Volltext Seite (XML)
Ernte. Skizze von Willy Günther-Gispersleben. Behutsam und fast scheu deckte die erwachte Sonne die Landschaft auf wie eine liebreiche, junge Mutter ihr Kind. Mit fragendem, neugierigem Blick lugte nr ein wenig unter das Weiße Nebellaken und küßte rasch mit ihrem Feuerkuß den Schleier der Nacht hinweg. Strahlend hob sie sich empor, warf von der unenolich scheinenden Wölbung des blauen Himmelsdomes verschwenderisch leuchtendes Gold über die weiträumigen Ackeroreiten. Bald flimmerte glutheißer August tag über lichten Tälern, Erntefülle rauschte arbeitheischend im gelben Aehrenmeer unübersehbarer Felder. Als über wellige Hügel der erste blaßrote Schimmer des noch taufeuchten, jungen Tages züngelte, rasselten die schweren Erntewagen aus dem offenen Hoftor des behäbigen Grund- Hoses. Alle Kräfte, über die der Hof verfügte, Bauer und Sohn, Tochter und Gesinde, regten ohne Unterlaß die arbeit- gewohnten Hände beim Einbringen der ährenschweren Halm frucht. Der Grundhofbauer packte die Arbert beim Schopf wie selten einer. Seinen Fäusten war Spiel, was anoere als wuchtende Last in die Knie zwang. Aufgebracht über die Lang samkeit und Nachlässigkeit des Knechtes beim Laden eines Fuders, sprang er selbst auf den Wagen, schichtete geübten Auges mit leichtem, kunstgerechtem Griff Lage um Lage der Bündel. Nun war er fertig, reckte sich auf dem ragenden Garbenbau, stand hoch im sprühenden Licht: ein Held der Arbeit! Mit behender Vorsicht schwang er sich zum Abstieg auf die angelehnte Leiter. Da warfen in jähem Aufbäumen die Pferde, wütend von Bremsen geplagt und beunruhigt, den Wagen zurück. Mit der stürzenden Leiter schlug der schwere Körper oes Bauern rücklings hart auf den dürren Stoppel boden des Ackers. Sekundenlang hemmte Betäubung den Schmerz, dann entrang sich beim vergeblichen Versuch des Ausrichtens qualvolles Stöhnen seiner breiten Brust. Erst daheim, als man den Verunglückten behutsam ge bettet hatte, minderte sich ein wenig die unaussprechliche Heftigkeit der dolchartigen Stiche in Brust und Rücken. Magda lena, die Tochter, versah mit angeborenem fraulichen Geschick die mannigfachen kleinen Dienste schmerzlindernder Barm herzigkeit. Sie trug Wasser zum Kühlen herbei, strich unmerk lich die bmitgewürfelte Decke zurecht, schob, vorsichtig den Kopf des Vaters stutzend, ein zweites Kissen unter, hing mit angstvollem Auge gespannt an jedem qualvollen Wort des Kranken. Und nicht weniger innerlich bewegt und schmerz voll durchschauert von dem furchtbaren Neuen mühte sich Heinz, der hochgewachsene Hoferbe, um den Vater. Entschlossen sprach er von der Notwendigkeit, den Arzt zu holen. „Den Arzt?" murrte abweisend der Grundhofbauer. „Bleibt mir damit vom Leibe, ich brauch ihn nicht. Das vergeht von selber." Das könne man nicht wissen, die Verletzung sei inner lich beharrten die Kinder. Da polterte der Bauer in zerhackten Sätzen, verhaltenen Groll in der Stimme: Wenn es denn innerlich sei, ob der Arzt in ihn hinein sehen könne. Ruhe brauche »r, weiter nichts. Man solle ihn allein lassen. So ein Sturz reiße ihn nicht gleich um, aber draußen warte die Arbeit! Als Magdalena im herben Weh aufschluchzend inständig den Vater bat, ihr Dableiben zu dulden, herrschte der Alte sie zornblitzenden Auges, vor höchster Aufregung keuchend an: „Jst's einmal gesagt nicht genug! Laßt mich allein! Draußen gibt's wirklich mehr zu tun!" Da rückte das Mädchen schwei gend einen Stuhl ans Bett und stellte darauf das Nötigste zurecht. In ehrfürchtigem Gehorsam, nur darauf bedacht, dem Vater jede weitere Aufregung zu ersparen, wandten sich Sohn und Tochter mit stummem Gruß zur Tür. Nun lag der starke Mann allein, hilflos wie ein Kind. Träumendes Dämmern umfing seinen Geist. Dann und wann aber fiel der verdunkelnde Vorhang, klarer und klarer hob sich aus dem Schoße der Vergangenheit Bild um Bild. Es war dem Bauer, als liege sein Leben wunderbar aus gebreitet vor ihm wie ein fruchtschimmerudes Land, das man nach beschwerlichem Aufstieg stolz und dankerfüllt von steiler Bergeshöhe grüßt. Wie durch unsichtbare Macht geleitet, Raum und Zeit überbrückend, wanderten seine Gedanken an das ferne Grab seiner Gefährtin. Gar oft des Abends waren seine müden Finger liebkosend über die Handvoll Erde geglitten, die er einst jenem, ihm so teuren Grabhügel entnommen hatte, um sie als heiligen Schatz aufzubewahren. Deutlich bis in die Einzel heiten erstand vor ihm sein schönes Siedelgut, das er, der Willkür polnischer Gewalt weichend, mit dem Stabe in der Hand hatte verlassen müssen. Als sei es Geschehen von gestern und heute, stiegen die Jahre schweren Ringens aus dem Dunkel des Gewesenen, da er mit schier titanischer Kraft aus dem wüsten, verlotterten Grundhof einen geordneten, geachte ten Bauernsitz geschaffen hatte. Mn trotzigem Willen hatte er dem kargen Boden das Brot abgerungen. Unbeugsamer nur war er seines Weges geschritten, wenn Mißwuchs und Un wetter seiner Fäuste Arbeit vernichtete. Nun sprangen seine Gedanken ab: er gedachte seiner Kinder. Und ein Strahl des Lächelns huschte durch seine Seele, eine tiefinnere Freude prägte den Ausdruck wunschloser Zufriedenheit in seine Züge. Tröstliche Beruhigung strömte ihm aus dem Bibelwort: „Wohlgeratene Kinder sind eines Hauses Segen!" Wenn es ihn denn niederreißen sollte, sorg los konnte er, nach vollem Trunk, den Becher des Lebens weiter geben an den Sohn, der nach der Erntezeit dem Hofe eine tüchtige, junge Bäuerin zuführen würde. Und Magda lena! — Er stöhnte auf. Schmerz übermannte ihn. Blitz schnelle Dolchstöße durchrasten den Körper. — Ja, Magda lena! Tapfer hatte sie, kaum der Schule entwachsen, die Pflichten der fehlenden Mutter und Hausfrau übernommen. So war sie allgemach ourch den die ganze Wirtschaft um spannenden fraulichen Aufgabenkreis Vater und Sohn nahe gekommen. Ein schönes kameradschaftliches Verhältnis, bei dem gleicbwobl den Kindern tiefe Ehrfurcht in«. Herzen wohnte, verband oie orei Menschen des Grundhofes. Nun würde er sein Mädchen bald verlieren. Ehe das Jahr zur Rüste ging, würde Magdalena als Frau des jungen Klosterhofbauern schalten. Immer häufiger unterbrach der stechende Brustschmerz den Lauf seiner Gedanken, wurde maßlos, sprang aus wie ein wildes Tier. Qualvoller hob und senkte tick die Brüll, müb- seliger, stoßweise und würgend wurde das Atmen. Sollte ihm, so durchfuhr es den Bauern, gar das Schicksal seines Knechtes, des alten Anton, beschieden sein, dem vor Jahren beim Holz- sahren ein stürzender Stamm die zerbrochenen Rippen in die Lunge gestoßen? Furchtbarer, angstvoller wurde des Kranken Stöhnen, schwoll an zum wilden Schmerzensschrei. Mühsam reckte er sich auf und tastete nach dem Wasserglas. Im selben Augenblick stieg es seltsam warm und lebendig in ihm hoch, ein Strom schaumigen Blutes entquoll seinem Munde. Kraft los sank er in die Kissen. Nacht umhüllte sein Bewußtsein. Als die Kinder, von innerer Unrast getrieben, nach der Vesper heimkehrten, hatte der Vater ausgelitten. Im Todes kampfe hatte er den an der Wand hängenden vorjährigen Erntekranz herabgerissen. So war seine letzte Lebensäußerung zum Symbol für sein ganzes Lebenswerk geworden; denn sein Schweiß war all oie Jahre um das Gedeihen der Brotfruch! geflossen. Von den Strahlen der scheidenden Sonne gold- flimmernd übersponnen, umrahmte der Erntekranz wie ein Glorienschein des Toten Haupt. Während auf dem Acker in sengender Glut die Leute des Grundhofes die Ernte bargen, hatte in stiller Kammer des Bauern ein Mächtigerer Ernte gehalten. Der erste Patient. Skizze von Karl Heinig. Der junge Doktor Moll ging gedrückt durch seine kleine Wohnung. Das Wartezimmer war leer wie immer seit dern Monat, da er sich hier niedergelassen, wo blühendste Gesund heit zu herrschen schien. Das Frühjahrswetter, klar, sonnig, mit lauem Wind, gab nicht die kleinste Hoffnung auf gründ liche Erkältungen mit ihren für ärztliche Kunst so einträglichen Folgen. Wo blieben seine Hoffnungen? Er schämte sich jeden Tag mehr vor der jungen, adretten Aufwartefrau, die sich für die Sprechstunde als Empfangsfräulein im koketten schwarzen Kleide mit weißem Häubchen und weißer Schürze kostümierte und bisher noch keinem Patienten hatte öffnen können. Er sah auch jetzt wieder auf ihrem hübschen frischen Gesicht deut liches Mitleid, als sie in der Tür erschien: „Die Sprechstunde ist zu Ende. Darf ich gehen, Herr Doktor? Er nickte ihr hastig zu und war froh, als hinter ihr die Tür zu fiel. Er blickte mißmutig auf die stille Straße: eine Dame, langsam mit ihrem Dackel wandelnd, ein alter Herr mit Akten tasche, drei Kreisel treibende Kinder. Plötzlich brauste ein Auto um die Ecke. Eine junge Dame sprang heraus. Der Wagen flitzte davon. Sie eilte, die Schilder musternd, die Straße hin auf. Molls Interesse war geweckt. Suchte sie etwa...? Er ritz das Fenster auf. Wirklich, sie kam schnell heran, las an seinem Haus die Namen und war schon in der Tür. Moll schloß das Fenster, horchte — da schrillte die Klingel. Er lief hinaus. Atemlos, erregt, ein Bild der Angst, stand eine hübsche junge Dame vor ihm. „Herr Doktor Moll?" Welch süßer Klang in ihrem Hellen Alt! Moll nickte beglückt. Sie eilte an ihm vorbei in sein Zimmer: „Sie müssen mir helfen, ich werde verfolgt!" stieß sie hervor und spähte hinter dem Vorhang auf die Straße. „Wer verfolgt Sie?" fragte er verblüfft, verwirrt. „Die Polizei! Ich bin verloren! Meine armen Eltern!" Tränen schossen in ihre schönen, braunen Augen. Sie griff seine Hand. „Wie unglücklich ich bin!" Sie schluchzte, riß ihre Handtasche auf und warf eine goldne Börse auf den Tisch. „Darum sind sie hinter mir her!" „Ja, aber..." Moll sah fassungslos von der Börse auf die zitternde junge Dame. „Kleptomanie!" rief sie. „Ein unwiderstehlicher Drang! Monate habe ich Ruhe, dann überkommts mich mit Gewalt und ich..." Sie brach in heftige Tränen aus. „Denken Sie nur, ich, Erni Ley, das einzige Kind des spanischen General konsuls, kann dann nicht solch einem glitzernden Ding wider stehen! Heut' beim Juwelier Martens... ich kaufte ein paar Ringe" — an einer schmalen kräftigen Hand blitzten vor Molls Augen bunte Steine — „da packte es mich wieder, und ich nahm das elende Ding da..." Sie brach ab, starrte hin aus: „Da! Himmel! Da sind sie." Ein Auto mit drei Män nern sauste heran und hielt bei der Dame mit dem Dackel. „Ich bin verloren, wenn Sie mich nicht retten. Sie müssen mich retten! Ich und mein Vater werden es Ihnen ewig danken!" Sie fiel fast vor ihm nieder und rang flehend die Hände: „Retten Sie mich!" „Ja, aber wie? Ich kann Sie hier nicht verbergen. Man würde Sie gleich finden!" „So wie ich hier bin, kann ich nicht fort. Sie haben ge wiß ein Mädchen ... Wenn ich von ihm die Sachen ... Jede Minute ist kostbar!" Sie sah durch das Fenster und erbleichte. „Sie können im Nu meine Spur haben!" „Kommen Sie!" Moll eilte in die Küche, wo das Kleid der Aufwärterin hing. „Hier! Etwas anderes habe ich nicht!" „O, mein Retter!" Stürmisch, mit aufleuchtenden Augen drückte sie seine Hand. „Lassen Sie mich jetzt allein, damit ich mich umziehen kann!" Moll sah klopfenden Herzens hinaus. Die Drei hatten die Spur gefunden, deuteten auf sein Haus, kamen heran. Wenn sich das arme Kind nur retten konnte! Welch schreck liches Schicksal drohte sonst der unglücklichen Erni Ley! Wie sie ihn angesehen hatte! Ihr Name klang schon wie Musik. Spanischer Generalkonsul! Ewige Dankbarkeit! Moll sah schon sein Sprechzimmer bis zum Bersten voll Menschen. Erni Ley, sein erster Patient. Ein leises Geräusch: da stand sie wieder, jetzt ein reizendes Dienstmädchen, kokett im schwar zen Kleid, mit weißer Schürze, weißem Häubchen, einen Korb m der Hand. Er war sprachlos vor Verwunderung. Die Ver wandlung war fabelhaft. Sie lächelte geschmeichelt. „Mantel und Hut hab ich hinter den Kohlen versteckt. Kleid und Korb schick' ich gleich zurück. Herzlichsten Dank!" Ein stürmischer Händedruck, ein bezauberndes Nicken, dann war sie die Hinter treppe hinab. Er atmete tief, spähte hinter dem Vorhang hin aus: am Vorgarten hielt einer der drei Wache, die beiden andern durchsuchten Wohl das Haus und konnten jeden Augen blick bei ihm sein. Wenn sie nur glücklich davon kam! Da trippelte und tänzelte sie heraus. Sofort war der Posten bei ihr, musterte, fragte sie, lächelte und sah ihr wohlgefällig nach, als sie, behend wie ein pflichtbewußtes Mädchen, doch ohne Eile die Straße hinauf ging. Jetzt war sie an der Ecke, nun verschwunden. Es war Moll wie ein phantastischer Traum. Wäre nicht die goldne Börse gewesen... Da gellte die Klingel. Moll ritz das verräterische Stück in seinen Rock hinein. Draußen stand voll Ungeduld ein stattlicher Herr. „Kommissar Rupp!" Eine Blechmarke blinkte. „Verzeihen Sie die Störung! Wir sind hinter einer gefährlichen Person her... Na, Marschalk, nichts gefunden?" rief er dem Beamten zu, der die Treppe herab kam. „Nichts? Zum Donnerwetter! Nun, vielleicht ist hier eine Spur! Die Bande kommt die Hintertreppen herauf, Diet rich heraus, und drin sind sie! Erlauben Sie, Herr Doktor?" Und auf Molls Handbewegung ging er scharfen Blicks durch die Zimmer in die Küche. Me Hintertür war verschlossen, in der Kammer neben der Küche lagen nur Kohlen, leere Kisten, ausrangiertes Gerät. „Donnerwetter!" rief Rupp. „Wo steckt nur der verdammte Bengel!" Die Strafe. Skizze von Charlotte Niese. Jan Wesfel ist sehr unglücklich. Seitdem er mit dem Holzbein und oer zerschossenen Hand aus Rußland kam, sehen die Leute in der Heimat ihn nicht an. Keine Tür öffnet sich ihm. Wenn die Kinder seinen Namen hören, stecken sie die Zunge aus. Nur der alte Schäfer bleibt einmal vor ihm stehen, betrachtet den Krüppel und den elenden Leierkasten, mit dem Jan Wessel sich von Rußland nach Hessen durch bettelte. „Bist Du es, Jan?" fragt er. „Magst wieder her kommen, nachdem Du den Obersten Dörnberg und seine Ge treuen verraten und die Kanonissen vom Stift Wallerstein angegeben hast, daß sie ins Gefängnis nach Kassel und dann nach Mainz kamen! Bist dort ihr Kerkermeister gewesen, hast die Damen hungern und die Straße fegen lassen. Eine von ihnen starb im Gefängnis. Nun ist das Fräulein vom Stein, das damals die Straße in Mainz segen mußte, die Aebtissin vom Stift Wallerstein. König „Lustigk" haben sie fortgejagt, und Napolium, mit dem Du nach Rußland zogest, sitzt aus einer Insel im Weltmeer. Wir haben Frieden, und unser alter Landesvater regiert wieder das Hessenland. Du solltest Dich nur wieder aus dem Staube machen; so einen wie Dich können wir nicht gebrauchen!" Der alte Mann wendet sich ab, und Jan Wessel steht allein. Mit seinem Holzbein, der verkrüppelten Hand und seinem Leierkasten. Langsam geht er aus dem Städtchen Hom berg dem Stift Wallerstein zu, das er so gut kennt. Wie oft ist er hier als Junge gewesen, um für die Damen Be sorgungen zu machen. Er hat sür sie bunte Seide gekauft, da mit sie Schärpen für die Ofstziere des Obersten Dörnberg sticken konnten. Bis die Franzosen ihm Geld boten, damit er berichte, was sich in Homberg zutrug. Er nahm den Judas lohn und erzählte, was er wußte. Als Lohn durfte er Ge- sangenenwärter in Mainz werden und nachher mit den Franzosen nach Rußland ziehen. Dort kam er in Gefangen schaft, als Deutscher wurde er endlich frei gelassen. Als Deutscher! Und hatte doch sein Vaterland verraten. Zehn Jahre sind es her, daß Dörnberg von hier fliehen mußte, die Stiftsdamen in einer elenden Karre zuerst nach Kassel,^ dann nach Mainz gebracht wurden. Eine von ihnen ist dort gestorben. Die Verwandten mußten eine große Summe zahlen, damit die Tote in die Heimat gebracht werden durfte. Aber die Heimat vergißt sie nicht. Vor Jan Wessel schließen sich alle Türen, und die Kinder strecken die Zunge vor ihm aus. Jan steht im Garten des Stiftes Wallerstein. Auf dem Grasplatz liegt ein langer Strick, — vielleicht soll eine Kuh hier angebunden Verden. Jan greift nach ihm und steht dann bald vor dem alten Apfelbaum im Gemüsegarten. Der hat dicke Aeste, an ihm kann man sich gut aufhängen. — Was soll Jan noch auf der Welt, wenn alle ihn verachten? Der Baum trägt kleine, grüne Früchte, und die Sonne scheint lächelnd und warm. Jan wirft sich den Strick um den Hals, da legt sich eine Hand auf seine Schulter. „Jan Wessel, bist Du wieder da? Ich sah schon nach Dir aus, weil ich einen Arbeiter benötige. Er soll den Garten in Ordnung halten und allerlei Handreichungen tun. Ich kann keinen Lohn zahlen, aber Wohnung und Essen wirst Du erhalten!" Jan Wessel starrt die Aebtissin an. Er hat sie verraten, ins Gefängnis gebracht, sie die Straße fegen lassen. Sie ist die Erste in seiner Heimat, die sich nicht von ihm wendet, die ihm eine Unterkunft bietet. Einen Augenblick steht er reglos, dann fällt er aus die Erde und küßt ihr schlichtes Kleid. „Strafe will ich haben", schluchzt er, „schwere Strafe!" „Dies ist Deine Strafe", erwidert die Aebtissin ernsthaft und wundert sich vielleicht im Stillen, daß sie nicht anders strafen kann. Jan Wessel ist ein treuer Diener geworden. Der Ehrensold des Briganten. Der Naturforscher Roy Chapman Andrews bereitete eine großzügige Forschungsreise durch China vor. Er lagerte wochenlang in Kalgan (chinesisch „Tschang kia-kou"), einer Stadt südlich von der Handelsstraße von Peking nach Kiachta, wagte es aber nicht, den Weg durch die Wüste anzutreten. Keine einzige amerikanische oder europäische Versicherungs gesellschaft wollte nämlich die Versicherung der überaus wert voll ausgerüsteten Karawane übernehmen; bedrohten doch die einzuschlagende Reiseroute neuzeitlich ausgerüstete Räuber banden, gegen welche die bewaffneten Begleiter der wissen schaftlichen Expedition im Ernstfälle kaum aufgekommcn wären. Schließlich gab ein mit den Verhältnissen Vertrauter Andrews den Rat, mit dem „angesehensten" Räuberhaupt mann der Wüste Gobi ein Abkommen zu treffen, damit dieser mit seinen Leuten den Schutz der Reisegesellschaft übernehmen sollte. Der Herr „Kommandant" zeigte sich dem Forschet gegenüber sehr entgegenkommend, erhielt als Anzahlung ein Drittel des vereinbarten „Ehrenhonorars" und wickelte das sonderbare Geschäft einwandfrei ab. Er wäre Wohl besser davon gekommen, wenn er die seinem Schutz preisgegebene Karawane einfach ausgeplündert hätte, allem Anschein nach benehmen sich aber die chinesischen Banditen — zumindest im Verkehr mit ihren „Geschäftsfreunden"! — nach jeder Richtung hin gentlemanlike.