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No. 11, PAPIER-ZEITUNG. 203 Geräthe und Gefässe aus getränkter Pappe. Die Herstellung von Geräthen und Gefässen aus Papierstoff hat sich in aller Stille zu einer blühenden Industrie entwickelt. Während man die aus Amerika eingeführten Papiergefässe oft nur aus Neugier kaufte, wenig benutzte und bald bei Seite stellte, werden deutsche Erzeugnisse dieser Art regelmässig und viel gekauft. Handlungen von Haushaltungsgegenständen und Luxuswaaren, von chirurgischen, China- und Japanwaaren, Knopfgeschäfte und Drechslereien führen zahlreiche Erzeugnisse jener eigenartigen Industrie. Solche Erzeug nisse erregen aber kein Aufsehen mehr, weil sie ihre Papiernatur vollständig verloren haben und eher den Eindruck von Metall, Horn oder Hartgummi machen. Die bedeutendste Fabrik von Gegenständen dieser Art ist die von Gebr. Adt in Forbach, Lothringen, mit Zweiganstalten in Ens heim und Pont-ä-Mousson. Der Grundstoff ihrer eigenartigen Er zeugnisse ist nicht Papierstoff in Breiform, sondern zähe, feste, für diesen Zweck besonders zubereitete Pappe. Es ist nothwendig, auf diesen Unterschied aufmerksam zu machen, weil Gegenstände aus gut verfilzter, getränkter und unter sehr bedeutendem Druck gepresster Pappe viel haltbarer sind als die aus lockerem Stoffgemisch in Formen gepressten, durch Hitze »gebackenen« Papiermasse- oder Steinpapp- Waaren. In Berlin, Oranienstrasse 108, im 1. Stock, befindet sich ein Musterlager der Fabrik. Es enthält von den wichtigsten Erzeugnissen je ein Exemplar und macht mit dem in drei Zimmern vertheilten, wirkungsvoll angeordneten Vorrath von Gebrauchs- und Luxus- Gegenständen den Eindruck eines kunstgewerblichen Bazars. Wir hatten kürzlich Gelegenheit, das Lager zu besuchen und waren erstaunt über die Meng verschiedenartiger, oft künstlerisch ausgeführter Gegenstände, welche aus dem unscheinbaren Grundstoff hergestellt werden. Von den Mittheilungen, welche wir bei dieser Gelegenheit über Art und Umfang der Fabrikation erhielten, geben wir nachstehend das Wichtigste wieder. Der Rohstoff der Adt’schen Waaren, die erwähnte Oelpappe, wird in den eignen Fabriken der Firma zu Schwarzenacker in der Pfalz, Marienau bei Forbach und Blenod bei Pont-ä-Mousson nach besonderm Verfahren hergestellt. Rohe gepresste Stücke der Pappe sind Steinhart, grau und von verhältnissmässig hohem spezifischem Gewicht. Durch Uebereinanderlegen mehrerer mit besonderem Bindemittel bestrichener Schichten und Pressung entsteht eine zu sammenhängende feste Masse, die fast keine Aehnlichkeit mit Pappe mehr aufweist. In diesem Rohzustande werden die Pappen besonders zu Maschinentheilen, z. B. Achsbüchsringen, Gebläsflügeln und Frik tionsscheiben verwendet. Die uns vorgelegten Muster dieser Art zeigen erstaunliche Widerstandsfähigkeit und eisenartige Härte. Flache Gefässe werden aus 2 bis 5 mm starken Pappen ge prägt. Zwei Stahlformen, welche Patrize und Matrize darstellen, werden mit starkem Druck gegeneinandergepresst und verleihen der zwischengelegten, noch formbaren Pappe dauernde Gestalt und vermöge der Impräghirung jene auffallende Steinhärte. Durch solches Verfahren werden Schalen, Näpfe, Becher u. s. w., aber auch Wasch becken bis zum Durchmesser von 42 cm hergestellt. Kannen, Eimer, Büchsen und andere cylindrische Geräthe wer den aus zwei Theilen: Mantel und Boden, hergestellt, wozu bei ein zelnen Waaren auch noch Deckel treten. Die Mantelstücke werden an denjenigen Stellen, wo sie aneinandergefügt werden sollen, schräg geschärft, mit dem erprobten Bindemittel getränkt und unter starkem Druck getrocknet. Auf diese Weise verbinden sich beim cylindri- sehen Hohlgefäss die beiden Enden der Pappe eben so fest wie bei den starken, durch Schichtung einzelner Lagen erzeugten Werkstücken. Am fertigen, lackirten Gefäss ist die Vereinigungsstelle auch bei schärfster Aufmerksamkeit nicht herauszufinden. Die Böden sind in haltbarer Weise eingesetzt, oft durch Pappringe unterstützt und durch Metallstreifen mit den Wandungen verbunden. Eins der wichtigsten Mittel, welches den Adt’schen Erzeugnissen zu ihren Erfolgen verholfen hat, ist der sorgfältig zusammengesetzte ausserordentlich widerstandsfähige Lack. Derselbe kommt den besten chinesischen und japanischen Arten sehr nahe und soll dieselben an Haltbarkeit und Widerstandsfähigkeit gegen Säuren und Alkalien noch übertreffen. Die durch Lackauftrag erzeugte Grundfarbe der meisten Muster ist Schwarz, doch finden sich auch holzartig gemaserte und verschieden farbig marmorirte Sorten. Von dem schwarzen gleichmässig schönen glänzenden Grunde heben sich die farbigen und goldigen Verzierungen der Luxusgegenstände sehr wirksam ab. Von solchen Arbeiten ist eine vollständige kleine Industrieausstellung vertreten. Da finden sich Feuerzeuge und Rauchgeräthe, Kontorartikel und Ziergegenstände für Prunkzimmer, Toilettengeräthe, Ofenschirme, Prunktische, Tafelaufsätze und Hunderte zierlicher Kästchen in wechselnder Form und Aus stattung für verschiedenste Zwecke einer wohlgeordneten Haushaltung. Die Verzierung vieler dieser zierlichen Sachen ist auf eine sehr interessante und eigenartige Weise erzielt, welche gleichzeitig einen andern Zweig der Papier-Industrie zur Geltung kommen lässt. Die reizenden Blümchen, Vögel und Schmetterlinge, welche wie eingelegte Arbeit aussehen, sind nämlich nichts anderes als gestanzte Chromo- lithographieen, welche an geeigneten Stellen aufgelegt und in den frischen Lack hineingedrückt wurden. Ein letzter farbloser Lack-Auf strich sorgt für feste Verbindung mit der Grundfläche. Bei vielen Verzierungen sind nur die grösseren und körperhaften Bestandtheile in dieser Weise ausgeführt, während feine verbindende Züge mit der Hand gemalt wurden. Bei Blumenstücken z. B. sind Blüthen und Blätter eingeklebt, die Stiele dagegen in Goldlinien ge malt. Leichte nachträgliche Ueberarbeitung mit dem Pinsel macht in vielen Fällen die Herstellungsart fast unkennbar. Bei den feinsten Sorten sind Blumenstücke und Ornamente in Metallstreifen und sorgfältig zugeschnittenen Perlmutterstückchen aus geführt. Da solche Verzierungsstoffe mehr Körper besitzen als Papier bilder, so sind oft 10 bis 15 Lackaufstriche nöthig, um den Grund zwischen den. Verzierungen zu füllen und eine gleichmässige Ober fläche entstehen zu lassen. Kleine Fehlstriche, welche in die Verzierung hineingingen, werden bei der letzten Bearbeitung weggeschliffen. Solche Arbeiten wirken sehr ansprechend und vornehm. Eine andere Ausstattungsart zeigt echte japanische Lackmalerei in Broncetönen. Einzelne Theile der Verzierung sind dabei durch stärkeren Lackauftrag als schwaches Relief aus der Fläche heraus gehoben. Eine billigere Art der Ausstattung in chinesischem Geschmack mit einfachen Gold-Umrisslinien lässt wegen der Gleichförmigkeit der einzelnen Stücke die Anwendung irgend eines Druckverfahrens ver- muthen. Welcher Art dasselbe ist, liess sich nicht deutlich erkennen, doch dürfte eine Bild-Uebertragung nach Art der Abziehbilder an gewendet sein. Ganz besonders bedeutungsvoll ist die Dosenfabrikation. Dies ist die älteste Form der Oelpappwaaren-Industrie, die schon seit An fang vorigen Jahrhunderts in Ensheim (Pfalz) von den Voreltern der jetzigen Firma-Inhaber als Hausindustrie betrieben wurde. Aus ihr haben sich die verschiedenartigen Nebenzweige, welche jetzt Tausende von ■ Arbeitern beschäftigen, entwickelt. In Schnupftabakdosen, Streichholzbüchsen, Federkasten und andern Erzeugnissen ähnlicher Art wird grosser Umsatz erzielt, und diesem Theile der Fabrikation verdankt die Adt'sche Fabrik besonders ihren Aufschwung. Derartige kleine Waaren sind fast in allen Galanteriegeschäften, Drechslerläden und Schreibwaarenhandlungen zu finden. Die Ensheimer Fabrik der Gebr. Adt befasst sich ausschliesslich mit Fabrikation von Dosen, dosenartigen Gegenständen und Higgins- Spulen; in Forbach werden Haushaltungs- und Luxus-Artikel sowie Knöpfe gefertigt, während Pont-a-Mousson die ganze Fabrikation auf französischem Boden vereinigt und ausschliesslich für französischen Bedarf arbeitet. Die Haushaltungsgegenstände, technischen und chirurgischen Artikel der Firma erfreuen sich in neuerer Zeit steigender Beachtung. Ihre Kannen, Waschbecken und Näpfe sind, wie wir uns durch Proben überzeugen konnten, zierlich, handlich, leicht und dabei von er staunlicher Festigkeit; sie dürften auch hohen Anforderungen auf Dauer genügen. Wir haben einige uns überwiesene Gefässe in Ge brauch genommen, und wenn wir damit günstige Erfahrungen machen, werden wir das auf Seite 1367 abgegebene Urtheil über Papiereimer, das sich zunächst nur auf amerikanische Gefässe aus Papierbrei bezog, zu Gunsten der deutschen Waare gern richtigstellen. Die Lack-Gefitsse zur Hilfeleistung bei schweren Erkrankungen und bei Operationen haben sich in Krankenhäusern gut eingeführt. Sie lassen sich leicht und vollständig reinigen und entsprechen den Forderungen antiseptischer Behandlung. Besonders Eiterbecken, Nachtgeschirre und andere mehr nützliche als appetitliche Gefässe und Geräthe werden viel verlangt. Sie sind leicht und unzerbrechlich und werden schon desshalb in vielen Fällen den Gefässen aus Glas und Porzellan vorgezogen. Als besonders zweckmässig haben sich auch die Adt’schen Schaalen und Trichter für chemische Laboratorien bewährt. Die eckigen Schaalen zu photographischen Bädern sind in allen Handlungen mit photographischen Bedarfsartikeln vorräthig. Wegen ihrer Festigkeit und Widerstandsfähigkeit werden sie besonders gern für Fixir- und Silberbäder verwendet und halten sich dabei, wie wir aus eigener Anschauung bestätigen können, vortrefflich. Ein unscheinbarer, aber hochbedeutsamer Industriezweig, der hier nicht übergangen werden darf, ist die Fabrikation von Knöpfen aus Oelpappe. Dieselben werden, ähnlich wie die Gefässe, geprägt, ge stanzt und lackirt. Wir haben eine Anzahl dieser Erzeugnisse vor uns liegen: biedere Hosenknöpfe und thalergrosse Knöpfe für Jacken und Kaisermäntel. Diesen mattglänzenden, eisenfesten Knöpfen kann