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MsdmfferTageblatt Nationale Tageszeitung für die Landwirtschaft, Var »WN-draffer Tageblatt» erscheint täglich nachm. 8 Uhr für den folgenden Tag. vezngrpreis: Bei Abholung in der Geschäftsstelle und den Aurgabestellen 2 Mk. im Monat, bei Zustellung durch die Boten 2,30 Mb., h«i Poftbestellung »Pfg. AlleBostanftaltn, Wochenblatt für Wilsdruff u. Umgegend Postböten mid unsmAus^ träger UN» BefchSstsstellen ——————————— nehmen -u jeder Zeit Be stellungen entgeh». Im Falle höherer Gewalt, Krieg oder sonstiger Betriebsstörungen besteht Hein Anspruch aus Lieferung der Zeitung oder Kürzung des Bezugspreises. — Rücksendung eingesandter Schriftstücke erfolgt nur, wenn Porto bciliegt. für Bürgertum, Beamte, Angestellte u. Arbeiter. Anzeigenpreis: die »gespaltene Raumzeile 20 Doldpfennig, di« 2,espaIteneZeile der amtlichenB-danntmachungen4NGold- bgesoalten-Reklam-zeNe im textlichen Teile lvo Doldpsennig. N-chweisungsgebühr 20 «oldpsennige. Dor- merd^nach MögsichA Fernsprecher: Amt Wilsdruff Nr. 6 öe^cks^dgr^A^eigm- annahmedisvorm. 10Uhr —- > .... '' tzie ^ichtiakäl durch Fernruf übermittelten Anzeigen übernehmen wir keine Garantie. Jeder Radatianspruch erlischt, wenn der BeNag durch Klage eingezogen werden mutz oder der Auftraggeber in Konkurs gerät. Anzeigen nehmen alle Vermittlungsstellen entgegen. Das Wilsdruffer Tageblatt enthält die amtlichen Bekanntmachungen der Amtshauptmannschast Meitze«, des Amtsgerichts und Stadtrats zu Wilsdruff, Forstrentamts Tharandt, Finanzamts Nossen Nr 274 — 83.Aahrgang Telegr.-Adr.: »Amtsblatt» 28itsdrnsssDresden » « Drsdnüso Sonntag23 November 1924 Totenfest. Gedanken zum 23. November« Der Totensonntag ist ein Sonntag besonders schmerzlicher Erinnerungen. Keiner ist, den nicht die Toten grüßen. Keiner, dem nicht das Herz Weh dabei ist. War uns ein reines Glück der Liebe mit ihnen beschieden, so quält uns der Gedanke: ich habe dich nicht mehr — hätte ich dich noch! Hat Mißverstehen oder Unrecht das Glück der Liebe einst getrübt oder gar zerstört, so quält uns das Bittere: hätte ich dir, hättest du mir das nicht angetan! Schmerzvoll ist das Gedenken an unsere lieben Toten so und so. Und das ist gut so. Lassen wir uns an diesem Tage einmal wenigstens aus dem Lärm der Gegenwart hineinsühren in die heilige Stille der Vergangenheit. Aber dann sollen diese für einen Menschen mit Gemüt selbstver ständlichen Erschütterungen dieses Tages nicht das letzte sein. Totensonntag mit dem Gedanken an die Toten und den Tod kann uns doch auch erheben, mehr erheben, als wir ahnen. Dazu möchte ich zu Helsen versuchen, besonders denen, die so gar nicht mit den Toten und ihrem Tode fertig werden können. Ich will alles nur kurz andeuten. Nachsinnen mag jeder für sich weiter. Zuerst eine Frage: Hat uns der Tod unsere Toten wirklich genommen? Er hat bewirkt, daß von ihrer Liebe sie uns, daß von unserer Liebe wir ihnen nichts mehr sagen und antun können. Aber daß wir sie lieben, daß ihre Liebe in uns lebendig wirkt, das hat er nicht beseitigen können. Er hat für die Liebe ihre rein körperliche Vermittlung zerstört, aber sie selbst und ihr Wirken hat er nicht zerstören können. Da ist die Grenze seiner Macht. Das Körperliche kann er zerstören — die Seele mit ihrer Liebe lebt außerhalb seiner Macht ihr eigenes Leben. Mit dem Körperlichen sinken auch die Mängel deS Körper lichen, alles Enge, Unvollkommene, Qualvolle ab. Der Tod ist, so angesehen, nicht Zerstörer bloß, sondern Befreier. Unsere Toten haben überwunden. Und wir werden überwinden. Dann werden wir sein wie sie — und wie aus dieser Erde, als sie waren wie wir, so wird dann von Seele zu Seele der Strom der Liebe frei fließen, nur eben ohne die Trübung und Hemmung, die im Leiblichen hier noch lag. Je weiter nun die Stunde zurückstnkt, in der unser körperliches Nahesein durch den Tod unterbrochen wurde, desto näher kommen wir der Stunde, wo das vollkommenere Vereintwerden in unserem Tode uns geschenkt werden wird. Aber noch anders kann uns dieser Lag erheben. Denken wir daran, wie gering, jetzt gesehen, das alles war, weshalb wir uns mit den Toten einst überworfen, weshalb wir ihnen und sie uns manchmal das Leben verdorben haben: wir reifen unter solchen Besinnungen, wir schämen uns solcher erbärm lichen Kleinigkeit, wir lernen ahnen, wie heilig das Leben ist — daß wir lieben, segnen, beglücken sollen, die um uns sind. To zwingt uns der Gedanke an die Toten und an den Tod zum Ernst. Nicht zu dem wehleidigen Ernst des Klagens und ewigen Trauerns, sondern zu dem heilig-frohen Ernst der Überwindung, der Tat. Denke daran, was du an den Toten versäumt hast. Das ist unabänderlich. Nütze nun aber an denen, die noch leiblich um dich sind, deine Tage. Diene in selbstverzehrender Arbeit dem Volk, in dem du lebst, diene in selbstloser Liebe, gütig und wahrhaftig, denen, die Gott kls die Nächsten um dich gestellt hat. Gedenke der »Toten" — aber den Lebenden diene! So null und kann uns das Totenfest bei aller Versenkung in den Schmerz der Erinnerung zur Erhebung dienen. Wer stumpf bleibt auch an diesem Tage oder wer haltlos in trost losen Gram versinkt, der stirbt — stirbt in einem schlimmeren Sinn als unsere »Toten" gestorben sind. Totenfest soll uns ergreifen, Helligen und erheben zu freudigem Dienst. So ver standen gilt auch ans heute noch das herb anfeuernde Wort, das Jesus einst zu jemand sagte: ,Latz die Toten ihre Toten begraben; du aber gehe hin und verkündige das Reich Gottes!" P,an« H. P-»to«. Dreyfus der Zweite. General von Nathusius ist in Lille vom franzö sischen Kriegsgericht zu einem Jahr Gefängnis verurteilt worden. Ein Urteil, das in seiner völligen Hinfälligkeit an das nackte Tendenzurteil gegen Dreyfus erinnert, so daß man Nathusius, der wegen angeblichen Verschwindens eines Tafelservices, das er weder selbst requiriert, noch wahrscheinlich später jemals gesehen hat, ins Gefängnis aehen soll, fast als zweiten Dreyfus bezeichnen kann. Es ist nur ein neues Glied in der Kette, die von Drevfus anhebt und über die französischen Kriegs- gerichtsurtcile gegen angebliche deutsche Spione und Spioninnen und viele andere während des Krieges geht, bis zu jenen Hunderten und Aberhunderten der Ruhr verbrechen, gegen die Kruppdirektoren, gegen die Mainzer Gewerkschaftssekretäre und frühere U-Bootkommandanten u. a. Oder ist nicht das erste Glied in jener Kette der Herzog von Enghien, den Napoleon l. auf badischem Ge biet in räuberischem überfall unter Völkerrechtsbruch nach Frankreich schleppen und erschießen ließ? Keine Nation weist derart viele Gerichtsurteile auf, die den Stempel des Justizmordes an der Stirn tragen, wie Frankreich, die Vorkämpferin der menschlichen Gesittung und Zivilisation. W NW« M<! Fehlbetrag im MchWn. Ein Nachtragsetat im Neichsrat. Berlin, 22. November. Ein Nachtragsetat zum Reichs- Haushalt für 1924 ist gestern abend vom Reichsrat angenommen worden. Der bekanntlich vom Reichstag noch nicht erledigte Haushalt schließt an Einnahmen und Ausgaben mit 6 Milliarden Mark ab. Der ordentliche Haushalt der allgemeinen Reichsver waltung weist 5,3 Milliarden an Einnahmen auf. Ihnen gegen über stehen Ausgaben von 5,1 Milliarden Mark, und zwar 4,9 Milliarden an fortdauernden und 250 Millionen an einmaligen Ausgaben, so daß sich ein Ueberschuß von 181 Millionen ergibt. Der außerordentliche Haushalt der allgemeinen Reichsverwaltung zeigt einen Ausgabebedarf von 665 Millionen, der gedeckt wird durch Einnahmen in Höhe von 252 Millionen durch einen Zu schuß von 64 Mi'llonen aus dem Uebelschuß des ordentlichen Haushalts und einen Anleihebetrag von 348 Millionen gegen über dem bisherigen Anschlag von 470 Millionen. Der Haus halt für die Ausführung des Friedensvertrages weist, abgesehen von den aus der Jahresleistung zu bestreitenden Reparatens- lasten, insgesamt Ausgaben von 466,5 Millionen auf gegen bis her 690 Millionen. Hiervon werden 116 Millionen aus dem Ueberschuß der allgemeinen Reichsverwaltung gedeckt, 348 Millionen sind als Fehlbetrag auf Anleihe zu übernehmen. Für das Rechnungsjahr 1924 ist demnach das Gleichgewicht des Reichshaushaltsplanes noch nicht hergestellt. Jedenfalls weisen aber die Einnahmen des Reiches bis Mitte November einen Ueberschuß auf und es kann, wie der Bericht erstatter des Reichsrats ausführte, gehofft werden, -aß die Ein nahmen trotz der Herabsetzung der Steuern gestatten werben, den Fehlbetrag ganz oder zum Toll zu beseitigen. Mit einer fühl baren Linderung des Steuerdrucks wird, wie der Berichterstatter hervorhob, für lange Jahre aber nicht gerechnet werden können. Strengste Sparsamkeit und eine weitere Einschränkung der Aus gaben werden auch weiterhin unerläßlich sein. In Zukunft wer den uns infolge der Reparationslasten nach dem Sachverstän- gengutachten 1247 Millionen Mark zur Bestreitung der allgemei nen Reichsausgaben fehlen, und muffen, soweit es nicht gelingt, die Ausgaben noch weiter einMschränken, anderweit aufgebracht werden. — Nach dem Sachverständigengutachten hat Deutschland im ersten Reparationsjahr eine MUliarde Mark aufzubringen. Von der auswärtigen Anleihe mußten bei einem Ausgabekurs von 92 Prozent, um auf den vollen Betrag von 800 Millionen zu gelangen, insgesamt 919 Millionen Mark aufgelegt werden, deren Zinsendienst die Reparationsjahresleistung belastet, ohne daß die hierauf entfallenden Beträge uns auf Reparationskvnto gutgebracht werden. Die Abschlußzisfer des Haushalts zur Aus führung des Friedensvertrages steigert sich von 641,5 Millionen auf 1033 186 667 Mark, also um 391,6 Millionen. Wenn das Sachverständ'gengutachten bestimmt, daß in Zukunft alle Re parationsausgaben aus der Jahresleistung bestritten werden sol len, so bedeutet das nicht, daß die Kosten der Besatzung in Zu kunft von den Alliierten getragen werden müßten. Sie werden zwar aus der Jahresleistung bestritten, bleiben aber zu unseren Lasten, weil sich der uns auf Reparationskonto gutzuschreibende Betrag der Jahresleistung um die Ausgaben für die Besatzung verringert. Die deutsch-französischen Wirtschafts- Verhandlungen. Paris ,22. November. Bei Beendigung der Unterredung Dr. Trendelenburgs mit Reynaldi wurde folgender amtlicher Be richt ausgegeben: Es hat im Ministerium eine Besprechung zwi schen Handelsminister Reynaldi und dem Staatssekretär Tren delenburg über die Verhandlungen zum Abschluß eines Handels abkommensstattgefunden. Man hat sich über das Verfahren der in der nächsten Woche abzuhaltenden Sitzungen geeinigt sowie ferner über die Berufung von Sachverständigen, die daran teil nehmen sollen. Die nächste Vollsitzung der beiden Delegationen findet am Montag nachmittags 3 Uhr statt. England ratifiziert die Verträge mit Sowjetrutzland nicht. London, 22. November. Der britische Außenminister Chamberlain hat an den Sowjet-Gesandten Rakowski folgende Nole gesandt: Die Negierung Seiner Majestät hat die zwischen dem früheren britischen Kabinett und der Regierung der Union der sozialistischen Sowjet-Republiken verhandelten und am 8. August d. I. unterzeichneten Vertrage einer Nachprüfung unter zogen. Ich habe die Ehre, Ihnen mitzuteilen, daß Seiner Ma jestät Regierung nach gebührender Ueberlegung nicht in der Lage ist, die in Frage stehenden Verträge an das Parlament weiler zuleiten oder sie dem König zur Gegenzeichnung zu unterbreiten. Ein neues Glied ist das Schandurteil von Lille. So schnell wird die Verhandlung gegen den General von Nathusius angesetzt, daß deutsche Entlastungszeugen gar nicht mehr geladen werden können. Trotzdem muß Laß frühere Kontumazurteil in verschiedenen Punkten als nicht richtig aufgehoben werden. Er wird verurteilt auf die Aussage eines „Zeugen" hin, der nach Rückkehr in seine vom General innegehabte Wohnung von seiner Frau die Mitteilung erhalten hat, daß Gegenstände fehlen. Niemand versucht auch nur zu behaupten, daß der General diese Sachen hat abtransportieren lassen, niemandvon den Zeugen vermag zu sagen, wann diese Sachen, überhaupt entfernt worden sind — aber das ist ja alles gleichgültig. Alle „großartigen" Aussagen der „Belastungszeugen" aus dem ersten Verfahren brechen zusammen — aber das ist ja alles gleichgültig. Einer von ihnen erklärt schließlich, daß er seine Anschuldigungen auf Grund von — Gerüchten erhoben hat, und das Protokoll über die Haussuchung bei General von Nathusius, wobei seine Unschuld festgestellt wurde, ist bezeichnenderweise verschwunden — aber das ist j a gleichgültig. Das einzig Wesentliche ist: man hateinenpreußischenGeneral. Daß er im Ver trauen auf französisches Ehrenwort die Gräber der Seinen in Forbach besuchte und dabei verhaftet wurde, macht das Vorgehen Frankreichs besonders niederträchtig, besonders unmenschlich. Also: er m u ß verurteilt werden, damit man in die Welt hinausschreien kann, daß die Deutschen sich in Frankreich Raub und Plünderung erlaubt hätten. Das will man „beweisen", muß „bewiesen" werden, koste es, was es wolle. Koste es auch die letzten kümmerlichen Neste des Anspruchs, ein Rechtsstaat zu sein. Eins aber beweist die Justizkomödie von Lille: die „völkerbersöhuenden" Redensarten französischer Staats männer sind Phrasen, die nur dazu dienen sollen, dumme Deutsche zu benebeln. Gleichzeitig kommt die Nachricht, daß man jede deutsche Theateraufführung in Straßburg verboten hat. Zu den vielen Märtyrern der deutschen Sache gesellt sich ein neuer — und man verschone uns mit dem Phrasengedresch. Diese Opfer predigen lauter. Im Prozeß hat der Verteidiger warnend auf die politi schen Folgen hingewiesen, die die Affäre Nathusius in Deutschland haben würde, hat angedeutet, daß eine Ver urteilung zum Gegenstand einer Wahlpropaganda gemacht werden würde. Würde das letztere geschehen, so wäre das ebenso geschmacklos wie beklagenswert: aber politische Folgen soll das Urteil haben, nämlich die, in manchen Hirnen, die das nötig haben, aufklärend ;u wir ken. Wir vergessen zu schnell; wer denkt noch an die 13 Toten von Essen, an die zahllosen Verbrechen, die von Franzosen an Rhein und Ruhr begangen wurden? Eine Auffrischung tut not, um zu zeigen, daß die Politik der Ver söhnung vorläufig eine überaus einseitige ist, daß man drüben nur den Haß kennen will. Im Schandurteil von Lille zeigt sich das wahre Gesicht Frankreichs, und das wird nicht mehr vergessen werden. * Stellungnahme der Reichsregierung. Das seinerzeit in Abwesenheit des Herrn v. Nathn- sius vom Liller Kriegsgericht gefällte Versäumnisurteil ist der Neichsregierung erst vor acht Tagen zugegangen. In diesen acht Tagen hat das Auswärtige Amt zusammen mit den Reichsministerien, der Reichswehr und der Justiz sowie mit dem Oberreichsanwalt alles nur mögliche ge tan, um Entlastungsmaterial zu bekommen und die Ent lastungszeugen ausfindig zu machen. Das konnte aber in der kurzen Zeit nur zu einem geringen Teil geschehen. Die Negierung erwartet jetzt den Bericht des Vertreters der deutschen Botschaft in Paris, der der Verhandlung bei gewohnt hat, und sie wird auch in Zukunft alles tun, was in ihrer Kraft steht, um diese Sache im Interesse von Nathusius' und im Interesse der deutschen Ehre und des deutschen Ansehens weiterzutreiben. Sollte die selbstver ständlich einzulegende Revision gegen das neue Urteil nur auf Formfehler des Gerichts gestützt werden können, so dürste die Beschränkung der Verteidigung einen genügen den Nevisionsgrund abgeben. Äer Revisionsanirag. Der Verteidiger des Generals von Nathusius, Rechts anwalt Nicolai, erklärte bei einer Unterredung, er stelle aus verschiedenen Gründen Revisionsantrag, so we gen willkürlicher Fragestellung des Gerichtsvorsitzenden an die Richter, wegen falscher Wertbestimmung der angeb lich verschwundenen Gegenstände usw. Außerdem wird Nicolai ein Gnadengesuch an den Präsidenten von Frank reich Doumergue richten. Die Revision ist bereits be antragt. Eine Berufung gegen das Urteil gibt es nicht, wohl aber kann der Kassationshof von Paris das Urteil auf Grund des Revisionsgesuches wegen eines vor gekommenen Formfehlers kassieren und eine neue Ver handlung anordnen.