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Vergoldete Titelschilder. In grössern Bibliotheken ist es meist üblich, neue Bände immer wieder nach alten Einband-Mustern binden zu lassen. Viele Bibliothekare weichen von dieser Gewohnheit nicht ab, und auch ältere Gelehrte, welche Privat - Bibliotheken besitzen, lieben es, neue Bücher stets mit dem Verlangen zum Buchbinder zu senden, dieselben nach vorgelegten Muster - Einbänden zu binden. Die Betreffenden erreichen dabei wohl den Zweck, ihren Bibliotheken ein einheitliches Aussehen zu geben, sie hindern aber den Buch binder zugleich an der freien Entfaltung seiner bessern Einsicht und unterdrücken jede zeitgemässe Neuerung. Vielfach sind freilich auch die Buchbinder zu bequem, mit dem alten Schlendrian zu brechen, Neuerungen in Vorschlag zu bringen und auf das Unzweckmässige mancher alten Einbände hinzuweisen. Geschieht letzteres, so dürfte mancher Bibliothekar und Bücherbesitzer von der Gewohnheit, neue Bücher nach unzweckmässigen Muster-Einbänden binden zu lassen, abzubringen sein, besonders, da er — wenn aufmerksam gemacht — sich selbst überzeugen und den Uebelstand an den eigenen Büchern beobachten kann. So z. B. auch den Uebelstand, den aufgeklebte Rückenschilder mit sich bringen. Die Rückenschilder bei Bibliothekbänden bestehen meist aus rothem, blauem oder schwarzem Titelpapier oder Gelatinepapier. Wird das'Buch viel gebraucht, so greifen sich die Schilder bald ab und der Goldtitel wird unscheinbar, oft sogar unleserlich. Sind die Schilder nicht vorsichtig und fest genug aufgeklebt, so lösen sie sich an den Kanten ab oder werden beim Einstellen des Buches in das Bücherregal abgerissen. Mitunter wird das Ab fallen der Schilder auch von dem Rücken-Ueberzug veranlasst, der oft eine Oberfläche besitzt, an welcher der Klebstoff schlecht haftet. Es kommt sogar vor, dass die Farbe des Ueberzugpapieres mitsammt dem aufgeklebten Titelschilde losplatzt. Ganz verwerflich ist das Aufkleben von Papierschildern auf Bücher, deren Rücken mit Kaliko oder Leder überzogen sind. Auf geprägtem Kaliko kann ein Schild niemals fest sitzen, denn der Leim bindet das Schild stets nur auf den hochgeprägten Punkten, nicht aber zugleich an den tiefgeprägten Grundstellen. Die Folge ist, dass die Schilder bald wieder abfallen. Aehnlich verhält es sich mit geprägtem Leder. Will man auf dieses Schilder kleben, so ist es nöthig, vorher die genarbte Leder oberfläche in genauer Schildgrösse abzuschärfen, da man nur hierdurch dauerndes Haften der Schilder erzielt. Auch auf glattem Leder haben aufgeklebte Schilder keine Dauer, weil — ganz ab gesehen von Nebendingen — schon die ganze Beschaffenheit der Einbandmechanik dies nicht gestattet. Der Buchrücken verharrt während des Gebrauchs nicht unverändert in seiner gegebenen runden Form, sondern biegt sich beim Oeffnen und Schliessen eines Buches ziemlich stark auseinander; er befindet sich demnach während des Oeffnens und Schliessens in einer fortwährenden Formveränderung von einem starkgebogenen zu einem schwach gebogenen Kreistheile. Alles, was auf den Rücken geklebt ist, sowohl der Leder-Ueberzug als auch das Titelschild müssen dieseVeränderung mitmachen. Wäre nun der Rücken dünn, so würde diese Formveränderung ohne grossen Nachtheil für die aufgeklebten Schilder sein. Er ist aber ziemlich dick, denn er besteht aus einer Schrenz - Einlage, dem ziemlich dicken Leder-Ueberzug und dem aufgeklebten Titelschild, daher ist die Formveränderung auf die aussenliegenden Theile von merklichem Einfluss. Ein Vergleich möge dies verdeutlichen: Biegt man ein Stück dicke Pappe rund, so streckt sich die äusserste Fasermasse und die innere schiebt sich zusammen. Weicht man nun die Pappe auf und biegt sie dann rund, so erleidet die Fasermasse eine dementsprechende Verschiebung ihrer ursprünglichen Lage. Klebt man auf den nass gebogenen Pappstreifen A (s. Fig.) einen dicken Papierstreifen a und lässt beide in rundgebogenem Zustande trocknen, so wird man später finden, dass dieser runde Pappstreifen in seiner Form verharrt. Biegt man ihn gerade, so muss sich entweder der kleinere Durchmesser A ausdehnen, oder der grössere Durchmesser a muss Falten schlagen. Denn die Kreisdurchmesser A und a sind infolge der Pappstärke ungleich gross, und auf diesem Grundsätze beruht auch die Anfertigung der sogenannten Sprungrücken, die stets in ihre alte Form zurückschnellen. Dasselbe Verhältniss findet bei jedem Buchrücken statt, der mit Leder überzogen ist. Der Lederrücken wird mit Kleister auf geklebt, dieser durchweicht auch den eingelegten Papprücken, beide werden rund an das Buch gemacht und trocknen in dieser runden Form. Werden sie später aufgebogen, wie es unzählige Male beim Oeffnen und Schliessen eines Buches geschieht, so muss sich der innere, kleinere Durchmesser des Rückens gleich A dehnen, der äussere, grössere Durchmesser gleich a zusammenschieben. Das Leder selbst ist porös und schwammig, es lässt sich leicht dehnen und schiebt sich auch ohne merkliches Falten schlagen so weit zusammen, wie es der geringe Durchmesser unterschied des Buchrückens erfordert. Anders wird es jedoch, sobald man auf den Lederrücken ein Titelschild aus Gelatine papier klebt. Dieses ist hart, es dehnt sich weder, noch schiebt sich seine Faser- und Gelatinemasse zusammen. Schlägt man demnach ein Buch auf, wobei sich die Rückenrundung aus- einandergiebt, so widerstrebt das harte Titelschild dieser Rücken bewegung. Es findet also ein Gegeneinanderwirken des sich biegenden Rückens und des harten Schildes statt. So lange das Buch nicht allzustark angestrengt wird, gleicht das poröse, bewegliche Leder den geringen Unterschied zwischen äusserem und innerem Rücken- durchmesset aus. Wird das Buch aber viel gebraucht, so beginnt allmälig die Widerstandsfähigkeit des Rückenschildes zu erlahmen, entweder platzt dieses vom Lederrücken ab, oder es beginnt sich zugleich mit dem Lederrücken zusammenzuschieben. Die Folge ist, dass die harte Gelatine- und Farbschicht streifenweise vom Papier abblättert, und mit der Farbschicht der Golddruck. In Bibliotheken kann man genug alte Bücher mit so zugerichteten Titelschildern sehen. Dasselbe findet, wenn auch nicht auffallend so doch immer noch wahrnehmbar, mit aufgeklebten Lederschildern statt. Bei diesen kann zwar die Farbschicht nicht abspringen, aber die Schilder schlagen kleine, kaum merkliche Falten, in denen der Golddruck abbröckelt, besonders wenn die Schilder aus hartem, geglättetem Titelleder bestehen. Dieses wird in der Regel noch lackirt, und der eindringende Lack giebt ihm grössere Sprödigkeit, als das weiche Rückenleder sonst besitzt. Ausserdem liegt zwischen diesem und dem Rückenleder der harte Klebstoff; ferner ist da, wo das Titelschild angebracht ist, die Rückendicke um dessen Stärke vermehrt, was den äussern Rückendurchmesser und infolgedessen auch die Zusammenschiebung der äussern Leder masse vergrössert. Daraus geht hervor, dass sich das Aufkleben von Rücken schildern mindestens bei Lederrücken nicht empfiehlt, eben sowenig bei Kalikorücken. Bei den Pappbänden, die mit Papier überzogen sind, tritt der Uebelstand nicht so stark zu Tage, weil hier die Rücken bedeutend dünner sind als bei Lederbänden, mithin kein so erheblicher Unterschied zwischen dem äussern und innern Kreisdurchmesser des Rückens besteht. Ueberdies ist das Aufkleben von Schildern auf Leder sehr überflüssig. Das Leder an sich lässt sich vorzüglich vergolden. Es ist daher das Nächstliegende, den Titel sofort auf den Leder rücken zu drucken, wie es auch bei Halbfranzbänden meist geschieht. Wünscht man den Rücken durch Farbenwechsel zu beleben, so kann das durch Niederglätten der Narben geschehen, wodurch sowohl das Leder als auch der Kaliko eine dunklere Färbung annimmt. Bei den naturfarbenen Lohgarlederrücken, die viel mit Titel schildern beklebt werden, kann man sich durch Färben der Titelfelder helfen. Hierzu ist es aber nöthig, den Rücken vorher zu kleistern, damit die Farbe nicht ausläuft. Denn das Titelfeld muss scharf abgegrenzt sein, wenn der Rücken guten Eindruck machen soll. Zum Färben benutzt man die in Buchbindereien üblichen Beizen, mit denen man jede Färbung erzeugen kann. Wird nach dem Färben das Titelfeld mit Kleister eingerieben und gut mit Eiweiss überstrichen, so lässt sich darauf vorzüglich vergolden. Auf Kaliko endlich sollte man überhaupt keine Titelschilder kleben. Es geschieht aber, besonders in kleinstädtischen Buch bindereien, doch sehr oft, um den Rücken mit Farben zu beleben. Ein geläuterter Geschmack wird sich jedoch durch die blauen und rothen Titelschilder nur abgestossen fühlen. Der Halbleinenband soll kein farbiger Mosaikband sein, seiner Eigenart entspricht am besten ein einfacher Goldtitel und durch Linien getheilte Felder. Alles Weitere ist vom Uebel, besonders aber die bunten Titel schilder aus Gelatinepapier. G.