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668 PAPIER-ZEITUNG. Nr. 21. Verunreinigung der Wasserläufe und Schädigung der Fischerei. Nachdruck verboten. Gutachten, erstattet vom fischereilichen Standpunkte zur Frage der Wasser - Verunreinigung durch die Sulfitcellulosefabrik Aschaffenburg in ihrer jetzigen und der weiter projektirten Gestaltung (Einrichtung eines weitern Etablissements). Von F. Zenk, Ehrenpräsident des unterfränkischen Kreisfischerei- Vereins, Ehren- und korrespondirendes Mitglied des bayerischen, deutschen Fischerei-Vereins usw. I. Allgemeines. Der Herr Kommerzienrath Philipp Dessauer, Direktor der obigen Fabrik zu Aschaffenburg, hat mich im Mai 1893 gebeten, »über den Einfluss der Abwässer der jetzigen und der projektirten zweiten Sulfitcellulosefabrik Aschaffenburg auf Aschaff und Main, die dadurch hergebrachten Schäden und die Mittel zu deren Abhilfe, vom fischereilichen Gesichtspunkte aus —« ein motivirtes Gutachten abzugeben. Seit Jahren schon, namentlich auch durch wiederholt bethätigte Abgabe einschlägiger Gutachten an Behörden und andere Private, für die Frage der Einwirkung der Industrie-Abwässer auf den Fischstand interessirt, habe ich in den letzten Monaten, unter Zuhilfenahme, insbesondere der mir von Herrn Dessauer über gebenen Gutachten des K. Professors Herrn Dr. Zwanziger vom 20. November 1892 und des K. Universitätsprofessors Dr. Lehmann vom 14. März 1893, dann eines von mir im Laufe des 23. Sep tember 1893 zu Aschaffenburg an Ort und Stelle vorgenommenen Augenscheins, unter Vergleichung mit früher von mir dort bethätigten gelegentlichen Besichtigungen, den Fall in Frage eingehend studirt und geprüft. Ich stelle hier die rechtlichen und wirthschaftlichen Gesichts punkte voran, die mich prinzipiell bei Abgabe dieses Gutachtens leiten: Ausser insofern sie Gelegenheit zur positiven Vergleichung und Schlussfolgerung (ex analogo) bietet, übergehe ich freilich praktisch und im wesentlichen bei der Ausführung des Gutachtens die rechtliche Seite des Falls: einmal weil dieselbe hier nicht unmittelbar relevirt, dann aber, weil in diesen Wasserrechtsfragen die Rechtsprechung, auch die des Reichsgerichts, schwankt, deren Hauptgrundlage aber, die Gesetzgebung, sowohl auf dem zivilen als auf dem Verwaltungsgebiete zur Zeit in einem Klärungs- und Umbildungsprozess sich befindet. Letzteres gilt namentlich für die Frage des in unsern Tagen sich häufenden Konflikts zwischen dem Rechte des Fischers und dem des Industriellen am Wasser, am fliessenden Süsswasser insbesondere. Es fehlt fast durchweg an positiv Gesetzlichem zur Entscheidung dieses Konflikts, und selbst die bayerische Wasser gesetzgebung vom 28. Mai 1852, welche R. Brückner »als die beste ihrer Zeit in Deutschland gegebene« bezeichnet, ist, eben als ein Kind ihrer Zeit, für die Entscheidung der einschlägigen Fragen durchaus ungenügend. (Vergl. »Zusammenstellung der Gesetze zum Schutze der Flüsse, welche im deutschen Reich Geltung haben« in »die Gesundheit«, Zeitschrift für industrielle und private Hygiene, III. Jahrgang, Nr. 16 v. J. 1878, Seiten 244/6 und Zeitschrift für Fischerei, Mittheilungen des deutschen Fischerei- Vereins, vom Jahr 1891, Nr. 1, Seite 20). Der Art. 92 bayr. Pol.- St.-G.-Buches, wie der §§ 43, 50 Nr. 7 des preussischen Fischerei- Gesetzes vom 30./V. 1874, wie das für Elsass-Lothringen unterm 2./VI. 1891 erlassene Gesetz betreffend Wasserbenützung und Wasserschutz regeln, als zu allgemein gehalten, insgesammt die Materie nicht; das Königreich Württemberg bereitet, da der Art. 42 württ. Polizeistrafgesetzbuchs vom Jahr 1871 noch weniger , positiv ist, als obige Gesetzesbestimmungen, einen Entwurf über Wasserbenützungsrecht vor. Das Römische Recht, das die seinerzeitigen im Vergleich zu heute idyllisch zu nennenden Wasserrechtsverhältnisse, haupt- : sächlich vom Standpunkt des Nachbarrechts, des landwirthschaft- lichen Betriebs ausgehend, in geradezu musterhafter Art geordnet hatte, ist augenscheinlich unzulänglich geworden für Regelung des Wasserrechtszustands zwischen der modernen, unvorgesehen und riesenhaft emporgewachsenen Industrie- und den übrigen , Wasser-Interessenten, dem Fischereiberechtigten insbesondere. J Ein bürgerliches, allgemein deutsches Gesetzbuch ist soeben im 2 Werke und eins der Hauptstücke soll » das Wasserrecht« umfassen. ’ Auf dem Gebiete des Verwaltungsrechts, des öffentlichen Rechts, Fischereirecht eingeschlossen, herrschen bei einem vielfach ( hervorgetretenen Drange nach einheitlicher Regelung der Materie £ von Reichswegen, in Deutschland theils in Form von Gesetzen, l theils auch nur von Verordnungen in den Bundesstaaten Einzel- E bestimmungen, verschieden in mannigfachster Art nach Grundlage, umfänglicher Umfassung und Behandlung der Materie. Auch hier erweist sich eine Reihe von Vorschriften, gegen über der durch die heutige Industrie sich bethätigenden Umgestaltung : der Wasserverhältnisse, als unzureichend. In Erkenntniss dessen zeigt sich vielfach das Bestreben nach gesetzlicher, den neuen faktischen Verhältnissen besser Rechnung tragender Neubildung, die in einzelnen Bundesstaaten bereits konkrete Form angenommen hat. Entsprechend am besten entwickelt, und zwar auf Grund eigens hierzu zu Basel am 22./23. Oktober 1883 stattgehabter Konferenzen, hat sich die diesbezügige Gesetzgebung der Schweiz, Badens und von Elsass-Lothringen. Für ein und dasselbe rheinische Flussgebiet geltend, dabei von im wesentlichen einheitlichen Gesichtspunkten geleitet, regelt sie, in Anknüpfung an vorgenannte Konferenzen, die einschlägigen Wasserrechts-Verhältnisse, gerade mit Rücksicht auf die Fischerei und deren Gefährdung durch die Abwässer der heutigen Industrie unter durchweg von praktischen Erwägungen getragener möglichster Detaillirung, mittels der sogenannten Oberrheinischen Fischereiübereinkunft, abgeschlossen zwischen obigen Staaten am 18. Mai 1887 zu Luzern. Trotz einer Reihe divergenter Punkte geht übrigens im all gemeinen und überwiegend die in Deutschland herrschende Verwaltungs-Gesetzgebung, im Bestreben, einen Ausgleich zwischen den fischereilichen und industriellen Interessen zu finden und unter prinzipieller Vorausstellung der Verpflichtung der Industrie für den durch ihre Abwässer der Fischerei verursachten Schaden eventuell aufzukommen, bei Regelung der Wasserrechts-Verhältnisse zwischen beiden, von nachstehenden Grundsätzen aus: 1) vom Verbote des Einlassens von den Fischen schädlichen Stoffen als Regel; 2) wenn dieses Einlassen unvermeidlich, von Anordnung jener Maassregeln für die Industrie, wodurch die Schädigung für die Fischerei auf das möglischst kleine Maass beschränkt wird, unter Berücksichtigung eines billigen Verhältnisses der der Industrie zu machenden Auflagen zur Einträglichkeit des industriellen Unter nehmens und nach Umständen auch zur Einträglichkeit des in Frage kommenden Fischereibetriebs. 1 ) Die Frage, ob die Fischerei als das im Zweifel ältere Recht, das Recht des absoluten Einspruchs gegen Einlassung der Industrie- Abwässer in die Flüsse usw. oder aber nur das Recht auf Ent Schädigung besitze, wird verschiedenfach, vorwiegend in letzterm Sinne gelöst. 2 ) Von der praktischen Seite — ihr hätte das Recht als die Konsequenz und Ausdruck des wirklichen Lebens zu folgen — empfiehlt es sich, ausgehend von dem Vordersätze, dass Fischerei und Industrie nun einmal neben und aufeinander wirken und wirken müssen, und dass den Flüssen nach dem jetzigen Stande der Dinge auch die Aufgabe erwachsen ist, wenigstens einen, den auf anderm Wege nicht absorbirbaren bedeutenden Theil der Industriewässer nach dem Meere abzuleiten unter Vermeidung jeglichen einseitigen Standpunktes, von einer wesentlichen Präsumtion nach der einen und andern Richtung ganz abgesehen, vielmehr von Fall zu Fall die entgegenstehenden Interessen nach ihrem konkreten Werthe abzuschätzen und bei Unausgleichbarkeit der feindlich sich gegenüberstehenden Interessen, das nach diesem Maassstabe gewichtigere Interesse bevorzugend zu schützen. Eine allgemeine Werthschätzung der Fischerei und abwässer- liefernden Industrie im Vergleich zu einander, so sprechend die selbe auch sein mag vom allgemeinen staatlichen, fiskalischen und nationalökonomischen Interesse, darf hier freilich nicht als maass- gebend erachtet werden: denn das führte im Prinzipe bei dem im grossen Ganzen zweifellosen materiellen Uebergewichte der In dustrie über die, in Deutschland wenigstens, ausschliesslich in 1) So namentlich Art. 4 des badischen Fischereigesetzes vom 26 ^Aprin^ss’ welches Gesetz in Deutschland diese Materie wohl am präzisesten behandelt. Aebnliche Grundsätze stellt ein Erlass des Kgl. Sächsischen Staatsministeriums des Innern vom 19. Dezember 1885, mit- getheilt an die Sächsische Landwirthschaftliche Zeitschrift vom Jahre 1886 S. 118, auf. (S. hierher Allgem. Fischerei-Zeitung vom Jahrgang 1887/2—1889/4 und 1893 (164). Ferner sind die §§ 15, 16 der Grund züge für die reichsgesetzliche Regelung der Binnenfischerei in Oesterreich auf ähnliche Basis gestellt. (S. Mittheilungen des österreichischen Fischerei-Vereins vom Juni 1882, S. 85.) 2) So für Privatgewässer das bayerische Gesetz, die Benützung des Wassers betr. v. 26. Mai 1852 in Art. 57. — So im wesentlichen auch der Entwurf des bürgerlichen Gesetzbuchs f. d. Deutsche Reich bez. die Vorschläge für Verbesserung des deutschen Wasserrechts, auf gestellt vom Sonderausschuss der deutschen Landwirthschaftsgesellschaft.