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Niemand ansehen, dass sie aus Pappe bestehen. Sie dürften übrigens zu den dauerhaftesten Knopfsorten gehören, denn sie widerstehen sogar kräftigen Hammerschlägen. Vorläufig werden nur geringe Sorten für billige Kleidungsstücke gefertigt, doch kann es wohl kaum schwierig sein, auch feinere Muster zu erzeugen. Die bekannten runden Schuh knöpfe bestehen beinahe ausnahmslos aus Pappe und bilden einen der wichtigsten Erzeugnisse dieses Industriezweiges. Ebenso wichtig sind auch die Spulen und Spinnröhren (Higgins- spulen) der Spinnereien, bei denen jetzt Pappe an Stelle der früher er forderlichen theuren Metall- und Holzgegenstände getreten ist. Es ist unmöglich, hier alle Waaren zu erwähnen, die sich im Musterlager vorfinden und in den Preislisten der Firma verzeichnet sind. Die Anwendung der Oelpappe ist fast unbegrenzt, und dieser jetzt schon mit guten Eigenschaften ausgestattete Stoff dürfte sich von Jahr zu Jahr neue Gebiete erobern. Die Firma Gebr. Adt beschäftigt jetzt etwa 2600 Arbeiter in ihren 3 Oelpappwaaren- und 3 Papierfabriken. Es sind in denselben in Betrieb: 19 Dampfkessel mit zusammen 1095 qm Heizfläche 6 Turbinen » » 270 Pferdekraft 11 Dampfmaschinen » » 288 » viele hydraulische Pressen, über hundertSchraubenpressen verschiedener Systeme und eine Menge Spezialmaschinen, welche grösstentheils von der Firma in ihren eigenen Werkstätten erbaut wurden. Der Absatz der Fabrikate erstreckt sich über alle Welttheile, jedoch ist derselbe, wie wir hören, durch die erhöhten Zölle, welche die meisten Kulturstaaten eingeführt haben, in letzter Zeit recht schwierig geworden. Vorbildung der Chemiker. Die Mängel der gegenwärtigen technischen Erziehung wurden von uns mehrfach, zuletzt auf Seite 750 vorigen Jahrgangs, besprochen. Die Ueberzeugung, dass unsere Zeit eine andere Ausbildung der jungen Techniker und Chemiker fordert, als bisher üblich war, scheint sich jetzt auch in weiteren Kreisen Bahn zu brechen. Herr Professor Dr. Karl Zulkowski hielt am 17. Dezember 1887 vor der Oester- reichischen Gesellschaft zur Förderung der chemischen Industrie in Prag einen Vortrag, welcher fast durchweg auf deutsche Verhältnisse passt und den Anschauungen entspricht, welche wir in früheren Jahr gängen der »Papier-Zeitung« niederlegten. Seine trefflichen Aus führungen gipfelten in dem Satz: »Die wissenschaftliche Ausbildung und Forschung soll Mittel zum Zweck sein, nicht Selbstzweck; die Wissenschaft soll die Dienerin der Menschheit sein und kann nur als solche wahrhaft nützen.« Der Vortragende klagte über die ungenügende Vertretung, welche die sogenannte technische Chemie auf den Hochschulen findet, und führte dann, nach der »Chemiker-Zeitung«, Folgendes aus: So sonderbar es auch erscheint, so ist es doch wahr, dass der Sammel name „chemische Technologie“ sehr viel daran schuld ist, weil er der Laien welt die Ansicht aufdrängt, als ob die chemische Technologie eine homogene, in sich geschlossene Wissenschaft, wie Chemie oder Physik sei, welche einen Anfang und ein Ende habe, und die man nicht stückweise erlernen könne. Die chemische Technologie ist keine selbständige Wissenschaft mit eigenthümlichen Grundsätzen, überhaupt gar keine Wissenschaft, sondern nur eine Anwendung der Chemie, Physik und des Maschinenwesens auf Verarbeitung verschiedener Stoffe, bei denen die innere Natur derselben mehr oder weniger verändert wird. Je nach der Art der erzeugten Pro dukte entstehen verschiedene ganz selbständige Gewerbe, wie z. B. die Zuckerfabrikation, Bierbrauerei, Färberei, Glasfabrikation u. s. w., welche äusserst zahlreich sind, sich grösstentheils ganz selbständig entwickelten, ihre besondere Geschichte und eine grosse Literatur besitzen. Die Be ziehungen zwischen den einzelnen chemischen Gewerben sind äusserst gering, jedenfalls geringer, als zwischen den einzelnen Ingenieurfächern, so dass die Kenntnisse von einem derselben fast werthlos sind für die Ausübung eines anderen. Weil nun die Anzahl der chemischen Gewerbe so bedeutend ist, und weil dieselben unter sich in keinem ursprünglichen Zusammenhang stehen, so kann die chemische Technologie auch von Niemandem erschöpfend gelehrt und erlernt werden. Unter dieser Firma werden überall nur ausgewählte Theile derselben zum Vortrag gebracht, bei deren Auswahl man sich von örtlichen Ver hältnissen mehr oder weniger leiten lässt. Da aber für das eigentliche Fachstudium nur zwei Jahre verfügbar sind, so kann man dem Studirenden nur so viel bieten, als er in dieser Zeit erlernen kann. Das Ganze stellt dann nur eine Encyclopädie oder eine Art von Ca- meralchemie dar, wie sie an manchen staatswirthschaftlichen Fakultäten vorgetragen wurde. Das Dargebotene ist zu viel und zu wenig, nicht Fisch, nicht Fleisch, womit der Studirende im besten Fall eine Uebersicht über ein grosses wirthscbaftliches Gebiet erhält. Es giebt nicht Wenige, die ein solch oberflächliches Wissen, welches man Halbwissen nennt, als ausreichend erklären, in der Meinung, das Fehlende lerne man in der Praxis ohnehin. Wäre diese Ansicht richtig, so würde nur daraus folgen, dass es besser wäre, die in bisheriger Art gehaltenen Vorträge über chemische Technologie auch fallen zu lassen, denn auf dieses Bischen könnte die Praxis getrost verzichten. Diese An sicht ist aber nicht richtig, denn nicht immer sind die Fabriken mustergiltig eingerichtet, viele bedürfen im Laufe der Zeit einer Erweiterung und Er gänzung, man ist vielfach genöthigt, auf die Erzeugung anderer Produkte überzugehen, und da wäre es wohl sehr gut, wenn man sich in der Schule die Kenntnisse hierfür erworben hätte. Auch lässt die Ueberwachung des Betriebes in vielen Fabriken manches zu wünschen übrig; es ist Niemand da, der die Apparate und Methoden der Betriebskontrolle kennt. Von wem will man in solchen Fällen lernen, wie man gut arbeiten müsse? Wenn man sagt, der theoretisch Gebildete werde sich jederzeit zu helfen wissen nach dem Sprichwort „scientia omnia vincit“, so möchte ich doch Jedem rathen, sich auf das theoretische Wissen nicht "zu sehr zu ver lassen. Wenn man die Geschichte der verschiedenen Industriezweige ver folgt, so muss man staunen, welche Geldmittel, Zeit und geistige Arbeit oft nöthig waren, um eine Erklärung für einen Prozess zu finden. Denken Sie an den Schwefelsäure- oder den Sodaprozess; wie alt sind diese, und erst heute ist man imstande, sie befriedigend zu erklären. Die Praxis eilt nur zu oft der Theorie weit voraus, und es wäre nicht nur unbillig, sondern gefehlt, wenn man die mühsam erworbenen Erfahrungen gering schätzen wollte. Mit Entschiedenheit forderte der Vortragende grössere Berück sichtigung der Maschinentechnik: Ich kann unmöglich einen chemisch-technologischen Unterricht als einen vollgiltigen betrachten, der nur das chemische Moment im Auge behält; es muss in ebenso gründlicher Weise der hierfür erforderliche Apparat be sprochen werden, woraus folgt, dass der Lehrer für chemische Technologie und der angehende Fabrik-Chemiker über das nothwendige Maass von maschinen- und bautechnischem Wissen verfügen müsse. Die Maschine ist die Signatur unserer Tage, ohne Maschine keine Technik. Es giebt be kanntlich chemische Gewerbe, wo die Chemie keine grosse Rolle spielt, wie beispielsweise die Bleicherei und Appretur. Wie zahlreich, verwickelt und sinnreich sind aber deren Apparate und Maschinen! Lässt sich ein Unter richt über Bleicherei und Appretur ohne diese denken? Als Mittel zur Abhilfe der bezeichneten Mängel führte Herr Prof. Zulkowski folgende Maassregeln an: 1. Abhaltung encyclopädischer Vorträge über chemische Technologie durch zwei Semester, in jedem fünf Stunden wöchentlich; 2. Abhaltung von Vorträgen über allgemeine chemisch-physikalische Technologie, als Vorstudien für das erwählte chemische Fach; 3. Errichtung von Lehrkanzeln für einzelne, den örtlichen Ver hältnissen entsprechende chemische Grossgewerbe, oder für eine kleine Gruppe verwandter Industriezweige in Verbindung mit praktischen Versuchen in besonders hierfür eingerichteten Arbeitsräumen. Als Beweis für die Nothwendigkeit einer durchgreifenden Reform des technologischen Unterrichts führte der Vortragende die Thatsache an, dass bereits in Oesterreich wie im Deutschen Reich Spezial schulen für einzelne chemische Grossgewerbe bestehen. Wenn das so fort geht, meinte er, so sinken die chemischen Abtheilungen der technischen Hochschulen allmälig zu blossen Vorbereitungsschulen für jene Anstalten herab. Prof. Zulkowski schloss seinen Vortrag mit folgenden beher- zigenswerthen Worten: Durch Einführung eines Unterrichts für einzelne technologische Gross gewerbe wird der betreffende Lehrer zum Forscher und Berather für sein Fach werden können, seine Lehrkanzel wird zur Versuchsstation; während der Lehrer der chemischen Technologie von heute lediglich als Schulmeister zu wirken berufen ist. Eine Vertiefung in besondere Fächer war ihm un möglich, oder doch sehr erschwert, weil er seine ganze Zeit, infolge des übergrossen Literaturgebietes, für die eigene Belehrung und Fortbildung nöthig hatte. Es ist notorisch, dass das Literaturgebiet der chemischen Technologie mindestens eben so gross ist, wie das des gesammten Ingenieurwesens, wofür aber mehrere Lehrkanzeln errichtet sind. Meine Ansichten über den technischen Unterricht, welche ich der hoch geehrten Versammlung zur Kenntniss bringe, bitte ich als meine tief innerste Ueberzeugung aufzufassen, welche mir meine Erfahrungen in der gewerblichen Praxis und in der Schule aufgeprägt haben. Die Mitglieder unseres Vereins haben nicht nur höhere Studien genossen, sondern die meisten gehören der Praxis an und sind daher in der Lage, meine Vor schläge nach Gebühr zu würdigen und denselben an maassgebender Stelle Geltung zu verschaffen. Ich, in der Eigenschaft eines Professors, könnte selbst mit Unterstützung aller meiner Amtsgenossen wenig an dem jetzigen Zustande ändern; zumal eine derartige Aenderung mit manchem Geldopfer verbunden wäre. Ich könnte auch nur zu leicht den Schein auf mich laden, als wollte ich mich der Bequemlichkeit halber auf ein enger be grenztes Gebiet begeben. Sie aber, meine Herren, Sie können dasjenige thun, was mir versagt ist, und wenn Stimmen aus industriellen Kreisen über die Unzweckmässigkeit der jetzigen Lehrweise laut werden, so bin ich gewiss, dass sie nicht ungehört bleiben werden, und es wäre der schönste Lohn meiner dreiundzwanzigjährigen Lehrthätigkeit, die Ideale derselben angeregt und verwirklicht zu sehen.