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Das Urteil von Magdeburg. 3 Konale Gefängnis für Röthardt. Magdeburg, 23. Dezember. Im Beleidigungsprozeß des Reichspräsidenten Ebert gegen den Redakteur Rothardt verkündete das Magdeburger Schöffengericht folgendes Urteil: Der Angeklagte Rothardt ist der Beleidigung des Reichspräsidenten schuldig besunden und zu drei Monaten Gefängnis verurteilt worden. Dem be leidigten Reichspräsidenten Ebert wird die Befugnis er teilt, das Urteil je einmal in der Mitteldeutschen Presse (und zwar in dieser Zeitung auf der ersten Seite) sowie in der Magdcburgischen Zeitung und im Vorwärts auf Kosten des Verurteilten zu veröffentlichen. Die noch vor handenen Exemplare des Blattes der Mitteldeutschen Presse vom 23. Februar 1924 werden beschlagnahmt und vernichtet. Rach der Verkündigung des Urteils begann der Vor sitzende mit der ausführlichen Begründung, die etwa eine Stunde dauerte. Er setzte der Begründung nochmals den inkriminierten Artikel vom 23. Februar 1924 in der Mitteldeutschen Presse voraus, indem er diesen Artikel verlas- * Aus der Begründung. Die Urteilsbegründung stellt fest, daß die Verhandlung keinen Nachweis für die Richtigkeit der Behauptungen des Angeklagten erbracht habe. Insbesondere sei direkt wieder legt, daß Oberpräsident Noske in Chemnitz einen Streik entfesseln wollte. Die Aussagen der Zeugen Gobert und Syrig erschienen nicht glaubwürdig. Die , Sozialdemokratische Partei und Ebert hätten den Streik f nicht angezettelt, er sei vielmehr ohne ihre Mitwirkung ent standen. Das Gericht hätte zu prüfen gehabt, ob seitens des Nebenklägers Ebert Landesverrat vorgelegen habe oder nicht. Das Gericht habe diese Frage nur vom st raf- rechtlichen, nicht aber von dem moralischen, politischen oder historischen Standpunkt untersuchen können. Diese Frage vom historischen oder vom moralischen Standpunkt aus zu prüfen, müsse der Geschichte überlassen bleiben. Ein poltischer Massenstreik der Rüstungsindustrie während des Krieges sei objektiv Landesverrat. Wenn die Streikenden im Streik verharrten, so begingen sie Landesverrat, und auch diejenigen, die den Streit orga nisierten, stärkten und stützten, haben sich des Landesver rats schuldig gemacht. Ist nun nachgewiescn, daß der Nebenkläger das getan hat? Die Sozialdemokratische Partei und der Nebenkläger haben den Streik nicht angc- zettclt, er ist ohne ihre Mitwirkung entstanden. Der Neben kläger hat sich aber an der von den Streikenden zur Orga nisicrung und Förderung des Streiks eingesetzten Streik leitung aktiv beteiligt. Die Urteilsbegründung schildert dann die Tätigkeit des Nebenklägers während des Streiks, bespricht seine Treptower Rede, wo er die Berechtigung der Streikforderungen anerkannt und erklärt habe: „Haltet ruhig aus, eure Arbeitsbrüder in anderen Städten stehen zu euch!" „Damit," fährt die Begründung fort, „ha! der Nebenkläger zum Ausharren im Streik aufgefordert. denn es ist nicht zutreffend, daß der Ton seiner Aus führungen auf dem Worte „ruhig" lag. Alle diese Hand lungen, die den Streik organisierten und förderten, hat der Nebenkläger als solche gewollt, obwohl er einfach, daß sie für den Streik einen fördernden Erfolg haben und infolgedessen der Kriegsmacht Schaden zufügen würden. Der Nebenkläger hat also im Sinne des 8 89 des Straf gesetzbuches vorsätzlich gehandelt, und es ist somit erwie sen, daß er im strafrechtlichen Sinne Landesverrat be gangen hat. Als der Angeklagte den Reichspräsidenten beleidigte, habe er nach seinen eigenen Angaben keine Anhaltspunkte für die von ihm erhobenen Vorwürfe gehabt, damit bade er absichtlich eine so schwere Beleidigung ausgesprochen. Das Gericht hat beschlossen, dem Angeklagten nach Ver büßung von zwei Monaten Gefängnis für den Strafrest eine Bewährungsfrist von drei Jahren zuzubilligen, da die Tai nicht zuletzt auf Leichtsinn und Unerfahrenheit zu- riickzuführen ist. Berufung des GiaaiMnwalis. Sowohl durch den Generalstaatsanwalt wie auch von feiten der Verteidigung des Nebenklägers, Reichspräsi denten Ebert, ist gegen das Urteil des Magdeburger Schöffengerichts Berufung eingelegt morden, da das Ur teil juristisch unhaltbar sei, weil es in seiner Begründung sich nicht lediglich auf den 8 l86 des Strafgesetzbuches stütze. Die Verteidigung des Angeklagten Röthardt soll nicht beabsichtigen gegen das Urteil Berufung einzuleaen. Michael - Kutisker. Nerüchte um den reichsten Mann Deutschlands. s. Berlin, 23. Dezember. Iwan K u t is ke r, der Generaldirektor der Bank E. von Stein und Co., A.-G-, ist also verhaftet und es muß sich bald zeigen, was es mit den Geschäften, die er mit der Preußischen Staatsbank (Seehandlung) getätigt hat, auf sich hatte. Aber was ist mit Jakob Michael, den jeder Schusterjunge als den „reichsten Mann Deutschlands" kennt? Urplötzlich ist nämlich der Name Jakob Michael in Gemeinschaft mit dem Namen Iwan Kutisker genannt worden, und das gibt immerhin zu denken, denn Iwan Kutisker ist „kein Renommee". Hatte man doch gestern sogar behauptet, daß nicht nur Kutisker, sondern auch Michael verhaftet worden sei. Das konnte bald richtiggestellt werden: Michael ist nur in Sachen Kutisker vom Staatsanwalt als Zeuge gehört worden und dann in die Ferien gegangen. Er weilt nämlich augenblicklich in der gastlichen Schweiz, von wo er in etwa vierzehn Tagen nach Berlin zurückzukehren gedenkt. Es muß aber doch festgestellt werden, daß gegen Michael mehrere Anzeigen bei der Staatsanwalt schaft erstattet worden waren. Auf Beamtenbe stechung lautete die eine, auf Z i n s w u ch e r die andere. Die Beamten, die bestochen worden sein sollten, waren hohe Würdenträger der Preußischen Staatsbank, die Ge heimräte Rühe und Hellwig. Die Sache hat sich aus klären lassen: die Geheimräte sind nicht gekauft worden, sondern haben nur mit ausdrücklicher Erlaubnis des früheren Präsidenten der Seehandtuna. "rv ^ruelinrnrs. v o n 2) o m v o l s , für einen dem reichsten Manne Deutschlands günstigen Schiedsspruch von eben diesem reichsten Manne je 20 000 Mark Honorar erhalten. Und auch der Zinswucher erwies sich als eine harm lose Sache. Es handelte sich um ein Überbleibsel aus der mit Recht so gefeierten Inflationszeit, und damals waren, wie Michael zu Protokoll gab, Zinssätze von der Art der von ihm festgesetzten eine Alltäglichkeit. Personalordnung der Reichsbahn. Ab 1. Januar 1925. Der endgültige Entwurf der Personalordnung für die Deutsche Neichsbahngesellschaft ist nunmehr erschienen. Er bringt in einigen Punkten nicht unwesentliche Veränderun gen gegenüber den ersten Entwürfen^ So steht unter anderem nunmehr fest, daß die ordentliche Kündigung bei Beamten desunteren Dienstes nur für denSchluß eines Kalender monats zulässig ist und spätestens am ersten jeden Monats zu erfolgen hat. Bei Beamten des mittleren Dienstes darf die Kündigung nur am Schluß eines Kalendervierteljahres unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von zwei Monaten statt finden, Bei der Besoldung erläßt der Generaldirektor Richtlinien über Prämien für besondere Leistungen im Dienst und für Ersparnisse an Material, über die Er krankung von Beamten heißt es, daß bei den auf Kün digung oder Widerruf angestellten Beamten im Falle einer 26 Wochen überschreitenden Dauer ihrer Krankheit von dem Kündigungs- oder Widerrufsrecht kein Gebrauch zu machen ist, wenn man damit recynen rann, vag der enrantte Be amte in absehbarer Zeit den Dienst wieder aufnehmen wird. Diese Bestimmungen treten zum 1. Januar in Kraft. Gleichzeitig erscheint auch zum 1. Januar eine Neuordnung des Betriebsrätegesetzes und des Beamtenrätegesetzes für die Reick,sbabn. das wichtige Neuerungen enthält. s politllchr kunchchau Treuhandstelle für die Rentendank. Im Neichsministerium für Ernährung und Landwirt schaft wurde die Treuhandstelle für die Deutsche Renten bank errichtet, der die Aufgabe obliegt, die der Deutschen Rentenbank zur Verfügung stehenden Mittel in der Über gangszeit bis längstens 1. November 1925 den land wirtschaftlichen Kreditinstituten zur Weitergabe an die Landwirtschaft zuzusühren. Die Treuhandstelle ist gebildet worden aus der Deutschen Rentenbank, dem Deutschen LanLwirtschaftsrat, dem Neichsbankdirektorium, der Preußischen Staatsbank und der Bayerischen Staatsbank. Zurücknahme der Ausweisungen. Sämtliche Ausweisungsbefehle aus den besetzten Ge bieten sind bis auf fünfzehn zurückgenommen worden, über die noch verhandelt wird. Insgesamt wurden 40 000 Haushaltungsvorstände mit 90 000 Familienangehörigen ausgewiesen. Davon waren mehr als 37 000 Beamte und gegen 3000 Privatpersonen. Der Zinssatz bei Wechseln und Schecks. Der Finanzpolitische Ausschuß des vorläufigen Neichs- wirtschastsrats nahm in seiner letzten Sitzung einstimmig eine Entschließung an, nach der er es für notwendig er achtet, daß derZinssatzbeiWechseln und Schecks jeweils ohne weiteres dem Reichsbankdiskont angepaßt und auf das Eineinhalbfache des Reichs bankdiskonts bemessen wird. Ein Antrag, der das Reichs justizministerium auffordert, dem Mißbrauch mit ungedeckten Schecks aufs schärfste entgegenzutreten, wurde gleichfalls einstimmig angenommen. Rheirrlandsitzung des preutz. Kabinetts Unter dem Vorsitz des Ministerpräsidenten Braun sand in Berlin eine Sitzung des gesamten preußischen Staatsministeriums statt. Die ersten Beamten des Rhein landes waren erschienen und erstatteten Bericht über die Lage im Rheinland. Der Ministerpräsident richtete im Namen des Kabinetts an die Nheinlandbeamten die Auf forderung, die Übermittler seines ausrichtigen Dankes au die rheinische Bevölkerung zu sein, die in unerschütterlicher Opserbereitschaft in schwerster Zeit dem Reich und Preußen die Treue gehalten habe. An der Sitzung nahmen u. a. auch Vertreter der politischen Parteien der Rhein- vrovinr <<>il Spanien Englische und italienische Truppen nach Tanger? Nach einer Meldung aus Gibraltar sind die englischen Zerstörer „Tournalin" und „Splendid" mit 300 Offi zieren und Soldaten an Bord nach Tanger abgefahren, um die Stadt gegen die Angriffe der Andjera-Rebellen zu verteidigen. In der Meldung heißt es weiter, daß auch italienische Truppentransporte Nach Tanger unterwegs seien. Eine zweite Meldung widerruft aber diese Truppentransporte. Vom Auswärtigen Amt in Lon don war bisher keine Bestätigung, aber auch kein offizielles Dementi dieser Nachricht zu erlangen. Aus In- und Ausland. London. Macdonald hat eine zwcimonaiige Urlaubs reise nach Amerika angetreten, um seinen angestrengten Nerven Erholung zu bringen. Rom. Der Pap st ist an Influenza erkrankt und mutz au, Anraten seines Leibarztes die Audienzen einstellen und das Bett hüten. Washington. Der deutsche Botschafter Dr. Wiedseldt überreichte dem Vorsitzenden des amerikanischen Roten Kreuzes JohnBartvnPaynedie erste Klasse der deutiS,-" Kreuz-Medaille. Ein Maienglück - Originalroman von C. Wilden bürg. 5. (Nachdruck verboten.) Eines Tages, nachdem Wilma einen Kunden hinaus geleitet hatte, steckte der Chef seinen pomadesierten und stark geölten Kopf durch die kleine Spalte der Tür, die zur Dunkelkammer führte. In diesem Augenblick ge'iel Wilma sein Takminkünst- terkopf mit den schwarzen fettigen Haaren noch weniger als sonst. „Ach, Fräulein Wilma, bitte, kommen Sie doch einen Augenblick herein und Helsen Sie mir die Bilder im Tonbad umdrehen; die müssen schnell fertig werden. Und es wartet noch so viel andere Arbeit auf mich! Bitte, bringen Sie auch das Bromsalz mit!" rief er ihr noch zu. Wilma begab sich in die kleine Küche, Laboratorium genannt, wo der Photograph sein Arbeitsmaterial auf-- i zubewahren pflegte. Sie schützte Nichtkönnen vor und wollte ihrem Chef die Sachen nur durch die Tür reichen. Der wiederholte aber: „Bitte, Fräulein, kommen Sie doch herein!" Wilma wußte ndch nicht, daß alleinstehende Frauen, die auf den Erwerb angewiesen sind, von vielen Män nern als vogelfrei und als eine Art von Ware be trachtet werden, die jeder, den es gerade gelüstet, sich nehmen darf. Sie trat also in die Dunkelkammer und bemerkte nicht, daß ihr Chef geräuschlos den Schlüssel umgedreht hatte. Nur die rote Lampe brannte in dem kleinen, senster- llosen Raum. Wilma stand neben Elias Gädecke und schaukelte die Schale mit dem Tonbad, in dem die Bilder lagen. Da fiel ihr Plötzlich auf, daß die Hände des Mannes neben ihr immer an die ihrigen stießen, wenn sie sich in der großen Glasschale zu schaffen machte, um das Fixieren der Bilder zu Prüfen. Das war nun schon das dritte Mal! Wilma überlegte gerade, ob sie lieber gehen sollte, da faßte Elias Gädecke mit einem Male Mut. Mit einem kühnen Griff legte er den Arm um die Taille Wilmas und sagte: „Fräulein, wenn Sie ein bißchen nett zu mir sind, dann bessere ich auch Ihr Gehalt auf." Und als er das Ausblitzen in den Augen der sprach los Dastehenden gewahrte, setzte er noch hin'M „Nu, seien Sie man nich so! Verstellen Sie sich man nich! Sie werden doch nicht anders sein als die andern alle." Er machte nun einen Versuch, seine Lippen dem reinen, feinen Antlitz Wilmas zu nähern. „Lassen Sie mich augenblicklich los!" schrie da Wilma auf und begann mit ihrem Peiniger zu ringen. Im letzten Augenblick als Elias Gäsecke schon säst sein heiß ersehntes Ziel, den nie von Mänuerlippen berührten Mund, erreicht hatte, da gab die höchste Not und Wilmas Schutzengel ihr Riesenkrä te. Mit einem gewaltigen Stoß schleuderte sie den kleinen, schwachen Photographen zur Seite und floh aus der Dunkelkammer wie gehetzt, raffte Hut und Jacke vom Kleiderrechen und eilte auf die Ein gangstüre zu. „Das sollen Sie mir büßen, Sie dumme Person!" rief ihr der Chef noch nach, der plötzlich seine ganze, nur äußerlich anlackierte Vornehmheit vergessen hatte. Aber Wilma hörte nichts mehr. Sie ließ den aus stehenden Gehalt und alles im Stich und lief fliegenden Fußes die Treppe hinunter, überglücklich in dem Ge danken, daß der widerliche Mensch seinen Zweck nicht erreicht hatte! Tief aufseufzend lehnte sie sich dann unten an einen Laternenpfahl. Herrgott, wie schrecklich war das ge wesen!" Wie ein höllischer Faun hatte der Kopf von Elias Gäsecke im fanastischen Zwielicht der Dunkelkammer ausgesehen. — Sie fühlte sich erst in Sicherheit, als sie nntn Men scheu in der elektrischen Bahn die Chanss.cst caste lnnau> fuhr. „So, das wäre auch vorüber," sagte sie lakonisck zu sich selbst. Und dann begann das schreckliche Stellungsuchen vom neuem. Sie sehnte sich doch manchmal nach der stillen Ruhe der Heimatstadt zurück. Und in solchen Momenten dachte sie zuweilen an ihren einstigen Reisegefährten, der doch eigentlich einen recht sympathischen Eindruck auf sie ge macht hatte. Es wäre ihr gar nicht unangenehm ge wesen, wenn er ihr jetzt seinen guten Rat gegeben hätte. Aber er schien verschwunden, hatte sie wohl schon ver gessen; die Männer waren nun einmal nicht anders. Ihn zu sich bitten zu lassen, hätte ihr weibliches Zart gefühl verboten; auch hatte sie seinen Namen nicht ge nau behalten, sonst hätte sie ihn wenigstens im Adreß buch sinden können. — „Nee, aber soon gemeiner Hund;" sagte Frau Puh- like, als ihr Wilma das schreckliche Erlebnis beim Pho tographen erzählte. „Das müßte man mal ordentlich bei seinen langen Ohren nehmen, soon oller Mädchen- räbcr, soon Schürzenjäger." Wilma stiegen nun doch für einen Augenblick die Tränen in die Augen, als sie ihre trostlose Lage über dachte, und das tat Frau Puhlike leid. „Nu, nehmen Sie sich dat man nicht zu Herzen Fräulein Wilmachen!" tröstete sie gutmütig. Die ganze unangenehme Situation der ersten Tage wiederholte sich nun: Die arm: Wilma kostete das E.end der Stellungsuchenden wieder bis auf den Grund aus. Morgen für Morgen saß sie im Mietsbüro ohne Er folg; sie wagte nicht mehr zu annocieren, da ihre Bar schaft zu sehr zusammengeschmolzen war. Was würden die nächsten Tagen bringen? Einetie'e Niedergeschlagenheit bemächtigte sich ihrer; sie war ni R mehr aus dem Zimmer herauszubringen und nur mit Mühe zu bewegen, die Mahlzeiten einz nehme». (Fortnkuna