haben — wie der französische Konsul bemerkt — noch nicht die Kunst gelernt, zu interviewen. Anzeigen sind jetzt ein wichtiger Bestandtheil der chinesischen Zeitungen, sie sind ergötzlich zu lesen und oft ausgeschmückt mit merkwürdigen Handelsmarken und sonstigen Abbildungen. Eine flüchtige Durchsicht des Anzeigentheils beweist, dass auch der chinesische Geschäftsmann den Werth der Anzeige wohl zu schätzen weiss, und nicht säumt, ihn zu benutzen. Die Farbe des Druckes und des Papiers der chinesischen Zeitungen passt sich wichtigen Ereignissen an. Bei dem Tode eines Mitgliedes der kaiserlichen Familie ist der Druck in Blau ausgeführt, der Farbe der kaiserlichen Trauer; bei des Kaisers Hochzeit zeigt das rothe Papier die Freude an, der Druck ist schwarz. Die Neujahrs-Nummer wird gewöhnlich mit rother Farbe auy dem gewöhnlichen gelben Papier gedruckt. Die Klasse der illustrirten Zeitungen ist vertreten durch »Hooa-pao«, herausgegeben in Shangai durch die Eigenthümer von »Shen-pao«. Diese Zeitschrift besteht seit 9 Jahren, sie hat rothen oder grünen Umschlag, 8 oder 12 Seiten Inhalt, und kostet etwa 25 Pf. die Nummer. Die Holzschnitte sind gut gemacht, sie ver gegenwärtigen bemerkenswerthe Ereignisse. Zuweilen allerdings begeht der Künstler eine Uebereilung, so wurde z. B. das Duell zwischen Rochefort und Fournier als Faustkampf dargestellt. Zu erwähnen ist noch »Y-oven-loo«, eine ebenfalls gut redigirte, unter Leitung chinesischer Priester der katholischen Mission in Shangai stehende Zeitung. Wie die Deutschen und manche andere Nationen, lieben auch die Chinesen die Benutzung von Fremdwörtern. Sie schreiben diese aber auf ihre Weise, für Ultimatum setzen sie »oo-li-ma-toong«, für Telephon »to-li-loong« usw. ♦ ♦ ♦ Zu gleicher Zeit geht uns von unserem New Yorker Mit arbeiter die Nachricht zu, dass jetzt auch in den Vereinigten Staaten eine chinesische Zeitung gegründet ist. Wir lassen die Mittheilung hier folgen: New York, 14. August. Zu den unendlich vielen und in allen möglichen Sprachen hier erscheinenden Zeitungen haben wir nun auch seit einigen Tagen eine chinesische bekommen, deren pomphafter Titel ist: »Das unaufhörliche Trompetengeschmetter des Drachens des Kriegsgottes.« Als Nebentitel führt es »Chinese News« (s. Abb.). Die Herausgeber sind natürlich Amerikaner, die Redakteure englisch sprechende Chinesen. Anlass zu dem »Trompeten geschmetter« gab der japanesisch-chinesische Krieg. Nachbildung der Vorderseite der »Chinese News«. Das Original hat 34,5 X 45 cm Grösse. Das Blatt erscheint erst nachmittags, da es immer einen halben Tag dauert, bis alle darin enthaltenen »Originalbriefe und Kabel-Berichte unseres eigenen Berichterstatters« aus den eng lischen Morgenblättern ins Chinesische übersetzt worden sind. Die Zeitung ist auf starkes hellrothes Umschlagpapier von Zinkplatten gedruckt, sie besteht aus einem Blatt in Grösse von 34 X 45 cm. Die Herstellung ist etwas umständlich dadurch, dass das Schreiben des Chinesischen sehr langsam geht, sodass jeder Redakteur drei Schreiber unausgesetzt im Gange hält, denen er das Kriegsgeschmetter diktirt.