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Wilsdruffer Tageblatt : 30.04.1924
- Erscheinungsdatum
- 1924-04-30
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1782027106-192404306
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1782027106-19240430
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1782027106-19240430
- Sammlungen
- LDP: Bestände des Heimatmuseums der Stadt Wilsdruff und des Archivs der Stadt Wilsdruff
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Wilsdruffer Tageblatt
-
Jahr
1924
-
Monat
1924-04
- Tag 1924-04-30
-
Monat
1924-04
-
Jahr
1924
- Titel
- Wilsdruffer Tageblatt : 30.04.1924
- Autor
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im Tiergarten, wo man Hn beim Spazierritt vom Pferde schießen wollte, und ein andres Mal am Anhalter Bahnhof. Die An schläge scheiterten lediglich an Zufälligkeiten. Ferner geht aus den Dokumenten und Geständnissen'hervor, daß die Geheimorga nisation im Auftrage der Leitung der Kommunistischen Partei arbeitete und ständig mit dieser in engster Fühlung war. Auf Grund der bisherigen Vernehmungen ist es jetzt der Polizei ge lungen, das Berliner Sekretariat der Tscheka in der Mittenwal der Straße 2a auszuheben und neues Material zu beschlagnah men. Die Untersuchung bestätigt, daß die Morde an dem Friseur Rausch und dem Kaufmann Blau ebenfalls auf die Rechnung der Kommunisten zu setzen sind. craurrseiet» M Mkri». Berlin, 28. April. Im großen Saale der Philharmonie fand die Trauerfeier ser Deutschnationalen Volkspartet für Staats minister a. D. Helfferich statt. Nach dem Trauermarsch auS Beethovens 3. Symphonie sprach der Patteiführer Hergt als bester Freund des Verstorbenen. Er ließ das Leben und vielge- staltige Werl des Toten erstehen, der in Wissenschaft und Politik gleichmäßig hervortrat. Vor allem konnte Hergt ein Bild des Menschen Helfferich geben, als treuer Sohn seiner Mutter, die mit ihm in den Tod ging, als Gatten und als Vater. Der Red ner erkannte an, das Helfferich nicht von einem Parteiprogramm ausgesüllt werden konnte und gelobte, seinen Zielen Treue zu halten. Der Redner würdigte ferner die Führettätigkeit Helffe richs in der Deutschnationalen Volkspattei. Die Tragik seines Lebens war es, daß ihm weniger von den Gegnern als von anderer Sette Steine in den Weg gelegt wurden. Die Wahn sinnstaten, die sich gegen die von ihm sachlich bekämpften politi schen Gegner richteten, haben auch sein Leben vergiftet. Eine andere Tragik liegt därin, daß ihm durch seinen grausigen Tod die Möglichkeit zur Erfüllung und Vollendung feines Wertes genommen worden ist. Bei der Trauerfeier waren neben den etwa 60 Fahnendeputationen rechtsstehender Verbände auch zahlreiche Vertreter der Reichsregierung, der Berliner Universität und der Parlamente zugegen. In Neustadt a. d. Hardt, dem Geburtsorte Helfferichs, fand ebenfalls eine Trauerseier für den verstorbenen Ehren bürger und seine Mutter statt. Die Gedächtnisrede des ersten Bürgermeisters Dr. Forthuber feierte den Verstorbenen als treuen Sohn seiner Heimat und seines Vaterlandes, auch der Tod der Frau Helfferich, die eine große Wohltäterin gewesen sei, habe eine schwere Lücke hinterlassen. Nach Beendigung der Feier seUte Traueraeläut vom Turme der protestantischen Stiftskirche ein. Abkommen über NeparationskohieK- transport. Die rheinischen Besatzungsbehörden haben mit einer Gruppe deutscher Rheinreedcr ein Abkommen über den Transport von Reparationskohle abgeschlossen. Die deut schen Unterzeichner haben sich nach französischer Mittei lung verpflichtet, bis zu 120 WO Tonnen nach Straßburg oder 350 000 Tonnen nach Rotterdam und Belgien zu ver schiffen. Das Abkommen soll Gültigkeit bis zu dem Zeit punkte haben, wo zwischen den Regierungen eine um fassende Verständigung über die von Deutschland zu sichernden Transportleistungen erzielt ist. Dr. Solf über den Kolonialgedanken. Im Beisein von Vertretern des Senats, der Bürger schaft, der Behörden, der wissenschaftlichen Institute, sowie von Handel und Wirtschaft fand eine von der Deutscher; Kolonialgesellschaft (Abteilung Hamburg) veranstaltete Ge denkfeier des 40. Geburtstages der deutschen Kolonialpolitik statt. Der frühere Staatssekretär des Neichskolonialamtes, Dr. Solf, hielt dabei die Festrede über den deutschen Kolonialgedanken. Dr. Solf richtete einen Appell an das deutsche Volk, den kolonialen Gedanken hochzuhalten, bis der von allen Deutschen erhoffte Zeitpunkt, an dem es Deutschland vergönnt sei, sich wieder kolonial zu betätigen, gekommen sei. Macdonald spricht vor seinen Wählern. London, 29. April. Ramsay Macdonald hielt am Mon tag vor feinen Wählern eine bedeutsame Rede über die gegen wärtige Situation und insbesondere über das Gutachten. Er betonte, er hübe den Wunsch, Seite an Seite mit Frankreich in dieser Frage zu stehen. Die englische Regierung Haide die Uebe» zeugung, baß die Rücksichten auf Frankreich, die in dem Gut achten ausgebrückt find, nicht nur dazu führen werden, die schlechten Eindrücke zu beseitigen, die die letzten vier Nähre in Be zug auf das Verhältnis zwischen Paris und den alliierten Staaten hervorgerufen haben, sondern auch dazu unter Mitwir kung Belgiens zu einem endgültigen Friebensschlust und zu einer endgültigen Lösung deo Reparationsfrage zu kommen. Er werde seine besten Kräfte anftrengen, das auszuführcn. Der italienische Erbprinz reist nach Tirol. Rom, 29. April. Der Erbprinz Umberto wird sich heute Dienstag nach Bozen und Meran zu einem Besuch begeben. In einem Manifest wird erklärt, baß der Prinz nach Bozen komme, um das neue Land und die neuen Staatsbürger kennen zu lernen. Iaglul Pascha für die Unabhängigkeit Aegyptens. Paris, 28. April. Der Morgenpost wird aus Kairo ge meldet», Zaglul Pascha habe auf einer Versammlung seinen Par tei erklärt, daß der Zeitpunkt der englisch-ägyptischen Besprechun gen sich nähere. Diese Besprechungen werde er in der festen Absicht führen, die völlige Unabhängigkeit Aegyptens und des Sudans M verlangen. In englischen Kreisen hat diese formelle Erklärung Zaglul Paschas eine gewiße Sensation hervorge- rusen, denn die ägyptischen Behörden hatten bas Problem des Sudan bisher mit Schweigen übergangen. Die Prägung von Zweimarkstücken unterbleibt. Berlin, 28. April. Während die Prägung von Ein-, Zwei- unv Dreimarkstücken in Aussicht genommen und auch durch Ge setz festgelegt wurde, will das Reichs sinanzministerium neuer dings von der Herausgabe der Zweimarkstücke bis auf weiteres avsehen. Maßgebend für diesen Entschluß dürste die Erwägung sein, daß ein Bedürfnis nach Zweimarkstücken nicht vorliegen würde. Handwcrkertag in Berlin. Berlin, 28. April. Der Reichsverband des Deutschen Hand- Werks, der Deutsche Handwerks- und Gewerbckammertag und der Vreukncbe Sandwerkskammettaa werden am 25.. 26.. und 27 Mai in Berlin ihre Tagung abhalten. Auf der TageSord- nung steht in erster Linie die Beratung der neuen Reichshand. Werksordnung. Der Gesetzentwurf ist bereits vom Reichswirt schaftsrat der Reichsregierung zugelettet worden. Eine Mahnung Hindenburgs. Brannschtveig, 28. April. Bei der Fahnenweihe des Braun schweiger Stahlhelms in Adenbüttel ergriff Generalfeldmarschall Hmdenburg das Wort zu einer Ansprache, in der er u. a. sagte: Lassen Sie uns das Gelöbnis der Liebe und Treue zum Vater land. der Zucht und Ordnung und der Einigkeit bekräftigen mit dem Ruf: Unser geliebtes teures deutsches Vaterland, für das wie leben, sür das wir aber auch bereit sind zu sterben, Hurra, Hurra, Hurra. Generalstreikansage der Komvamiyen. Leipzig, 28. April. Ein von der Kmimmmftischen Partei für gestern einberufener Mitteldeutscher Bergarbeitrrksngrrß be- sästotz den Beginn des Generalstreikes für den 1. Mai zu pro klamieren. Es wurde eine Zentralkampfleitung für Mittel deutschland, bestehend aus 6 Kommunisten gebildet. Beisetzung des Grafen Msntgelas. München, 28. April. In Anwesenheit des Vertreters der Rttchsregierung v. Hantel hat heute mittag aus dem nördlichen alten Friedhof die feierliche Beisetzung des deutschen Gesandten in Mexiko Grasen Adolf v. Montgelas stattgefunden. Bei vem Trauerakt war auch die Mexikanische Gesellschaft mit ihrem Prä sidenten anwesend. Wechsel im italienischen Krirgsministerium. Rom, 28. April. Der Kriegsminister Diaz ist aus Gesund- hsitsrückstchten zurückgetceten. General Antonina di Gior gio ist an seiner Stelle zum Kriegsminister ernannt worden. Das ökumenische Konzil in Rom 1925. Rom, 28. April. Wie nunmehr amtlich mitgeteilt wird, wird das nächste ökumenische Konzil in Rom im Jahre 1925 er öffnet werden. Ober 2000 Bischöfe aus aller Wett werden an ihm teilnehmen. Sowjetfeindliche Bewegung in Buchara. Moskau, 28. April. Wie die Russische Telegraphen-Agentur meldet, hat in Buchara eine außerordentlich lebendige gegen revolutionäre Agitation eingesetzt, nachdem bereits in Afghani stan ein Aufstand ansgebrochen ist. Aus den Quellen, die den Ausstand von Afghanistan mit Geldmitteln versorgen, werden auch die Führer der bucharischen gegenrevolutionären Bestrebun gen mit Geldmitteln versehen. Der frühere Emir von Buchara ist nach Afghanistan zurückgekehtt und nimmt an den Ereignissen attiv teil. Ehttrahödie aus offener Straße. In Berlin erschoß der 29 Jahre alte Händler Nern auf offener Straße seine Fran. Er flüchtete, wurde aber von einem zufällig vor- sibei gehenden Oberwachtmeister verfolgt und von diesem, als er aus Anruf nicht stehen blieb, durch einen Bauchschuß a^ötet. Jubiläum des Vereins für Feuerbestattung. Der Verein für Feuerbestattung feierte Sonntag in Berlin sein fünfzigjähriges Jubiläum. Das erste Krematorium in Deutschland wurde l878 in Gotha eröffnet. Berlin erhielt das erste Krematorium erst im Jahre 1612. Der Entdecker von Goe-heZ (?) „Joseph" gestorben. In Altona starb im 81. Lebensjahre der Literaiurprofessor Dr. Paul Piper, der als Entdecker eines angeblichen JugendwerkeZ von Goethe, des „Joseph" vor einigen Jahren den Anlaß zu heftigen literarischen Fehden geboten hat. Prof. Piper war früher Leiter des städtischen Archivs in Altona. Ein englischer Dampfer in Brsnd. Der britische Handelsdampfer „City o f S i n g a p o r e", der eine La dung Ole und Automobile an Bord hatte, ist im Hilfen von Adelaide (Australien) in Brand geraten. Die Flußfeuerwehr war beim Löschen des Brandes beschäftigt, als plötzlich zwei furchtbare Explosionen erfolgten, durch diedreiPersonengetötet und elf schwer ver letzt wurden. Zahlreiche andere Personen erlitten leichte Verletzungen. Bunte Tages-Chronik. <» r ^cm Dr. Helfferich hm von Zürlcy aus an ven Reich^randenten, den Reichskanzler und den Vorsitzenden der Deutschiiatlonalen Polkspartei Hergt sür das ihr anläßlich des ttch»et ^tten ausgesprochene Beileid Dankteleg ramme ge- - Bettin. In Berlin-Tegel wurde der Wanderzirkus Blumen- se>d infolge Gewittersturmes und Hagelschlaqes zerstört. Der Schaden betragt etwa 40 000 Goldmark. Ein preußischer Schulmusikerlatz. Ein Erlaß des preußi schen Ministers für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung gibt Richtlinien sür den musikalischen Unterricht in den Schulen. Das Fach soll fortan nicht mehr „Gesang", sondern „Musik" heißen; die Mnsiklehrer, die den vorgeichttebenen Studienweg absolviert haben, haben das Recht, sich als akademisch gebildet zu bezeichnen. Hervorragende musikalische Leistungen sollen künftig bei Versetzungen und Reifeprüfungen ge wertet, der Musiklehrer deshalb auch als Mitglied zu den Prüfungskommissionen herangezogcn werden. Die Musik erziehung in den Schulen erhalt durch diese weitgehenden Maß nahmen des Ministers einen kräftigen Antrieb. Helfferich als Getehrter. Der auf so tragische Weise ans dem Leben geschiedene frühere Staatsminister Dr. Helfferich war nicht nur ein hervorragender Staatsmann und Parlamen tarier, sondern auch einer unserer kenntnisreichsten National- ölonomen. Die akademische Lehrtätigkeit bildete den Ausgangs punkt für seine politische Laufbcchn. Helfferich gehörte zu den besten Kennern aller Münz- und Währungssragen. Im Jahre 1899 habilitierte er sich als Privatdozent sür Volkswittschast an der Berliner Universität und übernahm gleichzeitig die Leitung der neu eingerichteten Kolonialpolitischen Abteilung am Seminar für orientalische Sprachen. Den Ruf, eine ordentliche Professur der Staatswissenschaften in Bonn zu übernehmen, lehnte er zweimal ab, da er sich inzwischen ganz der Politik ge widmet hatte. Sein finanztheoretisches Werk „Geld und ken" sand bei allen Fachiennern höchste Anerkennung. Ein neues Tuberkulosemittel. Mtt einem neuen, von dem Professor an der landwirtschaftlichen Hochschule in Kopenhagen Holger Mollgaard gefundenen Tuberkulosemittel, einem Prä parat, das er Aurocidin genannt hat, wurde in letzter Zeit eine Reihe von Versuchen gemacht. Es handelt sich um ein Goldsalz, das durch Einspritzung bei Tubertulosepatienten eine M e t a l l v e r gt ftu n g Hervorrust. Durch die ausgelöstc» Gifte werden die Tuberkuloscbazillen getötet. Da die Tuber- kulosepatientcn, die einige Einspritzungen erhielten, bazillcn- srei wurden, knüpft man in ärztlichen Kreisen Dänemarks große Erwartungen an das Mittel, das jetzt unter der Kontrolle Moll- gaards hcrgestellt werden soll. Man glaubt, daß alle Fälle von Tuberkulose im ersten Stadium der Krankheit geheilt wer den können. Schwerere Fälle sind gleichfalls geheilt worden, bie ten aver grotze Schwierigkeiten. Es muß jedoch darauf hinge wiesen werden, daß solche Nachrichten über neue Mittel gegen die Tuberkulose mit größter Vorsicht aufzunehm en sind, damit keine falschen HofsnuN-en erweckt werden. CiMadvIialaltropken. Die traurige Chronik -er UnglückZfälk«-- Belltnzona. — Das Unglück von Steglitz. — Der Zarenzu- bei Botti. — Das böse Jahr 1891. — Mönchenstein. — Vor sichtsmaßregeln. — In den Trümmern der Waggons. Das furchtbare Unglück bei Bellinzona, das zu den schwersten Eisenbahnkatastrophen der letzten Jahre ge hört, ruft die Erinnerung wach an frühere Eisenbahnunfälle von gleicher oder noch größerer Furchtbarkeit. Es läßt sich nicht bestreiten, daß die Menschheit mit der Erfindung des Dampfrosses auch einen der grausigsten Schrecken über sich gebracht hat; denn wenn man die Kraft der Sprengstoffe ausnimmt, sind nirgendwo auf der Erde so gewaltige, lebendige Kräfte am Werke, wie bei fahrenden Eisenbahn zügen, und deshalb muß die Zerstörung auch alles Maß übersteigen, wenn diese Kräfte „sinnlos Watten". Da sich unsere Zeit, abgestumpft von den unendlichen Greueln einer vieljährigen Kriegsperiode, auch an die größten Schrecknisse gewöhnt hat, wird ein Eisenbahnun glück in unseren Tagen kaum noch mit dem gleichen Ent setzen ausgenommen wie während des ersten halben Jahr hunderts des Schienenverkehrs. Die Welt ist schnellebiger geworden und geht rascher als früher über solche Hiobs- posten hinweg. Dazu kommt, daß die Zahl der Eisenbahn- unsälle während des letzten Menschenalters ganH bedeutend gegen früher zugenommen. Das liegt nicht etwa an einer Verringerung der Betriebssicherheit — diese ist vielmehr heute zweifellos viel größer als vor 50 Jahren —, das liegt an der ungeheuren Ausdehnung des Schienennetzes über die ganze zivilisierte Erde und an der Zunahme der Verkehrsdichiigkeit.. Früher, in den Tagen unserer Väter und Großväter, waren EisenbahnunsäNe weit seltener als heute; es waren damals aber Ereignisse, von denen wochenlang in aller Welt gesprochen wurde. Manche dieser Katastrophen sind alten Leuten heute noch, nach 30 bis 50 Jahren, genau in Erinnerung, was ein Zeichen dafür ist, wie sehr ein solches Unglück früher die Gemüter be schäftigt hat. Manche Eisenbahnkatastrophen haben auch historische oder verkehrstechnische Bedeutung erlangt, inso fern nämlich, als sie Mängel der Verkehrstechnik erkennen ließen, die auf Grund der schlimmen Erfahrungen dann beseitigt wurden. So hat das Eisenbahnunglück inSteg- litz beiBerlin am 2. September 1883 den Anstoß zum Umbau sehr vieler Bahnhöfe Preußens gegeben. An jenem Unglückstage wartete eine dichtgedrängte Menge, die von der Sedanfeier in die Stadt zurückfahren wollte, aus den Zug, mußte aber außerhalb des Bahnsteiges vor der geschlossenen Schranke stehen bleiben. Ohne zu wissen, daß von der anderen Seite ein Schnellzug herannahe, öffnete die Menge eigenmächtig die Schranken, um über die Gleise hinweg den Bahnsteig zu erreichen. In diesem Augenblick brauste in voller Fahrt ein Schnellzug heran und fubr in die auf den Schienen befindliche Menge hin ein. 39 Personen fanden den Tod, während 6 schwer verletzt wurden. Schuld an der Katastrophe trugen zwar irr erster Linie die Verunglückten selbst, aber das Unglück Wäre nicht geschehen, wenn nicht der gefährliche Niveauübergang gewesen wäre. In England hatte man von Anfang an begriffen, daß Wegkreuzungen in Schienen höhe eine ständige Gefahrenquelle bilden würden, und man hatte gleich beim Bau der Stationen und Strecken solche Kreuzungen vermieden. In Preußen fing man nun auch an, zunächst auf den größeren Bahnhöfen, über- und namentlich Unterführungen zu bauen, damit nirgends auf den Bahnhöfen Gleise überschritten zu werden brauchten In aller Erinnerung ist das große Eisenbahnunglück vei Borki am 17. (29.) Oktober 1888. Bei der genannten Station der Kursk—Charkow—Asow-Bahn entgleiste, wahrscheinlich infolge eines nihilistischen Anschlages, de» Souderzug des Kaisers Alexander Hl. von Rußland. Der größte Teil des Zuges wurde völlig zerstört; nur die drei letzten Wagen, in denen sich das Zarenpaar und der Groß- sürst-Thronfolger, der spätere Zar Nikolaus II., befanden, blieben angeblich unversehrt. Von den Bediensteten und dem Gefolge fanden 22PersonendenTod,36 wur den verletzt. Der Kaiser hatte, wie erst später bekannt wurde, einen furchtbaren Stoß in den Rücken erhalten, und dieser Stoß bot den äußeren Anlaß zu dem schweren Nierenleiden, dem der Zar am 1. November 1894 erlag. Ein wahres Unglücksjahr für das Eisenbahnwesen war das Jahr 1891. Am 22. Mai d..J. stieß zwischen Osnabrück und Minden ein Güterzug mit dem Sonderzug des Zirkus Carrs zusammen, wobei vier Personen, darunter die Frau des Zirkusdirekiors, ge tötet und zehn verletzt wurden. Wenige Wochen später erfolgte eine furchtbare Katastrophe bei Mönchenstein in der Schweiz: die eiserne Brücke über die Birs stürzte ein, als gerade ein Personenzug darüberfuhr. Zwei Lokomotiven, drei Pack- und Postwagen, sowie vier Per sonenwagen fielen in den Fluß, wobei 72 Personen den Tod fanden, 130 Fahrgäste wurden schwer verletzt. Schon einen Monat später gab es wiederum eine furchtbare Eisenbahnkatastrophe: am 26. Juli 1891 fuhr ein Sonder zug im Bahnhof Saint Mandä bei Pans auf einen Ver gnügungszug. Bei dem Zusammenstoß waren 49 Tote und 90 Verletzte zu beklagen. Abermals drei Wochen später gab es in der Schweiz wiederum einen Zusammen stoß: bei Zollikofen fanden am 17. August 1891 17 Per- sonendenTod,22 wurden verletzt. Diese Schlag aus Schlag einander folgenden Eisenbahnkatastrophen führten in allen Ländern zu einer außerordentlichen Verschärfung der Vorsichtsmaßregeln, und -ff. trat nach diesem Unglücks jahr denn auch in der Tat eine erhebliche Verminderung der Unfälle ein. Erst im November 1893 wurde die trau rige Chronik wieder nm einen neuen, besonders schlimmen Fall bereichert: in Italien erfolgte ein schwerer Zusammen stoß, bei dem 43 Personen getötet und 110 ver letzt wurden. Die meisten Opfer fanden den Tod in den brennenden Trümmern der Waggons. — Die überhaupt erste große Eisenbahnkatastrophe ereignete sich bei Paris: am 8. Mai 1842 stießen bei Belleville, einem Vorort der Hauptstadt, zwei Züge zusammen, wobei 50 Personenden Tod sanden. Die Nachricht verbreitete seinerzeit in der ganzen Kulturwelt Schrecken; an solche Möglichkeiten hatte die Menschheit in ihrer Freude über das neue Verkehrsmittel nicht gedacht. Zehn Jahre später war das erste große Zugunglück in Amerika; und dann nahmen die Katastrophen an Zahl rasch zu.
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