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Wilsdruffer Tageblatt : 13.03.1924
- Erscheinungsdatum
- 1924-03-13
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1782027106-192403130
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1782027106-19240313
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1782027106-19240313
- Sammlungen
- LDP: Bestände des Heimatmuseums der Stadt Wilsdruff und des Archivs der Stadt Wilsdruff
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Wilsdruffer Tageblatt
-
Jahr
1924
-
Monat
1924-03
- Tag 1924-03-13
-
Monat
1924-03
-
Jahr
1924
- Titel
- Wilsdruffer Tageblatt : 13.03.1924
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Partei gebilligt, sie werde deshalb gegen den kommunistischen Antrag stimmen. — Abg. Graupe (Linkssoz.) spricht sich namens seiner politischen Freunde sür den Mißtrauensantrag aus. Er wendet sich vor allem gegen den Schiedsspruch für das mittel- deutschc Braunkohlengebiet, den der Finanzminister auf den staatlichen Werken durchzusühren bestrebt sei. — Der Miß- trauensantrag wird gegen die Stimmen der Komunisten und Linksfoziolisten abgelehnt. Ablehnung findet auch ein kommuni stischer Antrag auf Einsetzung eines Ueberwachungsausschusses betr. die Verhältnisse in Böhlen und Hirschfelde. Die Gesetzentwürfe zur Aenderung des Gesetzes über das Pfandleihgowerbe vom 27. Mai 1910 und einer zweiten Aen derung des Forst- und Feldstrasgesetzbuches finden nach kurzer Aussprache Annahme nach den Vorlagen. Einen kommunistischen Antrag auf Gewährung von Dar lehen an sächsische Arbeiter- und Beamtenkonsumvereine zur Bekämpfung des Wuchers begründet Abg. Granz (Kom.). In Verbindung damit behandelt Abg. Kaula (Dn.) eine Anfrage seiner Partei betr. den mit der Einkaufsgenossenschaft Deutscher Konsumvereine in Hamburg abgeschlossenen Vertrag über Liefe rung von Lebensmitteln usw. sür alle sächsischen Gefangen anstalten. Das sozialistische Ministerium habe seinen Einfluß und seine Macht dazu benützt, sozialistische Einrichtungen mit Staatsmitteln zu unterstützen. Trotzdem der Vertrag Rechts gültigkeit habe, müßte es der jetzigen Regierung möglich sein, ihn abzuändern zum Wohle der eigenen Saatsangehörigen. Seine Partei rücke von dem Lupenpack der Wucherer weit ab und habe auch nichts mit solchen Leuten wie Zeigner zu tun, die wohl das große Wort führten, aber nichts für die Unterdrückten des Wuchers täten. Justizminister Bünger: Es sei richtig, daß das Justizministe rium des Kabinett Fellisch den Vertrag mit der Einkaufs genoffenschaft abgeschlossen habe. Für den Abschluß des Vertrags sei maßgebend das Bestreben gewesen, den Bedarf der Ge fangenenanstalten möglichst einfach und billig zu decken. Im Herbst 1924 liege die Möglichkeit vor, den Vertrag für den §1. Dezember 1924 zu kündigen. Bei der Entschließung hierüber werde das heute hier vorgebrachte Material geprüft werden. Er persönlich stehe auf dem Standpunkte, daaß, wenn uns von anderer Seite die Waren in gleicher Güte zu den gleichen billigen Preisen geliefert werden können, der Vertrag nicht zu ver längern sein. — Abg. Schembor (Soz.) verteidigt den Vertrag, der den Interessen des Staates diene. — Abg. Dr. Schneider (DVP.) bezeichnet den kommunistischen Antrag als einen reinen Agitationsantrag, den seine Freunde ablehnen müßten. — Abg. Dr. Kastner (Dem.) ist derselben Meinung. Die Konsumvereine könnten nicht billiger und besser liefern als der freie Handel. — Der kommunistische Antrag geht an den Haushallausschuß. Abg. Pagenstecher (Dn.) begründet sodann den Antrag seiner Fraktion wegen Rückzahlung von Mitteln, die unter dem Druck von Erwerbslosendemonstrationen bereitgestellt worden sind. — Ein 'Regierungsvertreter bemerkt, der Antrag sei größtenteils überholt. Die Regierung werde alles zur Aufrecht erhaltung von Ruhe und Ordnung tun. — Der Antrag wird an den Haushaltungsausschub A verwiesen. Ein weiterer deutschnationaler Antrag betrifft die Bewer tung der Warenbestände und Anlagen bei den Veranlagungen zur Gewerbesteuer. — Abg. Kuntzsch (Dn.) fordert in der Be gründung des Antrages, daß die Bewertung der Warenbestände und Anlagen auf Grund von 8 11 des Gewerbesteuergesetzes nach dem Goldwerte zu Anfang und Ende des Veranlagungs sahres zu erfolgen- hat. Einsprüche auf Grund einer höheren Er tragsveranlagung durch die Anrechnung der Geldentwertung bei dem Betriebs- und Anlagekapital als Verdienst seien bis zur nochmaligen Beschlußfassung durch die Veranlagungsbehörden ohne Sicherheitsleistung zu stunden. — Der Antrag wird an den Rechtsausschuß verwiesen. Ein Antrag der Abg. Bauer, Schreiber und Genossen (Dn.) wegen Aufhebung einer Verordnung des Wirtschaftsministeriums über die Zahlung der Beiträge zur Deckung des Aufwandes für Entschädigungen bei nichtgewerblichen Schlachtungen und bei Viehverlusten durch Seuchen in wetrbeständigem Gelbe wird nach kurzer Aussprache gegen die Stimmen der Deutschnationalen abgelehnt. Ein weiterer deutschnationaler Antrag verlangt die Auf hebung der Landespreisprüfungsstelle. Der Ausschuß schlägt in seiner Mehrheit vor, den Antrag abzulehnen, aber die Regie rung zu ersuchen, eine den veränderten wirtschaftlichen Verhält nissen entsprechende Reorganisation des Preisprüfungswesens unde ine Vereinfachung seines Verwaltungsapparates herbei zuführen. Ein kommunistischer Antrag wendet sich gegen eine angebliche Verordnung des Wirtschaftsministeciums vom 29. Ja nuar wegen der Preisprüfungsstelle, von der der Wirtschafts minister nichts weiß. In der Aussprache verlangt Abg. Kuntzelt (Dn.) u. a. den vollständigen Abbau der Preisprüfungsbezirks stellen, die überflüssig seien und vielfach von nicht vertrauens würdigen Leuten geleitet würden. Einem der Vorsteher seien 17 Jahre auf seine Dienstzeit angerechnct worden, darunter die Jahre, die er in der Fremdenlegion zugebracht habe. Ein anderer Vorsteher habe zu den Bääern seines Bezirkes gesagt: Eure Brotpreise sind zwar zu hoch, aber ich werde' dagegen nicht vor gehen, wenn Ihr so und so viele Stollen für die Erwerbslosen liefert. — Abg. Fellisch (Soz.) meint, die Preisprüfungsstellen seien im Interesse der Verbraucher nötig, gerade um sie vor dem Wucher der landwirtschaftlichen Produzenten zu schützen. — Wirtschaftsminister Müller weist die Angaben des Abg. Kuntzsch als unrichtig zurück. Der Ausschußantrag zum Antrag Schreiber findet Annahme. Der kommunistische Antrag geht an den Rechtsausschuß. Abg. Kuntzsch (Dn.) begründet eine Anfrage seiner Fraktion folgenden Inhalts: Das Handwerk und das Kleingewerbe be schweren sich darüber, daß die Industrie durch Regiearbeiten und durch Großbezug von zum Weiterverkauf an die Belegschaft be stimmten Waren und eigene Verteilung derselben die Belange des gewerblichen Mittelstandes geschädigt. Sind der Regierung diese Verhältnisse bekannt? Ist sie bereit, im Interesse der Er haltung eines lebenskräftigen Mittelstandes dem Fortgang dieser Entwicklung entgegenzutreten? — Derselbe Redner vertritt end lich noch eine Anfraae seiner Partei, betr. die Genehmigung zur Herstellung des Weihnachsgebäcks an den zwei letzten Sonntagen vor dem Fest. — Ein Regierungsvertreter beantwortet die letzte Anfrage dahin, daß eine allgemeine Ausnahme des Verbots der Sonntagsarbeit nicht gestattet werden konnte, dagegen sei in einzelnen Fällen die Sonntagsarbeit erlaubt worden. — Schluß der Sitzung ft-7 Uhr. Nächste Sitzung: Donnerstag, den 13. März 1924, nachm. 1 Ahr, u. a. Wahl der Gemeindekammer.' vents-er beiSrti-. (409. Sitzung.) 68. Berlin, 11. Mänz. Der Reichstag fetzte in Verbindung mit der dritten Lesung des Notelats die allgemeine politische Aussprache fort. Zu Beginn der Sitzung gedachte Präsident Löbe, während das Haus sich erhob, des gestern verstorbenen sozialdemokratischen Abgeordneten Kersten, der 15 Jahre dem Reichstage an gehört hatte. Darauf wurde der Gesetzentwurf über die Goldkreditbank ohne Debatte dem Haushaltsausschuß überwiesen. Der erste Redner in der allgemeinen Aussprache war der Abg. Diernrriter von der Baderischen Volkspartei, der sich über ungerechte Verteilung der Steuern beschwerte und besonders über Benachteiligung der Landwirtschaft, so daß die Produktion gefährdet erscheine. Abg. Eisenberger (Bayerischer Bauernbunds drückte sich ähnlich aus und meinte, daß die dritte Steuernotverordnung noch das Unrecht verschärfe, das schon bisher in der Steuer politik dem Mittelstände, besonders dem landwirtschaftlichen, angetan worden sei. Ungerecht werde aber auch beim Be- amten abbau verfahren. Statt der vielen bewährten Be amten hätte man lieber die vielen weiblichen abbauen sollen. Die vielen kleinen Leute, die im Kriege ihre ganzen Erspar- nisse in Kriegsanleihe angelegt und jetzt alles verloren hätten, erhöben mit Recht gegen den Staat die Anklage, daß er ein ungetreuer Vermögensverwalter gewesen ist. Der demokratische Abg. Schuldt sprach die Ansicht aus, daß der Bea ml e n a b b a u, der in wohlerworbene Rechte ein greife, nicht auf dem Wege der Verordnung geschehen dürste, sondern der ordenllichen Gesetzgebung hätte überlassen bleiben sollen. Die Deutschnationalen, die immer nach der Diktatur der I starken Männer, nacb dem Direktorium aeruien batten, bätte» keinen Grund, sich über den Beamtenabbau zu beschweren, do dieses Direktorium dann rücksichtslos den Abbau vorgsnonime« hätte. Die Geltung der Abbauverordnnng dürfe aber unmög lich bis 1927 dauern. Eine weitere Verminderung der Be amtenschaft könne man jetzt den natürlichen Abgängen über lassen. Reichsfinanzmisister Dr. Luther führte aus, daß die Mittel, die die Regierung anwenden müßte, natürlich bart o-wcsen seien. Aber alles sei leichter zu ertragen als eine WicdAwhr der Inflation. Die Regierung denkt nicht daran, das Berufsbeamtentum beseitigen zu wollen. Der Mi nister wies dann mit allem Nachdruck die Behauptung zurück, daß die Abdaukommission nicht objektiv arbeite. Die Regie rung steht auf dem Standpunkt, daß der gesamte Personal abbau spätestens im Laufe des Jahres 1925 beendet sein müsse. In nächster Zeit werde eine Verordnung herauskommen, die in ähnlicher Weise wie in Preußen eine Nachprüfung solcher Be schwerden ermöglicht, in denen eine Verletzung der politischen Md religiösen Neutralität in Abbaufällen gerügt wird. Der Luminer gab sann euren Überblick über das Abkommen oer Steuern in der letzten Zeit. Danach brachten seit dem 1. 12. die Lohnsteuer 14 A, die Beflüstcuer 58 uuf. Die industriellen Unternehmungen, die gegenwärtig wenig Gewinn abwerfen, seien stark mit Vermögenssteuer über lastet. Bet der starken Verarmung des deutschen Volkes könne dieses nur durch große Steigerung der Einnahmen und äußer sten Verminderung der Ausgaben den Weg ins Freie finden. Der Kommunist Malzahn polemisierte gegen den Neichs- ^rbcitsminister, der nur die Befehle ausführe, die ihm das Unternehmertum gebe. Die Gendarmerie un Saargebiet. Genf, 11. März. Der Völkerbundsrat erörterte die Frage des Abbaues der im Friedensvertrag vorgesehenen Gendarmerie des Saargebiets, deren äußerst geringer Bestand (gegenwärtig nur S55 Mann) von der Rcgierungskommission stets als Vorwan» für die Beibehaltung der französischen Truppen angeführt wurde. Die Rcgierungskommission hatte dem Völkerbundsrat in einer Denkschrift erklärt, daß sie eine Vermehrung der Gen darmerie aus finanziellen Gründen während des Jahres 1924 auf 1925 nicht durchführen könne. Aus Antrag des englischen Vertreters wurde ein Zusatzantrag angenommen, der der Hoff nung Ausdruck gibt, daß die finanzielle Lage des Saargebietes im Rechnungsjahr 1924/25 derart verbessert wird, daß die Gen darmerie noch im Laufe dieses Jahres erhöht werden könne. Der amerikanische Stahlkönig über Deutschland. Newyork, 11. März. Der Stahlindustrielle EharleS Schwab sagte in einer Unterredung mit dem Präsidenten Coolidge, in der er über seine Reise in Europa berichtete: „Ich bin der Überzeugung, daß, wenn endgültige Vereinbarun gen über die Reparationszahlungen getroffen sind, Deutsch land, gegen das sich seit vier Jahren so viel Mißtrauen an gehäuft hat, alle Anstrengungen machen wird, um sich ein kin- stimmig zustande gekommenes Sachverständigengutachten z» eigen zu machen, wenn es nur die Hoffnung hat, einmal et» Ende der ganzen Müh« zu sehen." Der rheinische Klerus gegen Ludendorff. Köln, 11. März. Eine große Versammlung von katho lischen Geistlichen des Rheinlandes, in der die Ab-gg. Dr. Kaas und Dr. Lauscher referierten, beschloß, an den apostolischen Nuntius Pacelli eine Adresse zu richten^ in der es heißt: „Die von Hunderten katholischer Geistlicher aus allen Teilen der Rbeinprovinz besuchte Versammlung des rheinischen Klerus weist die Angriffe des Generals Ludendorff gegen den Heiligen Stuhl und den deutschen Katholizismus mit Entrüstung zu rück. Mit Dankbarkeit erinnert sich der rheinische Klerus der vaterländischen Sorge, mit der der Heilige Stuhl während des Krieges die Leiden der Bevölkerung milderte, und des aposto lischen Freimutes, mit dem er einem Verständigungsfrieden ^wfichcn den kriegführenden Mächten den Weg zu ebnen Der Bundestag drS Neichsbundes der höheren Beamte«. Erfurt, 11. März. Der Bundestag des Reichsbundes der höheren Beamten forderte in einer Entschließung, daß endlich die schon im Frieden kaum ausreichende Besoldring der Be amtenschaft auf eine dem Einkommen der beruflich und wirt schaftlich gleichzustellenden Volksschichten entsprechende Höhe ge bracht, und daß dabei besonders für die unteren Besoldungs gruppen eine auskömmliche Besoldung sichergestellt werde. 1,11 MX« »««III (MWMaF Arm)? MemiM - vir tftmdelimgi». Von Dr. Otto Ernst Hesse. Die alten germanischen Traditionen im Volke lebendig zu machen — denn sie sind heute noch tot —, darf jedes Mittel recht sein. Bringt der Erneurer von vornherein durch seinen Namen die Berechtigung mit, so darf man den Versuch Hochwill kommen heißen. Daß der rheinische Dichter Wilhelm Schäfer zu den wenigen großen Verwaltern wirklichen phrasenlosen Deutschtums gehört, steht wohl außer Zweifel. Er befindet sich durch feine Entwicklung so außerhalb jeder Partei und Richtung, daß jede Partei und jede Richtung ihn als Persönlichkeit gelten lassen kann. Seiner groß angelegten deutschen Geschichte und der prachtvollen Effaisammlung „Der deutsche Gott" läßt Schäfer jetzt im Verlage Georg Müller in München eine Neu dichtung des Nibelungenliedes folgen. And zwar nicht des ge samten Liedes, wie es uns die berührten Handschriften über liefert haben, sondern einer Auswahl, der der Titel „Das Lied von Kriemhilds Not" gegeben wurde. Schäfers Neudichlung fußt auf Untersuchungen, die R. Ahl angestellt hat. Der Verlag hat sie dem großzügig gedruckten Buche beigegeben, so daß jeder in die Anschauung Uhls Ein sicht nehmen kann. Diese Anschauung behauptet, daß nicht, wie Lachmann annahm, aus etwa zwanzig Einzelgliedern ein Kom- pilator das Epos zusammengeschweißt habe, das wir als der „Nibelungen Not" in mehreren Handschriften überliefert be kommen haben, sondern daß der Verballhornung, die diese über lieferten Fassungen bedeuten, ein einzig Gedicht von ebenso klarem wie großartigem Wuchs zugrunde liegt, das sich dem genau Untersuchenden als das „Lied von Kriemhildes Not" entschleiert. Es muß der Germanistik überlassen bleiben, die wie es scheint, ungeheuer diffizielle Texttatik, die Uhl vorgenvmmen hat, auf ihre Richtigkeit oder Wahrscheinlichkeit nachzuprüfen. Für das deutsche Volkstum kann es nur fragen heißen, ob das, was Uhl aus dem Wust der späteren Kompilationen, die, wie Schäfer mit Recht betont, niemals lebendiges Volksgut werden können, als Urlied herausgesunden hat, so einheitlich und über zeugend ist, daß man diese sechszehn Kapitel als eine wirkliche Erneuerung und Verlebendigung ansehen kann. Schäfer selbst betont, daß er als Dritter nur sagen könne, daß ihn Uhls Ur-Lied elementar überzeugt habe. „Was Uhl als das Epos von „Kriemhilds Not" aus dem Nibelungenliede herausge ¬ zogen hat, ist nicht nur von überzeugendem Wuchs, sondern es stellt auch mit einigen Ausnahmen das dar, was heut als Nibelungenlied im Volke lebendig ist." Der Inhalt det sechszehn Kapitel dieses Ur-Liedes, in der beliebten „Wie"-Ueberschrift zusammcngefaßt, ist dieser: Wie Siegfried nach Worms kam. Wie Siegfried Kriemhild sah. Wie Gunther Brunhild besiegte. Wie Siegfried Brunhild bezwang. Wie Kriemhild Brunhild schmähte. Wie Siegsried ermordet wurde. Wie Kriemhild klagte. Wie Etzel um Kriemhild warb. Wie die Burgunden ins Hunnenland geladen würden. Wie die Durgunden bei Etzel empfangen wurden. Wie die Burgunden nach Bechlaren kamen. Wie das Ingesinde erschlagen wurde und die Recken sich rächten. Wie Iring erschlagen wurde und der Saal brannte. Wie Rüdiger erschlagen wurde. Wie Hildebrand zu den Recken ging. Wie Die trich Hagen bssiegt und Siegfried gerächt wurde. Es ist keine Frage, daß dieser Ausbau von Kriemhilds Traum vom Falken bis zu ihrem Tode eine Geschlossenheit zeigt, die alles auf Kriemhild bezieht. Und wenn man bedenkt, daß auch das andere große deutsche Epos „Gudrun" eine Frauengestalt in den Mittelpunkt stellt, so ist auch von dieser Seite her diese Hypothese anzunehmen. Daß sich Uhl gerade an Schäfer gewandt Hal, seine Fassung im Hochdeutschen nachzuformen, ist besonders zu begrüßen. Zwar ist Schäfer, wie er selbst ein wenig melancholisch be merkt, als „Prosaist" in die Stammrollen der Literaturge schichte eingeschrieben. Aber es war bestimmt günstiger, keinen der routinierten Reimhandhaber über das Werk kommen zu lassen. Dieses Epos durfte keine glatten Reime und keine ölige Flüssigkeit bekommen: es mußte knorrig und primitiv auch im Formalen bleiben. Schäfers Uebertragung hat diese notwendige Herbheit. Mancher wird die Nibelungenstrophe kaum wieder erkennen, da Schäfer nicht „abzählt", sondern mit der Ge° Wichtigkeit oder Leichtigkeit der Worte das Versmaß füllt. Der Prosaist Schäfer hat für das Ohr geschrieben. Ein Vorleser,, dessen Sinne sür die Maße der deutschen Silben geschärft sind, wiid aus dieser Uebersetzung eine solche Fülle der Nuancen herausheben können, daß die viel gefürchtete Eintönigkeit der Nibelungenstrophe überhaupt nicht mehr bemerkt wird. So kann man denn dem neuen Versuch Glückwünsche mit auf den Weg geben. Heute, da ein literarisch durchaus geltungs würdiger Nibelunoenfilm die alten Gestalten aus seine Art neu lebendig zu machen sucht, wird vielleicht mancher gern wieder einmal zu dem Texte greifen. Ihm sei dieses zusammengeballte und von vielen mönchischen Zutaten befreite Ui-Nibelungenlied ans Hcrz gelegt. Vielleicht ist es auch möglich, in den Schulen diese Fassung einzusühren, die nicht die Langeweile bewirken wird, die wir noch von der Lektüre aus der Prima her in schrecklichem Andenken haben. — Ein seltsamer Sinnspruch von Carmen Sylva. Bei dem Wettlauf von Hand- oder Selbstschriften- (Auto graphen) Sammlungen kommt vielfach recht Merkwürdiges und bisher Unbekanntes zutage. So auch jetzt wieder durch einen derartigen Verkauf bei I. A. Stargardt, Berlin (Katalog 248): Königin Elisabeth von Rumänien drückte sich, wie man weiß, in Carmen Sylva, die gekrönte Dichterin, die 1916 gestorbene ihren Dichtungen und auch in dem, was sie sonst schrieb, oft recht dunkel und geschwollen aus. So hat sie ja seinerzeit zu Gunsten der Anwartschaft des ihr verwandten" Prinzen zu Wied auf den albanischen Thron geschrieben: „Märchenland will einen König haben usw." Was sie aber unter ein großes, prachtvolles, sie selbst darstellendes Lichtbild (ganze Gestalt, am Schreibtisch stehend), das jetzt zum Verkaufe gelangt, geschrieben hat, und Mar als Widmung, ist doch mehr als seltsam: „Ein Vogel kann an einem Bienenstich sterben. Wer will es beurteilen, wie tief der Stich oder wie zart sein Organismus gewesen?" — Sinaia, 30. September 1900. Carmen Sylva. Es wäre un zweifelhaft fesselnd, in der Bukarester Hofgeschichte festzustellen, wer damals dort „der Vogel" und was „der Bienenstich" war? — Nebenbei bemerkt: Carmen heißt das Lied, silva heKt der Wald, so hat sie selbst einmal den von ihr angenommenen Dichternamen erklärt. Leider würde das: carmen silvae („Mald- lied") und nicht Carmen Sylva ergeben! (N. G. C.) Robert Kirchhoffs 100. Geburtstag. Am 12. März jährt sich zum hundertstenmal der Tag, an dem der große deutsche Physiker Gustav Robert Kirchhoff, auf dessen Ent deckungen unsere heutige Kenntnis vom chemischen Aufbau des Sonnensystems beruht, das Licht der Welt erblickte. In Gemeinschaft mit Bunsen stellte Kirchhoff an den dunklen Linien des Sonnenspcktrums das Vorhandensein derjenigen irdischen Stoffe fest, deren Spektra (Farbcn- bilder der durch ein Glasprisma zerstreuten Lichtstrahlen) an genau denselben Stellen Helle Linien aufweisen. Außer dem verdanken wir Kirchhofs wichtige Kenntnisse der elek trischen Stromvcrzweigung, der Elastizität mechanischer Wärmctheorie, Wärmeleitung und Optik. Als akademischer Lehrer wirkte Kirchhoff, der in Königsberg i. Pr. geboren wurde, in Berlin, Breslau und Heidelberg. Er starb io» Oktober 1887 in Berlin.
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