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1766 PAPIER-ZEITUNG. Mr. 55. Papierfabrikation in Indien. Fortsetzung ZU Nr. 47. Nachdruck verboten. Chemikalien. (Forts.) Soda. Die natürlichen Natron-Salze Indiens sind für den Chemiker höchst interessant; freilich lassen sie sich kaufmännisch nur von Leuten mit genauer Lokalkenntniss, und auch dann nur in kleinem Maassstabe verwerthen. In den trocknen Gegenden Indiens, namentlich im Nord westen und im Panjab, ist der Boden stellenweise so salzhaltig, dass er durchaus unfruchtbar ist. Bald sind es kleine Flecke inmitten reicher Felder, bald grosse wüstenähnliche Flächen. In der Regenzeit bringen sie oft noch einen spärlichen Graswuchs hervor, in der trockenen Jahreszeit sind sie kahl und mit blendend weissen Salzauswitterungen bedeckt, welche unbekümmert um- ihre Zusammensetzung »Reh« genannt werden. Diese Reh- Felder, welche insgesammt Tausende von Quadratmeilen bedecken und jeglicher Kultur entziehen, haben die Aufmerksamkeit der englischen Regierung schon seit dem letzten Jahrhundert auf sich gelenkt. Da die Regierung Eigenthümerin des Bodens in Indien ist und meist die Hälfte der Grundrente bezieht, hat die Reh- Frage das denkbar grösste Interesse für sie. Die Beamten der Distrikte haben auch eine Unmasse von Berichten eingesandt, Kommissionen sind mit Untersuchung der Thatsachen beauftragt worden, das Agrikultur-Departement hat mehr oder weniger sach gemässe Versuche zur Urbarmachung der Reh-Felder gemacht, aber Nützliches hat sehr wenig dabei herausgeschaut. Nicht einmal Klarheit ist in die Sache gekommen, und die Regierung weiss auch heute noch nicht, ob die Kalamität stillsteht oder fortschreitet, selbst über die genauen Ursachen, auf welche die Salzbildungen zurückzuführen sind, wird noch gestritten. Nur darin stimmen so ziemlich alle Berichte überein, dass es kein ausführbares Mittel giebt, um wirkliches Reh-Land kulturfähig zu machen, und dass durch die vielen Bewässerungskanäle, welche das Land durch ziehen, das Grundwasser an vielen Orten gestiegen ist und neue Salzherde dadurch entstanden sind, während alte ver schwanden. Wenn man die Aktenstösse über die Reh-Frage durchliest, so wundert man sich ebenso sehr über die scharfsinnigen Bemerkungen der allerdings ganz ausgezeichneten administrativen Beamten, denen doch meist die elementarsten chemischen Kenntnisse abgehen, wie man erstaunt ist über die Verkennung der ein fachsten Dinge von Seiten der meisten chemischen Berather der Regierung. So schlug z. B. einer der letztern vor, die natür lichen Sodasalze auf Handels-Soda zu verarbeiten und nach England zu verschiffen, und stellte sogar eine Kostenrechnung darüber auf, während doch die amtlichen Einfuhrlisten zeigen, dass jährlich grosse Mengen englische Soda in Indien eingeführt werden. Das hiesse »Kohlen nach Newcastle senden«, wie sich das englische Sprüchwort ausdrückt. Von der praktischen Seite betrachtet, unbekümmert um theoretische Fragen, scheint mir die Sache ziemlich einfach zu liegen. Wie jeder gebildete Landwirth weiss, gehen in der Erde, soweit sie der Einwirkung von Luft und Niederschlägen aus gesetzt ist, fortwährend Zersetzungs-Prozesse vor sich, welche Nährstoffe freimachen, »Salze bilden«, und die Ursache sind, dass auch ohne Düngerzufuhr der Ackerboden Jahr für Jahr eine kleinere oder grössere Ernte hervorzubringen imstande ist. Es ist dies das bekannte »Gesetz des Minimums«. Ferner liegt es auf der Hand, dass je feiner die mineralischen Bestandtheile des Bodens, desto mehr Angriffspunkte den atmosphärischen Einflüssen geboten werden, und dass je höher die Temperatur, desto kräftiger die chemischen Prozesse vor sich gehen. Da der Boden der Reh-Gegenden nur aus Thon und feinem Sand besteht, und die Sonnenwärme während vieler Monate zwischen 70 und 80° C. beträgt, dazwischen auch hier und da ein kleiner Regen schauer fällt, so sind die Zersetzungs-Bedingungen die denkbar günstigsten. Das Land dort ist alluvial, und Bohrungen, welche in den letzten Jahren in Agra und Lucknow bis zu 600 und 800 Fuss Tiefe gemacht wurden, durchdrangen das Alluvium nicht. Wo der Untergrund durchlässig ist, oder das Land einiges Gefäll hat, werden die sich bildenden Salze, soweit sie nicht von Pflanzen aufgenommen werden, fortwährend den Flüssen und schliesslich den Meeren zugeführt. Wo aber, wie in den von Reh heimgesuchten Gegenden, an vielen Orten der Untergrund undurchlässig und das Land flach ist — in den North-West Provinces und im Panjab beträgt das Gefäll auf grossen Strecken weniger als 1 Fuss die englische Meile — bleiben die natür lichen Zersetzungsprodukte oder Salze an Ort und Stelle und häufen sich mehr und mehr an. Liegt die undurchlässige Schicht überdies nahe der Oberfläche, wie dies in der That in den Reh feldern stets der Fall ist, so bleiben auch die Salze in den obersten Schichten. Während der Regenzeit gehen sie in Lösung und ziehen mit dem Wasser nach unten, sodass die oberste Erd schicht oft genügend von Salzen befreit wird, um eine kümmer liche Vegetation hervorzubringen. Sobald aber die Regenzeit vorbei ist. beginnt die Verdunstung, und das salzhaltige Grund wasser wird durch die Kapillarität des Bodens an die Oberfläche gesogen. Das Wasser verdunstet und die Salze bleiben zurück. Je mehr der Boden austrocknet, desto reicher muss die Salz anhäufung an der Oberfläche werden. Diese Theorie deckt sich auch vollständig mit dem wirklichen Sachverhalt. Wie nahe die undurchlässige Schicht der Oberfläche sein muss, um Salzkrusten zu ermöglichen, weiss ich nicht, aber bei den meisten Rehfeldern, die ich gesehen habe, liegt sie nur 3 bis 4 Fuss tief. Namentlich fiel mir auf, dass auf allen Feldern, deren Salz gehalt hauptsächlich aus kohlensaurem Natron besteht — und andere hatten kein Interesse für mich — über der undurchlässigen Schicht stets Kalk in Nieren lag, der in meinem letzten Bericht schon besprochene sogenannte Känkar. Es ist dies jedenfalls auch ein durch Zersetzung der Boden-Bestandtheile entstandenes Salz, welches sein Lösungsmittel verloren hat. Die vielbespottete Behauptung der Indier, dass Känkar »wachse«, und man nach einer Reihe von Jahren an der gleichen Stelle wiederum Känkar graben könne, hat daher für mich nichts Lächerliches. Ich habe überhaupt öfter Gelegenheit gehabt zu bemerken, dass die Ein geborenen in allen Theilen Indiens scharfe Beobachter sind, undselbst ihren abenteuerlichsten Geschichten oft wirkliche Thatsachen zu Grunde liegen. Die gleiche Erfahrung haben ja s. Zt. auch die Agrikultur-Chemiker mit unsern Bauern machen müssen, welche sich gegen Befolgung unreifer Liebig’scher Theorien sträubten. Der auf Sodafeldern nie fehlende Känkar ist jedenfalls an der Bildung von kohlensaurem Natron betheiligt. Die natürlichen Salze, das »Reh«, haben selbstverständlich die verschiedenste Zusammensetzung. Bald lässt sich durch einfache Krystallisation aus den Salzen kohlensaures Natron, bald Glaubersalz, und wieder aus andern Kochsalz gewinnen. Die Felder, aus deren Salzen sich Chlornatrium herstellen lässt, dürfen aber nicht ausgebeutet werden, da Kochsalz ein Monopol der Regierung ist. Viele Felder ergeben auch ein ziemlich gleichmässiges Gemisch der erwähnten Salze, und werden dann nicht benutzt, weil dem Soda-Verbraucher das Glaubersalz eine unwillkommene Verunreinigung ist, und anderseits das Glauber salz ziemlich frei von Kochsalz und Soda verlangt wird. Natürlich enthalten die meisten Auswitterungen auch Magnesia- Salze, ob letztere aber irgendwo einen höhern Prozentsatz betragen weiss ich nicht, sondern nur, dass sie an vielen Orten das Brunnen wasser fast ungeniessbar machen. Der Salzgehalt des Bodens ist überhaupt im nördlichen Indien an vielen Orten sehr hoch. So giebt es z. B. in der über 200 000 Einwohner zählenden Stadt Agra, deren Namen auf das indische Wort »gar« bitter zurück geführt wird, nur wenige Brunnen, deren Wasser nicht laugenartig schmeckt. Man erkennt selbst sehr geringen Alkali-Gehalt deutlich, wenn mit dem betreffenden Wasser Thee aufgebrüht wird. Als die Verkehrsmittel noch nicht so vollkommen waren wie jetzt, liess der Staat an vielen Orten durch die Eingeborenen unter sorgfältiger Ueberwachung Salzgärten anlegen. Die verschiedenen Theile Indiens hatten damals verschiedene Salz preise und wurden durch eine mitten durchs Land sich hin- und herziehende Dornenhecke von zweitausend oder mehr Meilen Länge getrennt, die streng zu bewachen war. Die Abenteuer, welche die Beamten mit Schmugglern zu bestehen hatten, hörten sich oft wie Marryat’sche Räubergeschichten an. Namentlich viel Verdruss verursachten die vielen zerstreuten Staaten und Stäätchen der Rajahs. Jetzt ist der Salzpreis in ganz Indien, auch in den Staaten der eingeborenen Fürsten, derselbe, nämlich 21/2 Rupien der indische »maund«, nach dem jetzigen Kurse ungefähr 7 M. die 100 kg. — Salz, welches zu gewerblichen Zwecken verwendet wird, giebt die Regierung zu 1 M. 40 Pf. die 100 kg ab. Die kleinen Salz-Anlagen im Innern sind längst geschlossen; dagegen wird noch Meersalz in der Madras-Präsidentschaft gewonnen und der grosse Salzsee »Sambher lake« in Rajpootana von der Regierung ausgebeutet. Im nördlichen Panjab, in den »Salt ranges«, baut die Regierung grosse Steinsalzlager ab. Dort finden sich auch Gipsfelsen, meines Wissens die einzigen Indiens. Auch aus den Salpeter-Raffinerien, die ebenfalls unter Aufsicht stehen, erhält die Regierung etwas unreines Salz. Da ich von Salpeter spreche, will ich gleich erwähnen, dass die Reh-Felder keinen Salpeter enthalten; der indische Salpeter, auf den ich später zu sprechen komme, hat einen ganz andern Ursprung. Pahdri.