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Gierung yar nacy zcyn Jahren die Unschuld eines Mannes anerkannt, der wenige Wochen nach Kriegsbeginn unter dem Verdacht der Spionage von einem Gendarmen kurzer hand über den Haufen geschossen wurde. Der Witwe, Vie ihr gesamtes Vermögen in dem Prozesse um die Rehabili tierung ihrer Familienehre verausgabt hat, ist vom Staat eine Entschädigung von 25 000 Frank sowie eine Lebens rente von 2500 Frank zugebilligt worden. Zahlreiche Unglücksfälle in der englischen Kriegs- kuftflotte. Im laufenden Fahre haben sich in der englischen Luftflotte 62 Unglücksfälle mit tödlichem Ausgang ereignet. Die englische Presse kritisiert das Verhallen des Ministeriums für Luftschiffahrt sowohl hin sichtlich des Versuches, die Zahl der Unglücksfälle totzu schweigen, als auch wegen der mangelhaften Ausbildung der englischen Flieger. Rekordslug des Luftkreuzers „Shenandoah". Der Luftkreuzer „Shenandoah", mit 40 Mann Besatzung, ist von Lakchurst in New-Jersey nach dem Stillen Ozean ab geflogen. Einschließlich der Rückfahrt, wird der Flug an nähernd 7000 Meilen betragen. Es wird der größte Flug sein, der in Amerika mit einem derartigen Luft kreuzer unternommen wurde. Ein Preisboxer wird — Wanderprediger. Amerika nischen Blättermeldungen zufolge soll IackIohnson, der gewaltige Negerboxer, den Beruf eines Wander predigers ergriffen haben. Johnson hat sich in seinem nun schon weit über 40 Jahre langen Leben in ollen mög lichen Berufen versucht, und es ist ganz gut möglich, daß diese Nachricht nicht nur ein Bluff ist, sondern der Wahr heit entspricht. Bluttat mexikanischer Banditen. In Mexiko wurde ein Zug von maskierten Räubern übersallen, die auf die Reisenden das Feuer eröffneten. Es entspann sich ein vielstündiger hartnäckiger Kampf, in dem die Banditen Sieger blieben. Sie metzelten sämtliche Reisenden, dar unter Frauen und Kinder, nieder. Die mexikanische Re gierung hat Regierungstruppen auf die Suche nach der Bande geschickt. Bunte Tageschronik. Stuttgart. Fürst FriedrichKarlzuHohenlohe- W a l d e n b u r g, der Senior des fürstlichen Gesamthauses, ist, 75 Jahre alt, in Waldenburg gestorben. Stuttgart. Bei Röthenbach im Algäu fuhr der Senne Dorn mit seinem Motorrad in ein Stangensuhrwert so unglücklich hinein, daß ihm eine Stange den Körper durchbohrte und einen Hülben Meter zum Rücken heraustrat. Trotz weiterer schwerer Verletzungen hasst man, ihn am Leben zu erhalten. Prag. Die Polizeibehörde hat die deutsch-böhmische Stadl B ö h m i.s ch - L e i t h a, die sich geweigert hatte, auf eigene Rechnung tschechische Straßentafeln anzubringen, gerichtlich pfänden lassen. LraubenLett Vom Wetn, der gegessen wird. Wenn man jetzt durch die Straßen der Städte schlen dert und einen Blick aus die Auslagen der Obsthandlungen wirft, fällt einem vor allem die märchenhafte Fülle der zur Schau gestellten Weintrauben auf. Man glaubt, noch nie zuvor so viel Weinbeeren beisammen gesehen zu haben wie in diesen gesegneten Herbsttagen. Da liegen sie, in Körben zu farbenbunten Bergen aufgestapelt, da hängen sie. an Schnürchen zu dustzarten Ketten aufgereiht, und das Auge kann sich nicht satt sehen an all der Pracht. Da für können sich Mund und Gaumen daran satt essen, denn die Trauben sind verhältnismäßig billig, was man so heute, in dieser Zeit der großen „Preisumstellung", billig nennen kann. Es herrscht eine geradezu überwältigende Traubeninflation, und alle sind sie wieder da: die blauen und die weibgrünen, die schwarz schattierten und die mit den goldhellen Zwischenfarben, die dünn- und die dick schaligen, die zuckersüßen italienischen, die großen, kuge ligen, herben Brüsseler und die eirunden Spanier, die die Zierde der vornehmen Tafel bilden und an den Geldbeutel höhere Anforderungen stellen als ihre kleineren Geschwister, die in deutschen Weingärten das Licht der Welt erblickt haben. Die Traube ist der Wein des kleinen Mannes, der Wein, der nicht getrunken, sondern gegessen wird, und gegen den selbst die amerikanischen Temperenzler nicht viel einzuwenden haben dürften. Eine ganze Reihe von heiteren und ernsten Volkssprüchen haftet sich an diese köstliche Frucht. Schon die alten griechischen Fabeldichter brachten die Traube ins Sprichwort, und jedermann kennt Ich hab dich lieb. Roman von Erich Ebenstein. Urheberschutz durch Stuttgarter Nomanzentrale C. Acker mann, Stuttgart. Durch den alten Michl, der ihm öfter vertraulichen Bericht über die Wirtschaft hatte erstatten müssen, erfuhr er, was sie drüben in der Oekonomie geleistet hatte. Ohne sie hätte es wohl unheilbare Schäden dort ge geben, und alles wäre drunter und drüber gegangen. Der unfähige Verwalter bekam bereits die Kündigung. Und hier? Gustav Flamm wälzte sich unruhig auf seinem Lager. Keine Mutter hätte besser, zarter für ihn sorgen können. Anfangs, als die Schmerzen noch sehr heftig waren, hatte nur Jellas linde Hand sie ihm erträg lich gemacht. Jetzt, wo er schon stundenlang außer Bett sein konnte, wie bemühte sie sich, ihm Zerstreuung zu verschaffen! Unermüdlich! Aufopfernd! Konnte er je daran denken, sie zum Dank für all' dies zu verlaßen? llnd doch — und doch — zwischen ihm und ihr gaukelte wie ein farbenprächtiger Schmetterling das Bild der andern. Gestern abend erst hatte er es wieder so recht gefühlt. Er hatte am Fenster gesessen, und Jella stand neben ihm. Tie Nosenglut der sinkenden Sonne umfloß ihre schlanke mädchenhafte Gestalt. Das blonde Haar leuchtete wie Gold, und der friedliche Glanz des Abendhimmels spiegelte sich in ihren tiefblauen Augen-. Sie trug ein weißes Kleid, und weiß schimmerten Arme und Nacken daraus hervor. Da war ihm jäh durch den Sinn gefahren: Wie schön ist sie! Wie edel jede Linie! Und sie ist doch dein Weib! oeiß wie einst in den ersten Zeiten ihrer Liebe über- N" Sehnsucht, sie zu küssen. Schon breitete er vte ervauttcye Geschichte von dem Fuchs, dem die Trauben zu sauer sind, weil er sie nicht erreichen kann. Der alte Fabelvater Aesop hat diesen Fuchs in die Literatur ge bracht, und seither ist der Traubenverächter Reineke durch die Fabeldichtung aller Völker und Zeiten gegangen und auch in politischen Leitartikeln zu einem sehr beliebten Symbol geworden. Am höchsten hängen, wie das Sprich wort behauptet, die süßen Trauben, und ein anderes Sprichwort will wissen, daß junge Trauben immer sauer sind. Das geht die Jugend an, aber so ganz sicher scheint cs, was die Herbe oder die Süße der Trauben betrifft, doch nicht zu sein. Die Farbe jedenfalls tut es nicht, sonst würde Wohl das Volk, das in solchen Dingen höchste In stanz ist, nicht kurz und bündig erklären, daß die schwarzen Trauben ebenso süß sind wie die weißen. Und was hat man über die Traube nicht sonst noch alles gesagt! „Eine Traube macht die andere zeitig", „Eine faule Traube steckt die andere an", „Eine reife, eine faule und eine unreife Traube geben den besten Wein" usw. Aber sreilich heißt es dann auch wieder: „Es sind nicht die guten Trauben, aus denen man Essig preßt", denn „wie die Trauben, so der Wein". Einen Trost für so manche, die sich überflüssig auf der Welt dünken, enthält das Wort: „Nicht aus jeder Traube preßt man Wein, es muß auch Rosinen geben." Hübsch ist auch das alte Wort: „Die Traube gibt den Wein, auch wenn man sie mit den Füßen tritt." Soll die Traube aber reifen, so braucht sie Sonne, weil „die Trauben nicht vom Wind reif werden". Aber mit der Reife und der Süßigkeit ist ihr Schicksal noch nicht erfüllt, denn „an die reifen Trauben hängen sich die Wespen". Man ersieht hieraus, daß es auch eine Traube nicht leicht hat im Leben. Es ergeht ihr wie allem Guten: man nützt es aus, man preßt es aus, und wenn es nichts mehr hergibt, wirft man die Hülse weg. Auch das ist sprich wörtlich festgelegt, und manch einer mag die Wahrheit dieses Spruches schon an sich selbst erfahren haben. Ein anderes Sprichwort allerdings besagt, daß „dem, der die Traube auspreßt, auch die Hülsen bleiben". Was genau io richtia ist! —rr. Der schlecht gekleidete Herriot. Kleider machen Leute — vielleicht in der Weltgeschichte, sicherlich aber in den Augen des Schneidermeisters. Es ist somit verständ lich, wenn die in Hannover erscheinende Wochenschrift Der Schneidermeister die Kleidung des französischen Ministerpräsidenten — nach einer vielverbreiteten photo graphischen Aufnahme — vom Standpunkt des Maß schneiders aus einer kritischen Prüfung unterzieht. Das Ergebnis ist fatal. Der Anzug zeigt so viele Sitzsehler, „daß man ihn für Konfektion halten kann". Im einzelnen werden die Weste mit ihren vielen Falten, die falschge schnittene Hose — ohne Bügelfalte — und das falsch balan cierte und offenbar ohne Roßhaar verarbeitete Sakko durchgenommen. Herriot macht also dem Lande der Ele ganz keine Ehre. Aber „Der Schneidermeister" weiß eine Entschuldigung: er ist ein überhasteter Politiker, der ledig lich seinen großen Ideen lebt und darüber sein Äußeres vernachlässigt. Trotzdem soll er nicht Vorbild sein, denn den Vertretern eines Kulturvolkes steht es Wohl an, sich nicht nur gut zu bekleiden, sondern sich richtig und ge schmackvoll anzuziehen. In anerkennender Weise wird dabei der Reichspräsident zitiert, der sich befleißigt, stets gut gekleidet in der Öffentlichkeit zu erscheinen. Die Löwenjagd wird billiger. Der Pacific Coast Sportsman Club in Kalifornien hat ein Areal von 30 000 Morgen gepachtet, um dort Löwenjagden abzu halten. Der Club geht von dem Gedanken aus, daß die Jagd auf wilde Tiere für die Amexikaner, Vie zu diesem Zweck erst nach Indien und Afrika reisen ymssen, zu teuer kommt. Es ist viel billiger, die Löwen aus diesen Gegen den für das einheimische Jagdgelände zu beziehen. Neben Löwen werden auch Pumas, Leoparden, Tiger und Bären bezogen werden. Nach den Prospekten des Clubs wird sich das Billett auf eine Löwenjagd nicht höher als 100 Dollar stellen. Der getötete Löwe wird allerdings extra bezahlt. „Wart' ein wenig" — mit dem Selbstmord. In Kobe in Japan erfreut sich das „Wait-a-Bit Home" („Wart'-ein- wenig"-Heim) für lebensmüde Frauen eines so großen Zuspruchs, daß in der Mandschurei und Korea gleiche Einrichtungen geschaffen werden sollen. Mrs. Noboku Jo, die Gründerin dieser barmherzigen Schöpfung, hat i« dem Kobe-Heim bereits 1588 Frauen dem Leben wiedc die Arme aus, um sie an sich zu ziehen, denn in diesem Augenblick stand nichts und niemand zwischen ihnen, alles war ausgelöscht, alles wie einst — da trat sie hastig zurück. „Wie die weißen Nosen duften!" stammelte sie, und die ganze Rosenglut der versinkenden Sonne schien sich auf ihrem Gesicht gesammelt zu haben. Ihre Augen aber sahen ihn an, groß und dunkel, voll beklommener Bangig keit. Die weißen Rosen! Flors Rosen! Auch sein Gesicht überzog Purpurröte — er fühlte es — bis an die Haar wurzeln. Die Sehnsucht versank. Der Friede in seiner Brust erlosch. Und mit der Unruhe, die ihn jäh packte, gaukelte Flors strahlendes. Bild zwischen sie hin. Jella ging. Und wie ihre Gestalt aus dem Zimmer verschwand, so auch schwand sie aus seinen Gedanken. Bis sie jetzt, mitten in der Nacht, wieder da war und all die Erinnerungen an sie und die andere . . . Unruhig wälzte der schlaflose Mann sich hin und her. Was sollte werden? Wie alles enden? Im Gemach war es schwül. Bleich schien der Mond durch die Hellen Vorhänge. Und die Rosen — wie dufteten sie so unertäglich süß und stark . . .! Flamm machte eine ungeduldige Bewegung. Dabei stieß er an das Tischchen neben dem Bett. Ein Klirren — die JardiniLre mit den Rosen war umgefallen. Durch die offenstehende Tür des Nebenzimmers klang Jellas schlaftrunkene Stimme: „Was ist? Brauchst du etwas, Gustav?* „Nein, danke", lautete die Antwort. Flor Siebert war wütend. Durch einen Irrtum — oder wie sie es nannte: eine „Eselei" des Gärtners, der die weißeü Rosen nach Eberswalde geliefert hatte, — war zugefüyrr. Durch Lebensunkenntnis in Sorgen, Armut und unglückliche Liebesaffären getrieben, findet hier die verzweifelte Japanerin wieder Mut und Gottvcrtrauen, Bibellesen, Unterricht und Beschäftigung vertreiben der .Patientin" Vie Zeit bis zur völligen Genesung. Wenn alles eben käme, wie du gewollt... Von Martinus Michel. „Wenn alles eben käme, wie du gewollt es hast, wenn Eott dir gar nichts nähme und gäbe dir keine Last, wie wäre es um dein Sterben, du Menschenkind, bestellt, du müßtest fast verderben, so lieb wäre dir die Welt." Der Erzähler weiß in der Geschwindigkeit nicht, von wem der Vers ist. Aber er hat ihn sich wohl gemerkt. Und wenn der geneigte Leser gescheit ist, macht er's ihm nach, dann ist ihm über vieles hinweggeholfen. Absonderlich in der heutigen Zeit, da die Welt schier völlig aus dem Leim geht. Der Feind im Land, Not, Teuerung und Hunger dazu, da kann so ein Sprüchlein heilsam sein, denn es lehrt Entsagung. Aber da fehlt's leider. Ein jeder möchte seinen Kopf aufsetzen, ein jeder will nur haben, nicht geben. Und gar noch hergeben obendrein, mit lachendem Munde, ist eine Kunst, wo nit viele ausbringen. Und ist doch gar so leicht. Für einen Kreuzer Geduld, für einen Batzen Eottvertrauen, und wann's hochkommt, ein Quäntlein Ergebung in seinen Willen, und die Medizin ist fertig. Schmeckt gar nit so übel, wie der geneigte Leser vielleicht befürchtet. Nur rasch hin unter damit! Freilich wird's manchem schwer ankommen auf dies oder das zu verzichten, und mit lachendem Munde obendrein. Und gar noch ein Kreuz auf sich zu nehmen, das schwer drückt. Wer's aber fertig bringt, dem wird's mit der Zeit so leicht, daß er's gar nimmer spürt. Und da gibt's noch ein altes Sprüchlein, heißt: „Eott leiht nur." Er leiht uns Leben, Gesundheit, Weib und Kind, Kut und Geld, und wann's ihm an der Zeit scheint, so nimmt er's wieder zurück, denn alles ist sein, von ihm nur hergelieben. Und wenn er Krankheit schickt und Not, Schmerz und Leid, sind die nit auch nur geliehen? Und wann sie schmerzlich und bitter sind, so ist's manche Arznei auch. Und der ge neigte Leser weiß ja, daß geschrieben steht, die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten. Wer ein schönes großes Haus bewohnt (mit allem Komfort der Neuzeit, wie sie jetzt sagen) und soll 's auf einmal lassen, und 's gute Leben, das er darin geführt hat, dazu, und ausziehen in eine kleine Kammer, Sarg geheißen, Abschied nehmen von all dem Schönen auf der Welt, keine Schleckerei mehr haben und kein Earnichts, dies mag manchem wohl grauslich vorkommen. Denn, daß er durch das enge Stüble in den großen himm lischen Freudensaal einzieht, der Dalk, das denkt er fürs erste wohl nit. Wann aber sein Haus Riffe zeigt und bau fällig wird, wann's Unglück bei ihm anklopft und gar seine Visitenkarte daläßt, so wird er es leichteren Herzens ver lassen, das schöne Haus. Und er wird nit raunzen, wann ihm der Hausherr sagt, „nu mein lieber Freund, ist's Zeit zum Ausziehen, mach dich fertig". Er wird dem Haus herrn Tod danken und leichten Muts in das kleine Küm merle einziehen. 'S ist ja nur für kurze Zeit, sagt er sich. Lebensbeschreibungen. Von W i l h e l m von Schvl z. Die Frage, ob ein biographisches ober seDMographssches Büch, das von einem über Mittelmaß und menschliches Erwarten gelungenen und glücklichen Leben — oder eins, das von hart burchgekämpftem, nie zur Höhe gekommenem, zuletzt vertanem Dasein berichtet, nützlicher zu Ziesen sei, ist Vielleicht zugunsten des letzteren zu beantworten. Die Hewenleben enthalten für den durchschnittlichen, nicht lebenskriti-schen Leser das einschmeichelnde, süße Gift der Größe, die GrötzmÄufion sozusagen als Daseins grundlage, die den Blick des Lesers die einsacheo normalen Maße Menschlicher Leistung verlieren läßt und, als Nebenwirkung, in ihn eine Unbefriedigung mit dem sät, Mas ihn nach irdischer Wahrscheinlichkeit erwartet. Ihre Wirkung kann also sowohl An sporn als auch lähmendes UngeMgen sein. Die Geischichte eines verfehlten Lebens wird ganz eindeutig immer nur positiv ein wirken. Sie wird nie zur Nacheiferung locken. Sie wird, ohne ein für den jeweiligen Leser falsches Ziel zu suggerieren, immer eine Warnung sein vor den wenigen, ganz großen Fehlern des Wichtigsten im Leben von außen, statt aus sich, am eigenen Wesen, den Unkrästen der eigenen Persönlichkeit. Solche War nung führt den Leser auf sich. Um der mora sichen Bedrückung durch das fremde Leben wieder zu entgehen, wird er sein Eigenes, das gerade ihm gemäße Positive in sich erzeugen und betätigen ' muffen. Das ist gewiß der Hauptwert von Lebensiektüre. die Rechnung darüber nicht an sie direkt, sondern an ihren Mann gerichtet. Darüber hatte es natürlich wieder eine Szene gegeben. Siebert begriff absolut nicht, wie seine Frau dazu kam, Herrn Flamm jeden zweiten Tag Rosen ins Haus zu schicken. Er begriff es selbst dann noch nicht, als sie mit dem duldenden Augenaufschlag einer gekränkten Madonna vorwurfsvoll sagte: „Aber, mein Gott, er ist doch ein Bekannter von uns, und das hast du ja in den Zeitungen gelesen, daß er ver unglückt ist! Nichts ist doch natürlicher, als daß man einem Kranken Blumen schickt!" Selbst dann noch war Herr Siebert so begriffstutzig, es nicht natürlich zu finden. Und als er sich gar anmaßte, ihr Vorwürfe zu machen, befahl sie wütend ihren Wagen und fuhr zu Tante Madeleine. Dort wurde sie zunächst nicht vorgelassen, denn wie Fanny berichtete, sei der Arzt bei dem gnädigen Fräulein. Es handle sich, wie sie glaube, um irgend eine Badekur, die Fräulein Rehmen gebrauchen wolle. Flor wartete also im Wohnzimmer. Und während sie sich eine Beruhigungs-Zigarette anzüudete, kamen ihr allerhand gute Einfälle. Flamm war wieder gesund, gottlob! Mit dem wollte sie jetzt wieder einmal einen netten Abend verbringen und sich endlich ein bißchen amü sieren. Nun gerade, Siebert zum Trotz! Da waren z. B. die Wiesenthals, die gerade jetzt im „Orpheum" auf traten. Die konnte man sich ansehen. Siebert war ja nirgends mehr hinzubringen. Ganz ury gewandelt war er. Als Dr. Merold, von Tante Madeleine begleitet, aus dem Nebenzimmer trat, flpg Flor mit ihrem bezaubernd sten Lächeln auf den alten Freund der Familie zu, den sie seit Jahren als ihr gefügiges Werkzeug kannte. (Fortsetzung folgt.)