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No. 77. PAPIER-ZEITUNG. 1549 dass man nur Gutes wird leisten können, wenn man mit allen Interessentenkreisen in Fühlung bleibt. 8. Ergebniss des an das Kaiserliche Gesundheitsamt gerichteten Ersuchens um Erlass gesetzlicher Bestim mungen zur Verhinderung des Einwickelns von Esswaaren in gebrauchtes Papier. Vorsitzender: Die Eingabe ist infolge Beschluss der letzten Generalversammlung ausgearbeitet und vom Vorstande des Vereins dem Reichs-Gesundheitsamt vorgelegt worden. Die Antwort lautet ablehnend, da keine genügende Veranlassung vorliege, ein derartiges Verbot zu erlassen. Die Behörde wird wohl auch der Ansicht gewesen sein, dass das Verbot, Makulatur zu verwenden, doch eine zu grosse Beschränkung der Freiheit des Einzelnen sei. Die Versammlung beschliesst, von weiteren Schritten vorläufig Abstand zu nehmen. 9. Die Invalidenversicherung der Arbeiter. Bericht erstatter: Max Krause-Berlin: Ich beschränke mich darauf, Ihnen die Grundzüge des Gesetzes mitzutheilen, ohne eine Kritik zu geben. Der Gesetz-Entwurf zur Invalidenversicherung und Altersver sorgung umfasst viel weitere Kreise, als das Unfallversicherungsgesetz, und interessirt uns infolgedessen viel mehr. Das Gesetz soll zu Gunsten Derer erlassen werden, die infolge von Alter, Krank heit oder durch Unfall erwerbsunfähig werden und ihre Existenz sichern, soweit nicht die Unfallversicherungsgesetzgebung schon An sprüche befriedigt, die mindestens die Höhe der Invaliditätsrente er reichen. Der Beginn der Versicherungspflicht ist mit dem 16. Jahre angenommen, und zwar sind alle Arbeiter, auch Dienstboten, Hand lungsgehilfen, die in den Apotheken angestellten Provisoren, Lehr linge usw., mit einem Einkommen bis zu 2000 M. ins Auge gefasst. Das Gesetz ist auch ausdehnbar auf Betriebsunternehmer, welche nicht regelmässig einen Arbeiter beschäftigen. Ein Unterschied gegen die Unfallversicherung besteht darin, dass auch vielleicht die Hausarbeiter herangezogen werden. Auch solche Betriebsunternehmer, welche äusser dem Haus Leute beschäftigen, denen sie nur Rohstoffe zur Ver arbeitung verkaufen, sollen unter Umständen verpflichtet sein, beizu tragen. Eine sehr wichtige Bestimmung ist auch die, dass in solchen Bezirken, wo man den Lohn an Arbeiter, Dienstboten usw. in Natu ralien auszahlt, gesetzlich bestimmt werden kann, dass auch die Rente zum Theil in Naturalien ausgezahlt wird. Besonders aber soll die Auszahlung in Naturalien erfolgen, wenn der Rentenempfänger ein offenkundiger Säufer ist. Die Ansprüche des Versicherten gehen verloren, wenn er sie nicht in 5 Jahren, nachdem er aus dem Ver- sicherungsverbande ausgetreten ist, geltend macht. Das Gesetz unterscheidet Invaliden- und Altersrente. Letztere wird von selbst gewährt mit dem vollendeten 70. Jahre, während die Invaliditätsrente ohne Altersgrenze eintritt, sobald der Versicherte dauernd erwerbsunfähig wird. Das Wort »erwerbsunfähig« ist im Gesetz ausserordentlich weitgehend beschrieben. Ein wesentlicher Unterschied zwischen dem Unfallgesetz und dem Invalidengesetz ist der, dass es nach letzterem vorbehalten ist, die Rente aufheben zu können, sobald sich die Verhältnisse des Rentenempfängers derartig verändern, dass er der Rente nicht mehr bedarf, während dies bei der Unfallversicherung ganz ausgeschlossen ist. Das Gesetz unter scheidet auch Ausländer und Einheimische. Ausländer können mit einer dreijährigen Rente abgefunden werden. Ausserdem ruht der Rentenempfang, solange Jemand nicht im Lande wohnt. Um die Rente überhaupt beanspruchen zu können, ist im Gesetz eine Wartezeit vorgeschrieben. Für die Altersrente, die mit 70 Jahren eintritt, muss der betreffende Rentenempfänger mindestens 30 Jahre Beitrag geleistet haben. Die einzige kritische Bemerkung, die ich mir hier erlauben möchte, ist die: Ich habe nicht gefunden, wie es den Arbeitern gegenüber gehalten werden soll, die bei Einführung des Gesetzes 50 oder 60 Jahre alt sind. Diese Lücke muss jedenfalls später ausgefüllt werden. Um zum Empfange der Invaliditätsrente berechtigt zu sein, muss man 5 Jahre Beitrag gezahlt haben. In besonderen Fällen kann aber durch den Reichskommissar bestimmt werden, dass davon abgewichen wird, wenn wenigstens ein Jahr lang Beitrag bezahlt ist, aber auch nur, wenn aus den Umständen deutlich hervorgeht, dass er nicht bloss in den Verband eingetreten ist, um die Rente zu bekommen. Die Mittel zur Zahlung der Rente sollen zu einem Drittel von den Arbeitern, zu einem Drittel von den Arbeitgebern, zu einem Drittel vom Reich aufgebracht werden. Die Beiträge sollen nicht allein die Rente decken, sondern auch für den Reservefonds und für die Verwaltungskosten dienen. Das Gesetz schlägt zunächst vor, von den weiblichen Arbeitern 14, von den männlichen 21 Pfennig für die Woche zu erheben, bis durch die Praxis der richtige Satz festgestellt werden kann. Die Höhe der Altersrente soll nach vollendeter Warte zeit 120 M. für männliche, 80 M. für weibliche Arbeiter betragen. Diese Rente tritt nur dann ein, wenn der Empfänger nicht durch andere öffentliche Anstalten, durch die Unfallversicherung, durch die Gemeinde oder sonst ein öffentliches Einkommen hat. welches dieser Rente gleichkommt. Bei der Invalidität beträgt die Rente zu Anfang 120 M. Sie steigt in den ersten 15 Jahren jährlich um 2, in den folgenden 20 um 3, und in den dann folgenden Jahren jährlich um 4 M. bis zu dem Höchstbetrage von 250 M. In dem früheren Entwurf war dieser Betrag wesentlich niedriger. In Bezug auf die Organisation unterscheidet sich der neue Ent wurf von dem alten hauptsächlich dadurch, dass in dem letzteren die Berufsgenossenschaften als Träger auch dieser Kassen ins Auge ge fasst waren, was viel Staub aufgewirbelt hat. Der neue Entwurf spricht von zu gründenden Versicherungsanstalten innerhalb von Ver bänden, die nach Provinzen oder Ländern eingerichtet werden sollen. Der Vorstand soll ebenfalls, zum Unterschied von dem Unfall- Versicherungsgesetz, aus einem oder mehreren Beamten, oder, wenn das Statut es vorschreibt, aus Arbeitgebern und Arbeitnehmern be stehen, die jedoch unbedingt von der Regierung bestätigt werden müssen, während es bei der Unfallversicherung lediglich Sache der Berufsgenossenschaften ist, sich ihre Vertreter zu wählen. Während ferner bei den Berufsgenossenschaften der Vorstand sich seinen Vor sitzenden wählt, wird der Vorsitzende hier von der Regierung ernannt. Von grosser Wichtigkeit ist, dass wenn nach Bestimmung des Statuts der Vorstand aus Arbeitgebern und Arbeitnehmern zusammengesetzt wird, auch diese aus dem Privatleben entnommenen Personen besoldet werden können, was bei der Berufsgenossenschaft nicht geht. Neben diesem Vorstand kann dann für jede Anstalt auch noch ein Aus schuss gebildet werden, zu gleichen Theilen bestehend aus Arbeit gebern und Arbeitnehmern, und zwar soll nicht nach der Zugehörig keit der Versicherten, sondern nach Kreisen auf je 100 000 Personen, die einer Versicherungsanstalt angehören, ein Ausschussmitglied kommen, für das noch 2 Ersatzmänner zu wählen wären. Neben dem Ausschuss soll es auch noch gestattet sein, einen Auf- sichtsrath oder Vertrauensmänner zu bestellen, ebenfalls zur Hälfte aus Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Abstimmungen dürfen nur durch gleiche Anzahl von Arbeitgebern und Arbeitnehmern erfolgen. Würde z. B. bei 5 Arbeitgebern und 5 Arbeitnehmern, die im Vor standsitzen, ein Arbeitgeber fehlen, so würde ein Arbeitnehmer ausgeloost werden müssen und umgekehrt, damit die Gleichheit hergestellt wird. Jede Anstalt muss für sich ein besonderes Statut ausarbeiten. Das auch hier wieder in Aussicht genommene Schiedsgericht muss ebenfalls aus einem Vorsitzenden und mindestens einem Arbeitgeber und einem Arbeitnehmer bestehen. Beide Theile müssen gleichmässig vertheilt sein. Was das Schiedsgericht bei der Berufsgenossenschaft Manchem etwas unsympathisch macht, ist, dass die entstehenden Kosten immer durch die Berufsgenossenschaft zu tragen sind. Auch hier heisst es: die Kosten des Schiedsgerichts trägt die Versicherungsanstalt, und es ist nur möglich, den Parteien die Kosten aufzuerlegen, wenn durch schlecht oder falsch gestellte Beweisanträge, die sich nachher als nichtig erweisen, Kosten entstehen. Im Grundsatz aber hat die Ver sicherungsanstalt die Kosten zu tragen. Die Sache ist ja in diesem Fall etwas gerechter, da Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu gleichen Theilen beisteuern. Ueber dem Schiedsgericht steht eine weitere Instanz: das Reichsversicherungsamt. Die Rente wird durch die Post gezahlt. Die Kontrolle über die gezahlten Beiträge soll durch Marken geschehen, die in Bücher eingeklebt werden. Jede Versicherungs anstalt wird ihre eigenen Marken haben, von der Regierung wird vorgeschrieben werden, wie diese Marken aussehen müssen, und die Ver sicherungsanstalt wird Sorge zu tragen haben, dass an möglichst vielen Stellen in ihrem Bezirk diese Marken käuflich sind. Die Marken werden in dem Buch kassirt und zwar wöchentlich. Es ist dabei ins Auge ge fasst worden, dass Jemand, der auf bestimmte Zeit durch irgendwelche Verhältnisse aus dem Versicherungs verbände ausscheidet, sich aber die Möglichkeit des Wiedereintritts und namentlich die Möglichkeit erhalten will, die Zeit, in der er dem Verbände nicht angehört hat, bei späterer Berechnung seiner Invalidität nicht zu verlieren, selbst Marken kaufen kann. Natürlich muss er in dem Fall für sich und den Arbeitgeber bezahlen, aber das Reich leistet seinen Zuschuss für ihn, und auf diese Weise kann er zwei Jahre für sich selbst sorgen. Es würde nun in Frage kommen, wie es gehalten wird, wenn Jemand nicht hintereinander arbeiten kann. Deshalb ist der Begriff »Jahr« auf 47 Wochen zu 6 Arbeitstagen festgesetzt, so dass Jemand möglicherweise in 5 Jahren doch nur 3 Jahre Versicherungs pflicht erworben haben kann. Dies sind die Grundzüge des Gesetzes. Der Vorsitzende spricht dem Vortragenden den Dank der Versammlung aus. 10. Beschlussfassung über die vorgelegten neuen Satzungen. Der bereits vom Verein der Buntpapierfabrikanten ge fasste Vertagungsbeschluss wird angenommen.