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PAPIRR-ZEITUNG Nr. 103 längstvergessen, als ich acht bis zehn Tage später beide Herren zufällig in derselben Stellung zu einander in einem Bierhaus in Freiburg im Breisgau wiederfand, den einen deklamirend, den andern zuhörend. Doch auch hier konnte und mochte ich die Veranlassug nicht vom Zaune brechen und mich vorstellen. Ich vertraute meinem guten Glück und dies liess mich nicht im Stich. In Basel war es, wo ich zufällig mit beiden Herren in einem und demselben Hotel zu wohnen kam. Ich glaube, es war der Storch oder der Strauss oder irgend ein anderes Hotel, dessen Namen auf ein Federvieh ansklang. Hier veranlasste ich den Oberkellner, mir meinen Platz neben diesen Herren anzuweisen, stellte mich sehr bald vor und erfuhr, dass der deklamirende Herr der Herr Emil Rittershaus aus Barmen war, der s. Z. eine Farbenfabrik besass, ein nicht unbedeutendes Geschäft mit der Schweiz machte und hier namentlich die grossen Seidenfabriken mit Farben versorgte. Der andere Herr war ein Herr Lausberg von der Brücke bei Lennep, ein sehr bedeutender Tuchfabrikant. In diesen beiden Herren lernte ich sehr liebenswürdige Menschen kennen. Sie waren älter als ich, ich konnte von ihnen lernen und suchte und fand Annäherung, um so mehr als mir die Schweizer gewerblichen Verhältnisse böhmische Dörfer waren, ich Informationen bedurfte und solche am besten bei diesen Herren, die schon längere Zeit die Schweiz bereisten, zu finden hoffte. Und auch hierin täuschte ich mich nicht. Herr Rittershaus, ein weltgewandter Mann von angenehmen Formen, kam fast stets meinen Fragen und Wünschen zuvor. Als Dichter hatte ich ihn damals noch nicht nennen hören. Dass aber dieser Mann kein unbedeutender Commis voyageur war, sondern dass da etwas Anderes dahinter steckte, war wohl Jedem klar, der mit ihm in Berührung kam. Herr Rittershaus war sehr beliebt, erhielt abends fast stets Einladungen in die eine oder andere Familie, weihte aber seinen Mitreisenden später noch gern ein gemüthliches Stündchen. Ich hatte in Mannheim, bis wohin meine Firma auf Schiff verladen konnte, von einer tüchtigen Speditionsfirma mir genau die Frachten nach der Schweiz geben lassen, war nach meiner Ankunft in Basel sofort auf die Douane gewandert, hatte die Eingangszölle auf die verschiedenen Papiersorten studirt und stürzte mich so vorbereitet sofort in das Geschäft. Ich liess mich durch einen sogenannten Lohndiener herumführen und versuchte zunächst mein Heil bei den Seidenbandfabriken, um ihnen das Papier zu Streifen, die den Bändern beigewickelt werden, zu verkaufen. Welch’ verwegenes Unterfangen! Ich, Vertreter einer kleinen deutschen Papierhandlung, wollte in Wettbewerb treten mit französischen Papierfabrikanten, die, s. Z. wenigstens, diesen nicht unbedeutenden Bedarf ohne Zwischenhändler direkt deckten! Da war nichts zu holen, das sah ich sehr bald ein und wandte mich grösseren Kontoren zu, um Bedarf in Postpapier, Kopir- büchern—Briefumschläge wurden s. Z. noch sehr wenig ge braucht zu decken, fand aber hier gleichfalls, dass ich mit dem französischen Wettbewerb nicht Schritt halten konnte und suchte nun fast entmuthigt mein Heil in groben Packstoffen, namentlich in Strohpapier, wie es, ehe die Dütenfabrikation aufkam, in fast jedem Detailgeschäft zum Einhüllen der Waaren und zum Anfertigen von Düten gebraucht wurde. Und hier war mir das Glück holder. Ich hatte meine,Preise fracht- und zollfrei Basel gestellt, es blieb dabei etwas übrig, und der Wett bewerb Frankreichs war nicht fühlbar. Ich verkaufte flott, wurde vom Einen zum Andern verwiesen und kam schliesslich, als ich Samstag Abend Schluss machen wollte, noch zu einem Grosshändler von Kolonialwaaren, der mein Angebot sehr mit leidig lächelnd aufnahm und sich erbot, mir sofort eine ganze Waggonladung Strohpapier zu bestellen, falls ich Garantien gäbe, dass ich auch wirklich zum vereinbarten Preise liefere, dass ich aber wahrscheinlich von ganz falschen Voraussetzungen bei Aufstellung des Preises für Strohpapier ausgegangen sei. Ich hätte angenommen, dass Strohpapier l’/ a oder 2 Frank Eingangszoll zu tragen habe; dies sei aber eine sehr falsche \ oraussetzung. Strohpapier werde als ein gefärbtes Papier an gesehen und demnach mit 8 Frank verzollt. Ich habe die genauen Zahlen vergessen, glaube aber, dass die angeführten wenigstens annähernd richtig sind, und er glaubte es mir schuldig zu sein, mich auf diesen Irrthum aufmerksam zu machen. Was nun?! Hatte der Mann Recht, und bestand man all gemein auf Lieferung der von mir verkauften Mengen, dann sah es schlimm aus. Es handelte sich um Sein oder Nicht sein. Aber der Mann konnte doch nicht Recht haben. Stroh- papier war und blieb doch der bekannteste geringste Packstoff, der nur die ihm von der Natur verliehene gelbe Strohfarbe I zeigte, es sei denn, (lass ihm der eine oder andere gewissen- | lose Papierfabrikant, um das Gewicht zu erhöhen, etwas Lehm zusetzte, und Lehm ist doch keine Farbe. Was nun? trug ich mich nochmals und kam schliesslich auf den Gedanken, Herrn Rittershaus um Rath zu fragen. Der war jedoch am selbigen Abend wiederum einer Einladung gefolgt, und es war spät, als er zurückkehrte. Da für den nächsten Sonntag Morgen eine Partie unter verschiedenen Geschäftsreisenden im Landauer nach X. verabredet war, an der ich mich auch betheiligen wollte, so hatte ich es für räthlich gehalten, ihn zu erwarten. Ich trug ihm den Fall vor, und sofort übergab er mir seine Karte, auf der er einen Gruss an irgend einen der höchst stehenden Steuerbeamten in Basel, in dessen Familie er ein geführt war, verzeichnete; selbstredend blieb ich von dem ge planten Ausflug zurück, begab mich gegen 11 Uhr vormittags in die Privatwohnung des Beamten und wurde auf Grund meiner Empfehlung sein' liebenswürdig empfangen. Ich legte nun diesem Beamten ein Muster von Strohpapier mit der Frage vor, wie er wohl dieses Papier verzollen würde? Keinen Augenblick war er mit seiner Antwort im Unklaren, diese lautete: 8 Frank kostet dies Papier Zoll«. Auf meinen Einwand aber, dass dies doch das allergeringste Packpapier sei, und es sieh schon durch den Preis als solches bekunde, hatte er nur ein mitleidiges Lächeln. Was nun? fragte ich mich wieder. Ich wusste ans dem Dilemma nicht heraus, wartete die Rückkehr des Herrn Rittershaus ab, erzählte ihm wie es mir ergangen und erbat seine weiteren Rathschläge. »Sie haben ja doch auch in Bern zu thun, fahren Sie also morgen mit dem Frühzuge direkt nach Bern und nehmen Sie Zwischenliegendes auf Ihrer Rückfahrt mit. Lassen Sie sich alsdann morgen früh zwischen 11 und 1 Uhr bei dem Präsidenten der Schweizer Republik, Herrn Knüsel, melden und tragen Sie Ihre Sache vor, der muss und wird schon Abhilfe finden. »So lautete der Rath des Herrn Rittershaus, der mir einleuchtend erschien.- Bei schrecklichem Regen und Nebel, der mir Alles verhüllte, fuhr ich in die schöne Schweiz hinein, aber noch schrecklicher, düsterer und regnerischer sah es in meinem Innern aus. Ich liess mich zur angesetzten Stunde melden, es wurde mir aber vom Pförtner, der ein kleines Verhör mit mir anzustellen sich erlaubte, schon bedeutet, dass ich schwerlich den Herrn Bundes-Präsidenten zu sprechen bekommen würde, und er wies mich an einen Abtheilungs-Dirigenten. Dieser schickte mich an irgend einen Schreiber weiter. Auch hier war’s nichts. Der Schreiber, so nenne ich den Herrn, weil ich nicht weiss, in welchem Range er stand, bedeutete mir sehr aufrichtig, dass der Schweizer Zolltarif ein sehr unvoll ständiges Machwerk sei und namentlich bei Papier und Eisen sehr viele Fragen offen liesse, dass ich aber für Strohpapier unbedingt wohl 8 Frank zahlen müsse. Und mit diesem Bescheid musste ich abziehen, was blieb mir übrig? Herr Rittershaus hatte mir gesagt, dass auch er am Abend desselben Tages in Bern eintreffen und im »Hotel aux Gentilshommes« Wohnung nehmen würde. Ihn wartete ich also ab. Er kam und musste wieder mein Leid und meine Sorgen anhören, aber er wusste auch jetzt wieder Rath. Zunächst begann er ein kleines Verhör. Ich würde mich doch wohl im Frack haben melden lassen und ein Zehnfrankstück dem Pförtner geopfert haben?! Nichts von dem war meinerseits geschehen. Einen Frack führte ich selbst verständlich nicht mit, hatte indessen meine Reise in einem funkelnagelneuen Anzug angetreten, den ich auch für den Präsidenten der Schweizer Republik gut genug erachtete. Herr Rittershaus belehrte mich eines Besseren. Er sowohl als der Hotelwirth boten mir Fracks an; welchen ich benutzt habe, weiss ich heute nicht mehr. Kurz und gut, ich stak am anderen Morgen zur Besuchszeit in einem Frack, hatte ein loses Zehn- frankstückchen in der Hand, ein Muster von Strohpapier in der Tasche und zog los. Mein Zehnfrankstück hatte ich bald an den Mann gebracht, sprach dem Pförtner von einem unbedingten »Sprechen müssen« und war dann auch bald ge meldet. Ich wurde nun von dem Präsidenten der Schweizer Republik em p fangen, nicht mürrisch, nicht auf, die Uhrschauend und damit sagend »fünf Minuten und nicht mehr«, nein, ich konnte meine Sache in Ruhe eingehend vortragen. Auch er betonte, dass Papier und Eisen im Schweizer Zolltarif viele Fragen offen liessen, dass indessen Zweifel zulässig wären, ob Strohpapier in die Kategorie der Papiere zu registriren sei. die zu 8 Franken zu verzollen seien. Ich solle nur ruhig einmal eine Kleinigkeit Strohpapier nach der Schweiz dirigiren lassen. solle"abwarten, wie man dieses verzollen würde, und falls es nach meiner An-