Suche löschen...
Wilsdruffer Tageblatt : 16.07.1924
- Erscheinungsdatum
- 1924-07-16
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1782027106-192407162
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1782027106-19240716
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1782027106-19240716
- Sammlungen
- LDP: Bestände des Heimatmuseums der Stadt Wilsdruff und des Archivs der Stadt Wilsdruff
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Wilsdruffer Tageblatt
-
Jahr
1924
-
Monat
1924-07
- Tag 1924-07-16
-
Monat
1924-07
-
Jahr
1924
- Titel
- Wilsdruffer Tageblatt : 16.07.1924
- Autor
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
die Höhe gebracht, die neue rechtsgerichtete Regierung habe ihn, gestürzt. Namentlich hieß es, daß der neue deutsch- nationale Staatspräsident willkürlich die Absetzung Hilden brands verfügt habe. Jetzt ist das Stuttgarter Zentrumsorgan in der Lage, mitzuteilen, daß die Abberufung des Gesandten durch einstimmigen Beschluß der gesamten Regierung erfolgt sei. Es sei ein offenes Geheimnis, daß der sozial demokratische Vertreter Württembergs in Berlin einige Male und darunter einmal auch eine von einem Zentrums minister ihm erteilte Instruktionen einfach unbeachtet ge lassen und nach seinem eigenen W illen im Reichsrat ab ge stimmt habe. Schon das allein disqualifiziere einen Ge sandten derart, daß die alte Regierung allen Grund gehabt hätte, ihn abzuberusen. Wenn sie es damals unterließ, sei das aus Rücksicht auf die Sozialdemokratie geschehene Niemand werde deshalb der neuen Regierung einen Vor wurf daraus machen können, wenn sie es ablehne, mit einem solchen Beamten an einer so hervorragenden Stelle weiter zu arbeiten. Neues aus aller lveli Z Die Ostseebäder werden billiger. Die unerhört hohen Preise, die die großen und mittleren Ostseebäder zu Be ginn der diesjährigen Saison ankündigten und durch führten, haben zur Folge gehabt, daß die wenigen Bade gäste, die bereits zur Vorsaison den Sprung an diese Wasserkante wagten, sich fluchtartig zurückzogen, und daß die Hotels durch absolute Leere glänzten. Dies und die Aufhebung der Ausreisesperre, durch die für weitere Kreise die Grenzüberschreitung während der Ferien möglich und vorteilhaft wurde, haben die besorgten Hoteliers endlich veranlaßt, ihre Pensionspreise erheblich herabzusetzen. Im Luxusweltbad Swinemünde bekommt man jetzt sein gUches Brot nebst Ruhestatt in einem ersten Hotel für 8 Mk., in kleineren Hotels für 6 und 5 Mk. Die Folge dieser Preisermäßigung ist mitten in der Hochsaison ein so er heblicher Zuzug, daß der Stand des letzten Jahres beinahe erreicht ist, obwohl Jnflationsgewinnler und Ausländer fast verschwunden sind. Swinemünde, Heringsdorf und Ahlbeck haben guten Besuch, und nur aus Travemünde werden noch hohe Preise gemeldet. Berliner Ausflugsverkchr bei 42 Grad Hitze. Der unge heuer heiße Sonntag mit 34 Grad Schatten- und 42 Grad Sonnentemperatur lockte die Hälfte der Berliner Einwohner, über zwei Milionen Sonntagsgäste, in die Um gebung der Großstadt. Den größten Besuch hatten natürlich die Freibäder. 188 000 Badelustige stürzten sich in die Fluten. Gegen 10 Uhr abends gab es dann ein überaus starkes Gewitter, das zahlreiche Bootsunfälle verur sachte und einen panikartigen Massenansturm auf die Ver kehrsmittel zur Folge hatte, der den Taschendieben zu reicher , Beute verhalf. j - Waldbrände bei Berlin. Die Feuerwehren von Köpe nick und Umgebung wurden nach Heiligensee, nach Müggel heim und nach Waldesruh gerufen, wo mehr oder weniger große Waldüräude ansgebrochen waren. Der Umfang der abgebrannten Waldflächen beträgt nach oberflächlicher Schätzung insgesamt etwa 600 Q u adratmeter. Ein Stück aus Wildwestfalen. In Haspe bei Hagen wurde der Kassenbote des.Eisenwerks Fiand, d-r einen Geldiransport von 15 000 Rentenmark zu besorgen hatte, innerhalb der Stadt von zwei maskierten Kerlen überfallen, zu Boden geschlagen und ausgeraubt. Im Ver lauf der Verfolgung flüchteten die Banditen in die Wohnung des kommunistischen Stadtverordneten Brencken. Man hatte Mühe, sie vor der Lynchjustiz der Menge zu bewahren. Englische Niederlassung in Altona. Nach langen Ver handlungen, hat die Stadt Altona mit einer engli ¬ schen Firma einen Vertrag abgeschlossen, durch den der Firma von der Stadt eine Kaisläche auf neunzigJahre überlassen wird. Die englisch? Firma errichtet mit einen, Kostenaufwand von zweieinhalb Millionen Goldmark ein Kühl- und Lagerhaus, das für die Einfuhr von Gefrier fleisch dienen soll. Der unbeliebte Kurdircktor von Bismarck. Die Bade gäste von Heringsdorf nahmen den Unglücksfall eines Ber liner Fabrikantensohnes, der beim Freibaden plötzlich unter ging und mangels Geräten nicht gerettet werden konnte, zurr Anlaß, eine Demonstration vor dem Hause des Kurdirekiors v. Bismarck zu veranstalten. 300 Personen zogen nach seiner Wohnung. Erst nachdem man die Fenster des Hauses zer trümmert hatte, ließ der Kurdirektor eine Abordnung der Badegäste vor. Das Ergebnis der Unterredung ist, daß der Vorfall in der Gemeinderatssitzung zur Verhandlung ge bracht werden soll. Die Schuld an dem Fehlen jeglichen Ret tungsgerätes wird dem mißliebigen Kurdirettor zuge- schrieben. Grubenkatastropye im Ruhrgebiet. Auf der Zeche „Bo- nifazius" bei Gelsenkirchen ereignete sich während der Mit tagschicht eine schwere Explosion. Die Hauer Gustav Dittmann und Johann Wöstemeier waren sofort tot. Schwerverletzt ins Krankenhaus eingeliesert wurden der Lo komotivführer Klein, die Schlepper Ellert, Mattheus, Tiede und der Steiger Wickers. Die beiden Erstgenannten sind in zwischen ihren schweren Verletzungen auch erlegen, so daß das Unglück insgesamtvierTodesopser gefordert hat. WelLschiffsbau im ersten Halbjahr 1924. Nach der so eben veröffentlichten amtlichen englischen Stastistik befanden sich an, 30. Juni insgesamt 2 425 000 Brutto-Registertonnen im Bau gegen die bisherige Höchstleistung von 3 446 558 Ton nen am 30. Juni 1913. Von dieser Tonnage entfielen aus Großbritannien 1465 000 Tonnen, auf Deutschland 340 749 Tonnen, auf Frankreich 144 240 Tonnen, auf Ita lien 127 772 Tonnen, auf die Vereinigten Staaten 103 665 Tonnen und auf Holland 96 453 Tonnen. Deutschland steht also an zweiter Stelle. Die deutsche Flotte ist ja gezwungen, viel nachzuholen, wenn sie im Handelswettbewerb zur See wieder aufkommen will. Für die deutschen Schulen in Lettland. In der Tagung der Delegierten des deutschen Elternverbandes in Lettland wurde betanntgegeben, daß zur Fortführung der deutschen Schulen von den Eltern 5 970 256 Rubel durch Samm lung aufgebracht seien und daß diese Mittel zur Aufstellung des Etats ausreichen würden. Die Deutschen in Lettland haben also durch ausopferndes Eintreten für ihre Schulen ihren Kindern den Unterricht nach deutschem Muster erhalten. Bauernrevolution in Bulgarien. Ein neuer kommu nistischer Bauernaufstand ist in Bulgarien ausgebrochen. In Sofia kam es zu einer förmlichen Schlacht zwischen kommunistischen Bauern und Militär. Zwölf Soldaten, drei Unteroffiziere und drei Geheimpolizisten wurden ge tötet, zahlreiche Personen verletzt. Dieselbe kommunistische Gruppe griff etwas später eine Militärwache an und tötete von dieser einige Mann, während 23 Mann verwundet wurden. Bunte Tages-Chronil. Berlin. Zwischen Taubstummen, die in einem Lokal schien, und dem Wirtspaar kam es infolge eines Mißverständ nisses zu einem H andge menge, bei dem zwei Taubstumme erstochen wurden. Hildburghausen (Thüringens Anläßlich des 600. Jahres tages der Übergabe des Stadlrechls durch den Grafen Berl- hold vil. von Henneberg feierte Hildburghausen sein 500- tährtges Bestehen. München. Der Berliner Studienrat Dr. Mark wurde im Lustheimer Wald bei Berchtesgaden ermordet und beraubt. Nürnberg. Hier fand in Anwesenheit des Kronprinzen Rupprecht von Badern und des Ministerpräsidenten Dr. Held eine Fliegergevenkseier statt, bei der ein Denk mal zu Ehren der im Weltkriege gefallenen Flieger enthüllt wurde. London. An der Südküste von Irland ist ein mit Vieh veladener Dampfer untergegangen. Die Bemannung von 18 Köpfen wird vermißt. Prag. In der Sommerfrische Tschelakowitz ereignete sich ein schweres Flugunglück, dem zwei Passagiere zum Opfer gefallen sind. Zwei andere Personen ringen mit dem Tode. » vermischtes » cut Gvurrmulugkdtrettor verdient. Im sächsischen Landtag erregte das Gehalt des Generalmusikdirektors des Dresdener Stadttheaters Busch berechtigtes Aussehen. Busch bezieht von der Stadt ein Gehalt von jährlich 35 000 Mark. Da ihm aber ein besseres Angebot gemacht worden war und die Stadt ihren Generalmusikdirektor nicht gehen lassen wollte, erklärten sich vier Industrielle bereit, die Differenz von jährlich 20 000 Mark aus privaten Mitteln zu zahlen, so daß Herr Busch jetzt ein Jahresgehalt von 55 000 M a rk bezieht. Kebrauchsmöbel werden billiger. Der teilweise Preisabbau, den man zurzeit in der Textil branche und Schuhindustrie beobachten kann, ist auch in oer Möbelbranche wahrnehmbar. Ausgenommen sind allerdings Luxusmöbel, die, wie die Lnxuswaren aller Branchen, keine Herabsetzung erfahren haben. Im übrigen sind die Möbelfabriken dabei, auf Friedenspreise zu rückzugehen, was gegenüber den bisherigen Preisen eine Ermäßigung um 35 bis 50A bedeutet. Ein Speise zimmer, das Ende April 5670 Mark kostete, wird heute mit 2900 Mark verkauft, ein anderes kostet statt 1600 Mark 900 Mark. Ein S ch l a f z im m e r, das Ende April 3800 Mark kostete, wird heute mit 2200 Mark verkauft, ein anderes wird mit 900 Mark statt 1500 Mark ausgerechnet. Bei Herrenzimmern gelten ungefähr die Zahlen, die für Speisezimmer genannt wurden. Küchen kann man von 75 bis 200 Mark haben. Das sind immerhin noch schwere Preise, und das große Publikum kann nur dann Möbel kaufen, wenn es von der Einrichtung der Ratenzahlung Gebrauch macht, was jetzt wieder möglich ist. Selbstmord mit der Kanone. Ein Techniker in Buda pest, der sich viele Jahre lang mit krisgstechnischen Erfind düngen beschäftigte, mußte erleben, daß seine Neuerungen vom Kriegsministerium abgelehnt wurden. Als ihm be kannt wurde, daß ein Beamter der Prüfungskommission die Erfindungen als eigene auszugeben beabsichtigte, füllte er seine Kanone, die einen Durchmesser von 20 Zentimeter hat, wie eine Kartätsche mit Nägeln und Eisenstücken, stellte sich vor die Schußöffnung und entlud die Kanone. Der Selbstmörder wurde in Stücke gerissen. Der spanische Schatzschwindler-Großbetrieb. Eine schon vor dem Kriege auch in Deutschland tätig gewesene internationale Schatzschwindlerbande, die ihren Hauptsitz in Madrid hat, meldet sich jetzt wieder in verschiedenen deutschen Städten. Die sorgfältig aus-gewählten Opfer erhalten einen Brief, in dem der Absender mitteilt, er sei wegen Bankrotts verhaftet worden. Er verlangt vom Empfänger; daß er nach Madrid komme und die Prozeß- kosten (7000 Pesetas) bezahle, damit dem Briefschreiber sein Koffer ausgehändigt werden könne, in dem ein Scheck über 24 000 Pfund Sterling, die in Deutschland deponiert seien, in einem Geheimfach stecke. Von diesen sichert er dem Helfer ein Drittel, also 8000 Pfund Sterling, als Be lohnung zu. Eine ganze Anzahl von Leuten, die schnell Geld verdienen wollten, ist früher auf den Schwindel hin- eingefallen^ Die Bande ist dadurch groß und reich ge worden. Sie hat jetzt .Filialen" in der ganzen Welt. Normt im Schneesturm. Von Jön Svensson. Aus dem reizvollen Buch „Sonnentage" von Jön Svens son. (Verlag Herder, Freiburg i. Br.) — „Dieser Nonni", sagt Peter Dörfler, „ist voll Frische und Keckheit, und doch leuchtet überall eine ritterlich vornehme Seele hervor. Er ist nie der .Lausbub', sondern bei allen Streichen der feine liebe Kerl. Er muß der Kamerad der deutschen Jugend werden." Es War gegen Ende des Winters. Ich wohnte damals in Akureyri, einer kleinen, reizend gelegenen Stadt am großen Golf EyjafjörSur auf Nord-Island. Hoch oben aber, zwischen den Bergen gegen Südwest, liegt der ansehnliche Hof Hals. Dort wohnte eine zahlreiche Familie, die mit meinen Eltern befreundet war. In beiden Familien gab es ungefähr gleichviele Knaben und Mädchen. Einer von diesen war mein besonderer Freund. Er hieß Waldi und war zehn Jahre alt. Eines Tages erhielt ich einen Brief von ihm. Darin stand geschrieben: Mein lieber Nonni! Dienstag ist mein Geburtstag. Er wird gefeiert mit Schokolade und Kuchen. Ich lade dich zum Feste ein. Dein Freund Waldi. Nachschrift: Du mußt aber sicher kommen. Also vergiß nicht, am nächsten Dienstag! Dein Waldi. Es war das erste Mal in meinem Leben, daß ich eine so feierliche Einladung zu einem Feste erhielt — ein förmliches Schreiben! einen wirklichen Bries! Wie mich das freute! und wie stolz ich darauf war! Gleich lief ich mit meinem Briefe zur Mutter: „Mutter, schau mal, Waldi ladet mich zu seinem Geburtstag ein. Nicht wahr, du erlaubst doch, daß ich am Dienstag nach Häls reite?" Die Mutter lächelte und sagte: „Du allein nach Häls reiten? Glaubst du, Nonni, du findest den Weg?" „O, Mutter, ich kenne ihn wie meine Tasche. Ich bin ja schon so ost dort gewesen." „Jawohl; aber hast du jemals den Weg allein gemacht?" „Nein, das gerade nicht; aber ich finde den Weg doch. Und zudem will ich auf Gram hinreiten. Du weißt ja, der findet seinen Weg immer." Grani war das beste und frömmste von unsern Reitpferden.... Am Dienstagmorgen war das Wetter noch gut, doch nicht so klar wie am Montag. Ich machte mich schon früh am Vormittag reisefertig. Das Pferd durfte ich selbst holen. Es befand sich auf der Weide zwischen den Hügeln gegen Westen, etwa eine halbe Stunde von der Stadt. Bevor ich dahin aufbrach, sagte die Mutter: „Wenn du Grani gefunden hast, so kommst du erst hierher, nicht wahr? Nach Häls kannst du dann um 10 Uhr wegreiten, das ist noch früh genug." Das versprach ich ihr. Ich ging in die Heuscheuer und nahm mein Reitzeug, einen kleinen Knabensattel und das Geschirr, vom Haken. Den Satte! schnallte ich aus den Rücken, das Geschirr warf ich über die Schulter. Dann rief ich unsern Hund, den Fidel, und lief mit ihm durch das sog. „Gil" (die Schlucht) zum westlichen Berg abhang. Ich beeilte mich, soviel ich konnte, aus Furcht, es möchte zu guter Letzt noch etwas in den Weg kommen und mich zwingen, die schöne Reise aufzugeben. Nach einer guten halben Stunde hatte ich Gram oben auf dem Berg gefunden. Er ließ sich gleich fangen. Er kannte mich ja, und wir beide waren gute Freunde. Deshalb machte er gar keine Schwierigkeit und gab sich willig darein, daß ich ihm das Geschirr anlegte und den Sattel auf den Rücken band. Schon war ich im Begriff aufzusteigen und heimzureiten. Da besann ich mich.... Ich fühlte wenig Lust, heimzureiten.... Weshalb hat die Mutter denn gesagt, ich solle nach Hause zurück kommen? Ob ihr das wirklich ernst war? Wäre es nicht viel klüger, ich ritte von hier aus gleich nach Häls? Ich befinde mich ja schon auf dem Wege dahin. Und wozu soll ich denn heim? . . . Ich warf einen Blick hinunter über den weiten Fjord. Aber, du guter Gott, wie dunkel war der Himmel dort im Norden geworden! — Und wie der Wind von da her sauste! — Es wurde mir ganz unheimlich. Sollte es ein Schneesturm sein, der im Anzuge ist? — Ja, so sieht es aus. — Ach, das wäre entsetzlich! Ich stieg aufs Pferd. Fidel bellte vor Freude und begann gleich in die Richtung zur Stadt hinabzulaufen. Ich rief ihn laut zurück. Er blieb stehen und wandte sich um; aber er schien bestimmt heim zu wollen. Ratlos saß ich auf dem Pferde und wußte nicht, wozu ich mich entschließen sollte. Ich schaute gegen Südwest. Dott lag Häls, wo die vielen muntern Kinder mich erwarteten. Dort war Feier und Freude, Schokolade und Kuchen, Geburtstag und — Waldi, der liebe kleine Waldi. Gewiß spähte er jetzt schon vor dem Hofe hinunter nach Nordosten, um zu sehen, ob ich mich nicht bald in der Ferne zeige. . . Wieder warf ich einen Blick gen Norden. — Da sah es sehr drohend aus. Es wurde dunkler und dunkler, und der Wind war schon fast zum Sturm geworden. Einen Augenblick saß ich noch ratlos auf dem Pferde. Aber dann faßte ich den Entschluß. Fort nach Häls! fort! und das gleich, sonst wird aus der Reise nichts. So endete mein innerer Kampf. Ich wandte das Pferd gegen Südwest und trieb es voran, so stark es nur laufen konnte. Fidel lief stumm und traurig hintendrein. — Trotz all dem Guten und Schönen, das mir in Häls winkte, fühlte ich mich doch nicht glücklich; aber ich hatte mich nun ein mal den lockenden Stimmen preisgegeben. In sausendem Galopp ging es dahin. Jetzt handelte es sich nur darum, mein Ziel zu erreichen, bevor der fürchterliche Schneesturm mich einholte. . .. Nach etwa einer halben Stunde war Grani in Schweiß gebadet. Die düstern Wolken hatten sich schon über den ganzen Himmel ausgebreitet. Der Tag war beinahe zur Nacht verwandelt, und je niehr der Sturm an Stärke zunahm, desto mehr sank meine Hoffnung, seinem schrecklichen Überfall zu entgehen. Wie blind und über den Sattel gebeugt, setzte ich den rasenden Ritt noch eine Zeitlang fort. Grani schien die Gefahr zu ahnen. Ich brauchte ihn nicht anzutreiben, er lief von selbst, was er konnte. Fidel folgte pflicht mäßig hintennach; die Zunge hing ihm weit aus dem Halse. Alle drei flohen wir mit dem Mut der Verzweiflung vor dem drohenden Tode. Wir waren etwa auf eine Viertelstunde Wegs dem Hofe Hätt nahe gekommen, da brach aus einmal das Unglück mit all feiner Schrecknissen auf uns herein. Der Sturm war plötzlich zum rasenden Orkan gestiegen, und im selben Augenblick begann auch der Schneefall. Diesmal mar es kein gewöhnlicher Schneesturm, sondern, wie man in Island sagt, Ltörüii'S, d. i. „der große Schneefall". In südlichen Ländern kann man sich gar keine Vorstellung davon machen, was das heißen will. Der Schnee fällt so dicht, daß man keine Flocken mehr unterscheiden kann; man sieht nur noch eine einzige zusammenhängende fallende Masse. Wehe dem, der zu dieser Zeit draußen im Freien ist! Alles ringsum ist Schnee, selbst die Luft scheint nicht mehr da zu sein, sie ist zu Schnee geworden. Nach wenigen Sekunden ist auch der Erdboden verschwunden, und man hat unter den Füßen stiebende, man könnte sagen fließende Schneemassen, die mit un- glaublicher Schnelligkeit vom rasenden Winde vorangetrieben werden. Ich und Lie beiden Tiere wurden im ersten Augenblick ganz geblendet und vom Schnee fast erstickt. Es war, als wenn ich nicht mehr Luft, sondern Schnee einatmete. Wenn ich versuchte, die Augen zu öffnen, konnte ich nicht einmal den Kopf des Pferdes sehen. Ich sah nichts anderes als Schnee und wieder Schnee. .. . Plötzlich blieb Grani stehen. Es schien mir, als Hötte ich rechts von ihm den kleinen Fidel jämmerlich heulen. Ich bückte mich hinunter und zog ihn zu mir aufs Pferd. Nun versuchte Grani wieder voranzugehen. Ich überließ ihn vollständig sich selbst, hoffend, daß er mit seiner gewohnten Sicher heit doch noch den Weg nach Häls finde. Bei jedem Schritt mußte er mit allen vier Beinen herumfühlen und suchen, wo er auf dem unebenen steinigen Boden unter dem Schnee festen Fuß fassen könnte. So ging es mit vielen Hindernissen und Schwierigkeiten eine Zeitlang weiter. Grani wandte sich bald zur Rechten, bald zur Linken, um an einem im Wege stehenden Lavablock vorbeizukommen, oder um verborgenen Löchern auszuweichen, wo sein Fuß keinen festen Grund fand. Schließlich blieb er wieder stehen; er schien nicht mehr weiter vorankommen zu können. Es war, als wenn eine steile hohe Wand sich gerade vor uns aufrichtete und den einzigen Weg, auf dem wir zu unserem Ziel gelangen konnten, versperrte. Das Tier wollte keinen Schritt mehr machen. Was mochte da im Wege sein? Verwirrt und unerfahren wie ich war, suchte ich in jugend licher Ungeduld Grani voranzutreiben. Umsonst. Er stand wie festgenagelt auf dem harten Steinboden. Da ich aber daran blieb, ihn mit den Absätzen in die Seite zu stoßen, gab er endlich nach, machte einige Schritte vorwärts und — sank mit uns durch den neugefallenen Schnee sanft und ruhig in einen Abgrund hinab!...
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
Nächste Seite
10 Seiten weiter
Letzte Seite