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No. 62. PAPIER-ZEITUNG. 1237 Buchgewerbe. Druckindustrie, Buchbinderei, Buchhandel. Sachliche Mittheilungen finden kostenfreie Aufnahme, Mitarbeiter und Korrespondenten erhalten angemessenes Honorar. Eingesandte Werke finden Besprechung. Drahtheftung*. Im vorigen Jahrgang der Papier-Zeitung wurde in mehreren Aufsätzen auf die Unzulässigkeit der Drahtheftung beim Binden von Kopir- büchern, auf die Schädlichkeit derselben bei Broschürenherstellung und auf ihren zweifelhaften Werth beim Heften gedruckter Bücher auf merksam gemacht Als zweckmässig wurde sie dagegen zum Heften von Kontobüchern empfohlen. Auch andere Fachblätter haben sich viel mit dieser wichtigen Angelegenheit beschäftigt und zu regem Meinungsaustausch Gelegen heit gegeben. Im Hinblick auf die sehr verschiedenartige Beurtheilung, welche die Drahtheftung bei Verlegern, Buchbindern, Bücher-Verkäufern und Bücher-Käufern erfährt, ist es wohl am Platz, Vorzüge und Nach theile der neuen Technik im Zusammenhang sachgemäss zu be leuchten und die Grenzen ihrer Anwendbarkeit festzustellen. Die Drahtheftung ist eine Technik für den Grossbetrieb. Sie ersetzt Menschenarbeit durch Maschinenarbeit und ermöglicht rasche Massenlieferung gebundener Bücher zu billigen Preisen. Sie ist bequem anzuwenden und verleiht den Büchern zunächst ausreichen den Halt. Diesen Vortheilen gegenüber stehen allerdings auch manche Nachtheile. Betrachten wir bei Gegenüberstellung der Faden- und Draht heftung zuerst den Stoff, mit dem gearbeitet wird, so haben wir einerseits die Dauerhaftigkeit des Zwirns, anderseits die des Drahtes zu untersuchen, und zwar unter Berücksichtigung der Bedingungen, unter denen beide ihre Dauer bewähren sollen. Der Zwirn besteht aus Hanffaser, einer der zähesten und ausdauerndsten aller pflanz lichen Fasem, die in Geweben und als Heftfaden in alten Büchern sich Jahrhunderte lang fest erhielt. Aehnlich grosse Haltbarkeit scheint auch der zum Heften ver wendete Metalldraht zu versprechen, obgleich er noch nicht Gelegen heit fand, Jahrhunderte zu überdauern. Er besteht aus Stahl und wird meist verzinnt geliefert. Dieses Verzinnen soll das Oxydiren oder Rosten des Stahldrahtes verhüten. Das scheint indess nicht in vollem Umfang der Fall zu sein. Ich habe eine grosse Anzahl draht- gehefteter Bücher untersucht und darunter viele gefunden, welche rost bedeckte Klammern zeigten. Auch andre Betheiligte haben Unter suchungen mit ähnlichem Erfolg angestellt. Ein Sortimentsbuchhändler schreibt darüber im Börsenblatt: »Dringend warnen möchten wir aber vor der immer mehr zur Anwendung kommenden Drahtheftung. Wir haben eine grosse An zahl neuer Einbände durchgesehen und fast in jedem drahtgehefteten Buch ohne viele Mühe des Suchens rostige Klammern gefunden. Dabei sei bemerkt, dass das Lager gebundener Bücher beim Einsender dieser Zeilen in einem sehr trockenen und hellen geräumigen Zimmer im ersten Stock aufbewahrt wird Verleger wie Sortimenter werden an dieser unglücklichen Erfindung der Drahthefterei noch viel Aerger erleben.« Derselbe Fachmann betont, dass die einmal angerostete Klammer bald vom Rost durchfressen wird und dadurch ihren Halt verliert. Der Beginn des Oxydirens oder Rostens kann vom Tage des Rückenleimens an gerechnet werden und wird jedenfalls durch die im Klebstoff enthaltene Flüssigkeit herbeigeführt. Gefördert wird das Rosten noch dadurch, dass fertige Bücher, besonders mit Lederrücken versehene Halbfranzbände, noch tagelang eine gewisse Feuchtigkeit enthalten, die beim Ueberziehen von Pappen und anderen Rohstoffen aufgesaugt wurde. Nach der Theorie der Chemiker sollte der Zinn-Ueberzug allerdings vor dem Oxydiren schützen. Die Praxis scheint dem aber zu wider sprechen. Das mehrfach beobachtete Rosten verzinnter Klammern scheint dadurch zu entstehen, dass der Zinn-Ueberzug beim Umbiegen gesprengt, oder durch das schlagartige Niederdrücken des Heftkopfes beschädigt wird. Thatsächlich zeigt sich auch meist der Rostansatz zuerst an der scharfen Biegung der Klammern. Der Rost bleibt nicht auf die Klammern beschränkt, sondern geht von denselben auf das Papier über und wirkt auch auf dieses zersetzend. Er frisst sich tief hinein und vermindert die Haltbarkeit. Ist dies geschehen, so dringt die spröde Klammer leicht durch das gelockerte und zersetzte Papier hindurch, und das Blätt fällt heraus. Das Rosten ist aber so lange nicht abzuwenden, als das Buch mit feuchten Klebmitteln fertiggestellt wird, es sei denn, dass man einen Metalldraht verwendet, der jede Gefahr des Oxydirens aus schliesst; vielleicht Silber- oder Nickeldraht. Das wird aber nicht nur durch die Kostspieligkeit dieser Metalle zur Unmöglichkeit ge macht, sondern auch durch ihre geringe Festigkeit. Vergleichen wir nun die Technik, welche bei beiden Heftungs arten angewendet wird. Der Faden zieht sich, jeden Bogen fassend, von Anfang bis Ende durch das ganze Buch. Er läuft von einem Bogen ohne Unter brechung zu dem andern über und gewährt dadurch die denkbar innigste Verbindung der einzelnen Theile zu einem Ganzen. Von innen nach aussen den Bogen umschlingend, liegt der Faden ausserdem stellenweise auf dem Rücken frei, wird hier durch den aufgestrichenen Leim getränkt und fest mit dem Papier verbunden. Diese Leim- Verbindung giebt dem Buch selbst dann noch genügenden Halt, wenn durch Zufall der im Innern des Buches liegende Heftfaden an einer Stelle reissen sollte. Der zerrissene Faden wird dann an den drei eingesägten Bünden, sowie n den Fitzbünden immer noch durch Leim festgehalten, und die Blätter sind vor gänzlichem Heraus fallen geschützt. Bei der Drahtheftung wird der einzelne Bogen ohne unmittelbare Verbindung mit den andern Bogen mit drei oder vier Klammern an einen Gazestreifen gehängt; eine innere, die Bogen umfassende Verbindung besteht also nicht. Jede Drahtklammer, die durch Bogen und Gaze geschlagen wird, ist ein abgeschnittenes Drahtstückchen, das mit den anderen eingestossenen Drahtstückchen garnicht in Berührung kommt. Es liegt in einer Länge von ungefähr 12 bis 15 mm im Innern des Bogens und umschliesst diesen nach aussen mit seinen Enden: i — i Die Enden der Klammer sind aber, wie die Ab bildung zeigt, auch nicht verbunden, sondern liegen nur flach auf dem Buchrücken. Die Sicherheit der Heftung beruht also nur auf der Festigkeit der Stahlklammer, von der man annimmt, dass sich die umgelegten Enden nicht sofort wieder aufbiegen. In dieser An nahme täuscht man sich im allgemeinen nicht, denn die Klammern gewähren verhältnissmässig sichern Halt, besonders wenn über den Buchrücken und die zusammengebogenen Drahtenden weg ein Stück Leinwand geleimt wird. Trotzdem habe ich jedoch auch schon Kontobücher in Händen gehabt, bei denen die Drahtklammern infolge des sprungartigen Auflegens sich aufzogen und herausfielen. Gehen wir zu einem weiteren streitigen Punkt über, zu der Frage: Welche von beiden Heftarten lässt früheres Durchschneiden des Papieres befürchten? Um diese Frage zu lösen, haben Nichtfachleute einen merk würdigen Versuch gemacht: Man hängte Bücher an zwei Blättern auf und belastete sie dann, um zu untersuchen, welche Heftung die grösste Belastung ertrage. Dabei siegte merkwürdiger Weise die Drahtheftung. Der scheinbare Vorzug schwindet aber und das Räthsel löst sich, wenn man genauer zusieht, wie die Zerrung von Drahtklammer und Bindfaden auf das Papier wirkte. Ein drahtgeheftetes Buch muss mehr Belastung ertragen, weil die Drahtklammer beim Hochheben der Blätter in ihrer starren, waage rechten Form verharrt, und weil das Papier von ihr an den Ecken so festgehalten wird, dass es sich nicht verziehen kann. Die Klammer ist unbeweglich und hält das Papier unbeweglich fest aufeinander gepresst, so lange das Buch neu ist. Das Durchschneiden des Papiers müsste bei ruhigem Auf hängen also an der ganzen von der Klammer überspannten Fläche mit einem Mal geschehen. Der Faden dagegen ist nicht unbeweglich, sondern giebt etwas nach, dehnt sich wohl auch bei grosser Belastung und vermag vor allem das Papier an den Ecken nicht so fest zu halten, wie die zusammengeschlagene Drahtklammer. Der Faden spannt und wölbt sich, seine Enden gehen schräg nach unten und drängen sich keil förmig ins Papier hinein. Wenn man ein Papiermesser in den Falz eines Bogens so ansetzt, dass dasselbe mit seiner ganzen Schneide die Innenseite des Bruchs berührt, so ist bedeutender Kraftaufwand erforderlich, um das Messer durchzudrücken und den Bogen zu zerschneiden. Setzt man aber die Schneide schräg an und zieht das Messer allmälig durch, so braucht man weit geringere Kraft. Ganz ähnlich wirkten bei obigem Versuch die gradliegende Drahtklammer und der schräg ge spannte Faden. Der Versuch ist auch in andrer Beziehung nicht maassgebend, denn man hängt das Buch beim Lesen bekanntlich nicht auf, sondern legt dasselbe aufgeschlagen vor sich hin. Die Fleftung wird dabei nur insofern angestrengt, als man das Buch kräftig aus dem Rücken zieht, um flaches Auflegen zu erzielen. Hierbei wird man nun die überraschende Bemerkung machen, dass mit Zwirn geheftete Bücher dieses Herausziehen aus dem Rücken ohne Nachtheil gestatten, während bei drahtgehefteten Büchern die mittleren Doppelblätter nicht selten herausfallen. Es ist allerdings möglich, dass dabei hauptsächlich das Papier die Schuld trägt. Hier ist der Prüfstein des gegenseitigen Haltes anzulegen. Das Buch soll sich ohne alle Nachtheile vollständig öffnen lassen. Andere