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Wilsdruffer Tageblatt : 27.02.1924
- Erscheinungsdatum
- 1924-02-27
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1782027106-192402277
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1782027106-19240227
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1782027106-19240227
- Sammlungen
- LDP: Bestände des Heimatmuseums der Stadt Wilsdruff und des Archivs der Stadt Wilsdruff
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Wilsdruffer Tageblatt
-
Jahr
1924
-
Monat
1924-02
- Tag 1924-02-27
-
Monat
1924-02
-
Jahr
1924
- Titel
- Wilsdruffer Tageblatt : 27.02.1924
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erkannte gegen döst slngrnagte aus je 12 Jay re Zucyl- Haus, zogen den vierten auf 10 Jahre Zuchthaus. Fabrikanten als Hehler. Die Straflammer in Elber feld verurteilte nach dreitägiger Verhandlung den Fäbrik- dirÄtor Heinrich Fingerhut ans Vohwinkel und den Kaufmann Robert Köhler aus Barmen wegen gewerbs mäßiger Hehlerei zu je 18 Monaten Zuchthaus und 5 Jahren Ehrverlust. Gegen einen dritten Angeklagten, den Fabrikanten Fritz Krefttng aus Hagen, wurde das Ver fahren eingestellt, weil er bereits von der Hagener Strafkam mer wegen gswerbs- und gewohicheitSmäßiger Hehlerei zu 1 Jahr 9 Mou. Zuchthaus veruurteiU worden ist und die zur Verhandlung stehenden Straftaten vor feiner Ver urteilung lagen. Bei den Hehlereien handelte es sich um grö ßere Mengen der Firma Krupp gestohlener Spiralbohrer. Die Diebe sind bereits von der Essener Swaflammer abgeurteilt worden. knva; vo» Mantel. Von Alice Linde. Der Mantel ist eines der interessantesten Gewandstücke, nicht nur in seiner Eigenschaft als Kostüm, sondern auch in Be zug auf seine Bedeutung in Mythe und Legende, Götter, Pro pheten und Heilige haben mit Hilfe ihrer Mäntel oft wundersame Dinge vollbracht. Eine gewisse Berühmtheit erlangte der Mantel Elizahs; einer alten Sage nach benutzte ihn der Prophet, um auf seiner Fahrt ins Totenreich über den Höllenstrom zu setzen, auch schlägt er den Iordan mit ihm, worauf die Wasser sich ge horsam teilen und ihn mit Elisa trockenen Fußes hindurch lassen. Daher wagt Elisa nachher, auf die gleiche Weife den Fluten zu gebieten, und wieder beweist der heilige Mantel seine Wunder traft. Die Erwählung Elisas zum Propheten geschieht symbolisch durch Ueberwerfen dieses Mantels. Die Klostersage erhebt Elizzah auch zum Stifter des Karmelitcnordens, dessen Mönche deshalb den Beinamen „Elia Ordensbrüder" erhielten. Ihr Mantel, anfänglich weiß oder grau, war später mit schwarzen, braunen oder lohfarbenen Ouerstreifen versehen, welche sre Brandflecke andeuten sollen, die der Mantel bei der Himmelfahrt des Propheten davontrug. Einen wundersamen Mantel besaß auch der heilige Beatus. Die Legende erzählt, daß der fromme Mann, als er in einer Felsenhöhle bei Untersten im Kanton Bern hauste, stets in diesem Gewände über den Thuner See fuhr, um in einer kleinen Kapelle das Evangelium zu predigen. Wurde hier der Mantel zurrt Wohle der Gläubiger als lustiges Fahrzeug benutzt, so gaben ihn andere Heilige fort, um Darbende zu bekleiden, so der heilige Florentius, der heilige Franziskus von Antisti und sein Namensvetter (die Paula), die heilige Ursula und die heilige Elisabeth. Eine Hälfte des mit dem Schwerte zerschnittenen Mantels verschenkte der heilige Mauritius und der heilige Martin. Letzterer sah dafür später in einer leuchtenden Vision den Heiland selbst mit diesem Mantel bekleidet. In der christlichen Kunst erscheinen Christus und die Apostel, Maria und Gottvater mit einem tunikaähnlichen Untergewand und dem faltenreichen viereckigen Pallium. Dieser antike Man tel ist häufig, und zwar besonders bei Maria, von blauer Farbe, das Gewand hingegen rot. Auf allen Bildern, die Mariä Schirmbereitschaft gegenüber allen Gläubigen symbolisieren, er- blickt man unter dem von ihr selbst oder von Engeln zurückge schlagenen Pallium verschiedene Gruppen, zu ihr flüchtender Menschen. Daß die Liebe eine bedeckende Kraft habe, sagt schon Salomo: „Haß erregt Hader, aber Liebe deckt zu allen Ueber- tretungen", und im 1. Petri, Kap. 4 heißt es: „Denn die Liebe deckt auch der Sünden Menge." Die Uebertragung dieses Ge dankens auf den Mantel soll aus den Tagen des „heimlichen Ge richts" kommen. In einer Vorschrift des westfälischen Fem gerichts aus dem 15. Jahrhundert wird gesagt: „Sie (nämlich die Richter) sollen Mäntel auf ihren Schultern haben. Die Mäntelein bedeuten die warme Liebe, recht zu richten, die sie hüben sollen; denn so wie der Mantel alle anderen Kleider und den Leib deckt, also soll ihre Liebe die Gerechtigkeit bedecken. Sie sollen auch darum die Mäntel auf den Schultern haben, damit sie dem Guten Liebe beweisen, wie der Vater dem Kinde." Durch das Bedecken mit dem Mantel wurden auch illegitime Kinder rechtlich gemacht. Neben dieser guten Bedeutung des Schutzes und der Barm herzigkeit hat der Mantel freilich auch eine ungünstige. Mit „Mantelträgern" bezeichnete man gern Leute von nicht ganz zuverlässigem Charakter. Auch sagt man heute noch: „Er hängt sein Mäntelchen nach dem Winde!" Zuerst erschien diese^Wen- dung um 1215 und zwar in Gotfried von Straßburgs „Tristan und Isolt", woselbst es heißt: „Man sol den Mantel keren als in (wie) die winde sint gewant." Aehnlich sagt der junge Sper- vogel: „Man sol den mantel keren, als daz weter gat." „Ich schleife die Schere und drehe geschwind und hänge mein Mäntel chen nach dem Wind" singt auch der sorglose Märchenheld „Hans im Glück." Der wetterwendische — oder richtiger wetterwendende Man tel ist der stete Begleiter des launischen „Aprillen". Dem Mär chen nach ist er von außen schön himmelblau, von innen aber grau und mit allerlei Lappen geflickt. Je nach dem nun die „heitere" oder die „mürrische" Seite nach außen gewandt wird, gibt es bald Sonnenschein, bald Regen. Der linde Südwind trägt im Märchen einen flatternden Beduinenmantel. Rübezahl besitzt i einen Zaubermantel, mit dem er nicht nur durch die Lüfte fliegen kann, sondern auch das Wetter beliebig beeinflußt. Die schöne Prinzessin in Andersens „Reifekamerad" zeigt sich bei Tag in einem prächtigen Gewände, über dem ein Mantel von tausend bunten Schmetterlingen gebreitet liegt, doch des Nachts fliegt sie zu dem bösen Zauberer, wobei ein weißer Hexenmantel sich wie ein großes Schiffssegel in den Lüften bläht. Einen behexten Mäntel hat auch Morgana, die Schwester des Königs Artus, mit dessen Hilfe sie der gesamten Tafelrunde die merkwürdigsten Bilder und Phantome vorgaukelte. In den Volksmärchen und Sagen wimmelt es von Nebel-, Schwarz-, Grau- und Rotmänteln. Zwerglein und Kobolde hüllen sich in bauschige Mäntelchen aller Art, und ,Berg- und Wassergeister tragen statt der Schleier oft Nebelmäntel. Diese Züge erinnern lebhaft an die Sturmmäntel der alten Götter, zum Beispiel des Zeus, der Pallas Athene. Wenn der nordische Wodan als Wandrer auftritt, ist er gleichfalls als Hut- und Manteltrager gedacht. Bei den Griechen war es der wandernde Dionysos, der sich den Mantel —ein Reh- oder Pantherfell — nm die Schultern warf. Auch der ägyptische Osiris trägt ost als Herrscher der Unterwelt das „stämmige Kleid". In der deutschen Sage hat der Teufel einen Zauber mantel, mit dem er ungeheuer schnell durch die Lüfte fliegt. So reist er auch zusammen mit Dr. Faustus. Goethe läßt statt dessen das Faß benutzen, auch erscheint bei ihm Mephisto nicht mehr in dem langen, weiten Mantel, sondern im spanischen „roten, goldverbrämten Kleide, das Mäntelchen von starrer Seide, die Hahnenfeder auf dem Hut." Die Grippe herrscht wieder. Aus verschiedenen Teilen Deutschlands, aus der Schweiz und aus England wird berichtet, daß die Grippe wieder da ist, und zwar nicht als Einzel-, sondern als Massenerscheinung. Bisher war in Deutschland die Mehrzahl der Fälle nicht schwer; im Laufe der letzten Woche scheint aber mit einer merklichen Zunahmes der Erkrankungsfälle auch die Heftigkeit der Erkrankungen zugenommen zu haben. Zu Fuß über die Ostsee. Drei Seemeilen nördlich von Kolberg steckt der Dampfer „Hansa" im Eise. Am Sonntag vormittag trat von diesem Dampfer aus ein Mann der Besatzung den Marsch nachher Küste an. In zweistündiger Wanderung traf er woblbehalten an Land an. Nach seiner Aussage ist der 800 Tonnen große Dampfer mit 14 Mann Besatzung vor zwei Wochen von Memel mit dem Ziel Leith ausgelaufen und sitzt seit der Zeit im Eise fest. Das Schiff ist auf einen Monat ver proviantiert. , Das schwere Explosionsunglück in Kehl. Durch die schwere Explosion in Kehl ist ein großer Teil der Kehler Brikettfabrik zerstört worden. Die Explosion ist auf eine Kohlenstaubentzündung zurückzuführen. Ein Arbeiter war sofort tot, drei Schwerverletzte sind gestorben, so daß die Katastrophe vier Todesopfer gefordert hat. Fünf weitere Personen liegen mit schweren Brandwunden im Krankenhaus. Der Vertreter der badischen Regierung hat den Verunglückten und den Familien der Todesopfer das Beileid des badischen Staatsministeriums ausgesprochen. Auch der französische Kommandant des Brückenkopfes Kehl hat in einem an Len Bürgermeister gerichteten Schreiben seiner Teilnahme an dem Unglück Ausdruck verliehen und mitgeteilt, daß an dem Beisetzungstage auf den militä- k rnwen Gevausen die französische Flagge auf ! halbmast gesetzt werden wird. Max Linders Veronalvergiftung. Aus Wien wird gemeldet: Es wird jetzt bestritten, daß die Vcronalvergif- iung des bekannten Filmschauspielers Max Linder mit seiner jungen Gattin einen Selbstmordversuch darstelle. Von anderer Seite wird dagegen behauptet, Laß es zwischen Linder, der 43 Jahre alt ist, und seiner erst 19 Jahre alten Frau zu ernsten Zerwürfnissen gekommen sei, und Laß beide aus Lebensüberdruß Lie starke Dosis Gift genommen haben. Vom Westminsterturm in die Tiefe. Ein entsetzliches Drama hat sich an der Kathedrale von Westminster in London abgespielt: eine Irländerin stürzte sich mit einem fünfjährigen Mädchen und einem etwa siebenjährigen Knaben von der höchsten Plattform des Turmes aus einer Höhe von etwa 75 Metern in die Tiefe. Die drei Personen waren auf der Stelle tot. --Schiffe im Packeis. Wie aus Kopenhagen gemeldet wird, sitzen zwei schwedische Passagierdampfer, Lie sich auf der Fahrt nach Helsingfors befanden, bei den Aalands- inseln im Packeis fest. Die Passagiere des einen sind von einem Eisbrecher nach Mariehamn gebracht worden. Be richte aus Malmö besagen, Laß das Packeis in Malmö das schwerste dieses Winters ist. Munitionsexplosion in Charkow. Im Keller des Hotels Astoria in Charkow, in dem Pulver und Geschosse untergebracht waren, fand eine Explosion statt. Aus dem oberen Stockwerk, in dem sich die Bureaus der russischen Sowjetvertretung befanden, stürzten mehrere Personen verzweifelt auf Re Straße. Neun Personen wur den getötet, mehr als 40 schwer verletzt. Erdbeben in Südamerika. Ein Erdbeben hat einen großen Teil der Küste von Ecuador und besonders die Inseln im Golf von Guayaquil heimgesucht. Einzelheiten fehlen noch, aber man glaubt, Laß die durch das Erd- ^orurkattiten Sckädeu nicht unbedeutend lind. Das Paradies der Dienstmädchen. Die Stadt Zürich ist über Nacht durch eine Verordnung ihrer Stadtverwal tung zum Paradies der Dienstmädchen geworden. Hin fort müssen die Züricher Dienstmädchen nämlich minde stens sechs freie Nachmittage im Monat erhalten; ferner muß ihnen die nötige Zeit zum Besuche von Theatern und Bällen eingeräumt werden. Das Essen muß, wie die Verordnung sagt, reichlich, Las Bett bequem und die Aus stattung des Zimmers von guter Beschaffenheit sein. Das Fenster muß auf die Straße gehen. Wenn nun aber nicht alle Züricher Wohnungen so beschaffen sind, daß das Dienst mädchen „nach vorn heraus" (man will dadurch wahr scheinlich das im Süden so beliebte „Fensterln" erleichtern) schlafen kann?! Die dienstmädchenfreundliche Verord nung der Züricher Behörde wird also Wohl noch Lurch eine Wohnungsnotverordnung ergänzt werden müssen. Die Geister als Heiratsvermittler. Eine seltsame Ehescheidungsklage erregt in Österreich Aufsehen. Anna Brandstätter, die Tochter eines reichen Kaufmanns, klagte gegen ihren Gatten auf Ungültigkeitserklärung der Ehe mit der Begründung, ihre Einwilligung zu dieser Ehe sei durch Spiritismus erzwungen worden. Sie hätte als Mädchen in ihrem oberösterreichischen Heimatsort ein Ver hältnis mit einem Spiritisten gehabt, der im Rufe stand, Umgang mit Ler — Geisterwelt zu haben, und der sie des öfteren als Medium benutzte. Dieser Spiritist habe sie in einem Schlafzustand zu bestimmen gewußt, ihre Einwilli gung zur Eheschließung mit ihrem jetzigen Manne zu geben. Da sie zuvor schon die Bewerbungen des jetzigen Ehemannes mehrmals abgeschlagen habe, habe ihr der Geisterseher gedroht, er werde durch seine Verbindungen mit der Geisterwelt bewirken, daß ihre Eltern bald sterben würden, wenn sie jenen Mann nicht heirate. Der Standesbeamte und auch der Geistliche sagten aus, die Klägerin habe sowohl vor der kirchlichen als auch vor der bürgerlichen Trauung mit dem Jawort gezögert, bis der Spiritist sie drohend angesehen habe. Der Gerichtshof sprach die Ungültigkeit der Ehe aus, La die Einwilligung zur Ehe tatsächlich durch eine begründete Furcht erzwungen worden sei. Der Spiritist ist, seitdem die Ehescheidungs- ' klage anhängig gemacht worden ist, spurlos verschwunden. . Die Wr einMdee Md. Roman von Fr. Lehne. (Nachdruck verboten). 1. Kapitel. Es ist bereits drei Minuten nach sieben Uhr, und Iulia ist noch nicht da! Daß sie doch niemals pünktlich sein kann!" bemerkte Herr Doktor Schultze mit mißbilligendem Stirn runzeln, nachdem er einen Blick auf die Uhr geworfen, die über dem Sofa mit dem schon vielfach ausgebesserten grünen Wolldamastbezug zwischen zwei Bildern mit Szenen aus der römischen Geschichte hing —, „bitte, liebe Frau, lasse auf tragen! Da Iulia ihres Amtes vergessen, möge Lukrezia an ihrer Stelle walten!" Die Genannte erhob sich schweigend von ihrem Plaß und ging nach. der Küche. Auf einem Tablett brachte sie eine Schüssel voll Kartoffeln in der Schale und eine Platte mit drei Heringen, von denen zwei in drei Teile geschnitten waren. Sie hielt das Tablett in gesuchter Haltung sehr hoch in den Händen, als wolle sie „Tizians Tochter" nachahmen. Enttäuscht blickte das Haupt der Familie auf diese schmale Abendkost. „Weiter nichts, liebe Frau? Ich hatte doch vermeint, den lieblichen Duft von etwas Gebratenem zu verspüren — „Weiter nichts, lieber Augustus! Der liebliche Duft von etwas Gebratenem kam aus dem Erdgeschoß. Am achtund- zwanzigsten September abends sieben Uhr kannst du bei dem knappen Haushaltungsgeld nichts anderes erwarten und verlangen!" Herr Doktor Schultze hielt sich die Ohren zu. „Immer das alte Lied! Damit würzest du das Mahl nicht! — Lu krezia, schäle nur die Kartoffeln und sorge wenigstens noch für Butter —." „Die Butterfrau kommt erst morgen; du hast die letzte Butter nachmittags zum Kaffee gegessen", entgegnete die Hausfrau, während sie dem Gatten den ganzen Hering auf den Teller legte und die sechs Stücke aus den beiden anderen Heringen sich und den Kindern zuteilte. Da klingelte es zweimal scharf. „Ah, die Iulia —! Sie kündet sich ja stets durch ein so unvornehmes Lärmen an! Cäsar Napoleon, gehe öffnen." Der Aufgerufcns, ein hübscher, etwas schmächtiger Jüngling von ungefähr, neunzehn Jahren, erhob sich gehor sam, während ihm die Mutier die besten, mehligsten Kar toffeln aussuchte und schälte. „Guten Abend! Verzeiht, daß ich mich etwas verspätet", sagte die Eintretende lebhaft. „Allerdings! und zwar um volle zehn Minuten! Wo bleibst du nur immer, Iulia?" — tadelte der Vater. „Ah, hab' keine Angst, daß ich dir verloren gehe! Dein Schäflein findet sich immer wieder heim zum gewohnten Stall! Ich hab' eben beim Fleischer und Gemüsehändler warten müssen! Porzia wollte mir so heute diese Wege nicht abnehmen!" „Das kannst du nicht verlangen! und überhaupt, ich kann doch nicht mit dem Marktnetz oder Korb gehen!" be merkte Porzia hochfahrend, „was würde man von mir den ken ." „Ja, aber die Iulia muß alles tun, das Aschenbrödel." „Mit dir, Iulia, kommt immer ein Element des Mißbe hagens und des Streites in unseren Kreis, dessen olympische Rühe —" „Na, olympische Ruhe —" meinte Iulia gedehnt und blickte von einem der Familienmitglieder zum anderen, wäh rend sie an dem ausgezogenen, mit einem Wachstuch beleg ten Eßtisch Plaß nahm. Gutmütig legte ihr der Bruder von seinen geschälten Kartoffeln auf den Teller. „Hast dich weidlich schleppen müssen mit dem Marktnetz, Jule, die Birnen und Aepfel sind schwer." Der Herr Doktor Schulze hielt das Heringsgerippe in der Hand und aß davon die letzten Bissen. Er unterbrach sich darin und verwies den Sohn. — „Wie oft hab' ich Dir gesagt, daß es nicht passend ist, den erhabenen Namen deiner Schwester Iulia in so vulgärer Weise auszusprechen — Jule —" er schüttelte sich ein wenig dabei. „Lieber Vater, es ist mir doch lieber so, als wenn man mich Juli—a ruft. Die Kinder auf der Straße machen es dir schon nach! Fräulein Juli—a rufen sie hinter mir her und lachen dann. Ueberhaupt unsere Namen! Ich wollte, du hättest uns anders getauft, meinetwegen Frieda, Ella, Anna, Martha — als uns solche ausgesuchten Namen zu geben, die in der ganzen Stadt belächelt werden — Lukrezia, Porzia, Dirgilia, Iulia — wer heißt hier noch so —" „— und nicht zu vergessen, Cäsar Napoleon —! wie ein Fluch haben mir diese Namen angehangen!" warf der Sohn ein, „keine Lehrer, keine Mitschüler, die sich nicht darüber auf gehalten haben —" „Große Namen verpflichten, Cäsar Napoleon!" belehrte ihn der Vater zornig. „Ihr mit eurem Hühnerverstand be greift das natürlich nicht! Lasse dir die großen Träger deiner Vornamen ein würdiges Vorbild sein!" „Eine Welt gibt's aber nicht mehr zu erobern, Vater!" Meine Namen hindern mich nur in meinem Fortkommen, machen mich schließlich lächerlich! Cäsar Napoleon, und dann ich dazu 1 Du solltest nur mal die Sticheleien in der Schule hören —" sagte der Jüngling fast heftig, und zwei rote Flecken brannten vor Erregung auf seinem hübschen Gesicht. Beinahe entsetzt sahen ihn die Augenpaare der Schwe stern Lukrezia, Porzia, Dirgilia an — was wagte er dem Vater gegenüber? Und sie duckten sich schon vorher vor dem- Zornesaüsbruch des Vaters, den sie nach diesen respektlosen Worten des Bruders kommen sahen. Und richtig, Herr Doktor Schultze warf klirrend das Besteck auf den Teller, fuhr mit dem Handrücken der Linken über den Mund und sprang auf, den Sohn mit niederschmet terndem Blick durchbohrend. Da rief Julia: „Cäsar Napo leon hat recht, tausendmal recht! Der arme Junge! Und cs ist ganz gut, wenn du mal erfährst, Vater, wie wir belächelt werden! Mein Name Julia gehl ja noch, der ist ja nicht so auffallend — aber die drei anderen — um Gottes willen! Ein Glück, daß du mich wcnnigstens nicht Kleopatra oder Semiramis genannt hast —" Julias Herz klopfte doch, während sie dem tyrannischen Vater so entgcgentrat — aber das, was sie beabsichtigt, war ihr gelungen: sie hatte den väterlichen Zorn von ihrem Bru der ab und auf sich gelenkt, und in diesem frohen Bewußt sein ertrug sie die geharnischte Strafpredigt des Vaters, „— nun hast du mir für heute abend die ganze Stimmung zum Arbeiten genommen, du ungeratenes Kind! Ich wa'' so schön im Zuge beim dritten Akt " schloß er. (Fortsetzung folgt.)
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