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730 PAPIER-ZEITUNG. Nr. 23. Die einzige Möglichkeit, den bevorstehenden Handelsvertrag nutzbar zu machen, besteht darin, dass sich grosse Kommissions-Firmen mit einem in Rubeln berechneten Musterlager hier niederlassen; nur dann ist auf ein lebhaftes Geschäft in Kurz- und Modewaaren, sowie Phantasie- Artikeln zu rechnen. Geschieht das nicht, so sind die neuen Zollsätze ohne Bedeutung. Man wird wohl in der ersten Zeit etwas flotter kaufen, aber der Rückschlag wird nicht ausbleiben, und von regelmässigen Geschäften kann natürlich unter solchen Umständen nicht die Rede sein. S. Papierfabrikation in Indien. Nachdr.-verboten. Papier-Fasern. Fortsetzung zu Nr. 19. Bhaber - Gras ist der wichtigste Rohstoff der Papierfabriken in Bengalen. Es sieht wie Esparto aus und hat auch eine gleich- werthige Faser. Das Gras wächst wild und ist namentlich in den sog. Sub-Himalaya-Distrikten sehr verbreitet, kommt aber auch in Central-Indien und selbst in der Madras-Präsidentschaft vor. Je nach der Gegend wird Bhaber auch Baib, Sawer, Sabhoy usw. benannt. Unter »Sub-Himalaya« versteht man die Vorberge der mehrere tausend englische Meilen langen, die nördliche Grenze Indiens bildenden Himalaya-Kette. Der wichtigste Staat dieser Gegenden ist das unabhängige Nepal, welches der britisch-indischen Regierung gestattet, einige zwanzigtausend ihrer Leute für ihr Heer anzuwerben. Diese »Gurkas« bilden die Elite der indischen Truppen. Es sind kleine, untersetzte Leute, immer fröhlich und allgemein beliebt; aber wenn’s zum-Schlagen kommt, hält ihnen selbst der fanatische Afghan nicht Stand. Während des Sepoy- Aufstandes hielten die Gurkas treu zu den Engländern und leisteten ihnen die grössten Dienste. Die grossen Flüsse, welche dem Himalaya entspringen und von Assam bis zum Panjab sämmtlich in den Ganges fliessen, ermöglichen es, das Bhaber-Gras aus den verschiedensten Gegenden ohne grosse Kosten nach den Fabriken zu bringen. Es wird mit 5—51/2 M. die 100 kg in Calcutta bezahlt. Da es sich wie Esparto verarbeitet, an welches sämmtliche englische und schottische Papiermacher gewöhnt sind, ist Bhaber wohl in allen Fabriken der beliebteste Rohstoff. Man hat weder beim Kochen, Bleichen noch auf der Maschine die geringste Schwierigkeit damit. Gewöhnlich schliesst man die Kontrakte für die Graslieferungen mit der Bedingung ab, dass der Sortirverlust nicht mehr als 5 pCt. betragen darf, muss aber, wie bei allen Kontrakten mit Eingeborenen, bei der Lieferung ein Auge zudrücken. Die Verunreinigungen bestehen meist aus fremden Gräsern; Wurzeln hängen dem Bhaber selten an, lange nicht so häufig wie dem Esparto. Die fremden Gräser müssen sorgfältig ausgelesen werden, denn sie sind sämmtlich verholzter als Bhaber und kochen sich daher nicht weich. Besonders scharf muss auf Blätter von Bäumen gefahndet werden, weil sie durchs Kochen schwarz werden und den Stoff verunreinigen. Am einfachsten und sichersten wird sortirt, wenn man etwa 5 Fuss breite und 12 Fuss lange weitmaschige Hanfnetze auf Pflöcken in Tischhöhe ausspannt. Das Gras wird auf das eine Ende des Netzes aufgetragen und von Hand zu Hand nach dem andern Ende weitergeschoben. Von den auf jeder Seite stehenden drei Frauen öffnet je die erste während des Weiterschiebens die Büschel und breitet sie aus, während die andern die fremden Gräser auslesen. Blätter, Holz stücke und andere kleine Verunreinigungen fallen von selbst durch die Maschen des Netzes. Das Sortiren kostet 12—15 Pf. die 100 kg. Diese Arbeit muss gut überwacht werden. Weitaus am besten zu diesem Zwecke eignen sich Mädchen von 10 bis 12 Jahren. Sie haben Augen wie Sperber, sind flink, gucken frisch und frei in die Welt hinein und legen ihr Herz in die Arbeit, wie sich der Indier ausdrückt, wenn man sie nur freund lich behandelt. Ein Mädchen genügt zur Ueberwachung von vier Netzen oder 24 Frauen, und es ist oft eine wahre Freude, wie die kleinen braunen Backfische die Sortirerinnen ausschelten, wenn sie nachlässig sind und schlecht auslesen. Wieviel Arbeit und Verdruss man sich in Indien mit Hilfe solcher Kinder ersparen kann, davon haben Wenige einen Begriff. Hier und da ein kleines Geschenk — 50 Pf., richtig angewendet, genügen für 6 Monate — jeden Tag ein gutes Wort oder wenigstens ein freundlicher Blick, und alle paar Wochen ein mehr oder minder kräftiger Vorwurf genügen, um die kleinen Herzchen zu gewinnen, sodass sie selbst ihren eigenen Verwandten gegenüber das Interesse ihres Herrn vertreten. Die Ausdauer und Geschicklichkeit der kleinen Mädchen ist bewundernswerth. In Süd-Indien z. B. verdienen Mädchen von etwa 10 Jahren oft dreimal soviel beim Kaffeesortiren, wo stets nach der Menge bezahlt wird, als die meisten Frauen. Nur schade, dass die Herrlichkeit nicht lange dauert. Denn mit 12 oder 13 Jahren heirathen sie, werden zimperlich, und aus dem gescheidten flinken Kinde wird meistens nach und nach eine denkfaule, schwerfällige Frau. Zum Kochen von Bhaber braucht man, mit 30—40 Pfund Ueberdruck und 9 Stunden Kochzeit, 15—16 pCt. 70 prozentiges Aetznatron (101/2—11 pCt. Nag O). Das Waschen in gewöhn lichen Halbstoff-Holländern nimmt 4 Stunden in Anspruch, das Fertigmahlen weitere 3—4 Stunden. Das Bleichen erfordert etwa 10 pCt. Chlorkalk. Aus 100 kg sortirtem Gras erhält man 42 bis 44 kg unbeschwertes Papier. Wenn Biiaber sorgfältig verarbeitet wird, so lässt sich das daraus erzielte Papier von Esparto-Papier auch im Griff schwer unterscheiden; ich wenigstens vermöchte es nicht. Der einzige Fehler, den die geschmeidige Bhaber-Faser hat ist, dass das Papier etwas zu lappig wird, wenigstens für den jetzigen Geschmack, der sich an Stroh- und Sulfitstoff-Papiere gewöhnt hat. Vor Jahren verarbeitete eine Calcutta-Fabrik für ihre besten Papiere mit Vorliebe eine Stoffmischung von 90 pCt. Bhaber und 10 pCt. Hanf, also ähnlich den feinen englischen Fabriken, welche 90 pCt. Esparto mit 10 pCt. Leinenhadern ver mischen. Der gegenwärtige jährliche Verbrauch von Bhaber ist etwa 10 000 Tonnen. Da, wie schon erwähnt, das Gras sehr weit verbreitet ist, wird auch der durch die neu erbauten Papier-Fabriken entstehende grössere Bedarf leicht gedeckt werden können. Wie mir ein Indigo-Pflanzer in Tirhoot mittheilte, welcher Bhaber zur Herstellung von Grasstricken für den Hausgebrauch anbaute, liesse sich dasselbe bei etwas höheren Preisen auch vortheilhaft an pflanzen. Bis jetzt kommt nur wild gewachsenes Gras in den Handel. Einige Monate vor Beginn der Ernte erkundigen sich die Händler bei den Papierfabriken über deren muthmaasslichen Bedarf und treffen dann mit den Bergbewohnern ein Abkommen für das Schneiden und Herbeischaffen der gewünschten Menge. Munj (gesprochen Munsch), ein wild wachsendes Gras, ist für die Papierfabrikation in Indien ebenfalls von grösster Wichtigkeit. Die Pflanze, eine Saccharum-Art, sieht schilfartig aus, wächst aber in Büscheln. Sie wird mit ihren grossen weissen Blüthen- fahnen bis über zehn Fuss hoch und bedeckt um Cawnpore, Agra, Delhi herum Hunderte von Quadratmeilen. Namentlich gedeiht Munj gut auf sandigem Boden, wie z. B. in dem alten Bett des Ganges im Ferrukhabad - Distrikt. Das Gras selbst wird als Faserstoff nicht benutzt, sondern nur der dünne Bast der Blüthenstengel. Derselbe wird seit alten Zeiten von den Ein- gebornen zu Seilerwaaren verarbeitet und ist namentlich für Stricke, mit welchen die Boote auf dem Ganges und den vielen Kanälen geschleppt werden, geschätzt. Munj hat nämlich, wie die Cocosfaser (Coir) die Eigenschaft, im nassen Zustand besonders zäh zu sein. Lässt man dagegen ein Munj-Seil an der Sonne austrocknen, so wird es so spröde, dass es durch wieder holtes Umbiegen an ein und derselben Stelle in Staub zerfällt und bricht. Ueberall, wo Munj wächst, ist es der für Bindfaden und Stricke am meisten gebrauchte Rohstoff. Den Bast kann sicli der Indier meist unentgeltlich von dem nächsten Munj-Feld holen und nach Befeuchten und Ausklopfen ohne Mühe selber zu dem für alle möglichen Zwecke verwendbaren Bindfaden von etwa 1/2 cm Durch messerdrehen. Nägel gebraucht bekanntlich der gemeine Mann nicht, sondern bindet Alles, was sich nur binden lässt. Seine Lehmhüttez.B. deckt er mit irgend einer Grasart, mit Vorliebe mit den langen Seiten blättern, dem eigentlichen Gras der Munj-Pflanze und bindet die Grasbüschel mit Munj-Bindfaden auf die quer über die Wände etwa einen Fuss von einander entfernt liegenden Bambus fest. Ein solches Dach, wenn sorgfältig gemacht, ist vollkommen regen dicht und hält infolge seiner Elastizität die grössten Stürme aus. Nur darf der Munj - Bindfaden während der heissen trockenen Jahreszeit nicht geöffnet werden, sonst zerbröckelt er. Statt das Dach, wenn es schadhaft geworden ist, umzudecken, legt der Eingeborene einfach weitere Schichten Gras über die vorher gehenden, solange es irgend angeht, und erhält auf diese Weise ausgezeichneten Schutz gegen die Sonne und die kalten Winter nächte. Das Befestigen der neuen Grasschichten geschieht mittels eines sichelförmig gebogenen dünnen Eisenstabes, an dessen Spitze das eine Bindfaden-Ende befestigt wird. Dieser Stab wird durch die Grasschicht gestossen und um den darunter liegenden Bambus geführt. Durch die starke Biegung des Eisens kommt die Spitze mit dem Bindfaden wieder heraus, wenn man das andere Ende tief genug in das Grasdach eindrückt, sodass man nun das Gras fest an den Bambus anschnüren kann. Aehnliche Grasdächer, aber dicker, werden auch für die Häuser der Europäer viel ver wendet, sind kühl, aber sehr feuergefährlich. Fängt ein solches Dach Feuer, so geht gewöhnlich fast alle Habe verloren, denn in wenigen Minuten schon stürzt es ein und verwandelt das ganze