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MsdmfferÄWblati N für Dürgertum, Beamte, Angestellte u. Arbeiter Das Wilsdruffer Tageblatt enthält die amtlichen Bekanntmachungen der Amtshauptmannschast Meißen, des Amtsgerichts und Stadtrats zu Wilsdruff, Forstrentamts Tharandt, Finanzamts Nossen. Nationale Tageszeitung für die Landwirtschaft, V« »Wilsdruffer Tageblatt" erscheint täglich nachm. 5 Uhr für den folgenden Tag. Bezugspreis: Bei Abholung in Geschäftsstelle und den Ausgabestellen 2 Mk. im Monat, bei Zustellung durch die Boten 2,30 Mk., bei Postbestellung l-Pfg'. Wochenblatt für Wilsdruff u. Umgegend Poswöten »tgcr und GejchSst-sttHkn nehmen zu jeder Zeit Be. stellungen entgegen. Im Falle höherer Gewalt, Krieg oder sonstiger Betriebsstörungen besteht dein Anspruch auf Lieferung brr Zeitung oder Kürzung des Dezugspreifes. — Rücksendung eingesandter Schriftstücke erfolgt nur, wenn Porto beiliegt. 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Aber man darf sie doch Wohl immerhin so verstehen, daß sie glauben, die längste Zeit in London zusammengefessen zu haben, daß sie hoffen, die vielen Protokolle und Beschlüsse, die da von den großen „Sieben" und den noch größeren „Vierzehn" zu- sammengebraut werden, recht bald unterzeichnet zu sehen, und duß dann die Zeit zum Kassemachen für sie gekommen fein werde. Wenn das Geschäft sich im letzten Augenblick noch zerschlüge — wer würde sie wohl dann für die vielen Spesen dieses vierwöchentlichen Londoner Aufenthaltes ausreichend entschädigen? Also wird die Konferenz doch aller Wahrscheinlichkeit nach zum Schluß kommen, zum Abschluß. Das ist, nehmt alles nur in allem, der um zweifelhafte Wille der internationalen Hochfinanz. Und über den können die Lenker der Staaten heutzutag« weniger als je zur Tagesordnung übergehen. Also nehmen wir an, der Frieden von London wird morgen oder übermorgen keine Schimäre mehr sein. Ei wird schwarz auf weiß den Konferenztisch zieren und dir alliierten und die deutschen Depeschenburcaus werden end lich einmal aufhören können, mit ihren jeden Tag wechselnden, sich ewig zwischen Dementis und Wider sprüchen hin- und herbewegenden Lageberichten den armen Völkern Europas noch den letzten Rest von Verstand zu rauben, der ihnen geblieben ist. Man wird also wissen, authentisch wissen: So und so viele Sachleistungen und Zahlungen hat Deutschland so und soviele Jahre lang an seine Gläubiger abzusühren. Die und die Maßnahmen sind vorgesehen, nm diese Verpflichtungen sicherzustellen. Dann und dann und unter den und ven Bedingungen wird die deutsche Staats- und Wirtschafts hoheit wieder hergestellt und vom 15. August oder 1. Sep tember an werden innerhalb so und so vieler Wochen oder Monate die französisch-belgischen Truppen mitsamt ihrem ganzen Rattenschwanz von Zivilbehörden, von Ein richtungen und Agenten aus dem Ruhrgebiet ve c- schwinden. Gehen wir noch einen Schritt weiter und nehmen wir auch das an, daß diese Abmachungen weder in England, noch in Frankreich und Belgien, noch sogar in Deutschland auf nennenswerten Widerstand stoßen, daß die beteiligten Parlamente um des lieben Friedens willen manchen Bissen mit hinunterschlucken, den sie am liebsten den Gegnern vor die Füße schleudern möchten, daß also die Parlamente alle die Abmachungen von London gutheißen, sich mit allen Vollmachten, die ihnen abverlangt werden, einverstanden erklären, und dm Dawes-Plan zu dem vorgeschriebenen Termin in Kraft setzen. — Wird danach nun wirklich der Frieden gekommen sein? Wird die Streitaxt zwischen Frankreich und Deutschland für alle Zeiten begraben sein? Wird es keine ernsten Meinungsverschiedenheiten mehr unter den Alliierten geben? Und wird weder in Ost und West noch in Nord und Süd die Zwietracht unter den Nationen wieder lebendig werden? Können auch andere als bloß einfältige Gemüter darauf vertrauen, daß all das namen lose Unrecht, das in den sogenannten Friedensverträgcn von Versailles und von Trianon verankert ist, die kommende Generation überdauern wird? Nun ja, manche Leute werden froh sein, daß endlich die Reparationsfragen als gelöst gelten sollen, daß man nicht jeden Tag mit neuem Unglück im Völkerleben zu rechnen braucht. Ob die Rechnungen des Dawes-Planes aufgehen werden oder nicht, macht ihnen wenig Sorge. Sie freuen sich der großen internationalen Verständigung, die in London erzielt worden ist, hören schon das ameri kanische Gold im Kasten springen und lassen im übrigen, was die weitere Zukunft betrifft, den lieben Gott einen guten Mann sein. Aber haben wir nicht lange genug unter der Trostlosigkeit unserer Lage gestöhnt, um es bei der Erleichterung, die für den Augenblick wenigstens doch zweifellos erreicht wird, mit einiger Sorglosigkeit bewen den zu lassen? Wissen kann ja doch niemand, was später kommen wird, also muß es schon erlaubt sein, sich des Silberstreifens am Horizont zu freuen, dessen Sichtbarkeit nun auch von den hartnäckigsten Pessimisten nicht mehr geleugnet werden kann. Immerhin wird es nicht überflüssig sein, einige Tropfen Wasser in den Begeisterungswein derjenigen zu schütten, die im Angesicht des dicken Protokollbuches der Londoner Konferenz sich schon aller Zukunftssorgen ent- schlagen möchten. Zunächst das eine, worüber es keine Täuschung gibt und geben darf: daß wir vomewigen Frieden genau so weit entfernt srnd wie zuvor. Nicht um Deutschlands willen, Gott bewahre, was könnte dieses arme, entwaffnete, an Händen und Füßen gefesselte, von untereinander verbündeten Nach barn mißtrauisch umschlossene, unter militärische Dauer kontrolle gestellte und schließlich auch innerlich auf da» kläglichste zerrissene Deutschland in absehbarer Zeit wohl anderen Völkern anhaben? Aber sehen wir nur etwa» weiter, ko werden wir finden, daß in unserem Osten Kritische Stunden in Lonckon. Die Verhandlungen auf dem toten Punkt Eigener Femsprechdienst des „Wilsdruffer Tageblattes". London, 14. August. Die Sitzung der deutschen, fran zösischen und belgischen Delegationen über die Räunmngsfrage wurde gestern um 2 Uhr nachmittags unterbrochen, ohne zunächst ein Ergebnis gezeitigt zu haben. Soweit man Hörl, sind die Ver handlungen über die Darlegungen der beiderseitigen Auffassungen noch nicht hinausgekommen. Auch die für den Nachmittag an- gefetzte Sitzung des Rates der Vierzehn ist verschoben worden, weil zurzeit kein BeraLungsstoff vorliegt. Die Räumungsver- handlungen sind, wie man weiter hört, wegen der Unerfüllbar keit der französischen Forderungen auf Gewährung handelspoli tischer Vorteile ins Stocken gekommen. Die deutsche Delegation ist nicht gewillt, in diesem Punkte weitere Konzessionen zu machen, und bleibt auf dem einmal eingenommenen Standpunkte stehen. Unter diesen Umständen ist jetzt mit keinem raschen Fortschritt zu rechnen, sofern nicht auf französischer Seite die weit über das Ziel hinausgehenden Forderungen fallen gelassen werden. Ueber den Zeitpunkt des Wiederzusammentcitts ist noch nichts bekannt. Man fühlt, daß Herriot gegemvärtig vor ganz bestimmten For derungen der Pariser Opposition steht, die ihm einige Schwierig keiten bereiten. Auf beiden Seiten besteht offenbar der Eindruck, daß die Grenze des Entgegenkommens erreicht ist. Dieser Ver handlungsstillstand war zu erwarten. Es ist im Augenblick eine Nervenfrage und außerdem eine Aufgabe fiir die vermittelnden Instanzen Englands und Amerikas, diese Stockung zu überbrücken. Eine französische Schilderung der gest rigen Verhandlungen. Eigener Fernfprechdienst des „Wilsdruffer Tageblattes". Paris, 14. August. Von dem Gang der gestrigen Ver handlungen in London gibt der Petit Parisien eine ausgedehnte Darstellung. In der Vormittagssitzung hatte Herriot mitge teilt, daß das Ruhrgebiet erst ein Jahr nach Anwendung des Sachverständigenberichles militärisch geräumt werden könne. Stresemann war damit beauftragt, den deutschen Standpunkt klarzulegen. Er betonte, daß nach Ansicht der öffentlichen Mei nung Deutschlands die Räumung der Ruhr mindestens inner halb sechs Monate vollzogen sein müsse und dies etappenweise. Die Sitzung nahm nach dem Blatte einen äußerst dramatischen Verlauf. Ebenso spannend wie die erste war die zweite Aus sprache am Nachmittag. Marx habe kaum das Wort ergriffen gehabt, als man die klare Ueberzeugung gewann, daß der deut sche Standpunkt keine Veränderung erfahren habe. Der deut sche Kanzler griff aus sämtliche von Stresemann bereits vorge brachten Argumente zurück. Er versuchte nachzuweisen, daß die militärische Räumung des Ruhrgebietes im Hinblick aus die Ausführung des Sachverständigengutachtens eine unbedingte Notwendigkeit darstelle und mit der wirtschaftlichen Räumung zusammenfallen muffe. Der Kanzler verflieg (!) sich sogar zu der Behauptung, daß von der gleichzeitigen Durchführung der bei den Räumungen der Erfolg der Anleihe und damit die wesent lichste Voraussetzung sür die Verwirklichung des Sachverständi gengutachtens abhänge. Herriot entgegnete dem Kanzler, daß seine belgischen Kollegen und er in den bisherigen Verhandlun gen mit den deutschen Abgeordneten von jeglichem Feilschen ab gesehen hätten (!). Was wir wollen, ist einen moralischen Frie- zum Beispiel nichts weniger als paradiesische Stimmung herrscht. Der russische Koloß wälzt sich unruhig zwischen seinen gegenwärtigen Grenzen hin und her, die Konflikte mit Polen häufen sich, und so lange der betzarabische Zwischenfall nicht aus der Welt geschafft ist. wird R u - Manien, das Groß-Numamen von yeuie, NW non) keinen ungestörten Schlaf gönnen können. Und auf dem eigentlichen Balkan wetterleuchtet es schon lange wieder. Jeden Augenblick hört man von serbischen Roten nach Sofia, von griechischen Protesten gegen GrenZübergriffe und Schießereien, Demarchen und Ultimaten tauchen wie der auf im diplomatischen Verkehr der Balkanvölker unter einander, und es zeigt sich mit jedem Tage deutlicher, daß der mazedonische Wetterwinkel trotz aller weisheitsvollen Fürsorge der Großmächte von seiner unheilschwangcren Bedeutung für den Nahen Osten noch immer nichts ver loren hat. Auch um das Mittelmeer herum sind die Verhältnisse nicht besser geworden, im Gegenteil, neue Ge fahrenquellen sind entstanden, seitdem die Türkei ihrer Zcntralstellung für die Völker des Islam entkleidet worden ist. Dazu kommt die unaufhörlich wachsende Unterwüh- lung der staatlichen Existenzen durch den nimmer ruhen den Kommunismus, der gerade unter den Balkannationen ein sehr ergiebiges Feld für seine revolutionäre Propa ganda findet. Offnen ihm auch die Westmächte ihre Tore, wie nach dem Abschluß des britisch-russischen Vertrages zu gewärtigen ist, so wird es für seine Arbeit gegen Vie bürgerliche Gesellschaft bald gar keine Grenzen mehr geben. Kurz, das Paradies aus Erden, dem wir entgegengehen, wenn erst die Londoner Beschlüsse in Kraft gefetzt sind, wird wesentlich anders aussehen, als viele Leute es sich heute noch träumen lassen. den zwischen Frankreich und Deutschland herzustellen. Dieser Friede muß auf gegenseitiges Vertrauen gegründet werden. Ich habe Ihnen das Wort gegeben, daß die Ruhr innerhalb einer Frist von höchstens einem Jahr geräumt wird. Beweisen Sie uns Ihr Vertrauen, indem Sie es uns überlassen, diesen Zeit raum je nach den Ereignissen abzukürzen. Finanzminister Dr. Luther hob hervor, daß Herriot, wenn er auch für seine Person gewisse Verpflichtungen übernehmen könne, nicht in der Lage sei, das Wort seines Nachfolgers zu verpfänden und daß Deutsch land fick, aus diesem Grunde begreifliche Zurückhaltung aufer legen muffe. Herriot erwiderte, er sei sich bewußt, namens Frank reichs und mit der vollen Zustimmung Belgiens zu sprechen. Wir bringen den Beweis unseres guten Willens. Wir bitten Sie, uns Vertrauen zu schenken und einen gleichen guten Willen an den Tag zu legen. Luther forderte darauf unter anderen die sofortige Räumung der drei Städte Duisburg, Ruhrort und Bochum, indem er auf die Störungen des Wirtschaftslebens die ser Gegenden hinwies. Der französische Ministerpräsident ant wortete: Die Anwesenheit von 20V0V verbündeten Soldaten habe nur auch nicht im geringsten die wirtschaftliche Tätigkeit des Ruhrgebietes gehemmt (!!). Er beharre daher auf feinen Plan. Zum Schluß sagte Herriot: Wir wollen für den Augen blick keine bestimmten Verpflichtungen übernehmen. Die öffent liche Meinung Frankreichs würde es uns nicht erlauben, die Frist von einem Jahr, die wir für die Räumung der Ruhr fest gesetzt haben, zu verringern. Wenn Sie Ihre Verpflichtungen halten und pünktlich erfüllen, so werden wir die Verkürzung der Räumungssrist in die Hand nehmen. Marx antwortet nach Verständigung mit Berlin London, 14. August. Die gestrige Nachmittagssitzung hat bis 8 Uhr abends gedauert. Sie hat zu keinem Ergebnis geführt. Die Deutschen haben, wie der diplomatische Vertreter der Ha- vasagentur mitteilt, die Räumung des Nuhrgebietes sür den 1. Januar 1925 oder spätestens im April 25 gefordert. Die fran zösischen und belgischen Vertreter erklärten darauf, daß die Räu mung der Ruhr erst nach Ablauf eines Jahres, das heißt, am 1. November 1925 erfolgen könne, wenn Deutschland in der gleichen Zeil die im Sachverständigengutachten ausgeführten Ne- parationsverpflichtungen erfüllt habe. Reichskanzler Marx er bat sich daraus Bedenkzeit bis morgen srüh, um sich mit den in Berlin verbliebenen Kabinettsmi'tgliedern über die Situation zu verständigen. Heute früh gegen 9 Uhr wird der Kanzler seine end gültige Antwort erteilen. Herriot schweigt — Theunis ist betrübt Paris, 14. August. Nach der französisch-belgischen Be sprechung mit Deutschland lehnte Herriot es ab, den Pressever tretern irgendwelche Erklärungen abzugeben. Er sagte lediglich: Wir haben heute abend zu keinem Resultat kommen können und werden morgen srüh wieder anfangen. Theunis äußerte sich ziemlich pessimistisch und erklärte, er sei äußerst betrübt, fest stellen zu müssen, daß die Dinge keinen glatten Verlauf nehmen. MscckonsMs OermMlungs- verlocke ergebnislos. London, 14. August. Die Lage kn London ist heute noch bedrohlicher als gestern. Macdonald hatte eine lange Aussprache mit Herriot, die indessen nur dazu führte, daß sich der französische Premierminister noch bestimmter aus die einjährige Räumungssri festlegte. Nach Mitternacht ließ dann Macdonald Dr. Strese mann zu sich bitten. Die Unterredung dauerte lange, verlief aber ebenfalls negativ. Um für weitere Ausglsichmöglichkeiten Zeit zu gewinnen, wurden alle für Donnerstag angesetzten Sitzungen abgesagt. Die Konferenz des Rates der Vierzehn ist zunächst aus 3 Uhr nachmittags angesetzt worden. Englisch-italienische Vermittelung? London, 14. August. Es hat den Anschein, als ob zu den französisch^ Verhandlungen sich eine starke Vermittlungstätigkest Englands und Jaliens geltend machen würde, um über den toten Punkt hinwegzukommen. Oerkagung? (Eigener Fernsprechdienst des „Wilsdruffer Tageblattes".) London, 14. August. Pessimisten — und diese sind in der Mehrzahl — meinen, daß heute oder morgen eine Vertagung der Konferenz eintritt, dergestalt, daß die Konferenz an einem anderen Orte fortgesetzt wird. Das ist ein besserer Ausdruck sür Abbruch der Konferenz. Herriot bat in der gestrigen Nachmit tagssitzung die Deutschen, ihm doch Vertrauen zu schenken. Strese mann antwortete: daß es daran bei den Deutschen nicht fehle, -atz aber bei allem Vertrauen, das sie Herriot entgegenbringen, sie doch nicht wissen könnten, was Herriots eventueller Nachfol ger tun würde.