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in ähnlicher Weise wie die oben angeführten Nadelhölzer schweflige Säure aufnehmen und ein Additionsprodukt derselben in sich ent wickeln, dessen zunehmende Menge sie schliesslich verdirbt. Die schweflige Säure ist auch so ziemlich das einzige energisch wirkende Antiseptikum, welches Warmblüter ohne Schaden in gewissen Verdünnungen einathmen können, weil die schweflige Säure im Blute zu Schwefelsäure oxydirt, und durch den Kreis lauf abgeschieden wird. Chlor oder jeder andere der bekannten antiseptischen Körper würde entweder garnicht bis zum Blute vordringen können, oder eine das Leben des Warmblüters direkt schädigende Wirkung bei seiner Resorption im Gefolge haben. Wir haben daher in der schwefligen Säure wahrscheinlich ein souveränes Mittel gegen alle die zahlreichen Leiden, deren Entstehungs-Ursache oder deren sekundäre Erscheinungen in dem Vorhandensein gewisser niederer Organismen im menschlichen Körper wurzeln. Sobald die infizirten Theile desselben, wie z. B. die Rachenhöhle, die Luftwege, die Lungen usw. der Ein wirkung dieses mit Luft verdünnten Gases ausgesetzt werden, wirkt dasselbe, wie oben dargelegt, dadurch, dass es von den Krankheits-Erregern aufgenommen, aufgespeichert, als Sulfinsäure addirt, die Krankheits-Erreger tödtet, während es den Lebensprozess warmblütiger Wesen vollständig unberührt lässt. Sollten aber gewisse Anschauungen der Bakteriologie, nach welchen der Mikro-Organismus nicht selbst, sondern nur dessen Sekretionen und Umwandlungs-Produkte die Krankheits-Erscheinung verursachen, richtig sein, so würde sich meine Theorie der Addition von schwefliger Säure zu Sulfinsäure und die dadurch erfolgende Unschädlichkeit der Krankheits-Erreger dennoch behaupten, weil bei deren veränderter chemischer Konstitution auch eine ver änderte Sekretion erfolgt, welche unbedingt verändertephysiologische Wirkungen im Gefolge haben muss. Wenn es möglich wäre, auf einfache Weise eine grosse Menge von Reinkulturen gewisser Krankheits-Erreger zu ziehen, sodass deren Aschengehalt nach erfolgter Verbrennung in solcher Menge gewonnen werden könnte, dass eine quantitative Schwefelsäure-Bestimmung in der Asche selbst durchgeführt werden könnte, so könnte die Richtigkeit meiner Theorie schlagend bewiesen werden. Man würde zwei unter gleichen Bedingungen gezogene Reinkulturen dem Versuche unterwerfen, eine längere Zeit einer Atmosphäre von verdünnter, schwefliger Säure aussetzen, die andere unter gewöhnlichen Be dingungen aufziehen, hierauf beide Partieen getrennt veraschen und eine quantitative Bestimmung der Schwefel-Säure in der Asche ausführen. Man muss dann in der Asche der Kulturen, welche der Einwirkung der schwefligen Säure ausgesetzt waren, eine erhebliche Menge von Schwefelsäure finden, welche aus der bei der Veraschung stattfindenden Zersetzung der organischen Sulfinsäuren herrührt. Es ist mir bekannt, dass der Aufenthalt in Sulfat-Zellstofffabriken, sowie in den mit Blausäure gefüllten Räumen gewisser galvanoplastischer Institute (Dr. Reuter) ähnliche Heil-Erscheinungen im Gefolge haben — und es gehörte seinerzeit zu den sogenannten Hausmitteln bei Krankheiten der Athmungswege, in Gasanstalten zu verweilen. Ich halte dafür, dass in diesen Fällen ähnliche Additions produkte in der Konstitution der Krankheits-Erreger gebildet werden. Nur neige ich der Ansicht zu, dass die Schwefligsäure ein sichereres und leichter dosirbares Mittel abgiebt, als die Cyanwasserstoffsäure und die flüchtigen, übrigens SO, haltigen Hydrokarbure, welche sich in der Atmosphäre während der Arbeit an den Gas-Retorten befinden. Selbstverständlich muss mit dieser Einathmung sehr vorsichtig zu Werke gegangen werden, um die in gewissen Fällen alterirten Schleimhäute nicht noch mehr zu reizen. (Dr. F. Hartmann hat zu diesem Zwecke gewisse auf Er fahrung basirte Anwendungsformen zusammengestellt, welche die Wirkung beschleunigen und schädliche Folgen ausschliessen. Beiziehung eines in diesem Gegenstände erfahrenen Arztes ist daher unbedingt zu empfehlen. Ich neige der Ansicht zu, dass eine Zeit kommen wird, in welcher der Arzt die schweflige Säure als eine Art von Reagens bei der Diagnose gewisser Krankheits-Erscheinungen benutzen wird. Ich will mir im Vorstehenden nichts anmaassen, sondern will nur, wie eingangs erwähnt, die Aufmerksamkeit abermals auf die schweflige Säure als Heilmittel bei gewissen Krankheiten lenken, weil sie berufen erscheint, der Menschheit grosse Dienste zu leisten. Ich lasse hier einige Beobachtungen des hiesigen Stadtarztes Herrn Dr. J. Stanko folgen, welche derselbe so gütig war, mir zur Verfügung zu stellen. Seit der Inbetriebsetzung der hiesigen Zellstoff-Fabrik, hatte ich als Fabriksarzt vielfach Gelegenheit, die bei der Arbeiterschaft vor kommenden Erkrankungen und die Empfänglichkeit, d. h. die relative Nichtempfänglichkeit für eine Reihe bestimmter Krankheitsformen zu beobachten. So fand ich z.B. während der in den letzten Monaten heftig auf tretenden Influenza-Epidemie, dass die in der chemischen Abtheilung arbeitenden Leute fast garnicht, und wenn, so in einem derart leichten Grade von Influenza befallen wurden, dass sie selbe während der Arbeit überwanden — wie sie zu sagen pflegen — oder wenn sie zum Arzte kamen, in 2—4 Tagen wieder zur Arbeit zurückkehren konnten. Im Laufe des Sommers 1893 herrschte in der hiesigen Gegend eine Keuchhusten-Epidemie unter den Kindern, von der die in und in nächster Nähe der Fabrik Wohnenden fast gänzlich verschont blieben. Von den dennoch auftretenden Fällen konnte mehrmals mit Sicherheit nach gewiesen werden, dass sie von den Kindern aus der Umgebung nach Hause verschleppt wurden. Diese Fälle zeichneten sich aber immer durch ausserordentlich milden und kurzen Verlauf aus. Gleichzeitig wurden von an Bronchitiden usw. und an nach gewiesener Tuberkulose Leidenden häufige regelmässige Inhalationen der bei der Holzstoffbereitung gewonnenen Extraktivstoffe vorgenommen und nach 4—6 wöchentlicher Einathmung fast immer das gänzliche Verschwinden des Hustens, Auswurfes und der Nachtschweisse konstatirt. Der Appetit stieg, das Körpergewicht nahm zu, der mikroskopische Befund des Sputums, der früher eine Unmenge von Tuberkel-Bazillen aufwies, ergab eine auffallende Abnahme, ja gewöhnlich gänzliches Verschwinden derselben. Nun einige kurz gefasste Krankengeschichten: I. P. P., 28 Jahre alt, hereditär belastet, wurde mit Infiltration des linken obern Lungenlappens als Arbeiter in der Fabrik aufgenommen. P. hatte im Laufe des Jahres 1891 in seinem frühem Dienstorte in Bayern 6 Haemoptoe-Anfälle zu überstehen. Im Sommer 1893 kam er infolge eines neuerlichen Haemoptoe- in meine Behandlung. Status praes: Allgemeine Körperschwäche, hoch gradige Abmagerung und Appetitlosigkeit Auscultation und Percussion des Thorax ergiebt hochgradige Infiltration sowohl des linken obern Lungenlappens, als der rechten Lungenspitze. Temperatur 38,5°, Puls 112, Mikroskopischer Befund des Sputums grosse Anzahl Tuberkel- Bazillen. Körpergewicht 48,2 kg. Die Therapie bestand äusser guter Allgemein-Ernährung in6wöchent- lieber täglich wiederholter Inhalation obengenannter Extraktivstoffe. Bereits nach einigen Sitzungen fühlte sich P. wesentlich erleichtert. Die Nachtschweisse verschwanden, Husten und Auswurf war minimal, der Appetit stieg beträchtlich und mit ihm das Körpergewicht. In der 7. Woche kehrte P. wieder zu seiner Arbeit zurück. H. G. C., durch 40 Jahre angestrengter Tanzlehrer, hatte viele Jahre häufige Haemoptoen. Status praes: Kurzathmigkeit, bedeutende Körper schwäche und Abmagerung. Klinische Untersuchung ergiebt Infiltration der rechten und linken Lungenspitze tuberkulöser Natur, was das Mikroskop bestätigt. Nach 7 wöchentlicher Einathmung obengenannter Flüssigkeit nahm Appetit und Körpergewicht stetig zu, sodass es jetzt 55,5 kg gegen 51,3 kg vor der eingeleiteten Behandlung aufweist. All gemeinbefinden sehr zufriedenstellend. Der mikroskopische Befund des ausserordentlich selten sich zeigenden Sputums ergiebt trotz unzählig angefertigter Deckglaspräparate und ge nauster Durchforschung derselben negatives Resultat. III. R. B., 18 Jahre alt, Cigarrenfabriks-Arbeiterin, leidet seit einer vor einem Jahre stattgehabten, mit Komplikationen des Wochenbettes verbundenen schweren Geburt an Lungenkatarrh, heftigem Husten mit mässigem Auswurf. Das Mikroskop erhärtet auch hier die auf tuber kulöse Natur des Leidens gestellte Diagnose. Auf regelmässige, 4 wöchent liche Behandlung verschwinden Husten, Auswurf, Nachtschweisse, der Appetit steigert sich, das Körpergewicht nimmt rasch zu. B. ver sieht mit Anfang der 6. Woche mit gutem Allgemeinbefinden ihre Arbeit. Aus diesen und ähnlichen Beobachtungen glaube ich wohl mit Recht annehmen zu dürfen, dass die Einathmung der aus der Kocherflüssigkeit erzeugten Dämpfe und Gase sowohl auf die erkrankten Schleimhäute der Respirationstraktes heilbringend als auch besonders auf die Lebens fähigkeit der Tuberkel-Bazillen zerstörend einwirkt, ohne das Gewebe selbst oder das Allgemeinbefinden zu schädigen, und ich werde daher bestrebt sein, noch weitere Erfahrungen über den gewiss berücksichtigens- werthen Gegenstand zu sammeln. Hallein, im Januar 1894. Dr. Stanko. Anmerkung der Redaktion. Auch in Stockholm werden mit dem neuen Heilverfahren Versuche gemacht, wie folgender Aus zug eines Briefes von Dr. Edw. P. Vollum schliessen lässt: Das betreffende Mittel ist bereits in den Händen mehrerer Aerzte in Stockholm und hat guten Erfolg. Einer dieser Aerzte, der hervor ragendste Bakteriologe, untersuchte den Auswurf der Kranken von Zeit zu Zeit, und er fand, dass in einem solchen Falle die Bakterien während der Behandlung vollständig verschwanden, und der Patient thatsächlich von seiner Tuberkulose geheilt war. Die vollständige Heilung scheint davon abhängig zu sein, dass das Gas tief genug eingeathmet wird, um in die tiefem Räume zu dringen, wo die Bakterien sich aufhalten. Wie uns Herr Dr. Hartmann mittheilt, wird beabsichtigt, sowohl in Hallein als in Amerika (New York) Heilanstalten für Behandlung von Kranken mit Sulfit-Dämpfen zu errichten. Nach seiner gedruckten Vorschrift wird Luft durch die von Dr. Hart mann präparirte Flüssigkeit gesogen und eingeathmet, wie schon in Nr. 3, Jahrgang 1893, beschrieben. Näheres ist zu finden in der Schrift «Ueber eine neue Heilmethode zur Heilung von Lungen tuberkulose, Katarrh, Influenza und andere Krankheiten der Athmungsorgane etc. von F. Hartmann M. D. (U. S. A.). Verlag von Wilhelm Friedrich In Leipzig. Preis 1 Mark.«