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Ruf eines angesehenen Manne» zu erwerben wußte, und unter der Maske des Biedermannes jahrelang zahlreiche arme Leute um Tausende von Mark betrogen hat? Wo bleibt da die überquellende sittliche Entrüstung?" Nan, was das verehrliche Amtsblatt dazu sagt, das ist aus seiner Nr. 49 zu ersehen, just aus derselben Nummer, in welcher der „Leipz Bolksztg." verschiedenes über den Not stand der Kartoffelmänner vorgerechnet wird. (Hierbei wollen wir zugleich berichtigend bemerken, daß Kluge nicht drei sondern vier Kinder zu ernähren hat. Kinder, die in Stellung find und sich ihren Unterhalt verdienen, können hierbei nicht in Frage kommen.) Wie aber die Rieß- Elsterberg-Angelegenheit dazu kommt, mit der Kluge-Voigt- Sache verquickt zu werden, ist ziemlich unverständlich. Man kann doch kleine Spitzbuben nicht durch größere und um gekehrt große Spitzbuben nicht durch kleinere enschuld'gen. Art bleibt Art und Kartoffeln bleiben Kartoffeln, gleichviel ob sie groß oder klein sind. Der Zusammenbruch des Bankhauses Franz Rieß, in Elsterberg zieht immer weitere Krnir Es wird jetzt bekannt, daß auch Hof in Bayern stark in Mitleidenschaft gezogen ist und daß die Wechselfälschungen schon um 10 Jahre zurückliegen. Es ist geradezu unbe greiflich, daß die Betrügereien so lange unaufgeveckt bleiben konnten und daß Rieß bis tn die letzten Wochen hinein unumschränkten Kredit hatte. Die Zahl der ge fälschten Wechsel ist bis jetzt auf etwa 60 gestiegen, dar- unter lauten einzelne über Beträge von 18 000 Mark. Rieß hat es derart verstanden, die Unterschriften mittels Pauspapier zu fälschen, daß selbst die Bezogenen die Fälschung erst bei genauem Betrachten entdecken konnten. Besonders raffiniert ist Rieß bei Quittungen vorgegangen; er benutzte dafür vorgedruckte Formulare, auf denen aber stets stand, daß der Unterzeichnete von Rieß Geld geliehen habe. Wer nun Rieß Geld anvertraute ohne die Quittung zu lesen, der hatte doppelten Schaden. Merkte einer den Schwindel, so war es ein in der Eile vorgekommenes Versehen und die Sache ordnungsmäßig geändert. In dieser Weise hat Rieß viele um Hab und Gut gebracht. In der Nacht zum Sonntag brannte der Hauptbau de» Herrn Jul. Brethotz gehörigen Hotels „Wettiner Hof" in Bad Elster fast vollständig nieder. Der nach dem Hause »Prinz Georg" zu gelegene neue Anbau des Hotels, aus dem vor 3 Jahren Prinzessin Luise von Kobarg ihre Flucht aus Bad Eister bewerkstelligt hatte, wurde bei den Löscharbeiten durch die einbringenden Waffermassen stark beschädigt; die Küche, Sialluuzen und Nebengebäude blieben unversehrt. Herr Bretholz erleidet insofern einen ganz beträchtlichen Schaden, als die bedeutenden, für die Ver wendung in der L-aison schon beschafften Vorräte zum größten Teil mitverbrannt stad und nicht wie das zur Aufnahme von Kurgästen Vereiis vorgerrchtete Hotel ver sichert waren. Die Unterbringung der Kurgäste wird durch die Zerstörung dieses Hotels in keiner Weise ungünstig beeinflußt werden, da die Bautätigkeit in Bad Elster während der letzten Jahre eine außerordentlich rege war und jetzt immer noch 100 Zimmer mehr zur Verfügung sttheu wie 1906. Von den Neubauten bieten vollwertigen Ersatz das Sanatorium von Sanitätsrat Dr. Köhler, die mit allem Komkort der Neuzeit aus gestatteten Häuser Alvrechtshof, Helene, Wahnfried und neben anderen das dem Bade gehörige, vollständig neu vorgerichtete Haus New-Aork. Aurze Chronik. Eine Familientragödie. Magdeburg, 27. April. Der hiesige Bierkutscher Carl Wirth schlug nach einem stattgehabten Streit seine Ehefrau mit einem stumpfen Gegenstand nieder, sodaß sie auf der Stelle verstarb. Dann verletzte er sich selbst schwer mittels eines Revolver schusses in die Schläft. Ein reicher Mund- Jekaterinburg, 27. April. In einem verlassenen Bergwerk ist Monazit mit reichem Gehalt an Thorium, das seine Verwrndung bei der Her stellung von Glühstrümpfen findet, entdeckt worden. Wie die Untersuchung ergeben hat, ist diese Grube reicher als die australischen Gruben. Wurstvergiftung. In Pferrsce bei Augsburg ist eine Mutter mit zwei Kindern nach dem Genuß von verdorbener Lederwurst erkrankt. Das eine Kind starb bereits, der 16jährige Sohn liegt im Sterben; die Mutter soll sich außer Gefahr befinde». Die Untersuchung isteingeleitet. Ein netter Hoflieferant. Der wegen Wuchers und Betrugs eine längere Zuchthausstrafe verbüßende Korbmacher und frühere Hoflieferant Wilhelm Zeller aus München hat in einer Anklage, von der er freigesprochen wurde, damit geprahlt, daß er bet Lieferungen für den Hof sich nicht geniert habe, 1000 Prozent Nutzen zu nehmen. Die kontrollierte Reinlichkeit. Hamburg, 27. April. Wie die Hamburg-Amerika-Linie mittnlt, hat die preußische Regierung die bisher für die russische Auswanderung allgemein giltige Vorschrift des Badens und Desinfizierens in den Grrnzkontrollstationen aufgrhoben Eine Eifersuchtstragödie. Essen, 27. April. In der vergangenen Nacht wurden in einem Hause in Essen-West der Kassenbote Vogt und der Buchbinder Silgener erschossen augefunden. Man nimmt an, daß Silgener den Vogl bei einem Streit aus Eifersucht er schossen und sich dann selbst getötet hat. Ei» furchtbarer Lawinensturz hat sich auf der zum Großen Vt. Bernhard hinanziehenden Straße unweit Orstsretz ereignet. Mehrere Bauern und Arbeiter waren damit beschäftigt, die Straße vollends vom Schnee zu befreien, als ein gewaltiges Getöse ertönte. Entsetzt liefen die Leute talauswärts, wurden jedoch schnell von der Lawine erreicht und verschüttet. Alle Bewohner von Liddes uns OrstöreS beteiligten sich nun an dem RettungS- werke. Leider gab es zwei Tote und vier Schwerverletzte, dieüvriaenVerschüttel-ii kamenmitleichtenVerletzungen davon. Eiseubahnunfall auf der Ringbahn. Ber- lin, 26. April. Auf der Südringstrecke zwischen den An schluß, udeu Bdp und BP entgleisten auS bisher unaufge- klärtcr Ursache vorgestern abend gegen 9 Uhr von dem aut der Fahrt nach Tempelhof, Rangierbahuhof, nach Wilmersdorf befindlichen Durchgangsgüterzuge Nr. 8937 die Zugmaschiene und acht folgende Wagen, wodurch beide Gütergleise und das nächste Bollring-Personengleis gefpeert wurden. Personen sind nicht verletzt. Der Ver- kehr der Güler- und Vollring-Personenzüge konnte ein gleisig aufrecht erhalten werden. Gerettete Grubenarbeiter. Duisburg, 26. April. Gestern abend 9 Uhr ging auf der zweiten Sohle des Schachtes m der Gewerkschaft „Deutscher Kaiser" eine Strecke zu Bruch, hinter der sich 1 Steiger, 20 Mann und 2 Pferde befanden. Die Aufräumungsarbeiten wurden sofort in Angriff genommen und es gelang heute morgen eine Oeffnung zu schaffen, durch die eine Ver ständigung mit den Eingeschlossene» ermöglicht wurde und ihnen Lebensmittel gereicht werden konnten. Die Ginge- schloffenen erklärten, daß niemand verletzt sei. Man hofft, sie bis heute Mittag bergen zu können. — Die gestern Abend im Schacht m der Gewerkschaft „Deutscher Kaiser» durch das Zubrnchegehen einer Strecke abgeschnittrnen Bergleute find heute morgen um 7 Uhr unverletzt zu Tage gefördert worden. Der Nil streikt. Aus Ägypter: verlautet, daß die Nilüberschwemmung dieses Jahr sehr gering zu werden droht, was mit einem schlechten Ausfall der ägyptischen Ernte gleichbedeutend wäre. Die Behörden haben bereits Vorbereitungen getroffen, um durch das Assuan-Stauwerk das Wasser für die nötige Uebcrschweumunq zu sichern. Markt-Verieht. Dresden, 29. April. Produktenpretse in Dresden. Preise in Mark. Weiler: Rauh. Stimmung: Fest. Weizen, pro 1000 Kg. netto: weißer 204- 209, brauner, neuer <75-78 Kg.) 202—208 do. (72—74 Kg.) 197—201, mss. rot, 199 bis 209, russ., weiß, 204—209, amerik. Kansas und argentin. 203-208. Rogge», pro 1000 Kg. netto: sachlicher (69—72Kg3 187—193, Preuß. 190—194, russischer 194—197. Gerste, pro 1000 Kg. netto: säcks. 170 bis 182, schles. 174-191, Posener 174—184, böhm. 189—205, mähr. 189—205. Futtergerste 157—162. Haser, pro 1000 Kg. netto: sächs., neuer 190-200, schles. u. Pos. 190—200. Mais, pro 1000 Kg. netto: Cinquantine160—168, Laplata, gelb. 150—155, amerikanischer mixed. 148—153. Erbsen, pro 1000 Kg. netto: Futterware 185—195. Wicken, pro 1000 Kg. netto: sächsische 168 -178. Buchweizen, pro 1000 Kg. netto: inl. u. fremd. 210—220. Leinsaat, pro 1000 Kg. netto: seine 250—260, mittlere 246—250, Laplata 225—2 30, Bombay 245—250. Rüböl, pro 100 Kg. netto: mit Faß raffin. 76. Rapskuchen, pro 100 Kg. (Dresdn. Marken), lange 14,50 runde —. Leinkuchen,pro 100 Kg. (Dresdn. Marken), I. 17,00, II. 16,00. Weizenmehl, pro lOO Kg. netto ohne Sack (Dresdner Marken), exkl. der st ä dtischen Abgabe: Kaiserauszug 32,50—33,00 Grieslerauszug 31,00—31,50 Semmelmehl 30,00—30,50 Bäckeimundmehl 28,50—29,00 Gries lermundmehl 23,50—24,00, Pohi- mehl 21,00—22,00. Roggenmehl, pro 100 Kg. netto ohne Sack (Dresdner Marken), exklusive der städ ischen Abgabe: Nr. 029,00—29,50, Nr. jO/1 28,00-28,50, Nr. 1 27,00—27,50, Nr. 2 24,50-25,50, Sir. 3 22,00 -22,50, Futtermehl 14,60 bis 14,80. Weizenkleie pro 100 Kg. netto ohne Sack, (Dresdner Marlen) grobe 11,40—11,60, feine 11,40—11,60. Roggenkleie, pro 100 Kg., netto ohne Sack (Dresdner Marken): 12,80-13,20. (Feinste Ware über Notiz.» Die für Artikel pro 100 Kg. notierten Preise verstehen sich für Geschäfte unter 5000 Kg. Alle anderen Notierungen, einschließlich der Notiz für Malz, gelten für Geschäfte von mindestens 10000 Kg. — Auf dem Markte: Kartoffeln, (50 Kg.) 3,20-3,50 Mk., Heu im G-bund (50 Kg.) 2,70—3,00 Mk Roggen stroh,Flegcldrusch (Schock) 30 —33 Mk. . Eingesandt. Staatspreis. Auf der Kochkunst-AuLsiellung' in Magdeburg wurde der Maqgi-Gesellschaft, Berlin, die Staatsmedaille vo.i Anhalt zuerkanm. - 3S - große Bild aufgestellt, das Palmer augenblicklich beschäftigte: „Die verfolgten Christen." Ein Heller Sonnenstrahl traf den Maler, der in voller Arbeit begriffen war; er achtete nicht des Sonnenscheins, der auf seinen Scheitel brannte — das Gemälde selbst war im Schatten — das genügte. Die Stirn gefaltet, den Blick scharf und gespannt von unten her auf sein Werk gerichtet, war Palmer so vollständig hin gegeben an seine Arbeit, daß jeder Nerv und jeder Muskel an ihm von Mitleidschast erfüllt zu sein schien. In der Gebärde, mit welcher er sich jetzt, den Pinsel sinken lassend, zurückbog und die buschigen Augenbraunen zusammenzog, lag scharfe, unnachsichtliche Prüfung einer soeben vollendeten Partie: an einen älteren Mann mit verhärmten Zügen und der ganzen Ver zückung des Märtyrers im Blick schmiegte sich ein junges Mädchen, den Worten des Beters, der den Mittelpunkt der ganzen Gruppe bildete und mit erhobenen Händen eine rührende Fürbitte zu dem roh geschnitzten Bilde des gekreuzigten Heilands emporzusenden schien, mit hingehender Andacht horchend. Unendlich lieblich war die lauschende Stellung des holden Geschöpfs, der Ausdruck selbstver gessener Schwärmerei in den feinen, blassen Zügen. Aus dem ein tönigen Grau ihres groben Gewandes, von dem schwärzlich-feuchten Hintergründe der riesigen Quadersteine hob sich ihr schöner, blonder Kopf mit leuchtender Helle hervor; er schien ein verklärendes Licht in die düstere Umgebung zu bringen. Die rote Glut der in einer Spalte des Gewölbes steckenden Fackel bestrahlte die sanfte Biegung des weißen Halses und die schönen, schwärmerisch aufgeschlagenen Augen, die so dunkel umsäumt waren, daß sie zu dem lichtblonden Haar den stärksten Gegensatz bildeten. „Es könnte sein! Aber hier — und hier —" Wieder kam der Pinsel in eifrige Tätigkeit, dann drückte der Maler beide Hände fest an die Schläfen, als wollte er seinem Blick streng die Bahn vorzeichnen, die er einzuschlagen habe. „In der Nähe effektvoll, aber nun in gehöriger Entfernung?" Er kletterte gewandt von dem Gerüst herunter und postierte sich in entsprechender Entfernung — ein zufriedenes Lächeln erhellte seine Züge. „Im ganzen gut getroffen — wenn nur —" Mit zwei Sätzen war er wieder oben, und willig leistete die Hand dem Blick Folge. Da ging die Tür des Ateliers; an der Art des Oeffnens und Schließens erkannte Gerhard seine Mutter, die ihn zuweilen bei der Arbeit aufsuchte — sein Atelier befand sich im Hintergebäude des selben Hauses, das seine Privatwohnung enthielt, nur durch einen Hof und eine Treppe von derselben geschieden. - 39 - „Sei nicht böse, lieber Junge; aber drüben in unserem Vor zimmer ist jemand, der dich sprechen möchte." „Schön! Ich bin hier ohnedies mit der heutigen Aufgabe fertig und würde jetzt nicht weiter gemalt haben. Ist es ein Bekannter?" Ach nein — Gott bewahre!" „Vielleicht eine Dame? Ein Modell?" „Auch nicht, so etwas würde sich doch auch nie in unsere Wohnung verirren; es steht ja angeschrieben, wo der Weg zu deinein Atelier führt. Aber der Mann —" „Ein Mann aus dem Volke also?" „Der Tracht nach könnte er es sein; denn er ist angezogen wie die anständigen Bauern bei uns in Ostpreußen — ganz heimat lich wurde nur, als ich ihn sah. Hört man ihn aber reden, dann muß man ihn für recht gebildet halten; er sagt, er ist in Masuren zu Hause und will etwas bei dir bestellen. Er hat gedacht, du würdest um diese Zeit nicht mehr arbeiten, daher kam er ins Vorderhaus." „Sei so gut, ihn herzuschicken." „Gleich, Gerhardchen. Ich will nur noch ein Weilchen dein Bild — ach Gott nein, nein." „Was ist dir, liebe Mutter?" „Das ist früher nicht dagewesen, nein, nein, ich hätte es ja sehen müssen. Was für ein reizendes Gesicht, Kind, sage, wo hast du das Modell her? Das ist ja gefährlich! Wie jammerschade, daß solch ein schönes Ge'chöpf sich auch zum malen hergibt. Und sieht aus, wie die liebe Unschuld selbst. Ei du meine Zeit, Junge, das hast du gewiß deiner alten Blutter zuliebe getan, weil ich neu lich sagte, es sei kein einziges hübsches Gesicht auf dem ganzen Bilde. Und nun kommt er und setzt dies entzückende Geschöpf da hin. O Gott, o Gott, was bist du für ein guter Sohn. Ich verdiene das gar nicht; denn, hab' ich das Bild nicht getadelt in meiner Einfalt und Dummheit?" Gerhard lachte, daß es lustig widerhallte in dem hohen, weiten Raume. „Mich freut's, Mütterchen, daß es dir gefällt. Aber eins laß dir sagen: wegen des Mädchens kannst du ruhig sein, es ist kein bezahltes Modell, sondern ein — wie sag' ich gleich ? — ein Phantasie kopf - das heißt — kurz ,Dichtung und Wahrheit/ wie der große Goethe sagte. Und nun spediere mir den Mann aus dem Volk her." Die alte Frau ging langsam rückwärts aus der Tür, den Blick unverwandt auf das blonde Mädchen geheftet. Eine kleine Weile darauf pochte es leise an. Gerhard verließ das Gerüst. „Herein!"