Volltext Seite (XML)
AilsümtterTageblatt r.SIstt Nr. 27> — MittwoA iy Nov«mbrr IY24 Hintereinander. Sachit durch die Wiesen ein Windhauch glitt. Daß Me Halme sich neigten. Träumend neigte ich selbst mich mit Und spürte den gleitenden Rhythmus im Schritt, Den die wiegenden Gräser zeigten. Und still am blühenden Wiesensaum Folgten wir einer dem andern — Eine Amsel jauchzte hoch oben im Baum Das Lied vom reifenden Sommertraum Und die lockende Weise vom Wandern. Ich aber ging mit lächelndem Blick Und singendem Blut durch die Stunde — Denn die zärtlichsten Augen streichelten mich, Und wenn ich mich! wandte, dann hörte ich Die süßeste Liebeskunde. N. Prager, Wilsdruff. Oie Übernahme der Regiebahnen. d. K öln, 17. November. Das Ende der Regiebahnen war da und die Bevölkerung bearLPe die Todesstunde mit einem Gefühl der Erleichterung. Die deuischen Beamten traten pünktlich nachts 12 Uhr ihren Dienst an. Ohne erhebliche Schwierigkeiten ging die Über nahme vor sich. In Aachen befindet sich die Bahnhofshalle in einem sehr schlechten Zustand. Die Wohnungen des Regicpersonals sind erst zum kleinen Teil geräumt. Die Wechselstube für Regie- jranken wurde ebenfalls aufgehoben. Das vorläufig noch zurückgebliebene fremde Adwicklungskommando bleibt bis auf weiteres noch im Verwaltungsgebäude der Eisenbahn. Eine aus vem Haupibahnhos eingerichtete, als sehr lästig empsundene Fahrkanenprüsungsstelle für Schnellzüge in Richtung Köln ist ausgehoben worden. Das Regieperfonal in Bonn war seit zwei bis drei Wochen allmählich verringert worden, so daß zuletzt eigentlich nur noch ein Notbetricb im Gange war. Jetzt zeigt der Bahnhof wieder das gewohnte Bild, allerdings noch überall französische Schilder neben den deutschen. Die französischen Schilder ver schwinden, >e mehr man rheinauswärts kommt. Von Re magen bis Koblenz ist kein französisches Schild mehr zu sehen. Auch in Trier vollzog sich die Übergabe reibungslos. Wenn hier auch die Schwierigkeiten am größten waren, da das gesamte Schienennetz des Direktionsbezirkes in den Händen der Regie lag. Im allgemeinen kann gesagt werden, daß der Fahrplan einstweilen nach dem allen ausrechterhallen bleibt. Sehr störend wird empfunden, daß die Morseapparate zum Teil verschwunden, teilweise demoliert sind. Die Regie hui allem Anschein nach den telephonischen und telegraphischen Zugmeldet lenst nicht ausgeübt. Die Telephone, soweit sie einem Bahnbetrieb angeschlossen waren, sind auch nur noch zum Teil vorhanden, da ein Teil derselben abmontiert und underweitig angeschlossen, ein anderer Teil an die französische und belgische Militärbehörde abgegeben wurde. Obwohl das Regieperfonal bereits vollständig abtransportiert und nur noch einige höhere Beamte zur Übergabe hier anwesend sind, gehl die Freimachung und Zurückgabe von Wohnungen nur sehr langsam vonstatten. Die deuychen Behörden hallen un der Grenze des besetzten Gcbteics eine Reihe von allen Lolonwriven und einen neuen Wagenpark zurückgesteüt, die uümnhiich in den Verkehr einbezogen werden. Aus Düsseldorf, Mainz, Essen usw. kommen säst gleichlaulende Meldungen über glatten Verlaus der Übernahme. Eharalleristisch ist die ebenso gleichlautende Beschwerde über recht unsauberen Zustand der Bureau- und sonstigen Räum lichkeiten. Die ersten Tage werden viel Reinigungsarbetten erfordern. Die Franzosen sind abgezogen — nun muß hinter thuen hergesegi werden. Wahlen in Anhalt und Schwerin. Stadt- und Kreistagsverlrete r. In ganz Anhalt wurden Sonntag Stadt- und Kreistags- vertreier gewählt. Die Wahlbeteiligung war etwa 5 A ge ringer als bei den Landlagswahlen. In Dessau-Siadt erhielten die Rechtsparteien 15, die Sozialdemokraten 16, die Demokraten 4» die Kommunisten 1 Sitz. Kreis Dessau stellt 9 Rechlsmandate, ebensoviel sozialdemokratische, 2 demo kratische. Kreis Köthen Hal 7 Nechtssitze, 8 sozialdemo kratische, 1 demokratischen; Kreis Bern burg7 Rechtssitze, 8 sotialdemokraliiche. 2 kommunistische, ie 1 völkischen und demo» noi„wen; rrreis Zervfl«? Rechtssitze, ebensoviel sozial demokratisch«, 2 demokratische; Kreis Ballenstedt 6 Nechtssitze. Im allgemeinen haben die Extremen auf beiden Sette» an Stimmen verloren, die Nechtsstimmen blieben ziem- lich gleich, Sozialdemokraten und Demokraten nahmen zu. In der Stadt Schwerin wickelten sich die Stadtver- ordnetenwahlen ebenfalls am Sonntag ab. Die bürgerlich, wirtschaftliche Einheitsliste erhielt 8739 (bei der vorigen Wahl 11 547), die Demokralen2698 <1700), die Sozialdemokraten 6658 (6353), die Kommunisten 689 (830), die Nationalsozialisten 1398, die die Angeslelltenliste 445 und die Freien Bürger 141 Stim men. Die wirtschaftliche Einheitsliste erzielte damit 23 (28), die Demokraten 6 (4), die Kommunisten 2 <3), die National sozialisten 3 und die Angestelltenliste 1 Sitz. In Bremerhaven wurden bei den Stadtverordneten- wahlen 20 Kandidaten der bürgerlichen Arbeitsgew,einschasl ge wählt, 19 Sozialdemokraten, 3 Demokraten und 4 Kommunisten. Vom Wahlkampf. Der Reichslandbunv zu den Preutzcnwahlen. In einem Aufruf wendet sich der Reichslandbund an die Wähler und kritisiert darin die Tätigkeit der jetzigen preu ßischen Minister Braun, Severing und Wendorff. Der Ausruf schließt mit den Worten: Preußische Landwirte, seid am 7. Dezember, dem großen Abrechnungstage, dem Deutschen Tage, mit Euren Angehörigen zur Stelle. Keine Stimme der roten Sozialdemokratie und der mit ihr ver- kündeten schwarz-rot-gelben Demokratie. Alle Stimmen des preußischen Landvolks auch bei den Preußeuwahlen für „Schwarz-Weiß-Not*! Reichsanstenminister Dr. Stresemann hat seine Wahl reise fortgesetzt und hat nacheinander in Osnabrück, in Essen, in Köln gesprochen und spricht in Berlin-Steglitz über „nationale Realpolitik*. Im wesentlichen kam er überall zu den Schlußfolgerungen der Dortmunder Rede, die eine Regierung der Mitte als Resultat der Neuwahlen verlangte. Von innerpolitischen Fragen behandelte Dr. Stresemann ausführlich des AufwertungSpoblem, das einer gerechten Lösung jetzt zugesührt werden könne, nachdem die Stabilisierung der Reutenmark gelungen, die Anleihe gesichert und das Reparationsproblem durch die Londoner Vereinbarungen in bezug aus die Höhe der Jahresleistungen ebenfalls einer Lösung entgegengesührt worden sei. Wahlaufruf der angestellten Geistesarbeiter. Die Ver einigung der leitenden Angestellten erläßt zum Wahlkampf einen Aufruf, in dem es u. a. heißt: „Die Häufigkeit der Wahlen darf nicht zur Wahlmüdigkeit verleiten. Wählen ist vaterländische Pflicht. Wir fordern daher die politi schen Parteien aus, zu brechen mit dem System des Jnteicssentenklüngels bei der Kandidatenaufstellung. Nicht die einseitigen Jnteressenvertreter, sondern die durch geistige Überlegenheit ausgezeichneten Persönlichkeiten sind zur politischen Führerschaft berufen.* politische Hunckschau i Belgische Meistbegünstigung für Deutsch land Die „Libre Belgique* teilt in ihrer Montagsausgabe mit: „Wir glauben zu wissen, daß die belgische Negierung sich entschlossen hat, Deutschland das Vorrecht der meist begünstigten Nation zu bewilligen.* Die Nachricht habe in Kreisen der französischen Kolonie eine lebhafte Aufregung hervorgerufen Hirtfiefcr über soziale Aufgaben. Der preußische Wohlfahrtsminister Hirtsiefer sprach bei der Jubelseier des Christlichen Gewerkschastskartells über die Aufgaben der christlichen Gewerkschaften. Er be dauerte, daß das soziale Verständnis in der letzten Zeit geringer geworden sei. Man möge aber auf der Arbeit- gcberseite nicht glauben, daß die Dinge so bleiben würden, wie sie jetzt sind. Wenn auch zugegeben sei, daß in der Nachrevolutionszeit weite Kreise der Arbeiierschaft mit ihren Forderungen über das Ziel hinausgeschossen hätten, so warne er doch davor, nun auf der Gegenseite in den gleichen Fehler zu verfallen. Als die wichtigste Aufgabe der christlichen Gerwertschaften bezeichnete der Minister, für eine gerechte Verteilung der Lasten aus dem verlorenen Krieg zu sorgen. Nochmals das Rüstungsmürchen. Schon kürzlich nahm die Reichsregierung Gelegenheit, sich gegen in französischen Blättern spukende Märchen von heimlichen deutschen Rüstungen zu wenden. Jetzt hat auch die Londoner „Times* solche Erfindungen übernommen und halbamtlich wird dazu Stellung genommen. Es wird festgestellt, daß bei der alliierten Militärkontrolle weder in Dresden Waffen gefunden worden sind, noch daß bei Krupp Gewehre fabriziert werden. Königsberg ist nicht in unzulässiger Weise armiert worden, in Deutschland werden keine Kampfgase hergestellt. In den Kammern der Reichs wehr befindet sich kein Stück Ausrüstung mehr, als durch den Vertrag vou Versailles zugelassen. Die Kontroll kommission hat das durch annähernd 600 Besuche klar gelegt. — Ob nun die hetzerischen Erzählungen aufhören werden? Bayern und die evangelische Kirche Zwischen dem bayerischen Staat nnd der evangelisch lutherischen Landeskirche rechts des Rheins soww der Vereinigten protestantisch evangelisch christlichen Kirche der Psalz wurden die vereinbarten Verträge über die Nege- !ung der kirchlichen Verhältnisse durch den bevollmächtigten Kultusminister Dr. Matt und durch die Präsidenten der beiden Landeskirchen vorbehaltlich der Genehmigung des Landtages und der beteiligten evangelischen Kirchcnge- meinschaften unterzeichnet. Die Verhältnisse der katholischen Kirche in Bayern sollen in den nächsten Tagen im Laud- lag geregelt werden. Neichskabinett und deutsch-französische Verhandlungen Die Meinungsverschiedenheiten in den deutsch franzö sischen Haudelsverttagsverhandlungen sind weiter im Neichskabinett Gegenstand der Erörterung. Am Montag fand unter dem Vorsitz des Reichskanzlers eine Minister- besprechuug statt, in der die neuen Instruktionen für die deulscheu Unterhändler festgelegt werden sollten. Mit diesen Instruktionen wird Staatssekretär Trendelenburg wieder nach Paris reisen, um die Verbandlungen dort fortzuseüen. Aus In- und Ausland. Paris. Wie aus Washington berichtet wird, hat Ttaats- sekrelär Hughes seine Absicht, am 4. März nächsten Jahres aus tettient Aime nuszuicheiden, auigegeben. Er habe sich ent schieden, noch ein weiteres Jahr im Kabinett des Präsidenten Coolidge zu bleiben. London. Wie Reuter aus Mexiko erfährt, sind alle ausge dehnte» Fischereikouzessioncn, die Japaner an den Küste» Niederlalisornicns ttniehattcn, von dem Bundesgouverneui für nichtig erklärt worden. Konstantinopel. Die türkische Negierung hat Lem englischen Vertreter in Konstantinopel belanmgegeben. daß die türkische» Truppen Beseh! haben, die kürzlich besetzten Distrikte des Be zirks von Moss ul zu räumen. Chicago. General Dawes unterzog sich einer Bruch operation. Die Arzte bezeichnen seinen Zustand als gut; er ist jedoch gezwungen, zwei Wochen im Hospital zu verbleiben. Mexiko. Die beiden der Ermordung der Eilgiäuderin Mrs. Evans sür schuldig Besundeuen wurde» zum Tode verurteilt. l Nus üem Serlcblslasl i 8 Im badilchen Hochverratsprvzetz, der ln Freiburg t. B. zur Verhandlung kommt, wurde die Vernehmung eines Lei Haupt- angeklagten, des kommunistischen Siadtrats Herbster aus Lörrach, zu Ende geführt. Herbster ist beschuldigt, als einer der leitende» Persönlichkeiten der K. P. D. bei den Lörracher Un ruhen seine Hand im Spiele gehabt zu haben, u. a. bei der Einrichtung von Kampftruppen der K. P. D., bei der Leitung des Feuergesechts gegenüber der eingesetzten Schutzpolizei usw. Zahlreiche Zeugen hatten bei der ersten Vernehmung den An geklagte» Herbster belastet. Diese Aussagen hielten aber die Zeugen jetzt nicht mehr restlos aufrecht, in der Hauptsache mit der Begründung, daß sie sich der Vorgänge und der bei der ersten Vernehmung gemachten Aussage» infolge des großen dazwischenliegenden Zeitraumes nicht mehr genau entsännen. Wegen Hochverrats verurtrilte Komtnuntslen. Vor einen, Sondergericht in Lüneburg hatten sich 15 Kommunisten wegen Hochverrats zu verantworten. Der Haupträdelssührer war nicht vernehmungssähig. Es handelte sich um die Unruhen am 24. Oktober l923 in der Behrschcn Mühle, wo Gewehre geraubt werden sollten, um der Reichswehr enlgegenzutreleu, oie sür Hamburg eingesetzt wurde. Neun Angeklagte erhielten je sechs Monate Gefängnis, die übrigen e i n bis zwei Jahre Festungshaft. Was mein einst war 20 Roman von Fr. Lehne. Urheberschutz 1921, durch Stuttgarter Romanzentrale, C. Ackermann, Stuttgart. »Wollen Sie nun den ganzen Nachmittag sitzen und lesen, Karl?* fragte sie. „An Wochentagen habe ich keine Zeit dazu, und Le- sen ist meine liebste Erholung." „Es ist so langweilig heute —" „Für mich nicht, Marie! Wenn Sie sich langweilen, Ist es Ihre Schuld! Uebrigens werde ich nachher zum Pfarrer gehen." Der Gedanke kam ihm plötzlich, daß es heute wohl Sie geeignetste Zeit sei, den Besuch auszuführen, wenn es ihm auch schwer wurde, sich aus seiner Einsamkeit Herauszureißen. Aber er konnte nicht unhöflich gegen die freundliche Aufforderung des Pfarrers bleiben! Er stand auf und legte fein Buch weg. „Ich möchte mich jetzt fertig machen, Marie! Wenn Ihr Vater nach mir fragt, so wißen Sie, wo ich bin." Endlich verstand sie, daß er allein sein wollte. Ach selzuckend ging sie hinaus, rachsüchtige Scham im Herzen. Die Tür zu ihrer Stube fiel knallend ins Schloß. Er mußte hoch in sich hineinlächeln. Er bürstete den Rock zu seinem Touristenanzug ab und zog ihn dann an. Da fiel ihm ein: wenn er dem Pfarrer das Kästchen mit seien Ehrenzeichen anvertrauen würde? Dort waren sie jedenfalls sicherer aufbewahrt als hier, wo allzu große Neugierde aufdringlich und unbequem werden konnte. Es war ihm immer ein unangenehmes Gefühl gewesen, daß er seine Kammer nicht zuschließen konnte, da die Tür kein Schloß hatet. Er nahm aus seinem Koffer das flache, braune Le» derkästchen, wickelte es ein und ging dann fort. Freudig empfing ihn der Pfarrer, ihn mit beiden ausgestreckien Händen begrüßend- Wohltuend empfand er die warme Herzlichkeit des würdigen Herrn. Er fühlte sich gleich heimisch in dessen traulicher Stu dierstube, in der eine leichte Dämmerung herrschte durch den wilden Wein, der üppig und dicht die Fenster um rankte. Mit altväterischem Behagen war der Raum ein gerichtet. Eine dunkelgrüne, in sich gestreifte Tapete Deckte die ziemlich niedrigen Wände. Ueber dem schlich ten Ledersofa hingen einige wertvolle Stiche, religiöse Szenen darstellend. In einem Vogelbauer hockte ein Kanarienvogel auf der Stange und sang aus voller Brust. Ein großer KirWaum-Büchevschrank, dessen Glastüren mit grünen Scheibengardinen verhängt wa- ren, fesselte seine Aufmerksamkeit. Ach, darin suchen und wählen dürfen! Der Pfarrer war seinem Blick gefolgt. Lächelnd sagte er: „Der Inhalt steht Ihnen zur Verfügung — nehmen Sie sich mit, was Sie wollen" — und da Karl Günther nicht gleich etwas erwiderte — „oder glauben Sie, bei mir Sie Interessierendes nicht zu finden?" Er schloß auf, und zu seinem Erstaunen sah Karl Günther Bücher, die er niemals im Schrank eines Dorf- geistlichen vermutet hätte. Der Pfarrer bemerkte seine Verwunderung. Ein feines Lächeln umspielte seinen schmallippigen Mund, als er auf die Bücher in der obersten Reihe deu tete. Es waren die Klassiker — „meine Freunde in stillen Winterabenden." Außer den Namen der unsterblichen Klassiker laS Karl Günther auch die bedeutenden Forscher und Philo sophen. „Für die Naturwissenschaften habe ich immer ein großes Interesse gehabt-" Der Pfarrer fing ein Gespräch darüber an, auf Las Karl Günther lebhaft ein ging. So klug und zurückhaltend er sonst ivac, diesmal bemerkte er doch nicht, daß der geistliche Herr eine be stimmte Absicht mit seiner Unterhaltung verfolgte und zufrieden war, seinen Zweck erreicht zu sehen; denn nun war ihm seine Vermutung bestätigt: Karl Günther war nicht der, für den er sich ausgab — ein einfacher Bauern» knecht besaß nicht solche Bildung und solche Belesenheit. Und es tat ihm leid, daß irgendein grausames Ge- schick einen solchen Mann aus seinem Kreise gerissen und an einen Platz gestellt, der seinen Kenntnissen und Fähig- keiten so gar nicht entsprach, wo er geistig direkt verhun gern mußte, wenn er nicht von anderer Seite ein wenig Unterstützung fand. Natürlich hütete er sich, etwas von seinen GÄanken laut werden zu lassen. Er trug seiner Wirtschafterin auf, den Kaffeetisch herzurichten, und bald saßen die Her- ren bei einer Tasse guten Kaffees, zu dem ein Stück frischgebackener Kuchen vortrefflich mundete. Sie sprachen über die Zeitverhältnisse, Karl Günther in bitteren, verdammenden, anklagenden Worten, denen der Pfarrer schweigend, ohne ihn zu unterbrechen, zu- hörte, den feinen Gelehrtenkopf leicht geneigt. Endlich sagte er mit seiner milden Stimme: „Ja, viel Unerfreuliches und Beschämendes ist zutage getreten, daß man das Haupt vor Schmerz verhüllen möchte! Wir machen aber einen Gärungsprozeß durch, und ich verzage nicht: das Gute wird sich vom Schlechten scheiben. Ein Bild fällt mir da ein: Wenn man ein Stück altes Fleisch kocht, so zeigt sich an der Oberfläche viel schmutziger, trüber Schaum, man muß ihn entweder abnehmen, damit die Fleischbrühe klar wird, oder man muß warten, bis sie sich klar gekocht hat. Ich halte cs mit dem Warten; denn alles geht vorüber, alles fließt, und mein festes Hoffen ist, daß alles wieder gut wird — zu unserer Läuterung mußten wir durch diese Trübsal."