Suche löschen...
Wilsdruffer Tageblatt : 29.03.1924
- Erscheinungsdatum
- 1924-03-29
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1782027106-192403290
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1782027106-19240329
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1782027106-19240329
- Sammlungen
- LDP: Bestände des Heimatmuseums der Stadt Wilsdruff und des Archivs der Stadt Wilsdruff
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Wilsdruffer Tageblatt
-
Jahr
1924
-
Monat
1924-03
- Tag 1924-03-29
-
Monat
1924-03
-
Jahr
1924
- Titel
- Wilsdruffer Tageblatt : 29.03.1924
- Autor
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Kererseits, geschaffen worden, der die Arbeitsbedingungen für sämtliche Angestellte in 'der Metallindustrie regelt, insbesondere die Frage der Kündigung, des Urlaubs, der Gehaltszahlung in Krankheitsfällen und 'der Leistungsgruppierung der kaufmän nischen und technischen Angestellten innerhalb der einzelnen Gruppen. Leber die Lehrlingsfrage ist zunächst eine Einigung noch nicht zustande gekommen. — Da die sozialistische Richtung in der Angestelltenbewegung — vertreten durch den Allgemeinen freien Angestelltenbund, dem sich der Gewerkschaftsbund der An gestellten angeschlossen hat —, anläßlich der Verhandlungen jede Einigungsmöglichkeit abgelehnt hatten, wurde von diesen Organi sationen der Schsichtungsausschuß angerufen. In der am Sonn abend stattgefundenen Sitzung des Schlichtungsausschusses Dresden wurde einstimmig — mit den Stimmen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer — die vom Gedag geschaffenen Arbeits bedingungen mit unwesentlichen Aenderungen auch für die Mit glieder der letztgenannten beiden Organisationen festgelegt. — Damit ist nun endlich nach fast einjährigem, tariflosem Zustand wieder ein Vertragswert für die gesamte organisierte Ange stelltenschaft, soweit sie in der Metallindustrie beschäftigt ist, ge schaffen worden/ — Der Deutschnationale Handlungsgehilfen- VerbaNd hatte seine in der Metallindustrie beschäftigten Mit glieder für Montag, den 24. März, zu einer Fachgruppensitzung nach dem Hauptbahnhof in Dresden eingeladen. Nach einem längeren Betrag des Geschäftsführers Biernast, in dem dieser die Dor- und Nachteile des Vertragswertes kritisch beleuchtete und auf die außerordentlich verantwortungsroichen und lang wierigen Verhandlungen hinwies, und nach einer sehr lebhaften Aussprache wurde der Abschluß einstimmig von allen anwesenden Kollegen gebilligt. Die Versammlung brachte ihren Dank für die außerordentlich mühevolle Arbeit der Tariskommiffion^durch Erheben von den Plätzen zum Ausdruck. Gedruckte Tarif verträge find voraussichtlich im Laufe der nächsten Woche auf der Geschäftsstelle des Gedag, des Deutschnationalen Handlungs- gehilfen-Veibandes, Dresden-A., Ostraallee 2 b, und des Ver bandes der weiblichen Handels- und Düroangestellten, Dresden, Marienstraße 22, zu haben. — Der Schlichtungsausschuß in Dresden hat in seiner Sitzung am vergangenen Sonnabend gleich zeitig über eine andere strittige Frage entschieden. Dev Arbeit geberschutzverband der Metallindustriellen Dresden hatte ge fordert, daß auch bei dem neuen Tarifvertrag eine Möglichkeit geschaffen werden müsse, für die einzelnen Orte besondere Ab züge von den vereinbarten Gehältern zu machen. Der Gesamt verband deutscher Angestelltengewerkschaften hatte diese Forde rung kategorisch abgelehnt, da er die Berechtigung solcher Orts- klassenabschläge nicht anerkennt. Der Schlichtungsausschuß hat leider einstimmig drei Ortsklassen festgelegt, und zwar: Orts klasse 1: Industriegebiet Dresden, einschließlich der Orte Pirna, Radeberg und Dippoldiswalde: Ortsklasse 2: Freiberg, Meißen und Riesa mit 2st- Proz. Abschlag, und Ortsklasse 3: alle übrigen Orte des Kreises Dresden mit 5 Proz. Abschlag. * Bremen. (EvenfallS E l n i gung mtt den HäfckM vrbeitern.) Di« Verhandlungen wegen des Hafenarbeiter« streiks konnten zum Abschluß geführt werbens Tue Arbeiten nehmen die Arbeit wieder auf. Die Regelung erfolgt auf der Grundlage des in Hamburg vom Reichsarbeitsminister gefällter» Schiedsspruchs. Sie sieht vor, daß täglich auf Verlangen neun Stunden gearbeitet werden muß und daß der Arbeitslohn für acht Stunden von 4,50 auf 4,80 Mart erhöht wird; die neunte Stunde wird besonders bezahlt. Ludwigshafen. (Der Ausstand bei den Anilin« Werken.) Auf einen Aufruf der Direktion der Amlinfabrit an die Arbeiter, sich zur Wiederaufnahme der Arbeit anzumel» den, nahm eine Versammlung der rechtsrheinischen Belegschaft eine Entschließtmg an, in der sie erklärt, die Arbeiter würden nicht zur Arbeitsstätte zurückkehren, bevor der Achtstundentag wiederhergestellt sei. Dagegen fordern die christlichen Gewerk schaften ihre Mitglieder zur Wiederaufnahme der Arbeit auf. London. (Drohende Aussperrung im Schiff bau.) Die Arbeitgeber in der Schiffbauindustrie haben auf einer Sitzung in London beschlossen, auf allen Werften eine allgemeine Aussperrung vorzunehmen, nachdem die Bemühun gen, die Streikenden in Southampton zur Wiederaufnahme der Arbeit zu veranlassen, fehlgeschlagen sind. Von der Aussperrung werden annähernd 100000 Manu betroffen. s * KechA/'echMA « - Aus dem Gerichissaal. Gin Hofbesitzer als Totschläger. Vor der Straffammer in Stolp mußte sich der Bauernhosbesitzer Alfred Dressel aus Schlamin verantworten. Der Angeklagte hatte im November vor aen Jahres seinen Onkel, einen Altsitzer, erschlagen und die Leiche dann auf die Schienen der Strecke Stolp—Stettin gelegt in der Hoffnung, daß der Zug über die Leiche fahren und aus diese Weise die Spur der Tat verwischt würde. Man fand die Leiche aber vor Eintreffen des Personenzuges. Der Grund zur Tat ist darin zu suchen, daß Dressel von der auf der Wirtschaft ruhenden Altsitzerrente befreit sein wollte^ Er wurde wegen Totschlags zu zwölf Jahren Zuchthaus und zehn Jahren Ehrverlust verurteilt. Bestrafte Vaterlandsverräter. Die Strafkammer in Karls ruhe verurteilte die Holzhändler Joseph und Otto Streis aus Oberkirch wegen unerlaubter Holzausfuhr nach Frankreich in der Zeit des passiven Widerstandes zu Gefängnis- und Geld strafen, und zwar Joseph Streif zu fünf Monaten und 60 000 Goldmark und Otto Streif zu 2 Monaten und 85000 Goldmark. Das Urteil der Strafkammer ging über den Antrag des Staatsanwaltes hinaus. -Französischer SeparatistensäMtz. Vor dem französischen Militärpolizeigericht Kaiserslautern standen dreiund zwanzig Personen unter Anklage, weil sie sich an der Vertrei bung der Separatisten in Lauterecken beteiligt hatten. Von den erschienenen achtzehn Angeklagten erhielten die meisten Gefängnis strafen von mehreren Monaten. Die nicht erschienenen Ange klagten wurden zu je zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Unwetterkatastrophe in SüdLtalien. Bisher etwa 150 Opfer. Der nördlichste Teil des südöstlich an die Bucht von Neapel sich anschließenden Golfes von Salerno ist plötzlich von einer Naturkatastrophe heimgcsurht worden, und zwar von einem Wolkenbruch von solcher Größe und solchem Ausmaß, daß fast mit jeder neuen Nachricht auch eine neue SchrcckenSkunde übermittelt wird, ohne daß man zur Stunde sich ein vollständiges Bild von der ganzen Katastrophe und ihren Folgen machen kann. Bisher sollen nicht weniger als 150 Opfer, Tote und Ver- wundete, gezählt worden sein. Am härtesten betroffen ist die schmale Halbinsel, an deren nördlicher Seite, am Meerbusen von Neapel, Sor rent und an deren südlicher Seite Amalfi liegen. Diese beiden Orte haben nach allen vorliegenden Nachrichten am schwersten gelitten, besonders aber Amalfi, das in einer ge radezu paradiesisch schönen Gegend liegt: auf der einen Seite das unbeschreiblich schöne Meer, auf der anderen Seite die hohen, bis an die Meeresufer herantretenden Felsen. Infolge eines Wolkenbruches verwandelte sich der Gebirgsbach der Felsenschlucht, an deren Öffnung Amalfi über die Klippen und Felsterrassen zum Meere ansteigt, in eine Sturzflut, die vor allem das alte Kapuzinerkloster, das jetzt als großes Hotel die Stadt überragt, mit voller Wucht traf. Das Hotel war stundenlang vollkommen ab geschnitten und unzugänglich, so daß man zuerst um die dort wohnenden Fremden — meist Deutsche und Ame rikaner — die schlimmsten Befürchtungen hegte. In Amalfi selbst sind mehrere Häuser eingestürzt. Die Vor stadt Vottivo ist vollkommen zerstört. Die Verbindungen sind unterbrochen. Fischerboote nahmen die Opfer auf. Die Zahl der Toten in Praiano und Furore wird auf über hundert geschätzt. Zu dem Unglück wird ferner aus Neapel gemeldet, daß der Fluß Caneto über seine Ufer getreten ist und be deutenden Wasserschaden angerichtet hat. Infolge der Wassermassen lösten sich Erdmassen und zerstörten die etwa 30 Kilometer lange Küstenstratze und die an ihr liegenden Gebäude, in der Hauptsache Hotels. Der noch immer herrschende Sturm erschwerte die Nettungsarbeit sehr. Nach den bisher vorliegenden Nachrichten scheinen, keine Fremden unter den Opfern zu sein. — Ein bestechlicher Ministerialrat. In Prag wurde -er Ministerialrat Ludwig Litzmann, Vorstand einer Abteilung im Postministerimn, unter dem Verdacht, bei der Vergebung von Lieferungen für das Poftministe- rium von einzelnen Firmen Bestechungsgelder genommen zu haben, verhaftet. Mit ihm zugleich wurde der Direktor der Krizik-Unternehmungen Dr. Riestnger, der Litz mann mit 100 000 tschechischen Kronen bestochen haO in Haft genommen. Neue Herabsetzung der Funkgebühren. Vom Reichs postministerium wird mitgeteilt, daß die Funkgebühren für die Teilnehmer erheblich herabgesetzt werden und der sich auf zwei Mark monatlich belaufende Betrag nach dem Muster von Zeitunasbestellunaen fortan durch den Postboten eingezogen wird. Die Besitzer von selbstgebau ten Röhrenempfängern müssen ihren Apparat nachträglich zur Stempelung anmelden, sofern diese Besitzer nicht Mit glieder von Amateurenvereinen sind. Für alle bis zum 15. April sich freiwillig meldenden „Funkzanngäste" ist Straffreiheit zugesichert. Die 11. Gastwirtsmeffe. In Berlin ist die 11. deutsche Gastwirtsmesse eröffnet worden. Die Messe, die von etwa 700 Firmen beschickt ist, bedeutet in der Geschichte der Ber liner Messen einen Rekord und liesert einen erneuten Be weis für die beginnende Wiedererstarkung des deutschen Wirtschaftslebens. Grubenunglück auf der Zeche Vinzenz. Auf der Zeche Vinzenz bei Essen hat sich ein schweres Unglück ereignet. Eine Anzahl Bergleute hatte in verbotswidriger Weise den Förderkorb im Bremswerr benutzt, wodurch das Seil riß. Zwei Bergleute wurden getötet, vier schwer und einer leicht verletzt. Schweres Dampferunglück im Kanal. Ein folgen schwerer Zusammenstoß zwischen einem deutschen und einem japanischen Dampfer hat sich infolge des Nebels im Kanal ereignet. Wie aus London gemeldet wird, stieß dort der deutsche Dampfer „ H e i m d a l" mit dem japanischen Dampfer „T o k u f k u - M a r i" zusammen. Das j a p a- nischeSchiffgingsofortunter. 23Mann seiner Besatzung werden v e r m i ß t, 15 konnten von dem »Hern», dal" an Bord genommen werden. Der „Heimdal" ist in ziemlich beschädigtem Zustande in Dover eingelaufen. Annahme der deutschen Sterblichkeitsziffer. Die Ge- sundheitsverhältniffe der deutschen Großstädte waren im- Januar 1924 günstiger als im gleichen Monat des Vor- jahres.. Die Geburtenzahl, die schon im Vorjahr niedrig war, ist allerdings noch weiter gesunken, nämlich von 25 981 auf 24 332, aber die Gesamtsterblichkeit nahm noch beträchtlicher ab und fiel von 24 112 auf 20 832. Die Ab nahme wird hauptsächlich hervorgerufen durch die gerin gere Säuglingssterblichkeit (2651 gegen 3708), sowie durch die Abnahme der Sterblichkeit an Lungenentzündung und Influenza (1945 gegen 3901) und an Tuberkulose (2532 gegen 3038). Inzwischen ist aber, wie hinzugefügt wer den muß, die Grippe wieder aufgetreten, fo daß man für den Februar vielleicht mit einer neuen Zunahme der Sterblichkeit zu rechnen haben wird. j Dvmw, öpor/ vnS öM/ j Das Schachturnier der Großmeister. Dr. Lasker an der Spitze. über das große Newyorker Schachturnier Waren in den letzten Tagen auf Grund verstümmelter Kabeltele gramme irrtümliche Nachrichten verbreitet worden, dar unter eine, die der Richtigstellung dringend bedarf. Es hieß, daß in der fünften Runde des Turniers der frühere Weltmeister Dr. Emanuel Lasker von Rett geschlagen worden sei. Wie sich jetzt herausstellt, hat Nett in der fünften Runde nichtmitDr. Lasker, son dern mit dem jetzigenWeltmeisterCapablanca gespielt und diesen geschlagen. Capablanca erlitt dadurch seine erste Niederlage seit zehn Jahren. Dr. Lasker steht zurzeit — es sind inzwischen auch die siebente und die achte Runde spielt worden — an der Spitze des Turniers. In der achten Runde ge wann Aljechin gegen Reti. Im nachfolgenden geben wir die Partie wieder, die oer Altmeister Dr. Lasker gegen Aljechin, den Führer der „Jungen", gewann. Lasker schlägt Aljechin. Aljechin: Weiß. Dr. Lasker: Schwarz. I. 02—04 07—05. 2. o2—c4 s7—s6. 3. 8x1—k3 i>x8—fk 4. 8bl—e3 858—07. 5. o4X05 e6Xc!5. 6. Oel-k4 c7—e6. 7. e2—s3 856—55. 8. 051—03 8I>5Xk4. 9. e3Xl4 05 8—06. 10. §2X§3 0—0. 11. 0-0 Tk8-e8. 12. INI1—c2 807-48. 13. »8e3—01 57—56. 14. 801—e3 O«8—«6. 15. 853—54 1.06—o7. 16. b2—K4 Oe7—dk>. 17. 854—53 1.66—57. 18. 54—K5 145—55. 19. x3—x4 14,5-k7. 20. 55Xc6 ^>8-c8. 21. I)o2—52 57Xe6. 22. 54—55 008—06. 23. 8s3—x2 OI>6—o7. 24. 171—01 57—55. 25. 52-53 858—57. 26. TelXosf 1'<^Xo8. 27 Tal—el Ts8—K8. 28. 052—01 857—§5. 29. 853—e5 MXoö. 30. ve1X§5 65—64. 31. k5—56 x7—x6. 32. 52—54 55Xx4. 33. 003—«2 g4X53- 34. Oo2-55 158-52. 35. 8x2—54 VOSXkO 86. Oo-5X14 Ue7Xl4. Weiß gibt aus. Die für einander find. Roman von Fr. Lehne. (Nachdruck verboten). „Na, erlaube mal, Mutter — ein so hübsches Ding —" Die Rätin lächelte. „Nein, Walter! Aus dem einfachen Grunde, weil sie nie in der Tanzstunde war, abgesehen von einer Tanzstunde in der Schule. Sie hat auch keine Verehrer! Nie habe ich sie mit einem jungen Manne gesehen. Ihre freie Zeit bringt sie bei mir zu, und ich habe sie manchmal mit ins Theater und Konzert genommen, damit sie mal herauskommt. Sie ist ein gänzlich unbeschriebenes Blatt; ich kann dir die Versicherung geben, mein Sohn, daß du der erste bist, der sie küssen wird!" Mit tiefer Rührung sah Walter die Mutter an. Schmei chelnd legte er seine Lippen auf ihre Hand. „Wie du für deinen großen Jungen vorgesorgt hast! O Mutterliebe —l" „Weil für dich das Beste gerade gut genug ist! Darum habe ich deine zukünftige Frau in meinem Sinn erzogen und hütend die Hände über sie gehalten! Morgen wirst du sie nun sehen!" Die Standuhr schlug mit vollem Klang zwölfmal aN. Bei nahe erschrocken war da die Frau Rätin. „Wie spät schon! Du wirst müde sein! Ich habe dir die beiden Mansardenzimmer eingerichtet, da deine Wohnung, wie ich dir geschrieben, ja fast immer vermietet ist!" „Sei ohne Sorge, Mütterchen! Ich werde oben ebensogut schlafen wie unten! Du bleibst hübsch hier, ersparst dir das Treppensteigen — und finde den Weg schon allein —" Er breitete die Arme aus. „Wie schön, wieder daheim! Das Vierteljahr Ruhe soll mir schmecken! Eigentlich hätte ich doch lieber im Winter kommen sollen. Nach dem deutschen Winter, nach Schnee und Lis, hatte ich manchmal Sehnsucht —" Frau Schlossermann ließ es sich aber doch nicht nehmen, den Sohn in das behaglich ausgestattete Fremdenzimmer zu geleiten. „Siehe, die Decken, die Vorhänge, alles hat das Julchen gebügelt —" „Du machst mich wirklich neugierig auf dein Julchen, Mutterle, das muß ja ein Prachtexemplar von einem Weibe sein! Und wie bequem; da brauche ich mich selbst gar nicht zu bemühen —! Ja, ja, ich bin hier wirklich im Schlaraffen land, wo mir die gebratenen Tauben mit Spargeln, wie heute Abend, und die Frauen nur so zufliegen!" lachte er behaglich. Er trat an das offene Fenster. In stiller Klarheit leuch teten die Sterne, zwischen denen der Mond wie ein Silber kahn schwamm. „Friedevolle deutsche Nacht ohne Schakalgeheul und Lö wengebrüll — und das Schönste — ohne Moskitonetz " Dann küßte er, seine Rührung abschüttelnd, seine Mutter auf beide Wangen. „Nun, Mutti, gehe auch schlafen! Morgen ist wieder noch ein Tag!" Im Morgengrauen schreckte er auf. Unten war krachend die Haustür ins Schloß gefallen. Aber dann war nichts weiter — nur wie ein unsicheres Schlürfen auf den Steinfliesen des Hauses glaubte er zu hören — dann legte er sich schlaftrunken auf die andere Seite, sich besinnend, wo er eigentlich war — in Mutters Bett ruhte es sich himmlisch! Auch Frau Schlossermann war von dem Krach aufge wacht; sie richtete sich im Dette hoch. Mißbilligend schüttelte sie den Kopf. „Kommt er schon wieder so spät heim! — Wenn das der Oberstleutnant wüßte! Immer wieder verfällt er in den alten Fehler — es wird hohe Zeit, daß er heiratet!" Am nächsten Vormittag kam Fritz von Bieseneck gegen halb elf Uhr vom Dienst; er hatte eine kleine Felddienst- übung hinter sich. Nach der durchschwärmten Nacht war er in der denkbar schlechtesten Laune; er hatte kaum eine Stunde ruhen kön nen; dann war schon der Bursche gekommen, ihn zu wecken! Er warf sich auf sein Bett, nachdem er sich vom Staub gereinigt, um den versäumten Nachtschlaf etwas nachzuholen. Heute abend hieß es wieder bei der Braut antreten; sie wollte ihm die eben fertig gewordenen Zeichnungen zu den Eßzimmermöbeln zeigen. Ach, das war ihm ja so gleichgültig, ob es vlämischer oder gotischer oder Renaissancestil war, in dem die Möbel ange fertigt werden sollten — seinetwegen konnte es Kaffern oder Hottentottenstil sein — ihn hätte es auch weiter nicht ge kümmert! Herrgott, wenn ihm der Kopf und die Glieder nur nicht so geschmerzt hätten! Da störte ihn ein Klingeln in seinem Hindösen. Der Bursche meldete, die Frau Rat ließe fragen, ob er drüben ein kleines Frühstück mit einnehmen wolle — der Herr In genieur würde sich freuen, die Bekanntschaft des Herrn Leut nants zu machen. Sehr gern würde er kommen; in einer Viertelstunde se! er bereit, ließ er sagen. Schwerfällig erhob er sich dann, um sich zurechtzumachen. Er verspürte keine Lust, den „Afrikaner" kennen zu lernen. Ja, er hatte geradezu ein Vorurteil gegen ihn, weil ihm das Julchen bestimmt war! Und das Vorurteil wich auch nicht, als ihn die Rätin freudestrahlend mit dem Sohn bekannt machte, so herzlich und natürlich Walter Schlossermann sich auch gab. Mit heimlichem Neid musterte er dessen breitschultrige Gestalt, aus deren Hal tung Selbstbewußtsein und Tatkraft sprachen. Nein, dem konnte er das Julchen auch nicht gönnen, obwohl, er es doch selbst aus freiem Willen aufgegeben hatte! „Haben Sie sich nun zu der Wohnung in der Hochstraße entschlossen?" fragte die Rätin den jungen Offizier, „sie ist sehr elegant, bequem und geräumig —" „Es ist noch nicht bestimmt, Frau Rat! Meine Braut und die Schwiegermutter meinen, es sei doch besser, wir wür den die kleine Billa vom Iustizrat Ihlmer, die uns kürzlich angeboten, übernehmen ein kleiner Umbau ist wohl nötig; doch haben wir dann unser Reich für uns. Der Schwiegervater ist ja nicht so ganz damit einverstanden! Aber Sie wissen: was die Frau will, will Gott —I Ja, es ist ein Kreuz —" er seufzte humorvoll, „ich gebe Ihnen den guten Rat, Herr Schlossermann, heiraten Sie nicht!" „— aber gerade deswegen bin ich ja so halb und halb 'rübergekommen, mir eine bessere Hälfte zu suchen!" lachte Walter. „Nun, das wird für Sie schwer halten, so auf den ersten Anhieb —" meinte Fritz. „Vielleicht doch nicht so, Fritz, erinnern Sie sich, was ick Ihnen jagte —" bemerkte die Rätin. (Fortsetzung folgt.)
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
Nächste Seite
10 Seiten weiter
Letzte Seite