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Wilsdruffer Tageblatt : 25.07.1924
- Erscheinungsdatum
- 1924-07-25
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1782027106-192407254
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1782027106-19240725
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1782027106-19240725
- Sammlungen
- LDP: Bestände des Heimatmuseums der Stadt Wilsdruff und des Archivs der Stadt Wilsdruff
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Wilsdruffer Tageblatt
-
Jahr
1924
-
Monat
1924-07
- Tag 1924-07-25
-
Monat
1924-07
-
Jahr
1924
- Titel
- Wilsdruffer Tageblatt : 25.07.1924
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s Meine Nachrichten Ausgehobene Ermächtigungen. Berlin, 23. Juli. Der HaushaltsauSschuß des Reichstages t.handelte in seiner heutigen Sitzung Fragen der Beamten- i soldung. Zunächst hob der Ausschuß die Ermächtigung Ns Finanzministeriums auf, die Grundgehälter der Beamten selbständig festzusetzen, ferner entzog d r Ausschuß der Regierung die Ermächtigung, die Ortszu- sc flSgc zu bestimmen, und behielt auch dieses Recht dein Haus- s^tsausschuß vor. Ausgewiesene und Verdrängte beim Reichspräsidenten. Berlin, 23. Juli. Der Reichspräsident empfing heute die OorsitzenLen des Reichsverbaudes der Ausgewiesenen und Ver- drüngten von Rhein und Ruhr, die die Notlage der Vertrie benen bei der Rückkehr in die Heimat, besonders die Schwierig le iten der Unterbringung, schilderten und Vorschläge zur Ab hilfe unterbreiteten. Preisgcbung eines Staatsgeheimnisses. Berlin, 23. Juli. Wegen der Veröffentlichung des Statuts der N e i ch sb ah ng e sellschaft durch die Rote Fahne, wodurch ein Staatsgeheimnis unbefugt preisgegeben worden ist, wird der Oberreichsanwalt gegen die für die Veröffent lichung Verantwortlichen Personen einschreiten. Tumult im Bayerischen Landtag. München, 23. Juli. Im Bayerischen Landtag entfesselte der völkische Abg. Dr. Rutz durch die Äußerung, die Sozial demokraten hätten von jeher den Fürstenmord gepredigt, bei diesen einen solchen Sturm der Entrüstung, daß es 'beinahe zu Tätlickstciten gekommen wäre. Andauernder Lärm zwang den Präsidenten, die Sitzung auszucheben. Erst als Rutz nach Wiederaufnahme der Verhandlungen die Erklärung abgab, daß er kein Mitglied des Hauses gemeint habe, konnte er seine Rede zu Ende führen. Vier Bergleute tödlich verunglückt. Essen, 23. Juli. Auf der Zeche „Augusta Viktoria" in Hüls bei Recklinghausen sind vier Bergleute infolge Seilrisses in einem zur Seilfahrt nicht zugelassenen Blindschacht tödlich verunglückt. Die bergpolizeiliche Untersuchung ist singeleitet. Stillegungen in Ostoberschlesic«. Königshütte, 23. Juli. Gestern mittag sind sämtliche ostoberschlesischen Zink- und Eisenhütten stillgelegt worden, da die Belegschaften entgegen der Regierungsverord nung nur 8 Stunden Arbeit leisteten. Mit Rücksicht aus die Demonstrationen, die vor den Werken stattfinden, sind starke Polizeilichste ausgeboten worden. Ein deutsch-alliierter Ausschuß. London, 23. Juli. „Daily Telegraph" zufolge ist in der ab geänderten Denkschrift des zivilen Unterausschusses der zweiten Kommission als Organ, das für etwaige Streit gkeiten beim Übergang von der alten zur neuen Ordnung entscheiden soll, ein gemischter deutsch-alliierter Ausschuß bezeichnet worden, der sei nen Sitz in Düsseldorf haben wird. Irland bleibt der Konferenz fern. London, 23. Juli. Der Dubliner Korrespondent Sir „Times" meldet: Im Parlament des irischen Freistaates teilte Fitzgerald mit, daß der Freistaat eingeladen worden sei, an der Londoner Reparationskonserenz indirekt in der britischen Delegation vertreten zu sein. Er habe es aber abgelehnt mit der Begründung, daß die irische Regierung sich durch keinerlei Entscheidung gebunden erachten könne, die die Konferenz, möglicherweise treffe. Todesurteil gegen einen russischen Industriellen. Moskau, 23. Juli. Aus offizieller bolschewistischer Quelle wird berichtet, daß der Mühlenbesitzer Martons aus dem Dorfe Alexandrowa des Gouvernements Omsk zum Tode durch Er schießen verurteilt worden ist. Der Verurteilte hafte im März 1922 eine von der Sowjetregierung nationalisierte Mühle ge pachtet und soll 20000 Pud Weizen, die ihm vom Staat zum Vermahlen übergeben waren, unterschlagen haben. j Neues aus siler Welt i Der oeutsche Kronprinz — Müller und Großbäcker Die Müller-Zwangsinnung Oelsi. Schl, erhielt Kenntnis davon, daß der ehemalige deutsche Kronprinz in ihrem Bezirk eine 300-Zenmer-Mühle betreibt, deren Leistung auf 800 Zentner täglich erhöht werden soll, und auch eine Großbäckerei in Betrieb genommen hat. Der Obermeister zog den Kronprinzen zur Innung heran, und in der nächsten Sitzung wartete mau auf das neue Mit glied, um es zu begrüßen. Da der Kronprinz jedoch nicht erschien, wurde er wegen unentschuldigten Fehlens mit 20 Goldmark bestraft. Drohende Kartoffelkkferplage. Nachdem das ge samte südwestliche Frankreich durch den Kartoffel käfer verseucht ist und seine Kartoffelernte verloren hat, droht die Seuche auch nach Deutschland überzu- greifen. Von amtlichen Stellen wird die Landwirt schaft auf die große Gefahr aufmerksam gemacht und dringend gebeten, Beschädigungen von Kartoffelfeldern rechtzeitig zu melden. Schwere Unwetter im Reiche. Fast überall im Reiche setzten nach großer Hitze schwere Gewitter und Wolkenbrüche ein. Der Berliner Vorort Zehlendorf wurde teil weise überschwemmt. Im Oberelsaß vernichtete ein schweres Gewitter den größten Teil der Ernte und Wein berge. Die Ernte bei M ü l HLusen w«rde durch Hagel schlag veruiMct. /Das deutsche Linienschiffgcschwader zurückgckehrt. Nach einer glänzend verlaufenen Rundreise ist das deutsche Linienschiffgeschwader aus Spanien wieder in. die Heimat zurückgekehrt. Die Rückreise führte bei schönstem Wetter rund um Großbritannien und Irland nach der Nordsee. Explosion aus einem pormnerschen Hüttenwerk. In Stolzenhagen bei Stettin riefen starke Explosionen auf dem Eisenwerk „Hütte Kraft" Schrecken und Entsetzen hervor. Die Erschütterungen waren so stark, daß viele Fenster scheiben im Orte in Trümmer gingen Die Ursache der Explosionen war der Ausbruch glühender Eisen massen durch die schadhafte Stelle eines Hochofens. Die Arbeiter konnten sich rechtzeitig in Sicherheit bringen. Bauunglück in Frankfurt a. M. Mn folgenschweres Aammglück trug sich bei den Erweiterungsbauten der Eisenbahnbrücke zwischen Hauplbahnhof und Bahnhof West zu. Die Eijen-bahnverwaltung läßt hier die Brücke durch vier Eisenträger verbreitern. Aus den Trägern standen etwa 10 Arbeiter. Plötzlich neigten sich die Joche langsam zur Seite und die Träger stürzten unter großem Krachen in die Tiefs. Von den Arbeitern konnte sich die Mehrzahl durch rasches Abspringen retten, einer wurde getötet, zwei schwer verletzt. - Tragödie im Eisenbahnzug. Auf der Bahnstrecke Marsei l l e—Toulon stürzte aus einem Abteil 2. Klasse eines fahrenden Zuges ein etwa vierjähriges Kind auf die Schienen. Die Mutter des Kindes sowie der Vater sprangen, ohne sich der großen Gefahr bewußt zu sein, aus dem fahrenden Zuge. Nachdem der Zug zum Halten ge bracht war, fand mau das Kind bereits tot, seine Mutter mit einer schweren Schädelverletzuug in hoffnungslosem Zustande und den Vater leichter verletzt vor. Wahrzeichen des siegreichen Christentums. Die italie nische Regierung hat veranlaßt, das sogenannte Kon stantin-Kreuz am 4. November wieder auf dem Kapitol zu errichten. Das Kreuz hat jahrhundertelang als Wahrzeichen des siegreichen Christentums auf dem Kapitol gestanden und ist vor vierzig Jahren von antiklerikalen StM-väiern entfernt worden. Jetzt feiert aas Konstantin-Kreuz die «Rückkehr als Svmbol einer neuen und doch alten Zeit. Bunte Tageschronil. Berlin. Am 3. August eröffnet die Technische Hochschule Charlottenburg die Erste deutsche Haus- und Schiffsbauausstel lung. Gezeigt wird, was die moderne Technik dem Bauwesen zur Verfügung stellt. — Bei Fürstenwalde an der Spree stürzte, infolge Störung des Motors, ein Doppeldecker ab. Beide Insassen wurden tödlich verletzt. Weimar. Reichspräsident Ebert wird vermutlich an der Verfassungsfeier des Reichsbanners „Schwarz-Rot-Gold" teil- nehmen, die am 10. August in Weimar statt findet. Hannover. Aus dem Reiche liegen über SOOVermißten- Anz eigen vor, die mit dem Fall Haarmann in Verbin dung gebracht werden, was dafür spricht, daß die Vorunter suchung noch Wochen in Anspruch nehmen und dle Gemüter be schäftigen Wird. Hannover. Einen Darlehnsschwindelrekord hat der „Bankdirektor" Hans Miether ausgestellt. Er wurde wegen bisher nachgewiesenen Darlehnsschwindcls in 1300 Fällen in Untersuchungshaft genommen. Stokcholm. Beim Spielen mit einer Granate wurden au, vem Artillerie-Übungsplatz Bofords vier Kinder getötet. Moskau. Eine 30 Personen starke Bande hat sich auf pol nisches Gebiet gedrängt und die Stadt Wiszniewo aus ge plündert. Bei der Verfolgung durch polnische Truppen gab es auf beiden Seiten Tote und Verwundete. — In Taschkent, der Hauptstadt Turkestans, waren neue bedeutende Erder- schütterungen, bereits zum dritten Male im Laufe einer Woche, zu verspüren. ! Letzte Meldungen j Der Adgekehnte Schutzvertrag. London, 24. Juli. In der morgigen Sitzung des eng lischen Oberhauses wirb Lord Grey und Lord Cecil die Anfrage an die Regierung stellen, warum diese den vom Völkerbundsrat ausgearbeiteten gegenseitigen Schutzvertrag abgelehnt habe. Beide Redner werden ihrer Ueberraschung darüber Ausdruck geben, daß gerade eine sozialistische Negierung diesen Vertrag abgelehnt habe. Die liberalen Kreise bedauern des Beschluß des Kabinetts Macdonald stark. Poinesre gegen Herriot. Parrs, 24. Just. Der diplomatische Mitarbeiter der „Chicagoer Tribune" will erfahren haben, daß Poincarö wäh rend der Abwesenheit Herriots in Paris beim Senat die Ober hand MV0NMN hab» und den Versuch machen werde, Herriot bei seiner Rückkehr zu stürzen. Herriot wirb das Wochenende in London verbringen und zahlreiche Besprechungen abhalte». Neuyorker Optimismus. Neuyork, 24. Juli. In den Finanzkreisen der Wall street herrscht hinsichtlich der voraussichtlichen Ergebnisse der Lon doner Konferenz überraschender LPtimismus. Der „Rewyork Hsralb" glaubt zu wissen, daß na chAuffassung der ma^ebender» amerikanischen FmanzkrHe die 800-Millkonen-Bnleihe in zwei Monaten nach dem Zustandekommen einer Verständigung auf der Konferenz aufgebracht werben könne. - Hus unserer keimst j Wilsdruff, am 24. Juli 1324. Merkblatt für den 28. Juli. Sonnenaufgang 4" l! Mondaufgang — — Sonnenuntergang 8' ü Monduntergang 2'° N. 1655 Epigrammatiker Friedrich v. Logau gest. — 1867 Ly riker Max Dauthendey geb. — 1914 Abbruch der Beziehungen Österreich-Ungarns zu Serbien. Der Jakobstag (25. Juli). Glaube und Aberglaube umspinnen den Jakobstag seit alter Zeit. Er soll Ernte- und Frucht fegen bringen, der Erbe und Lem Wasser übernatürliche Kräfte verleihen. Deshalb wird er als einer der wichtigsten Lostage des Jahres betrachtet. Schon drei Tage vorher soll das Wetter schön sein, damit das Korn „dauerhaft" wird, und ebenso auch am Jakobstag selbst, denn „Ist es hell auf Fakobitag, viele Früchte man sich versprechen mag". Jakobi regen schadet dem Getreide, verspricht aber dafür einen milden Winter, wogegen auf einen schönen und warmen Jakobstag ein kalter Winter folgt: „Jsi's zu Jakobi hell und warm, macht zu Weihnacht der Ofen arm". Da der Jakobstag in die Zett der Ernte fällt, gilt er auch als Glückstag für die Roggenernte; außerdem soll man an diesem Tage die ersten Kartoffeln aus der Erde nehmen und >ven Weißkohl behacken. In Thüringen verzehrt man am Jakobstage die heilkräftigen schwarzen Jakobsbeeren, und im Schwäbischen gräbt man die Wurzel der Zichorie aus, weit der Erdssgen, den St. Jakobi bringt, der Zichorie besondere Kräfte verleiht. Auch das Obst segnet St. Jakob und würzt oder „salzt" es, wie es im Sprichwort heißt, und so fichrt er uns denn allmählich dem Sommerende zu; denn bald nach Jakobi fliegen die Störche fort, nachdem, wie der Volksglaube behauptet, am Jakobstag die flüggen Jungen das elterliche Nest verlassen haben, um sich von nun an ihr Futter selbst zu suchen. Der heilige Iakob, dem der Tag geweiht ist, war einer der ersten Jünger, die sich Jesus anschlossen, und der erste, der den Märtyrertod erlitt. Er und sein Bruder, der Evangelist Johannes, waren treue Begleiter des Herrn, der sie ihres feurigen Eifers bei der Verbreitung seiner Lehre wegen „Donnersöhne" nannte. Nach der Über lieferung soll Jakobus dem Heiland äußerlich sehr ähnlich gewesen sein, weshalb er auch auf manchen Bildern einen dem Christuskopf ähnlichen Kopf trägt. Da er der erste Pilgrim gewesen sein soll, wird er gewöhnlich in der alten Pilgertracht, mit dem Stab, dem Muschelhut und der Kürbisflasche dargestellt. Briefe. Unter dem Tite! „Stunden der Stille" hat l)r. Alfons Herlmann ein Büchlein mit „Svuntagsgedanken" veröffent licht (Freiburg t. Br.. Herder <L Co.; geb. G.<M. 3.50). Was darin an Sinnigem und Belehrendem niedergelegt ist. drängt jeden willigen Leier zu geistigem und geistlichem Wachstum. Nachstehend eine Probe In einem der erfahrungsreichen Bekenntnisbücher des äl teren Strindberg stieß ich auf diese Sätze: „Das Leben ist nicht schön: das animalische bringt einen in so viele häßliche Lagen, das häusliche und wirtschaftliche auch. Dos Leben ist zynisch, da es unsre erhabenen Gefühle foppt und unsern Glauben schmäht. Darum ist es schwer, am Alltag zu den schönen Worten zu greifen; man verbirgt seine besseren Gefühle, um sie nicht dem Spotte auszusetzen. Man könnte daher sagen: die meisten Menschen sind zum Teil besser, als sie zu sein scheinen. — Wenn ein Mensch aber einen Brief an einen recht guten Freund schreibt oder an das geliebte Weib, dann legt er das Festkleid an; das ist doch schön! Und in dem stillen Brief, auf dem weißen Papier gibt er seine besten Gefühle. Die Zunge und das gesprochene Wort sind vom alltäglichen Ge brauche so verunreinigt, daß sie das Schöne nicht laut sagen können, das die Feder leise sagt." Was der große Schwede in diesen Worten ausdrückt, hat Wohl jedes schon an sich erfahren. Sobald man sich zum Brief schreiben niedersetzt, wird man ein anderer Mensch; man kommt in eine Stimmung, als ob man etwas ganz Feierliches und Feines tun müßte. Ich denke da natürlich nicht an Geschäfts briefe, die man ohne innere Anwandlung dutzendweise erledige« kann; auch nicht an die gezierten, Phrafenschweren Briefdich- tungm von Backfischen, die auf farbigen, veilchenduftenden Bög- chen mit anmutigen Lilarändern ihre ganze alberne Einbildung ausschütten Auch die üblichen Glückwunschbriefe werden viel fach ohne befondere Ergriffenheit abqefertigt, was freilich in bedauerlichem Gegensätze zu deren Hweck und Absicht steht. Es wird in Briefen gewaltig viel über die Welt hin und her gelogen und geheuchelt. Von diesen unnützen Schreibereien, die zu den unentbehrlichen Verkehrsmitteln unsrer oberfläch lichen Zeit gehören, rede ich nicht. Ich meine die richtigen Briefe, die mit warmem Herzblut, i hi bloß mit wässeriger Tinte geschrieben werden, die der heiße Gtauz der Augen trocknet, die darüber leuchten. Sie beginnen meist mit: „Lieber Sohn", „Teure Eltern", „Ge- tiebte Gattin", „Bester Freund". Diese Anreden werden zwar des öfteren noch ganz gewohnheitsmäßig und gedankenlos hin gesetzt; aber sobald sie auf dem weißen Blatte stehen, wird es Sem Schreiber wundersam wohlig, weil ihn die zwei Worte ganz lebendig anfchauen wie zwei leibhaftige Menschenauge«, die er seit Jahr und Tag kennt. Dann packt ihn die merkwür dige Stimmung, und er redet mit einemmcll ganz vornehm und ernst mit einem abwesenden lieben Menschen über seine Ge danken und Gefühle, wie er von Angesicht zu Angesicht niemals reden könnte. Es spricht sozusagen die Seele allein zu einer andern Seele, die von ferne horcht. Sie redet von schönen Dingen: von großer Liebe und Sorge, von starker Treue un heißem Heimweh, von herzlichen Segenswünschen und demütigen Bitten. Die Schreiberin denkt nicht daran, daß sie mit der Empfängerin früher nahe zusammen war und vielleicht nichts oder wenig von dem empfunden hat, wovon sie jetzt so er griffen redet. Und vielleicht würde, wenn sie morgen wieder beisammen wären, die nüchterne Wirklichkeit auch wieder alle die schönen Briefgedanken zerstören. Ader glaubt nicht, daß also diese gefühlvollen Briefe nichts seien als eitel Flunkerei, Verstellung oder Selbsttäuschung: ge wiß nicht, wenigstens in den meisten Fällen nicht. Sondern im Briefe redet der Mensch von sich und aus sich so, wie er sein möchte, wenn der leidige Leib und die charakterverderbende Umwelt nicht wären, so, wie es ihn in den besten Augenblicke« seines Lebens zu sein gelüstet. Darum ist jeder rechte Brief eine Art Beichte, eine Selbstanklage, ein wehmütiges Ge ständnis. Denkt etwa eine Mutter anders, wenn sie die Liebes beteuerung und das Heimverlangm im Briefe einer Tochter liest? Sie weiß ganz gut, daß es wieder wie zuvor manche Reibung zwischen alt und jung gäbe, daß wieder manches heiß blütige Wort hin und her ginge zwischen Tochter und Mutter, und daß nicht alle Tage in so seliger Glückswonne hinflössen, wie da im Briefe zu lesen ist. Aber das trübt der Mutter die Freude an dem Briefe nicht, weil sie aus jedem Satze spürt, daß die Schreiberin von Herzen sein möchte, wie sie sein sollte. Und deshalb übersieht sie in zärtlicher Rücksicht die weite Kluft zwischen Wollen und Sein und freut sich des aufrichtigen Ge löbnisses ihres Kindes in der Fremde. Mau könnte solche Briefe mit Gebeten vergleiche«. De«« im Gebete reden wir auch in die Ferne, reden tief aus unsrem Innersten heraus und viel feierlicher und schöner als sonst in der rauhe« Sprache des Alltags. Und auch im Gebete vergessen wir so gerne unsres Leibes Schwachheit und beteuern so zuver sichtlich gute Absichten und heilige' Vorsätze, indes uns vielleicht! schon die nächste Stunde Lügen straft. Aber Gott hört dennoch unser kindliches Stammeln und die wohlgemeinte« Gelöbnisse, weil er in die tiefste Tiefe unsres Herzens schaut, darin neben aller Unbotmäßigkeit und Gebrechlichkeit unser wahrstes Ge-! fühl lebt: das unstillbare Heimverlangen zu Gott. Es sind wahrscheinlich noch nie so viele Briefe geschrieben worden wie in den Weltkriegsjahren, weil nie so viele zusam mengehörige Menschen auseinandergerissen wurden. Aus den Millionen Briefen, die in dieser Zeit von der Heimat an die Front und von dort nach Hause wanderten, ließe sich eins große Geschichte des Volkes schreiben, die wahrste und interessan teste Geschichte, die mir lieber wäre als das große Generalstabs werk, das die gewaltigen militärischen Leistungen und Helden taten unsrer Tage für spätere Geschlechter vererben wird. Ich habe viele Briefe vom Felde gelesen und auch manche aus der Heimat. Was siud das für Menschen, die da reden! Man kennt sie nicht mehr, so festlich reden sie daher, wie Dichter und Be geisterte. Sonst unwirsche Gesellen führen da eine Sprache, als sei ihnen das Herz übergelaufen. Sie fragen mit den zärt lichsten Worten nach Weib und Kind, nach dem Vieh im Stall, nach Hund und Katze und Kanarienvogel daheim; fte wollen wissen, wie das junge Bäumchen vor dem Hause gedeiht, wie der alte Nachbar den Winter übersteht und tausend andere Dinge, die von ihrer großen Liebe und Anhänglichkeit zeugen. Eine ungeahnte Milde scheint sie erfaßt zu haben. Wenn sie morgen nach Hause kämen, würden sie sicher nichts davon, merken lassen; aber schreiben — das ging, da ist es ihnen un gewollt auf das Papier geflossen. Die hohe Auffassung vom Briefschreiben soll uns bleiben^ Lassen wir nicht die moderne seichte Geschwätzigkeit und hohle! Phrasenhaftigkeit in den Briefstil einreißen! Man spricht von! einem Briefgeheimnis: jeder anständige Mensch läßt Hände und Augen von Briefen, die ihm nicht gehören, weil er nicht unerlaumerwerse in das Heiligtum einer Seele eindringen will. Solange diese Sitte in Ehren steht, sollen die Briefe Zeugnisse! unsrer Seele sein, des Besten und Schönstem das trotz trüb-! seligen Alltags in uns lebt und «ach Verwirklichung ringt. '
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