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2546 PAPIER-ZEITUNG. Nr. 80. Schweizerische Papierfabriken. Reisebericht von Adolf Spitteier. Fortsetzung zu Nr. 79. Papierfabrik Biberist. Unberührt vom Touristenstrom, welcher jeden Sommer die Schweiz durchzieht, liegt an der Jurakette, am Fusse des Weissen- steins, das alterthümliche Solothurn mit seinem schiefen Thurm, der schönen bischöflichen Kathedrale und dem kleinen Zeughaus, das sowohl für den Alterthumsforscher als auch für die Kinder viel Anziehungskraft hat. Jener durchstöbert die modernden Schätze nach Kunde aus dem grauen Alterthum, die Hebe Jugend aber veranlasst den neuangekommenen Kameraden auf eine gewisse Stelle des Fussbodens zu treten, wo dann plötzlich ein kleines hölzernes Mannli an der Wand dem nichtsahnenden Opfer Wasser ins Gesicht spuckt. Wenn wir jedoch Biberist besuchen wollen, so steigen wir, von Olten kommend, gleich in Neu-Solothurn aus, drehen der Aare .mit dem dahinterliegenden Solothurn sammt dem Weissenstein den Rücken und folgen in offenem Wagen der Landstrasse, die sich vor uns einem niedrigen, mit Tannen be wachsenen Hügelzug zur Rechten entlang schlängelt, während links unten im Grunde, verborgen durch wellig ansteigende Ackerfelder, die Emme durch das liebliche Thälchen der nahen Aare zufliesst. Wir hätten auch die Zweigbahn benutzen können, deren erste Station Biberist ist, aber dann hätten wir uns um eine reizende Spazierfahrt gebracht, die uns allmälig höher führt, bis wir etwa 4 km von Neu-Solothurn zu den ersten Häusern und dem Kirchlein des Dorfes gelangen, wo wir eine reiche weite Ebene vor uns er blicken, mit freundlichen Dörfchen inmitten saftiger mit Obst bäumen besetzter Wiesen. Links und rechts ist die Ebene, aus der hier und dort die Emme glitzert, von dunkeln Tannenwäldern lind in blauem Duft sich verlierenden, immer höher sich thürmenden Hügeln und Bergen begrenzt; in der Mitte wird der Horizont durch die prächtigen Berner Alpen mit ihren weissen Häuptern ab geschlossen. ein herrliches Bild ewiger, lächelnder, unnahbarer Ruhe, das verkörperte Nirwana. Doch wenden wir uns zur Linken wo, nur wenige Minuten enfernt, am Fusse des Hügels sich Gebäude an Gebäude reiht, eine kleine Stadt für sich. Schon lange haben die hohen schlanken Kamine über den Hügel geguckt, als wollten sie uns den Weg zeigen. Jetzt sehen wir auch die massigen Sulfitthürme und wissen, das ist die Papierfabrik Biberist. Bald sind wir unten, überschreiten die Brücke über die etwa 70 Fuss breite Emme und gelangen durch die lange Birnbaum-Allee, welche die vordere Grenze des ausgedehnten Grundstückes bildet, und aus deren Früchten sich die Herren Direktoren ihren trefflichen Most brauen, zu der Fabrik selbst. Die lebenstreue Büste vor uns von Oscar Miller, in farbigem Blumenbeet, sagt uns, wessen Geistes Kind die Anlage ist, welcher Stirn die Gedanken entsprungen sind, die wir hier in Stein und Eisen festgebannt sehen. Die Fabrik wurde in 1862 von einer Aktiengesellschaft mit Oscar Miller an der Spitze gegründet. Jetzt wird sie geleitet von seinem Schwiegersohn, Direktor Eisenmann, seinem Sohne Oscar und Direktor Leuthold. Die Gesellschaft arbeitet in Biberist mit vier Maschinen, in ihrer Anlage zu Worblaufen a. d. Aare bei Bern mit einer Maschine. Die Gesammterzeugung beträgt etwa 5000 Tonnen Papier im Jahr. In Biberist selbst werden alle Sorten, vom feinen liniirten und unliniirten Schreib- und Post papier bis zum gewöhnlichen Rotationsdruck hergestellt. Worb laufen beschränkt sich ausschliesslich auf gewöhnliches Druckpapier. Ganz besondere Aufmerksamkeit wird der Verarbeitung von Lumpen gewidmet, welche mit einer Sorgfalt sortirt und behandelt werden, die sich nicht leicht übertreffen Hesse. Die Einrichtungen sind für eine Tageserzeugung von 4—5000 kg Hademstoff be messen. Die Aufbewahrungszellen für die verschiedenen Sorten und Farben, die staubsichern Abtropfkästen mit den dazu ge hörenden Gängen beanspruchen jedenfalls eine Grundfläche von über 1/8 Hektar! Das Kochen geschieht ausschliesslich mit Kalk aus dem nahen Jura. Die Lumpen werden nach dem üblichen Dreschen an den mit Drahtgeflecht überdeckten Sortir-Tischen von Hand zerschnitten. Obschon keine Staub - Absaugvorrichtungen vorhanden sind, ist der hohe helle Saal dennoch fast ganz staub frei. Nach dem Kochen werden die Lumpen in das hintere Ende der Waschmaschine eingetragen. Sie besteht aus einem langen Trog mit einer Anzahl quer durch denselben gelagerten, mit Gabeln be setzten rotirenden Trommeln, welche die Lumpen allmälig nach dem vordem Ende schaffen, wo das frische Wasser einfliesst. Lumpen und Wasser durchlaufen also den Trog in entgegen gesetzter Richtung, sodass die Lumpen schliesslich von ganz reinem Wasser gewaschen werden. Von den Halbstoff holl ändern im ersten Stock gelangt der Stoff durch ein Pumpwerk in die grossen, etwa 900 kg haltenden Bleichholländer aus Gement im zweiten, obersten Stock. Das Bleichen geschieht mit ganz besonderer Sorgfalt, denn 1 kg Chlorkalk den Lumpen zugesetzt, nützt der Weisse des Papiers mehr als 2 oder 3 kg an Sulfitstoff gewendet. Der gebleichte Stoff wird in die Abtropfkästen im ersten Stock abgelassen, wo er bis zu seiner Verwendung in den auf dem gleichen Boden befindlichen Ganzzeug-Holländern lagert. Da gegen dreissig Abtropfkästen vorhanden sind, zur Hälfte auf der einen, zur Hälfte auf der andern Seite eines Schienenweges, so kann für die verschiedensten Bedürfnisse der Fabrik stets reichlich Vorrath gehalten werden. Die Kästen, nach dem System Monier gebaut, bestehen unten und auf den Seiten aus eisernem Gitterwerk, das mit Cement bekleidet ist. Hierdurch ist möglichste Leichtigkeit mit grosser Dauerhaftigkeit verbunden. Sie sind etwa 10' hoch, 7' lang und 10' tief, oben sind sie geschlossen; im vordem Ende, gegen die Gänge, befindet sich die Thür zum Herausnehmen des Stoffes, in dem andern Ende ist ein Fenster eingemauert. Zum Ablaufen der Flüssigkeit hat der Boden die üblichen durch löcherten Thonplatten. Die lagernden Vorräthe zeigten zum Theil ganz vorzügliche Weisse, obschon der Verbrauch an Chlorkalk 2 bis 3 pCt. nicht übersteigt. Unter den vielen, zum Theil kupfernen Holländern in allen Grössen arbeiten auch fünf nach System Huber, von Escher Wyss & Co. gebaut; ihr Haupt vorzug scheint die verhältnissmässig grosse Mahlfläche zu sein, wodurch an Zeit und wohl auch an Kraft gespart wird. Immer hin sind auch die ersten kleinen Holländer der Fabrik, die schwer lich über 100 kg Stoff halten werden, noch immer in vollem Be trieb und surren neben ihren grossen Brüdern lustig darauf los. Dagegen wird der Schulte’sche Raffineur, den ich bei meinem Besuch in 1889 in voller Beschäftigung sah, nur noch gelegentlich als Stoffmischer benutzt. Die vier Papiermaschinen sind in verschiedenen Flügeln des ausgedehnten Gebäudes zu ebener Erde aufgestellt. Die älteste derselben wird nächstes Jahr durch eine Maschine ersetzt werden, welche Escher Wyss & Co. für die schweizerische Landesaus stellung in Genf bauen und jedenfalls das Beste sein wird, was die bedeutende Maschinenbauanstalt auf diesem Gebiet zu leisten vermag. Diese neue Maschine ist besonders zur Herstellung von feineren Papieren bestimmt. Auf einer der Maschinen, welche feines Papier von Kartondicke machte, fiel mir als Neuerung ein kurzes Obersieb ■ auf, welches um die obere Gautschwalze in gleicher Weise läuft, wie das gewöhnliche Sieb um die untere Walze. Die Papierbahn geht also zwischen zwei Sieben durch die Gautschwalzen, wodurch ausnehmend schöne Durchsicht erzielt wird, wie der eben laufende Karton bewies. Leider war meine Zeit zu kurz, um mich in die Einzelheiten der grossen Anlage zu vertiefen. Ich sage leider, denn in Biberist ist man immer sicher, bei jedem Besuche wieder Neues und Lehr reiches zu finden. Bei der vortrefflichen Anordnung der Fabrik von Anfang an fügt sich jede Neuerung oder Erweiterung in das bereits Bestehende so natürlich ein, dass ein Besucher, der die Anlage nicht früher schon gesehen hat, schwerlich sagen könnte, was neu und was alt ist. Die Wasserkraft, über welche Biberist durch die hart hinter der Fabrik vorbeifliessende Emme und die elektrische Kraftübertragung aus dem 30 km entfernten Frinvillier verfügt, beträgt 600 PS. Eine für den allgemeinen Betrieb zur Verfügung stehende Dampf maschine liefert weitere 200 PS. Die schöne Sulfitstoff-Anlage mit ihren liegenden und stehen den Kochern, welche mein zur Zeit in der Sommerfrische weilender Freund Direktor Oscar Miller jr. in seiner besondern Obhut hat, besichtigte ich diesmal nicht, dagegen erklärte mir mein gütiger Cicerone, Direktor Eisenmann, die im Bau begriffene neue Kesselanlage, in welcher vier grosse Cornwall - Kessel von je 100 qm Heizfläche mit Galloway-Röhren, je zwei von Escher Wyss & Co. und Gebrüder Sulzer, bereits eingemauert sind. Die neuen Kocher werden gleich den alten mit 7 Atmo sphären Ueberdruck arbeiten. Eine Vergrösserung der Erzeugung ist damit nicht beabsichtigt, wohl aber eine wesentliche Verbesse rung der Anlage. Die Gesammtzahl der Dampfkessel beträgt dreizehn, wovon sechs durch die Sulfitstoff-Anlage in Anspruch genommen werden, welche nur für den eigenen Bedarf arbeitet. In ihren nahe beisammen liegenden Schleifereien zu Rondchätel und Frinvillier im romantischen Berner Jura stellt Biberist Schüft' sowohl für den eigenen Bedarf als auch zum Verkauf her. Das saubere, zufriedene Aussehen der Arbeiter — es werden ein schliesslich der Zweiganlagen 720 beschäftigt — macht auf den Be sucher einen sehr angenehmen Eindruck; weder städtischer Tand noch Nachlässigkeit in der Kleidung ist hier zu sehen. Der grosse