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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 08.02.1905
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1905-02-08
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19050208010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1905020801
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1905020801
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1905
-
Monat
1905-02
- Tag 1905-02-08
-
Monat
1905-02
-
Jahr
1905
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Annahmeschlutz siir An;eigen: Abend-Ausgabe: vormittag» 10 Uhr. Margen-Ausgabe: nachmittag» 4 Uhr. Anzeigen sind stet» au die Expedition zu richten. Extra-Beilagen (nur mit der Morgen- Ausgabe- nach besonderer Vereinbarung. Die Expedition tst wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi» abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Pol; in Leipzig (Juh. vr. L..R. L W. Kltnkhardt-. SS. Jahrgang. Var Aichtigrte vom rage. * Dem Reichstage geht in den nächsten Tagen die Vorlage über den Bau der Kamerun- bahn zu. * Das preußische Abgeordnetenhaus hat die Kanatvorlage in zweiter Lesung angenommen. (S. Bericht.) * Von 39 500 Arbeitern des Beckens von Charte rst waren gestern 23 000 ausständig, im Becken von Borinage 19000. * Die amtliche Petersburger Telegraphen-Agen- tur nennt die Meldungen über einen vom Aaren ge fundenen Drohbrief und von Gorkis Befreiung unbegründet. (S. Len Artikel.) * Wie aus Belgrad gemeldet wird, forderte der König Pasitsch auf. seine Demission zurückzu- nehmen: es fand ein Ministerrat statt. freie Fircbe im freien Staat. Es ist ein schönes Bild, wenn das Zentrum sich für konfessionelle Freiheit erwärmt. Das ist ähnlich, als wenn der Wolf dem Tierschutzverein beitritt. Einen schönen Toleranzantrag l^atte man sich für den Reichstag zurecht gemacht, zur Hauptsache bestehend aus den For- derungen konfessioneller Duldung, die ein altes Inventar des Protestantismus und des Liberalismus bilden und iibrigsns meist längst durchgeführt sind, so daß offene Türen eingerannt werden. Daran hat nmn dann einige Paragraphen gehängt, die speziell auf die Propaganda Les jesuitischen Katholizismus zugeschnitten sind und nur für diese passen. Tas ist des Pudels eigentlicher Kern. Der Staat sorgt denn doch noch fiir ein gewisses Maß gegenseitiger Duldung und verlegt den Zeloten nach einigen Niä^ungen den Weg. Tas wollen sie gern be seitigen und daher bekommt man den schönen Toleranz antrag. Toleranz ist das Wesen des Protestantismus, wenn auch gern zugegeben werden mag, daß er selber seiner Natur oft untreu geworden ist. Luther stürzte die alte Kirche und die Autorität der Konzilien, Kirchenväter und Päpste zu Boden und setzte an ihre Stelle, was die Ver nunft des einzelnen aus dem Wortlaut der Bibel zu deuten vermöge. Eigentlich waren für ihn nur die Evan gelien und der Nömerbrief maßgebend. Er erkannte recht wohl, daß andere Teile selbst des Neuen Testaments nicht auf gleicher Höhe stehen. Den Jakobusbrief nannte er eine stroherne Epistel. Anderseits war er von einer Stärke seines eigenen individuellen Glaubens, daß er wenig Meinungen außer der seinen gelten ließ, so daß er in ernsteren Dingen sofort List des leibhaftigen Teufels vermutete, wenn Leute auf ihrer entgegenge setzten Meinung standen. Er glaubte, Zwingli sei vom Teufel geschickt, um mit dem Streit über „dies ist mein Leib" und „dies bedeutet meinen Leib" die neue Kirche zu stören. Ein gewisser Zwiespalt zwischen Autorität und Vernunft des einzelnen ist im Protestantismus immer gewesen, wie der Katholizismus nicht Hinweg kommen kann über die Tatsache, daß die Konzilien wie die Päpste unter sich widerspruchsvoll aufgetreten sind. Im Ganzen ist aber doch im Protestantismus immer das Recht der eigenen Ueberzeugung das entschei dende Prinzip gewesen. Und ztvar je länger desto mehr. „Kein Mittler walte zwischen uns und Gott als unser -Herr und Heiland Jesus Christus", schrieb Kaiser Wil helm I., gewiß ein frommer Mann, an Papst Pius IX. Die ungeheure Macht, der sich entfaltenden Wissenschaft l>at immer mehr die Vernunft, also die freie Ucber- zeugung des einzelnen zum entscheidenden Faktor ge macht. Während man so früher über naturwissenschaft liche Fragen durch Zitate aus der Bibel entschied, hat jetzt die Theologie ganz darauf verzichtet, hierüber noch mitzukämpfen. Aber oftmals ist der Protestantismus sich selbst un treu geworden. Aus der Stärke der Ueberzeugungs- treue ging nur zu häufig das Verlangen hervor, andere Meinungen als unberechtigt oder gar verdammungs- würdig zu bezeichnen. Der evangelische Glaube kommt sicherlich nicht vom Staat, wohl aber hat der Staat dem Protestantismus die Kirche organisiert. In den ersten Jahren der Reforniation brach die alte Kirche vollständig zusammen, ohne daß etwas Neues an ihre Stelle trat. Fürsten und Grafen und Ritter sahen die Konfiskation des Kirchenguts als den vergnüglichsten Teil der Um wälzung an, hüteten sich aber, aus dem genommenen Gut neue geistliche Stellen, neue Schulen zu schaffen. Die Gemeinden aber scheuten solche Opfer und begnügten sich anfänglich damit, einen des Lesens kundigen Mann, mochte er auch sonst etwa ein Handwerker sein, anzu stellen, um sich Sonntags ein Kapitel aus der Bibel vorlesen und die nötigen Formeln bei Taufen, Hochzeiten und Beerdigungen sprechen zu lassen. Hatte doch Luther elbst gelehrt, daß jedermann Priester sein könne und die katholische Kirche nicht das Recht habe, die Spendung der Sakramente von einer Priesterweihe abhängig zu machen. Als er sah, was daraus wurde, schritt er selber im sächsischen Kurstaat mit Hülfe des Staats zur Organi- ation der neuen Kirche. Gemeindeordnung, Konsisto rien, Synoden sind staatliche Einrichtungen; ebenso der ideologische Lehrgang auf den Universitäten und die Ein setzung der Geistlichen: letzteres kann bestritten werden, aber es fehlen den Gemeinden meist die Formen für die Einsetzung von Geistlichen. Das hat den Staat denn sehr oft veranlaßt, sich auch zum Herrn über den Glauben zu machen. Er wählte die Universitätslehrer, die Konsistorien und demgemäß auch die seiner Genehmigung teilhaftig werdenden Geist ichen ganz einseitig aus einer Partei aus. Manchmal (in früheren Zeiten) ging er noch weiter und beurteilte die Beamten, sogar die Bürger nach ihrem Kirchenbesuch. Meistens hatten die freieren Geister Nachteil davon. Und noch heute ist das in einigen protestantischen Ländern der Fall, namentlich in Preußen, wenngleich im allgemeinen, trotz gelegentlicher Schwankungen der Staat sich immer mehr von diesem Felde zurückzieht. Noch heute kommt es in Preußen vor, daß Prediger wegen angeblichen Irrglaubens nicht bestätigt werden, daß sie sogar abge setzt werden, wenn sie sich über einzelne Dogmen frei- wütiger äußern. Auf die Tatsache eines segensreichen Wirkens während der Amtsdauer von mehreren Jahr zehnten wird dabei keine Rücksicht genommen. Das ist eine Einmischung des Kirchenregiments in den Glauben, die verurteilt werden muß. Die Aufgabe des Kirchenregiments sollte daraus be schränkt bleiben, die äußeren Angelegenheiten der Religionsgemeinschaften (und zwar aller) angemessen zu ordnen und im übrigen allen die Duldung zu verbürgen. Alle haben eine gewisse Neigung, anderen weniger zu gewähren, als was sie selber beanspruchen. Ohne diese Tätigkeit des Staates kommt es sehr leicht zu Streitig keiten, die im Interesse aller vermieden werden mügten und die so wenig der Religion dessen entsprechen, der da sagte: selig sind die Friedfertigen, denn sie werden Gottes Kinder heißen. Aber in den Glauben selbst sollte sich das Kirchenregiment niemals einmischen, am wenigsten das des protestantischen Staates. In diesem Sinne sollte stets die freie Kirche im freien Staate sein. Es gibt unseres Wissens nur einen deutschen Staat, der gar kein Kirchenregiment hat: Die freie Hansestadt Bremen. Der Staat war Jahrhunderte lang reformiert und daher intolerant gegen Lutherische und Katholiken. Tas Wachstum der Stadt brachte viele Angehörige letzterer beiden Konfessionen herein. 1848 wurde voll ständige Parität aller Konfessionen erklärt und in der neuen Verfassung dem Staate gar nicht einmal ein Kirchenregiment zuerkannt. Tas ist seitdem so geblieben. Die einzelnen Gemeinden sind vollständig souverän; sie wählen ihre Geistlichen und diese bedürfen keiner Ein führung durch den Senat. Ein Teil der Kirchen ist re formiert, ein anderer lutherisch, ein dritter utraquistisch. Auch die Katholiken stehen sich ganz gut dabei und sind zufrieden. Ein Teil der protestantischen Gemeinden ist orthodox, ein Teil freisinnig. Der Frieden wird kaum jemals gestört. Ob dies aber in einem großen Staat mögllich sein würde, kann man bezweifeln. In einem so kleinen Staat wie Bremen wird die Geistlichkeit doch wesentlich getragen von den Universitäten Deutschlands. Wesentlich dem dürfte es mit zuzuschreiben sein, daß die Gemeinschaft mit den großen Konfessionen Deutschlands ungestört geblieben ist. Die freie Kirche im freien Staat war der leitende Ge danke Cavours für die Verhältnisse im neuen Königreich Italien. Dort ist der Gedanke durchgeführt. Der Staat bekümmert sich gar nicht uni die Kirchen, macht sich aber auch nicht zu ihrem Büttel. Er hat die katholische Kirche organisiert bis zum letzten Gemeindedienst vorgefunden und neben ihr kaum nennenswerte dissentierende Ge meinden. Er hat sie so bestehen lassen mit allem An spruch auf geistliche Alleinherrschaft. Aber wenn sich protestantische oder irgendwelche sonstige dissentierende Gemeinden bilden, so erhalten sie vom Staate denselben Schutz. In ihre Verhältnisse, ihren Glauben, ihren Gottesdienst mischt er sich ebensowenig ein. Die Katho liken sind die erbittertsten Gegner dieses Zustandes. Sie wollen in jenem katholischen Lande die volle Herrschaft wieder haben. Wenn protestantische Kirchen in Rom er richtet werden, so spricht der Papst ein entrüstetes Ana- them aus. Es ist doch eine eigenartige Erscheinung, daß in Deutschland die Katholiken anstreben, was sie in Italien so verabscheuen und waS der Papst wie ein zum HimmSI schreiendes Greuel behandelt. Der selige Deuillot vom „Univers", der Hitzkopf der französischen Ultramontanen, sagte ganz offen: „Wenn ihr die Macht habt, so verlangen wir Toleranz, vermöge eurer Grundsätze; wenn wir die Macht haben, verweigern wir sie auch vermöge unserer Grundsätze." In der Tat, so ist es; so ist es auch noch heute bei unseren Ultramontanen. Ter Zentrums- redner im preußisct)en Abgeordnetenhaus, Herr Bachem sagte ganz richtig: - „Das Wesen der religiösen Toleranz ist durch die Auf fassung der Wahrheit der beiden Konfessionen bedingt. Für den Protestantismus ist die Wahrheit das, Vas der einzelne auf Grund seiner Anschauungen in seinem Innern als wahr erkannt hat. Es folgt daraus, daß man bei den einzelnen, die die Wahrbeit erkennen, auch eine Verschiedenheit der Be kenntnisse anerkennen kann und mutz. Dadurch versteht sich der Begriff der Toleranz mit der protestantischen Religions auffassung ganz von selbst. Die katholische Kirche kennt (kennt sie sie wirklich Ä>er bildet sie sich das nur ein?) nur eine objektiv« Wahrheit, unabhängig davon, ob sie von ein zelnen erkannt ist oder nicht. Die Wahrheit ist erhaben über jeden Zweifel. Daraus folgt, datz die katholische Kirche eine andere Religion als gleichberechtigt nicht anerkennen kann. Eine relegiöse Toleranz in diesem Sinne kann es also für die katholische Kirche gar nicht geben." Aus diesem Geist ist dann auch der Antrag auf Toleranz entsprungen. Natürlich muß den Katholiken diese in vollen« Umfange gewährt werden, auch wenn die katholische Kirche nicht zugeben will, daß sie sich in Be zug auf die objektive Wahrheit in grauslichen Irrtümern bewegen kann. Aber den eigentlichen Stachel des Aw träges braucht sich Deutschland doch nicht gefallen zu lassen. Dieser liegt darin, daß der Staat sein Kirchen regiment nicht mehr im Sinne des Friedens der Kon fessionen untereinander ausllben darf. Er soll auswär tigen Jesuiten und sonstigen Hetzaposteln nicht mehr das Handwerk legen können, er soll das Vetorecht bei der An- stellung von Bischöfen und Pfarrern — denn auch das folgt aus dem Anträge — aufgeben, falls staatliche Mittel nicht in Anspruch genommen werden. Mit anderen Wor ten: der fest und stramm organisierten katholischen Kirche sollen alle Freiheiten gelassen werden, um den kirchlichen Frieden zu stören, während die protestantische Kirche in diesem Sinne gar nicht organisiert ist. Den nicht anerkann ten religiösen Gemeinschaften will der Zentrumsantrag keine Rechte gewähren. So -seit ist es aber noch nicht im Deutschen Reiche, daß die Zentrumsdefinition von Toleranz zum herrschen den Gesetz werden könnte. Um Irrtümer zu vermeiden, noch ein Wort: Diese Stellungnahme ist diktiert von rein praktischen Er wägungen. Eine reinliche Scheidung von Kirche und Staat hat zweifellos viel Verlockendes für beide Teile und gewinnt auch immer mehr Anhänger; erst jüngst hat sich z. V. Stöcker für sie ausgesprochen. Aber an ihre Durchführung ist bei uns in absehbarer Zeit nicht zu denken. Also dünkt es uns schon am besten, man läßt dem Staate wenigstens einige Befugnisse, um sich die römischen Herrschaften nicht über den Kopf wachsen zu lassen. Tie im System liegenden Unzuträglichkeiten müssen dabei eben mit in den Kauf genommen werden. Vie firirir in Wzrlanä. Die Petersburger Telegrapheu-Agentur, die sich zweier Aufträge zugleich entledigt, ineldet: Die aus wärts verbreitete Nachricht, der Kaiser habe in seinen Privat gemächern in Zarskoje-Sselo einen an ihn gerich teten Drohbrief aufgesunden, entbehrt jeder Begründung. Ebenso ist die Meldung unbegründet, daß Maxim Gorki aus der Hast entlassen sei. — Dem ist das folgende Petersburger Telegramm des „B. T." zur Seile zu stellen: Gorki wird in der Peter Paul-Festung in strengster Einzelhaft gehalten. Er wurde sogleich am Tage der Ver haftung von Riga nach Petersburg gebracht und mußte Gefängniswäsche und den Gefängniskittel anlegen. Er wird in einer kleinen Isolierzelle gefangen gehalten. Papier und Tinte werden ihm verweigert. Die Gesundheits verhältnisse der am rechten Newaufer gegenüber dem Winter palais gelegenen Peter-Paul-Festung sind denkbar schlechte. Der Aufenthalt auf der Festung bringt für den lungen kranken Dichter, der in den letzten Jahren den Winter im sonnigen Jalta zu verbringen pflegte, Lebensgefahr mit sich. Am schwersten empfindet er das Verbot, sich geistig beschäftigen zu dürfen. Der einzige Anklagepunkt, der gegen ihn geltend zu machen ist, rst seine Teilnahme an der Deputation, die am Vorabend des Petersburger Blutbades Vie Minister bat, nicht auf wehrlose, friedliche Arbeiter schießen zu lassen. Vr»lygin. Aus Petersburg wird über Paris gemeldet: Eine dem neuen Minister deS Innern nahestehende Persönlichkeit schildert ihn dahin: Der neue Minister verlange von feinen Be amten klare Sprache und rasche Erledigung der Geschäfte. Er sei gewohnt, zwölf Stunden täglich zu arbeiten. Die russische Beamten- jchaft besitze nur einen Funktionär, der an Fleiß Bulygin gleichkomme, und da- sei Graf Lambsdorff. Große Ideen dürfe man indessen von Bulygin nicht erwarten. Er werde vor allen wichtigen Entscheidungen den Rat seine- Freundes, des Finanzministers «olowtzow, ein holen, der seinerseits wiederum sich der höheren Einsicht deS Großsürsten Sergius unterordnet. Treibereien zwischen Bulygin und Trepow werden vorläufig nicht für wahr scheinlich gehalten, da beide Machthaber ein gemeinsame- Interesse daran haben, ihre zur Zeit in den «chatten ge stellten Gegner Duruowo und andere fernzuhalte». Manochin. Die Person de- neuen russischen Justizminister« spricht für dir Beibehaltung de» alten Kurse» in der Justizver ¬ waltung. Der Nachfolger Murawiews, Geheimrat Sergei Manuchin, wurde 1856 geboren. Nach Absolvierung ter juridischen Fakultät der Petersburger Universität trat er 1879 in das Justizministerium. Eine Zeit lang diente er im Gerichtssprengel von Orel und wurde 1882 der Abteilung für Gesetzgebung im Justizministerium zugeteilt. Zusammen mit seinem Chef Murawiew arbeitete Manuchin das reaktionäre Gesetz über die Einführung der SemSkic Natschalniki aus, der Alexander III. das gesamte bäuerliche Leben auslieferte. Im Jahre 1890 wurde Manuchin Ober- prokuror und später Direktor des Departements jür Straf sachen im Senate. Mit besonderer Schneidigkeit trat er in Prozessen politischen Charakters auf. Auf dem Kongresse der kriminalistischen Anthropologie in Brüssel im Jahre 1892 vertrat Manuchin Rußland. Von einschneidender Bedeutung für die Rechtspflege in Rußland war die Teilnahme Manuchins an der 1893 angeordneten Durchsicht des Gerichtswesens in Rußland. Er unterordnete sich in dieser Beziehung den Weisungen Murawiews, welcher auf die russische Rechts pflege nicht blos mit den Augen eines Juristen, sondern auch mit denen eines Parteipolitikers herabsah. Manuchin wohnte im Auftrage der russischen Regierung auch der 1894 im Haag stattgefnndenen Konferenz für iaternationaleS Privat recht bei, um nach seiner Rückkehr an der Revision des Gerichtswesens in Rußland mitzuarbeiten. Der Generalgouverneur Trepow berief, wie das „B. T." aus Petersburg meldet, vorgestern alle Vorsteher der Petersburger Hochschulen zu sich und erklärte ihnen, daß die Vorlesungen am 28. Februar in allen Hochschulen gleichzeitig ausgenommen werden müßten. Sollte die Minderheit der Studenten gegen die Eröffnung stimmen, so wird sie relegiert; stimmt die Mehr heit dagegen, so sollen alle Studenten und eventuell alle Professoren entlassen werden. Fürst Gagarin, der Direktor des Polytechnikums, erklärte hierauf, zwischen den Studenten und Professoren herrsche noch volle Solidarität. Daher könnten die Vorlesungen jeden beliebigen Moment beginnen, doch nur in dem Falle, wenn den Studenten und Professoren volle Freiheit der Person und den Studenten außerdem die Sicherheit gegen Eingriffe der Polizei garantiert und den Hoch schulen ihre Autonomie belassen wird. Dieser Erklärung stimmten die meisten Professoren bei. Pobjedsnsrzew. Ein naher Verwandter Pobjedonoszew» schreibt, wie nach einer Londoner Depesche deS „B. T." aus Kopenhagen gemeldet wird, einem dortigen Freunde, daß der Oberproku rator des heiligen SynodS im Sterben liege. Die Petertburger Arbeiter. Die „Agence Havas" meldet aus Petersburg, der größte Teil der Arbeiter sei unzufrieden, weil man dem Zaren nur eine Deputation von Arbeitern der staatlichen Papier fabriken vorgestellt habe, die reichlich bezahlt sind und gegenüber anderen Arbeitern eine Ausnahmestellung ein nehmen. Die Arbeiter von Petersburg haben deshalb be schlossen, eine neue Deputation zu bilden, deren Mit glieder sie selbst wählen wollen. Unter dem Vorsitze des Generals Litunow wurde eine Sonderkommission gewählt, die beauftragt ist, 50000 Rubel unter die Familien der während der Ruhe störungen am 22. Januar Getöteten oder Verwundeten zu verteilen. In Warschau. Der Chef desWarschauer Post- und Telegraphenbezirks gibt bekannt, daß die Wiederherstellung des Tesiephon- netzes zwei bis drei Wochen dauern wird. 850 Abonnenten haben den Anschluß verloren. Die Warschauer Staats!- bankfiliale hat den Termin der Proteststellung für Wechsel zahlungen um eine Woche binausgeschoben. Die Verluste der Magazinbesitzer gehen ins Unendliche. — In einigen Bäckereien und anderen Etablissements, die die Arbeit wieder auf nehmen wollten, kamen mehrere Mordtaten vor; viele Personen wurden verhaftet. Die Lebensmittel werden teurer. Ein Schock Eier kostet 450 Kopeken. Die Landleute fürchten sich, nach der Stadt zu kommen. Die Versicherungsgesell schaften weigern sich, Entschädigungen für zerbrochene Wohnungs- und Ladenfenster zu zahlen. — Nach gleichfalls Warschauer Depeschen gewinnt der Aus st and in Radom an Ausdehnung, dort wurden 20 Arbeiter getötet oder ver wundet. In Skargiska gab es 24 Tote und 40 Ver wundete. In Kutno kam es zu schweren Ausschrei tungen. Von Warschau ist Militär entsandt worden. In Tnblin. Der Bischof v. Jatschowsky von Lublin richtete an die ausständigen Arbeiter einen Aufruf, beute vormittag eine Abordnung in die Kathedrale zu entsenden und ihm eine freimütige Erklärung über ihre Forderungen zu geben. Für die Sicherheit der Delegierten garantiert er. In Ssrnsrvice. Nachdem in SoSnowice der Au-nabmezustand pro klamiert worden ist, fand gestern früh eine Konferenz zwischen General JebczynSki, dem Landrat und dem Polizeimeister statt. ES wurde beschlossen, in Ansehung, daß die Ausständigen seit sechs Tagen Herren deS JndustrievereinS sind, mit aller Gewalt da- RegierungSregim ent wiederherzustellen. An» den» Generalgsuvernement Aankafien. In Kuta iß (Kaukasus) versammelten sich vorgestern etwa 200 Ausständige auf einem Platze, uin Kundgebungen zu veranstalten, wobei auch eine rote Fahne entfaltet wurde. Die Polizei zerstreute die Menge schnell. — Aus Tifli- wird gemeldet: 40 Mitglieder des Magistrats richteten an den Magistrat da« Ersuchen, für die Armen, die durch die Ruhestörungen am 5. Februar geschädigt worden sind, 2000 Rubel zu bewilligen.
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