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Wilsdruffer Tageblatt : 02.04.1924
- Erscheinungsdatum
- 1924-04-02
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1782027106-192404028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1782027106-19240402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1782027106-19240402
- Sammlungen
- LDP: Bestände des Heimatmuseums der Stadt Wilsdruff und des Archivs der Stadt Wilsdruff
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Wilsdruffer Tageblatt
-
Jahr
1924
-
Monat
1924-04
- Tag 1924-04-02
-
Monat
1924-04
-
Jahr
1924
- Titel
- Wilsdruffer Tageblatt : 02.04.1924
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Neuer Appell des Generals Allen für die deut- lchrn Kinder. General Allen, der frühere Oberbefehls- aber der amerikanischen Truppen im Rheinland, der sich Rs Führer des amerikanischen Hilfswerks für die deut schen Kinder große Verdienste erworben hat, hat sich cmfs neue mit einem Appell zugunsten dieses Hilfswerks an die Öffentlichkeit gewandt. Selbst wenn 20 Millionen Dollar sofort dafür verfügbar wären, sagt der General, >o würde dies nicht genügen, um den Hunger, der in Deuischland weit verbreitet ist, zu bekämpfen. Die Be- i rebungen, Mittel zur Linderung der Not unter den deut- sthen Kindern aufzubringen, müßten daher aufs eifrigste fortgesetzt werden. Deutsche Banknotenfälscher in Paris verhaftet. Die Pariser Kriminalpolizei verhaftete drei Deutsche und ei neu Polen wegen Fälschung amerikanischer Banknoten. Die drei Deutschen hielten sich sei dem 18. März in Paris auf; sie waren aus Wiesbaden gekom- :neu und hatten die Grenze ohne Paß zu Fuß überschritten. Die Zahl der gefälschten Banknoten, die sie in Paris in i '' lauf brachten, ist gering, hingegen haben sie eine große Anzahl in Wiesbaden, Saarbrücken und Metz abgesctzt. Grubenunglück in Amerika. Bei einer Explosion in einem bei Charlestowu (Virginia) gelegenen Berg werk wurden 25 Bergleute getötet. 125 Gruben arbeiter, die in einem benachbarten Schacht sich aufhielten, Quuten rechtzeitig von der Gefahr unterrichtet tverden und sich in Sicherheit bringen. Amerikas Goldvarrat. Nach der „Daily Mail" be trägt der Goldvorrat Amerikas zurzeit 930 233 000 Pfund. Dieser Betrag mache zwei Fünftel des Goldvorrats der gesamten Welt aus und übertreffe beträchtlich die Summe, die Großbritannien den Vereinigten Staaten schuldet. Der amerikanische Goldvorrat hat sich seit Beendigung des Krieges erhöht. Von 1918 bis 1923 betrug die Goldein kuhr nach Amerika 233 558 000 Pfund. WrairriMrn «ach üem Wege. r. Berlin, 31. März. Nach den letzten statistischen Feststellungen ging im Deutschen Reiche die Hciratszifser, die in den Jahren 1910 bis 1913 durchschnittlich 7,7 auf 1000 Menschen be tragen hatte, nach dem Kriege auf 14,5 (im Jahre 1920) em por. Sie hat sich zwar nicht auf dieser Höhe gehalten, über trifft aber auch in den folgenden Jahren immer noch die Friedensziffer: es erfolgten im Jahre 1920 14,31, im Jahre 1921 11,8, 1922 11,1 und 1923 etwa 10 Eheschließungen aus 1000 der Bevölkerung. In Preußen übertraf die Heiratszisfer des dritten Vierteljahres von 1923 die ent sprechende Zahl von 1913 nur noch um etwa ein Viertel. Die Geburtenzahl sank im Reich von 30,7 im z Jabre 1910 allmählich auf 27,6 im Jahre 1924. Sie er reichte ibren Tiefstand in den Kriegsjahren 1917/1918 mit 14,7 auf 1000. Im folgenden Jahre hebt sich die Ge burtenzahl trotz des Kriegseinflusses bis auf 20,7 und erreichte dann 1920 bereits ihren Höhepunkt mit 26,7 und .amit den Anschluß an die Vorkriegskurve, die nun in langsamem aber gleichmäßigem Abstieg wie in den Jahren 1910 bis 1914 weiter bergab führt. Dem Durchschnitt sür das Reich entsprechen auch die Verhältnisse in Preu ßen; auch dort trotz des Anschwcllens der Ehczisfcrn ein Sinken der Geburten um etwa ein Drittel, also ein völli- aes Loslösen der früher eng zusammenhängenden Entwick lung von Eheschlietzungs- und Geburtenhäufigkeit. Die wenigsten Geburten weist Berlin auf, trotzdem es mit seiner Eheschlicßungszahl fast an der Spitze marschiert. Die Geburten in Berlin sanken von 13,30 im dritten Quartal 1913 auf 9,44 im dritten Quartal 1923. Bedenk lich wird diese Erscheinung, wenn sie zu einem Sterblich- keilSüberschuß führt. Das war im Kriege in Deutschland bereits der Fall. Lin MeiManef schreibt eine Mei. Verbreitung durchRundsunk. Sie machen alles, schlechthin alles 1 Natürlich die Amerikaner. Jetzt ist gar einer von ihnen, ein Pater Potter, der schon vor dem Kriege eine neue Religion „ge gründet" und damit ein glänzendes Geschäft gemacht hatte, auf den Gedanken gekomemn, eine neue Bibel zu schreiben, da — wie er in einem religiösen Konzil verkündete — nicht nur das Alte, sondern auch das Neue Testament, gänzlich v§r-,o-t sei. Die Bibel, wie wir sie jetzt haben, sei gut ge- Die sür einanser sind. Roman von Fr. Lehne. (Nachdruck verboten. Er war wie vor den Kopf geschlagen. So plötzlich — wenn er es auch längst erwartet, so überwältigte ihn nun doch die Tatsache, und es bedurfte seiner ganzen Selbstbeherr schung, sich nicht zu verraten und seine Unbefangenheit zu wahren. Am liebsten wäre er umgekehrt — es ging über seine Kraft, Iulchen zu sehen. Doch die Rätin hatte die Eßzimmertür offen gelassen. Er hörte Gläserklingen, das gezierte Lachen Porzias, die sal bungsvolle Stimme des Herrn Doktor Schultze. Vielleicht half ihm die unfreiwillige Komik dieser Leute über das unbequeme Gefühl hinweg, das sich seiner bemächtigt hatte. Walter Schlossermanns energisches Gesicht hatte einen sehr glücklichen Ausdruck. Iulchen saß neben ihm, wie eine junge Königin anzusehen, herb und stolz und seltsam flim merten ihre Augen, als er ihr mit einem respektvollen Hand kuß Glück wünschte. Eie zuckte unter der Berührung seiner Lippen zusammen und entzog ihm hastig die Hand. Porzia war sehr aufgeregt, sprach, lachte, trank und machte in schelmischer Koketterie ihm und Walter Schlosser mann schöne Augen. Stillvergnügt saß Herr Doktor Schultze hinter der feinen Bowle. Fritz mußte auf das Wohl des Brautpaares mit anstoßen. Er brachte es sogar über sich, einige Worte dazu zu sprechen. Während er Iulias Glas berührte, zitterte seine Hand so, daß er ein wenig von dem edlen Naß verschüttete; beider Augenpaarc mieden sich. Er sah, wie es um ihren süßen Mund zuckte, wie ihre stolze Haltung nur erzwungen war! Es freute ihn. Denn das Iulchen durfte sich nicht so schnell von ihm freimachcn — seine Eigenliebe gab das nicht zu.» So war denn immer noch etwas wie ein geheimes Band zwischen ihnen, und von diesem Band wollte er sie auch nicht loslassen. Die erste Liebe ver gaß man doch nicht so leicht — wenigstens ein Mädchen wie Iulchen nicht, in deren Herzen er so deutlich hatte lesen können! Nach angemessener Zeit entfernte er sich! Frau Nat be gleitete ihn hinaus. Sie sprach ihm nochmals von ihrer Freude, daß ihr Herzenswunsch so schnell in Erfüllung ge nug zur oas alle Europa, wo man von wayrem norrscyrn, keine Ahnung habe, Amerika aber müsse sich von den An- schauungen Europas und Asiens freimachen, und deshalb werde er, der Pater Potter, die Bibel der Neuen Welt zu sammenstellen. Amerika, so erklärte der große Mann weiter, hat eine Reihe von Männern hervorgebracht, di« sich neben den Propheten des Alten und Neuen Testaments sehen lassen können: vor allem dem großen Präsidenten Lincoln, dessen Märtyrerlausbahn mit der Christi zu vergleichen ist. Aus den Werken Washingtons und Jefsersoms ließe sich ein Gesetzbuch edelster Humanität zusammenstellen, das die fünf Bücher Mosis weit überflügeln würde. Es gebe überhaupt keinen Propheten, ja selbst keine Prophetin, die nicht durch irgendeinen großen Amerikaner oder durch eine hervorragende Amerikanerin ersetzt werden könnten. Nach Potters Vorschlag sollte zum Beispiel den Platz der biblischen Debora die Feministin Jeanne Adams einnehmen. Bon! Die neue Bibel mit den großen und kleinen Propheten der Amerikaner ist also in Sicht, und wir werden sie bald nicht nur sehen, sondern auch hören können. Ge funkt wird sie nämlich auch! Die wichtigsten Ab schnitte der Bibel sollen, wie Pater Potter verkündet, zu nächst den Nankees und dann auch der übrigen Welt a u f radiotelephonischem Wege beigebracht werden. Es handelt sich also, wie man sieht, um eine Bibel mit allem Komfort der Neuzeit, und wir werden uns nickst wundern dürfen, wenn wir eines Tages erfahren, daß sich zur ge schäftlichen Ausnutzung der neuen amerikanischen Religion eine G. m. b. H. gebildet hat S. - Vvmm, Hori MS 6M ) Schwerer Unfall beim Kölner Motorradrennen. Bei dem vom Kölner Motorradklub 1923 veranstalteten Landstraßenrekordversuch für Motorräder ereignete sich auf der Landstraße Köln—Godorf ein schweres Unglück. Wäh rend der Vorsitzende des Klubs Schmitt- Köln, der das Starteramt ausübte, ein Automobil aufhalten wollte, wurde er von rückwärts von dem Kölner Fahrer Bernt gen mit einem Motorrad in rasender Fahrt angefahren. Schmitt wurde in weitem Bogen weggeschleudert und blieb tot liegen, Berntgen erlitt einen schweren Schädelbruch, während fünf Zuschauer leichter ver letzt wurden. Schon vor Beginn des Nennens war ein Fahrer schwer verletzt worden. Das Nennen wurde ab-' gebrochen. I Das Newyorker Schachturnier. In der zehnten Runde des Newyorker Schachturniers schlug Dr. Lasker in 32 Zügen R ö t i. Die Partien, an denen Aljechin und Capablanca beteiligt waren, wurden remis. In der elften Runde, in der Capablanca spiel frei war, endet« die Partie Dr. Lasker-Dates unent schieden, die Partie Aljechin-Bogoljubow wurde abgebrochen. An der Spitze des Turniers steht noch immer Dr. Lasker. Wittig siegt iit Paris. Im 50-Kilometer-Radrennen, vas Sonntag aus dem Rennplatz Buffalo in Paris statt- sand, siegte der Deutsche Karl Wittig; zweiter wurde der Belgier Van der Stuyfe, dritter der Ameri kaner Chapman, vierter der Franzose Parasol. Die 50 Kilometer legte Wittia in 43 Minuten 25 Sekunden zurück. Hitler in der Astrologie. In München lebt die Astro login und Wahrsagerin Elsbeth Ebertin, die das Schicksal Hitlers und seiner Freunde aus den Sternen gelesen haben will. In einem in Kempten erschienenen Buche, das „Sternenwandel und Weltgeschehen von 1924 bis 1927" betitelt ist, ist Genacures darüber nachzulcfcn. Schon ein halbes Jahr vor dem 8. November 1923 hat di« Ebertin festgestellt, daß Hitler in Gefahr kommen müsse, wenn er etwas vor Mitte November ausführen würde, „weil zu dieser Zeit der Saturn unheilverkündend das 12. Haus seiner Nativität durchwandelte". Schon früher habe sie angedeutet, daß ein am 20. April 1889 Geborener durch allzu kühnes Vorgehen in persönliche Gefahr kom men könne. Damit sei Hitler gemeint gewesen, der auch auf diese Prophezeiung aufmerksam gemacht worden sei, aber geantwortet habe: „Was gehen mich die Frauen und die Sterne an?" Hitler sei bei Sonnenuntergang geboren, als die Sonne aus dem Zeichen Widder in das Zeichen Stier übertrat. Demnach stehe Hitler fast das ganze Jahr 1924 noch unter der unheilvollen Saturnopposition. Dieser Unglücksplanet sei im Augenblick des unseligen Unter nehmens in den letzten Graden des Zeichens Wage gestan den, kurze Zeit vor Eintritt des Saturns in das Zeichen Skorpion, das Bayern beherrsche. — Wir müssen freimütig gestehen, daß uns diese ganze Geschichte höchst unklar vor- kowmt, aber schließlich kann ja die Ebertin nichts dafür, daß wir in der Astrologie Böotier sind. Der neueste Trauermarsch. In Amiens in Frankreich lebte und wirkte Jules Pantot. Er war Direktor zweier Kinos und einer Musikhalle und war ein« stadtbekannte Persönlichkeit. Aber bald hinter Amiens hörte sein Ruhm auf — da wußte man nichts mehr von ihm. Jetzt weiß man Jules Pantot ist nämlich in der vorigen Woche gestorben Er hat in seinem Testament bestimmt, daß di« Stadckapelle per er eine ansehnliche Summe hinterließ, bei seinem Be gräbnis — „Ausgerechnet Bananen", dieses herr lichste aller zeitgenössischen Lieder, als Traue rmarsck spiele. Chopin hat einen Trariermarsch komponiert Beethoven auch einen, aber so schön wie „Ausgerechnet Bananen!" erschien dem Kinobesitzer Jules Pantot keim von jenen immerhin klassischen Trauermelodien. Und daß er „Ausgerechnet Bananen!" für eine höchst traurige Ange- legenheit gehalten und daß halb Amiens bei seinem Grab lied bitterlich geheult hat, macht uns diesen Pantot beinahe sympathisch. Er war ein Schalk, nehmt alles nur in allem... Der Journalist als Seher. Ein Berliner Mittags blatt brachte am 28. März ein Telegramm eines „Wiener Sonderberichterstatters" über die Eröffnung von Mar Reinhardts neuem Theater in Wien. Der Bericht schloß mit folgender Schilderung: „Die gestrige Aufführung gestaltete sich zu einem rauschenden Erfolg. Den Zu schauerraum füllte eine glänzende Gesellschaft, die besten Namen Wiens aus den Kreisen der Kirnst, Politik, Finnin und Industrie waren vertreten. Der Beifall gestaltete sich stürmisch. Unter nicht endenwollenden Hervor rufen mußte Max Reinhardt immer wieder nebst den Darstellern erscheinen." Der Herr Sonderberichterstatter scheint sich im — Traumzustand be funden zu haben, als er diesen Bericht dichtete. Es handelt sich nämlich tatsächlich um ein« Dichtung; denn die hier so prächtig geschilderte Eröffnung des Theaters ist in letzter Stunde — abgesagt und auf den 1. April verlegt worden! Allerhand Achtung vor der Sehergabe des Wiener Zeitungsdichters und freie Bahn diesem Tüchtigen! Der Zug nach dem Süden. Der Mailänder „Corriere della Dera" schätzt die Zahl der Deutschen, die jetzt auf der Wanderschaft nach Italien begriffen sind oder im „Land, wo die Zitronen blüh'n", bereits seit längerer Zeit weilen, ruf mindestens 70 000. Drei Viertel aller Hotelzimmer Italiens seien von Deutschen besetzt, und man nehme an. vaß die deutsche „Masseninvasion" bis in den Sommer hinein andauern werde. Die Italiener revanchieren sich, höflich, wie sie sind, für diesen Zuzug aus dem Norden, indem sie selbst nordwärts ziehen und zwar vornehm lich nach Meran, das jetzt allerdings auch Italien ist. Meran ist so voll von „echten" Italienern — die Meraner elbst sind unechte —, düst kürzlich ein aller Tiroler mit ssncm Stoßseufzer erklärte: „Wir haben ja immer ge staubt und gehofft, daß wir einmal ein Stück Italien be- ommen würden, daß wir aber gleich ganz Italien bekamen, das hat uns doch überrascht!" Washington als modernes Sodom. Mit Ziffern läßt sich bekanntlich alles beweisen. So hat ein Mitglied des Repräsentantenhauses in Washington, Tinkham aus Massachusetts, ausgerechnet, daß Washington eine der schlechtesten Städte der Welt ist. Es werden dort 2000 A mehr Morde verübt als in London, und es gibt dort 300 kS mehr Betrunken« als in Paris, von anderen Scheußlichkeiten, wie Ehebruch, Ver- und Entführung usw., ganz zu schweigen. Die große „Sittenverderbnis" Washingtons zeigt sich tatsächlich, wenn man Ziffern nebeneinandersteüt: in Groß-London mit acht Millionen Einwohnern gab es im Jahre 1922 28 Morde, in Washing- wn mit noch nicht einer halben Million Seelen 38 Morde. In Paris mit drei Millionen Einwohnern kamen 1923 !6 000 Verhaftungen wegen Trunkenheit vor, in Washing- on zur selben Zeit 8000 Verhaftungen aus dem gleichen Grunde. gangen! Ein Wunder sei es ja nicht, daß Iulchen eines Mannes Herz bezaubere „— Das größte Glück für ihren Herrn Sohn finde ich aber — natürlich außer dem Besitz des Fräulein Julia — doch darin, daß er nicht wie Franz Lämmlein um die Ecke die ganze Schultze-Familie mitzuheiraten braucht! — Denken Sie mal an! Na, vielleicht hätte es auch seine guten Seiten — es hätte ihm die wilden Tiere ferngehalten — denn Porzia mit ihrer Laute ist die reine „Löwenscheuche" — und ein „Urwaldschreck!" — er ahmte Porzia nach, wie sie die Laute spielte — „und Herr Doktor hätte an den Schwarzen vielleicht ein dankbareres Publikum für seine welterschütternde Tra gödie „Neros Tod" gehabt, als an uns!" Frau Schlossermann lachte herzlich. „Können Sie das Spotten nicht lassen! — Also auf Wie dersehen, Fritz!" Drüben in seiner Wohnung angekommen, warf Fritz nachlässig den Uniformrock von sich; er wollte gleich schlafen gehen. Plötzlich hielt er im Entkleiden inne und sah sinnend vor sich nieder, mit einem schmerzlichen Ausdruck im Gesicht, der all' das Frohe, Leichtsinnige daraus verwischte. Wie in körperlichem Schmerz zogen sich seine Brauen zusammen. „Iulchen, mein liebes Iulchen!" flüsterte er. Nun hatte sie, die ihm doch gehörte, ein anderer ge nommen! Da warf er trotzig den Kopf zurück. In einem plötzlichen Entschluß zog er den Rock wieder an, drückte die Mütze wieder auf den Kopf! Er konnte doch heute nicht schlafen unter einem Dach mit den glücklichen Brautleuten! Er wußte, wo es lustig zuging und Vergessenheit gab. Leise und vorsichtig verließ er nochmals das Haus. 19. K a p i t e l. Walter Schlossermann war glückselig über seine schöne Braut. In rührender Weise war der ernste Mann darauf bedacht, ihr Freude zu machen; er konnte sich nicht genug tun, sie mit Geschenken zu überschütten und lächelnd unter stützte ihn seine Mutter darin. Die Frau Rat war sehr zu frieden; nicht nur aus Vernunft und praktischen Gründen hatte er ja gewählt, sondern aus ganzem Herzen — nicht bloß InteressengemeinsckMft würde in seinem Hause sein, sondern auch warme Liebel Und sie war ganz beruhigt, weil sie des Sohnes zukünftige Lebensgefährtin so genau kannte —I Ob Iulchen Schultze Geld hatte, ob sie aus vor nehmer Familie stammte oder nicht — beides war ihr in die sem Falle gleich, da die Hauptsache doch war: ihr Walter hatte im fernen Land eine Frau, die, gescheit, warmherzig, schön, ihm das Haus traulich machen und mit ihm von der Heimat in kindlicher Liebe sprechen konnte! Welch' ein beglückendes Mwußtsein war das doch für die alte Dame! Wie hätte sie sich gesorgt und gequält, wenn des Sohnes Gattin ihr wenig oder gar unbekannt sein würde, was wobl leicht der Fall hätte sein können! So hatte sie die ihm bestimmte Frau ganz in ihrem Sinne erzogen, und fest, fest würde das Band sein, das von des Sohnes Haus in weiter Ferne zum Mutterhause ging; sie hatte ihn nicht an eine fremde Familie verloren, wie das so häufig ist, wenn ein Sohn heiratet, sondern hatte eine liebe Tochter gewonnen, die ihr wirklich in kindlicher Anhänglichkeit schon seit langem zugetan war. Sie fand, daß Julia dem Verlobten gegenüber etwas scheu war. Ihre Rehaugen hatten ost einen so hilflosen, ver zagten Blick; sie mußte sich wohl erst an das Glück gewöhnen, das so überwältigend über sie gekommen war! — Walter Echlossermann hatte in Berlin auf dem Kolonial amt zu tun, außerdem noch in Rotterdam und Antwerpen. Und da er nicht ohne seine Braut, in die er sich täglich mehr verliebte, sein konnte und wollte, so nahm er sie und die Mutter einfach mit. Ein Sträuben half nichts; er lachte Uber ihre „Kleinstädterei". Schultzens nahmen Abschied von Julia, als oh es jetzt schon über das Weltmeer ginge, und Herr Dok tor erzählte jedem, der es hören oder nicht hören wollte, seine Tochter sei „mal auf einen Sprung nach Rotterdam; sie wolle sich dann im Verein mit der Schwiegermutter noch Amster dam und Scheveningen ansehen — vielleicht noch Brüssel, wenn es die Zeit erlaube —", er nahm den Mund nicht sehr voll, der Herr Doktor, und er kam sich unendlich wichtig vor als Schwiegervater eines „so bedeutenden Mannes", wie es der Ingenieur Schlossermann war! — Mit großen, staunenden Augen nahm Iulchen die Herr lichkeiten Berlins in sich auf. Sie war ja, abgesehen von einigen Schulausflügen, die sie als Kind mit ihrer Klasse nach dem Harz geführt, noch nicht aus ihrer Heimatstadt heraus gekommen, hatte noch keine Gelegenheit gehabt, eine größere Eisenbahnfahrt zu machen! (Fortsctzuno folgt»
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