Volltext Seite (XML)
1416 PAPIER-ZEITUNG Nr. 40 Berichte unserer Korrespondenten Aus Russland St. Petersburg, April 1897 Ein gewissenhafter Berichterstatter kann leicht in arge Verlegenheiten kommen, er möchte nicht die Schuld auf sich laden, über wichtige Ereignisse nicht rechtzeitig berichtet zu haben, aber noch viel weniger Thatsachen mittheilen, die noeh schwankend sind. Von den bestunterrichteten Seiten wird schon seit Wochen als feststehende Thatsache hingestellt, dass der grosse Kampf zwischen den russischen und finnischen Papierfabrikanten, der endgiltig durch ein neues Zollgesetz geregelt werden soll, entschieden ist, und das neue Gesetz auch schon mit dem 20. Mai a. S., d. i. am 1. Juni d. J. in Kraft tritt. Ungeachtet aller Erkundigungen war es mir nicht möglich, einen Abdruck dieses Gesetzes zu Gesicht zu be kommen; ich konnte nur erfahren, dass es in einer Druckerei fertig abgezogen daliegt, aber noch nicht der Oeffentlichkeit übergeben werden kann, da noch die entscheidende Unterschrift fehlt. Dennoch soll es in weniger als Monatsfrist alle bisherigen Verhältnisse über den Haufen werfen. So unglaublich dies auch jedem Fernstehenden klingt, wird es den mit den hiesigen Verhältnissen Bekannten doch wenig in Erstaunen setzen, denn wir sind allmälig an die merkwürdigsten Zoll-Ueberraschungen gewöhnt worden. Wie ausserordentlich das neue Zollgesetz in die Interessen der russischen und finnischen Papierfabrikanten einschneidet, geht schon daraus hervor, dass beide Theile da durch gezwungen werden, ihre bisher durch die natürlichen Grundlagen bedingten Sorten zu ändern. Finland war durch seine Holzreiehthümer und Wasserkräfte auf die Erzeugung von Holzschliffpapieren, wie Zeitungsdruck und Tapeten, an gewiesen, Russland durch sein vorzügliches Material an Hadern auf die Erzeugung der besseren Papiere. Das Streben der russischen Fabrikanten, welche grosse Kapitalien in Holzzellstoff- Anlagen festgelegt haben und auch, wenn auch bedeutend weniger, in Schleifereien, denn an Holz ist auch hier kein Mangel, ging nun seit Jahren dahin, durch einen Zoll gegen das finländische Erzeugniss, das infolge des selbständigen finnischen Zollsystems bedeutend billiger hergestellt wird, ge schützt zu werden. Dies ist auch erreicht worden, wenigstens in der Theorie, denn wie es in der Praxis aussehen wird, bleibt abzuwarten. Der Zoll auf diese minderwerthigen Papiere wird nach dem neuen Gesetz von 30 Kopeken auf 50 Kopeken in Gold erhöht, was einer Erhöhung von 30 Kopeken Papier währung auf das Pud, d. i. 3/. Kopeken auf das Pfund, gleich kommt. Offenbar hat es den zur Entscheidung dieser wichtigen Angelegenheit Berufenen zu viel Schwierigkeiten bereitet, eine Eintheilung der verschiedenen Papiersorten durchzuführen, und da hat man einfach bestimmt, dass alle Sorten mit Ausnahme der Seiden- und Luxus-Papiere denselben Zoll zahlen sollen. Die besseren Papiersorten zahlten bisher 80 Kopeken Gold, d. i. 3 Kopeken das Pfund, während sie jetzt weniger als 2 Kopeken das Pfund zu zahlen haben. Die unausbleibliche Folge ist, dass die finnischen Fabri kanten alle ihre Kraft auf die Herstellung der besser bezahlten Sorten legen müssen, für die sie hierher nur denselben Zoll, wie für die billigen Holzpapiere zu zahlen haben, während sich die russischen E'abri kanten mit den stets minder lohnenden billigerenPapieren begnügen müssen. Scheinbar ist ja ein Schutz- Zoll von nahezu 2 Kopeken das Pfund, zwischen 3 und 4 Pf., ganz genügend, doch wer die schwierigen Verhältnisse kennt, unter denen der russische Fabrikant arbeitet, namentlich die un- verhältnissmässig grossen Kapitalien, die hier unumgänglich sind, wird verstehen, dass dadurch noch bei weitem kein Aus gleich geschaffen ist, und diejenigen, die es nicht sehen, werden durch die Folgen belehrt werden. Das Schlimmste ist aber immer die herrschende Ungewissheit, die es nicht ermöglicht, rechtzeitig geeignete Maassregeln zu ergreifen. Die russischen Fabrikanten können im Augenblick nichts thun, als was sie schon solange gethan haben, abwarten, während die finnischen die ihnen gebliebene kurze Zeit ausnutzen, um den russischen Markt mit billigen Papieren derart zu überschwemmen, dass der Bedarf darin wohl für lange Zeit gedeckt sein wird. Der Zollsatz für braune Holzschliff-Papiere sowie für Holz- Pappen und -Schliff soll unverändert bleiben. Die diesjährige Stockholmer Ausstellung wird vielleicht manchen der Herren vom Fach veranlassen, den so sehr interessanten und lohnenden Weg über hier und Finland zu nehmen. Jeder kann sich der freundlichsten Aufnahme ver sichert halten. Wem es seine Zeit gestattet, dem ist die Tour Petersburg, Wiborg (Imatra), Tammerfors, Abo, Stockhohn ausserordentlich zu empfehlen, und die Zeit bis Ende Juni mit den herrlichen nordischen Nächten ist dafür am allergeeignetsten. nn Aus dem nördlichen Schweden Harnäs, 9. Mai 1897 Nachdem am 2. November 1896 der erste Schnee gefallen war, und zwar so massenhaft, dass man ihn an schattigen Plätzen noch heute fusstief antrifft, stellte sich auch bald Frost ein, und am 15. November fror unser Hafen Gefle zu. Von da an war Versand zu Wasser, wenn nicht gerade unmöglich, so doch sehr kostspielig. Zwei schwedische Häfen, Helsingborg und Göteborg, sind auch im stärksten Winter offen, davon kommt aber der erste für den Norden garnicht in Betracht, und letzterer wird nur im äussersten Nothfall benutzt, da bei Zellstoff die Fracht den grössten Theil des Verdienstes auffrisst. Für Schliff ist an Landfracht überhaupt nicht zu denken. Es ist den deutschen Lesern wenig bekannt, was ein nordischer Winter heisst. Beinahe sechs Monate ist überall Schnee, wo das Auge hinblickt. Das neue Jahr brachte uns lange Zeit hindurch eine Durchschnittskälte von — 29 0 C., am 21. und 22. März, wo nach dem Kalender der Frühling anfängt, hatten wir — 171/2 0 0. Auch heute ist hier noch kein grüner Halm zu finden, aber die Temperatur ist schon mild. Ende April schmolz das Hafen-Eis langsam weg, am 3. d. M. lief der erste Dampfer ein, und seitdem kommen täglich zahlreiche Schiffe aller Nationen an. Meine Wohnung liegt in der Mitte des Bogens, welcher den Hafen bildet, und von hier zähle ich heute, links auf der Harnäs- Werftseite, drei Frachtdampfer, 17 grössere und kleinere Drei master- und Zweimaster-Segelschiffe, rechts gegen Skutskär lauter grosse Frachtdampfer. Binnen drei Tagen wurden von der hiesigen Fabrik zwei Dampfer mit 850 Tonnen Natron- Zellstoff nach England verladen, von morgen an wird für Deutschland verladen. Es wurde mir vom Direktor des Schiffs- Büreaus mitgetheilt, dass der Versand von Natron-Zellstoff nach Deutschland fortwährend zunimmt, während Sulfitstoff von hier garnicht dorthin geht. Heute, Sonntag, besuchte ich bei Harnäs einen deutschen Frachtdampfer (die »Henriette« aus Rostock), welcher 680 Tonnen Sulfit-Zellstoff einnahm. Ich wurde vom ersten Steuermann Herrn Burkhardt freundlichst empfangen, er theilte mir mit, dass er im .vorigen Jahre elf solche Ladungen Sulfitstoff nach England gebracht hat, und für diesen Sommer, d. h. für die diesjährige Fahrzeit, steht der Dampfer in denselben Diensten. Gleich nebenan lag ein schwedischer Frachtdampfer, auch diesen be suchte ich, der Kapitän theilte mir mit, dass er über 400 Tonnen Sulfit-Zellstoff für Amerika ladet. Uebcr das ganze Werft-Ufer läuft die Eisenbahn, vor diesen beiden Schiffen standen 23 Doppelwagen Sulfitstoff zum Einladen. An Sonntagen ruht hier jede Arbeit. Die Haupt-Ausfuhrwaare im hiesigen Hafen ist nicht Zell stoff, sondern rohes und geschnittenes Holz. Segelschiffe laden nur Holz, desgleichen die meisten Frachtdampfer. C. Hennefeld Vorsicht! In Nr. 33 warnte die Firma Heinr. Arthur Hoesch in Düren vor der Firma Heubel c Co. in Rotterdam. Die angegriffene Firma schickt uns eine umfangreiche Entgegnung, worin eie ihre geschäftlichen Beziehungen zu Papier-Fabriken und -Handlungen schildert, auf deren Wiedergabe wir verzichten, weil sie weder für die Leser interessant sind, noch auch eine thatsächliche Berichtigung der Hoesch’schen Angaben enthalten. Heubel & Co. behaupten, dass die von H. A. Hoesch mitgetheilten Auskünfte falsch sind, beklagen die Veröffentlichung, weil ihr Kredit darunter leidet und kündigen an, fortan soviel wie möglich gegen Konnossement zu kaufen, damit die Lieferanten wieder Vertrauen zu ihnen gewinnen. Ferner fragen Heubel & Co., ob sie den Einsender der Mittheilung in Nr. 33 nach deutschem Gesetz mit Aussicht auf Erfolg verklagen können. Diese Frage müssen wir verneinen, da der Einsender zweifellos in Wahr nehmung berechtigter Interessen gehandelt hat. Doppelzentner = 100 kg = dz Nach einem Beschluss des Bundesrathes vom 8. v. M. soll im amtlichen Verkehr sowie bei dem Unterricht in den öffent lichen Lehranstalten als Bezeichnung für 100 kg das Wort »Doppelzentner« mit der Abkürzung »dz« in Anwendung ge bracht werden.