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PAPIER-ZEITUNG Nr. 86 Jahresbericht der Preussischen Gewerberäthe für 1895 Jugendliche Arbeiter. Ein Dütenfabrikant im Regierungs- Bezirk Koblenz, der in seiner Fabrik sehr geringe Löhne zahlt, beschäftigt als Heimarbeiter in einer Gemeinde 42 Familien mit 60 schulpflichtigen, 13 noch nicht schulpflichtigen Kindern und 10 jugendliche Arbeiter mit Dütenkleben. Der Bürgermeister berichtet hierzu Folgendes: »Bei den sehr niedrigen Akkord sätzen müssen die Leute mit ihren Kindern bis spät in die Nacht arbeiten, um 1 M. 20 Pf. täglich zu verdienen. Die Kinder kleben täglich 1—2000 Düten, je nach Alter und Kräften, und es wurden für 1000 tück von der kleinsten Sorte 10—15 Pf. bezahlt. Die Arbeitszeit dauert bis spät in die Nacht.« In den Städten Alt- und Neu-Ruppin, Lindow, Rheinsberg, Wusterhausen a. D. sind seit 20 30 Jahren besondere Werk stätten entstanden, in welchen die Hausindustrie der Bilder bogenmalerei schwunghaft betrieben wird. Diese Kolorir- anstalten, die als Zweigniederlassungen Ruppiner Grosshändler anzusehen sind, werden von selbständigen Unternehmern geleitet, welche die Einrichtungen ihrer Werkstätten von den Grossfirmen übernommen haben. Heizung und Beleuchtung sind Sache der Unternehmer, Farben, Pinsel und sonstige Arbeitsgeräthe die der Arbeiter. Die Grossfirmen liefern für die einzelnen Aufträge nur schwarz bedruckte Bilderbogen, während die Unternehmer deren Kolorirung, vorwiegend durch Kinder, unter Anwendung von Schablonen besorgen. Solche Werkmeister, die meistentheils früher in einer Neu-Ruppiner Bilderfabrik als Schablonenmaler angelernt worden sind, haben die selbständige Annahme der Arbeiter und vereinbaren die Lohnsätze und Lohnzahlungen nach freiem Ermessen. Die schulpflichtigen Kinder im Alter von 12 14 Jahren arbeiten gewöhnlich nachmittags von 41/2- 7 Uhr, Mittwochs und Sonn abends von 1 7 Uhr mit halbstündiger Pause. In zwei Werk stätten werden die Arbeiten Sonnabends um 4 bezw. 6 Uhr be endet. In Rheinsberg dauerte die Arbeitszeit der Kinder jeden Nach- mittag von 1-7 Uhr und wurde durch eine Pause von 4—43/4 Uhr unterbrochen, während welcher die Kinder, wie auch ander wärts Mittwochs und Sonnabends, im elterlichen Hause Kaffee trinken. Die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit beträgt in Alt-Ruppin, Lindow und Wusterhausen 18 21 Stunden, in Rheinsberg 30 Stunden oder täglich drei bis sechs Stunden. Empörend ist es, dass die Kinder mit Vorliebe während der Sommerferien beschäftigt werden, und dass sie gerade in einer Zeit, wo sie sich erholen sollten, in jenen Werkstätten bis zur Erschöpfung arbeiten müssen. Ihre tägliche Arbeitszeit dauert dann 91/2 10 Stunden, von morgens 7 Uhr bis abends 7 Uhr, und wird durch drei Pausen von 2- 2%astündiger Dauer unterbrochen. Der Lohnsatz ist in der Regel für Kinder und Erwachsene gleich und beträgt in Wusterhausen 15, in Rheinsberg 16. in Lindow 171/2 Pf., in Alt-Ruppin für Knaben 15. für Erwachsene 18 Pf. das Riess einschliesslich selbst gelieferter Farben. Der Wochen verdienst schwankt inner halb der Grenzen von 75 Pf. bis 2 M. 50 Pf., im Durchschnitt beziffert er sich für Alt-Ruppin auf 1 M. 30 Pf., für Lindow auf 1 M. 20 Pf., für Rheinsberg auf 2 M., für Wusterhausen auf 1 M. 65 Pf. oder für eine Arbeitsstunde auf 61/2 bis höchstens 8 Pf. Ira Spätherbst 1895 ermittelte der zuständige Gewerbe- Inspektor zusammen 45 Kinder in jenen Anstalten. Während der Sommerferien dürfte ihre Anzahl die dreifache sein. Im Allgemeinen sind die Werkstätten hell und frei gelegen. Die Alt-Ruppiner ist eigens für den Zweck gebaut, besteht aus einem Erdgeschoss und liegt frei, nahe am Walde. Die andern befinden sich im ersten Stock gewöhnlicher Wohnhäuser. Der durch Messung und Schätzung ermittelte Luftraum der Werk stätten beträgt für den einzelnen Arbeiter in Alt-Ruppin 11, in Lindow 13, in Rheinsberg 7, in Wusterhausen 6 cbm. Für die Anfertigung der häuslichen Schularbeiten bleibt den in der Bildermalerei beschäftigten Kindern wenig Zeit übrig. In früheren Jahren arbeiteten einzelne sogar noch eine Stunde vor Beginn des Frühunterrichtes in der Werkstatt. Gegen diese l Jeberanstrengung schulpflichtiger Kinder richtet sich ein Erlass des Unterrichtsministers vom 8. Mai 1882, in dem für die mit Fabrikarbeit beschäftigten Kinder der Nachweis eines aus reichenden Schulunterrichtes gefordert wird. Auf Grund dessen hat unterm 12. August 1882 der Regierungspräsident die Kreis- und Lokalschulinspektoren und die Schulkommissionen in den Städten angewiesen, mit Strenge darauf zu halten, dass schul pflichtige Kinder, denen die Beschäftigung in Fabriken ge stattet ist, 1. niemals vor der Schulzeit früh zu den Fabrik- Arbeiten herangezogen werden, 2. dass sie nach dem Schluss! ' der unbeschränkten Schulzeit mindestens eine ganze Stunde zu freier Verfügung haben müssen, bevor sie in die Fabrikarbeit eintreten. Die Bescheinigungen, dass den Anforderungen der Schule vollständig genügt sei, diu-fen Kindern, die in Fabriken arbeiten, nur dann ertheilt werden, wenn obigen beiden Be dingungen entsprochen ist. Die Früharbeit hat infolgedessen thatsächlich aufgehört, und auch die befragten Lehrer erklärten, dass die Kinder seitdem grössere Frische beim Unterricht zeigten. Die zweite Bedingung konnte leider bei den Anstalten nicht durchgeführt werden, weil laut Urtheil des Reichsgerichts, II. Strafsenats, vom 18. September 1888 das Bilderkoloriren nicht als Fabrikarbeit im Sinne der Gewerbe-Ordnung anzusehen sei. Hiernach gilt es als Hausindustrie, und die §§ 135 ff. der Gewerbe ordnung können nicht zur Anwendung gebracht werden. Sonntagsarbeit. Von dem Bezirksausschuss zu Marienwerder wurde einer Holzschleiferei und Pappenfabrik die Erlaubniss ertheilt, an allen Sonntagen des Jahres den Betrieb aufrecht erhalten zu dürfen unter Einhalt der Bestimmungen des § 105c Abs. 3 a. a. 0. Die die Schleiferei treibende Wasserkraft ist namentlich bei Hochwasser und Frost sowie auch bei Trocken heit sein' unregelmässig. Im Danziger Bezirk wurde einer Papierfabrik, einer Fabrik zur Herstellung von Papier-Halbstoff und einer Holzschleiferei die Beschäftigung der Arbeiter an höchstens 36 Sonn- und Festtagen mit Ausschluss des ersten Weihnächte-, Oster- und Pfingsttages gestattet. Den Arbeitern sind hierbei Ruhezeiten gemäss § 105c Abs. 3 oder 4 a. a. 0. zu gewähren. In der Papierfabrik, welche 124 Personen be schäftigt, wurde die Beschäftigung beim Betriebe der Dampf kessel, der Holländer, der Kollergänge und der Papiermaschine gestattet, wobei insgesammt 39 Arbeiter thätig sind. Nur diese dürfen zur Sonntagsarbeit herangezogen werden. In der Halb zeugfabrik arbeiten 70 Personen; es wurde hier nur der Dampf kessel-, Kocher- und 1 Holländerbetrieb gestattet, wobei insge sammt sechs Personen thätig sind. Für die Holzschleiferei wurde die Beschäftigung beim Betriebe der Schleifapparate, Mahl steine und Trockenmaschinen genehmigt, wobei von der 14 Köpfe zählenden Arbeiterschaft sechs herangezogen werden können. Erwähnenswerthe Unfälle. In einer Holzsehleiferei und-Leder- pappenfabrik explodirte ein zum Kochen von Holz unter hohem Druck behufs Herstellung von Braunholzstoff benutztes Gefäss, dabei wurde ein junger Arbeiter getödtet, zwei wurden schwer und zwei leicht verletzt. Da ein Verschulden des Besitzers oder des Erbauers des Dämpfers an der Explosion nach den statt gehabten Ermittelungen nicht angenommen werden konnte, so wurde das eingeleitete strafrechtliche Verfahren eingestellt. In einer Papierfabrik löste der an den Lumpenkochern be schäftigte Arbeiter die Schrauben eines Verschlussdeckels, ohne dass vorher der Dampfdruck aus dem Kochei- durch das Ventil und die Ablasshähne vollständig entfernt worden war. Als er die Schrauben bis auf zwei Stück gelockert hatte, wurde der Deckel durch den im Kocher noch vorhandenen geringen Dampfdruck plötzlich abgeworfen und die heisse Brühe und die Lumpen in den Kocherraum hineingeschleudert. Hierbei erlitt der Arbeiter so schwere Brandwunden, dass er in den nächsten Tagen starb. Gleichzeitig wurde ein in demselben Raume am andern Kocher beschäftigter Arbeiter so verbrüht, dass er kurze Zeit nachher seinen Verletzungen erlag. Aus Anlass dieses Vorfalles sind die betreffenden Fabriken des Bezirkes aufge fordert worden, in der Nähe des Verschlussdeckels der Kocher einen besonderen Probirhahn anbringen zu lassen, der mit einem Draht in gerader Richtung durchstossen werden kann. In den betreffenden Räumen soll ferner ein Plakat angebracht sein, durch welches die Arbeiter angewiesen sind, vor dem Lösen der Deckelschrauben den Probirhahn zu öffnen und sich durch mehrmaliges Durchstossen mit dem Draht davon zu über zeugen, dass der Hahn nicht verstopft ist, und dass kein Dampl mehr aus dem Kocher entweicht. In einer Papierfabrik versuchte ein Arbeiter trotz des an- eschlagenen Verbotes während des Ganges die Lager der aupttransmission zu ölen: er rutschte hierbei aus, wurde von dem Riemen einer Scheibe erlässt und erlitt einen Beinbruch sowie schwere Fleischverletzungen am andern Bein, sodass er nach wenigen Tagen starb. Schluss folgt.