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Deutscher Abendbericht vom 31. Oktober. In Flandern und am Chemin des Äames wechselnde Artillerietätigkeit. Im Osten nichts Besonderes. In Italien erfolgreiche Kämpfe in der Niederung des unteren Tagliamento. Die Gefangenenzahl hat sich auf über 120000, die Ne'chützbeute auf über 1000 erhöht. Mittagsbericht vom 1. November. Berlin, 1. November 1017. (tu. Amtlich.) Seine Majestät der Kaiser hat für den I. November für Preußen und Elsaß-Lothringen Flaggen und Viktoria-Schießen be fohlen. Bei der Verfolgung in der friaulischen Ebene haben gestern hart östlich des unteren Tagliamento 60000 Ita liener mit mehreren 100 Geschützen die Waffen gestreckt. Der bisherige Gewinn der 12. Jsonzo-Schlacht ist damit auf über 180000 Gefangene und mehr als 1500 Geschütze gestiegen. Die italienische 2. und 3. Armee haben eine schwere Niederlage erlitten. Der Erste Generalquartiermeister Ludendorff. Großes Hauptquartier, I. November. (Wtb. Amtlich ) Eingegangen nachmittags 3 Uhr. Im Westen, Osten und in Mazedonien keine größeren Kampfhandlungen. Italienische Front: Unseren schnellen Schlägen im Osten, dem unvergleich lichen Ausharren unserer Truppen an allen Fronten, ins besondere im Westen, ist es zu danken, daß die Operationen gegen Italien begonnen und so erfolgreich weitergeführt werden konnten. Gestern haben die verbündeten Truppen der 14. Armee dort einen neuen großen Sieg erfochten. Teile des feindlichen Heeres haben sich am Taglia mento gestellt. Im Gebirge und in der friaulischen Ebene bis zur Bahn Udine—Codroipo—Treviso ging der Feind fechtend auf das Westufer des Flusses zurück. Brückenkopfstellungen auf dem Ostufer hält er bei Pinzano, Dignano und Codroipo. In einer von dort über Bertiolo—La Variano auf Udine vorspringenden Nachhutstellung leistete er heftigen Widerstand, um den Rückzug seiner 3. Armee auf das westliche Ufer des Tagliamento zu decken. Von Siegeswillen getrieben, von umsichtiger Führung in entscheidender Richtung angesetzt, errangen hier die deutschen und österreichisch-ungarischen Korps Erfolge, wie sie auch in diesem Kriege selten sind. Die Brückenkopfstellungen von Vignano und Codroipo wurden von preußischen Jägern, bayrischer und württem- bergischer Infanterie im Sturm genommen. Auf allen Kriegsschauplätzen bewährte brandenburgische und schlesische Divisionen durchbrachen von Norden her in unwiderstehlichem Anlauf die Nachhulenstellungen der Italiener östlich des unteren Tagliamento und schlugen den Feind zurück, während erprobte österreichisch-ungarische Korps vom Jsonzo her gegen die letzte, dem Feinde ver bliebene Rebergangsstelle bei Latisana vorwärts drängten. Durch den Stoß von Norden abgeschnitten, streckten, beiderseits umfaßt, mehr als 60000 Italiener dort die Waffen. Mehrere 100 Geschütze fielen in die Hände der Sieger. Die Zahl der Gefangenen aus der in der Woche so erfolgreich durchgeführten 12. Jsonzo-Schlacht beläuft sich damit auf über 18V 000 Mann, die Summe der genommenen Geschütze auf mehr als 1500. Der Erste Generalquartiermeister Ludendorff. tarische Beratung ergab eine Übereinstimmung der Reichstagsmehrheit mit den Wünschen des Grafe« Hertling. Nur ein Punkt blieb unerledigt. Es wird angenommen, daß sich auch über diesen Punkt eine Verständigung wird erzielen lassen, so daß die Er nennung des Grafen Hertling zum Reichskanzler und preussischen Ministerpräsidenten für morgen, vielleicht aber schon für die nächsten Stunden erwartet wird. Auf der Verfolgung der Italiener. 2» der veuezianischen Ebene. Der mit unvergleichlicher Wucht geführte Stoß der Verbündeten aus dem Raume Flitsch—Tolmein zeigt nun auch seine Wirkung en^auf die Kärntner Front. Während am linken Flügel der Armee in Kärnten des General obersten Frhr. von Krobatin der südwestlich von Raibl am Gebiet de» Tagliamento. Ende deS WippachtaleS gelegene Neyca-Sattel, sowie der Somdogna-Sattel nordwestlich des Seisera-Tales, welch letzterer wiederholt der Schauplatz blutiger Kämpfe in den verstossenen Jahren gewesen war, in unsere Hände fielen, wurde der so heiß umftrittene Große Pal östlich der Plöcken-Straße und südlich von Mauthen im Gailtal von unseren Truppen in Besitz genommen. Damit ist der Oberlauf des Tagliamento, der in nordsüdlicher Richtung durch die venezianische Ebene fließt, gewonnen. Die kämpfenden Truppen stehen vor dem befestigten Lager von Gemona, dessen Südflanke durch die gegen den Mittel und Unterlauf vorstürmenden deutschen Truppen der Armee Below bereits gefährdet ist. Auf der ganzen ehemaligen Jsonzofront wälzen sich die geschlagenen italienischen Truppen gegen den durch Gewitterregen angeschwolle nen Tagliamento zurück, auf den die italienischen, wie die französischen Blätter noch ihre ganze Hoffnung setzen. Zwar sollte schon bei Cividale eine stark« Aus nahmestellung angelegt sein, aber offenbar haben die An greifer hier den Feind überrannt. In Rom wird halb amtlich erklärt, man hoffe, daß die Heeresleitung durch einen wohlgeordneten Rückzug die Armeen vom mittleren 1 und unteren Jsonzo retten könne. Das Gebiet des Taglia mento ist zum großen Teile Sumpfland und bietet dem Verteidiger, der den Feind auf den Fersen hat, mancherlei Schwierigkeiten. Der Tagliamento kommt aus den Kor nischen Alpen, wo seine Quellen in dem Gebiet südöstlich des Plöckenpasses liegen. Auf weite Strecken zieht sich der in viele Arme auseinandergehende Flußlauf bis zu 3 Kilo meter in die Breite. Der Übergang über Len Fluß ist schwierig und nur an wenigen Stellen vorgesehen. Bei Codroipa wird die von Udine kommende Bahnlinie auf einer 800 Meter langen Gitterbrücke über das bedeutend erhöhte Flußbett geführt. Der Tagliamento ist 165 Kilo meter lang. Er mündet bei der Stadt gleichen NamenS in das Adriatische Meer. Italienische Erklärungsversuche. Obwohl die italienischen Zeitungen, wohl unter dem Druck der Zensur sich den Anschein geben, als sei der Ein bruch in die Jsonzofront zwar schmerzlich, aber durchaus ungefährlich, sucht man halbamtlich doch Gründe für dm Zusammenbruch anzugeben, um für alle Fälle, die Be völkerung vorzubereiten. Die .Agenzia Stefani* ver öffentlicht eine Meldung, in der es heißt: .Unglücklich« Umstände haben den deutschen Erfolg begünstigt.* Ver- s ebene Blätter behaupten, die englischen und französischen Batterien seien vor ungefähr 14 Tagen zurückgezogen (I) worden. Die „Gazetta Ticinese" spricht bei der Gelegen-^ heit die Hoffnung aus. Italien möge nach siegreichem Kriege Republik werden und gibt damit einen interessanten Ein blick in die Stimmung in Oberitalien. England erkennt die „italienische Gefahr". Während sich die französischen Blätter bemühen, dieöffenk« licheMeinung über den Erfolg der österreichisch-ungarischenund deutschen Truppen zu beruhigen und auseinandersetzen, daß Italien nun standhalten müsse, bis die englisch-französische Hilfe komme, sind die englischen Blätter viel offenherziger. Die „TimeS" schreiben: „Der Feind behauptet, daß die ganze italienische Front am Jsonzo zusammengestürzt sei. Wir fürchten, daß diese Behauptung größtenteils richtig ist. Wenn eine ganze Front zusammenstürzt, ist es sehr schwierig, sie gegenüber der scharfen Verfolgung wieder aufzurichten. Falls Cadorna 700 Geschütze verloren habe, bedarf er in erster Linie der Artillerie. Eine andere sehr ernste Tatsache ist, daß die Linie in den kärntischen Alpen bis zum Plöckenpaß schwankt. Die ganze Bergfront in Kärnten und Cadore ist zweifelsohne in Gefahr. Die Alliierten befinden sich einer gefährlichen Lage gegenüber, von Ler wir vielleicht erst Len Anfang sehen." Den Italienern soll geholfen werden. Im französischen Ministerrat ist man darüber einig geworden, daß Italien nachdrücklich unterstützt werden müsse. „Matin" erklärt, daß darüber zwischen Paris und London volle Übereinstimmung bestehe. Italien dürfe unter keinen Umständen das Schicksal Rumäniens und Serbiens teilen. Pariser Blätter erklären dazu, daß Cadorna und der französische General Foch im Sommer bereits Abmachungen für den Fall eines Vordringens der Italiener nach Krain usw. getroffen hatten. Englische und französische Truppen sollten dann das italienische Hinter land Lecken. Diese Truppen, so meint der „TempS", müssen jetzt schnell an den Tagliamento geworfen werden. Der Fluß müsse vor Ankunft der Österreicher, Ungarn und Deutschen erreicht werden, um die Moral der italienischen Truppen zu heben. Lyoner Blätter meinen, daß die Regi menter, deren Zahl nicht angegeben sei, innerhalb acht Tagen an Ort und Stelle sein werden. Solange würde auch die Grenzsperre dauern. — Ob man mit solchen An kündigungen nicht nur die Öffentlichkeit beruhigen will? Die technischen und militärischen Schwierigkeiten einer solchen Hilfsaktion sind denn doch ziemlich groß. Im Ernst scheint man eher auf eine EntlastungSoffensive an der West front zu hoffen. politische Runälchau. Italien. X DaS neue Ministerium Orlando hat die Bestätigung LeS Königs erhalten. Orlando, der bisher Minister deS Innern war, behält dieses Ressort und übernimmt den Vorsitz. Schatzsekretär wird sein Freund, der gleich ihm Giolittaner ist, Nitti. Wie oorauSzusehen war, bleibt Sonnino Minister des Äußeren. Die Blätter erklären, das Ministerium habe vor allem die Aufgabe, die innere Einigkeit zu erhalten und die nationale Verteidigung weiter zu führen. Neueste Meldungen. Ein ganzes Arsenal versenkt. Rotterdam, 30. Oktober. In der zweiten Oktober woche versenkte ein deutsches Unterseeboot im englischen Kanal einen aus Amerika kommenden bewaffneten englischen Dampfer mit folgender Ladung: 135 75-Millimeter-Feld- geschütze, 30 12-Millimeter-Haubitzen, 5V 000 Feldgranaten, 22000 12-Zentimeter-Granaten, 150000 Handgranaten, 20000 Gewehre, 6 Panzerautomobile, 11 Lastkraftwagen, 1500000 Patronen, 140 Maschinengewehre. Reformationöfcier tm ganzen Reiche. ' Berlin, 31. Okt. Aus allen Teilen des Reiches wiro ge meldet, daß der Tag der Wiederkehr der Reformation sestfich begangen und das Andenken Martin Luthers geehrt wurde. Dem Gottesdienst im Berliner Dom wohnte das Katser- vaar bei. Die Hochburg der Jrredenta. Wien, 31. Okt. Die Blätter weisen darauf hin, daß mit Udine die oberitalienische Hauptburg des Jrredentismus ge fallen ist, die Stadt, in der gleichsam als Symbol für den Haß gegen Österreich-Ungarn das Museum zur Erinnerung an den Verschwörer Oberdank gestiftet wurde. England« neue Schiff-bauteu. ' Kopenhagen, 31. Okt. Im englischen UnterhaUse teilte der CchiffahrtSminister mit, daß am 25. Oktober fünf Standard- schiffe von je 5200 Tonnen fertig geworden seien. Reue Friedenskundgebung in Petersburg. Budapest, 31. Okt. Russischen Blättermeldungen zufolge kam es in Petersburg wieder ,u einer groben Friedenskund gebung. Die Regierung bat die notwendigen Maßnahmen getroffen, um eine möglicherweise ausbrechende Bolschewikt- Revolutton im Keime zu ersticken. Man ist überzeugt, daß unter dem Eindruck der italienischen Niederlagen tm Vor parlament neue energische Frtedensvorschläge gemacht werden werben. Letzte Drahtberichte des „Wilsdruffer Tageblattes". 17 000 Brutto-Registertonnen versenkt. Berlin, 31. Oktober, (tu. Amtlich) Rene U-Bootsersolge im Aermelkanal: 17 üvo Brutto- Registertonnen. Unter den versenkten Schiffen befanden sich zwei große Passagierdampser, von denen einer bewaffnet «ar und «ach der während des Sinkens erfolgenden Detonation zn urteilen Mnnitions- ladnng führte. Der Chef des Admiralstabes der Marine. Die neuen Männer in den höchsten Reichs stellen. Berlin, 1. November, (tu). Der „Vorwärts" veröffentlicht folgende Liste der neuen Reichs- regiernng: Reichskanzler «vd gleichzeitig preu- ßischer Ministerpräsident Gras Hertling (Zentrum), Stellvertreter des Reichskanzlers von Payer (Volkspartei), Stellvertreter des Ministerpräsi denten Friedberg (Nationalliberal), ferner ein fortschrittlicher Abgeordneter (Dovel) als Staats sekretär des Reichsernährungsamtes (noch un bestimmt). Dr. Helfferich hat sein Entlassungs- gesnch bereits eingereicht. Don Herrn von Wal dow erwartet man dasselbe. Eine Friedensresolution in der römischen Kammer. Zürich, 1. November (t«) Die Gruppe der 142 Abgeordneten in der römischen Kammer hat in der Kammer einen Antrag eingebracht, der für eine gebührende Beantwortung der Papst note nnd für die Bereitwilligkeit, über einen Frieden zu »erhandeln, eintritt nnd eine« Beschluß der Kammer hierüber verlangt. Der Frauenarzt auf der Anklagebank. DaS Urteil tm Prozeß Henkel. Der Disziplinarprozeß gegen den Direktor der Jenaer Frauenklinik und Professor für Gynäkologie an der Jenaer Universität Dr. Mar Henkel ist vorläufig beendet: der Be schuldigte wurde zur Strafversetzung und zu den Koste« des Verfahrens verurteilt. Der Professor hat gegen dieses milde Urteil — der Staatsanwalt hatte Amtsentsetzung bean tragt — Berufung eingelegt. Ob er mit ihr bei der höheren- Instanz, als welche das Oberverwaltungsgericht für die Thüringischen Staaten in Betracht kommt, Erfolg haben wird, steht dahin. Im öffentlichen Urteil hat er ihn schwerlich zu ermatten. ES find nicht die Fähigkeiten des Chirurgen Henkel, die den Gegenstand der Verhandlungen bilden, sondern eS ist sein menschliche» Verhalten als Arzt. Über die ersteren kann der Laie sich auf Grund eines Prozeßberichtes keine Meinung bilden, sicher aber ist, daß da» letztere in hohem Grade bedenklich, um nicht zu sagen unwürdig war. Professor Henkel ist mit den ihm anvertrauten Menschenleben leichtsinnig umgegangen und hat sich bei Operationen an Frauen, die einer schweren Stunde entacgensahen, nicht immer von wissenschaftlichen oder rein menschlichen, sondern oft auch von gesellschaftlichen Rück sichten letten lassen, so daß etwa die Frau eines Geheimrat» in solchem Falle anders behandelt wurde als eine arme Näherin. Und wa» soll man gar erst dazu sagen, daß Pro fessor Henkel daS Operieren sozusagen zu einer öffentlichen Aufführung machte und zur Befriedigung der Schaulust eines hochgestellten Herrn eine ihm preisgegebene Frau vorzeitig operierte — nebenbei bemerkt: mit tödlichem AuSgang —, nur um sich wie irgendein Theaterbeld in seinem Glanze zeigen zu können! Noch zu anderen ernsten Betrachtungen konnte dieser denk würdige Prozeß gerechten Anlaß bieten. Man erfährt da z. B. allerlei Nettes über die eigentliche Bedeutung von Säuglingsheimen, die sich der gesunLe oder offenbar nicht gesunde Menschenverstand bisher immer als Stätten zum Schutze und zur Lrhaliung des Lebens der Säuglinge vor gestellt bat. Nun erklärte aber in Weimar einer der Herren Professoren, die in dem Prozeß Henkel als Sachverständige ver nommen wurden —alio es doch wohl sein müssen—, daß die Säuglingsheime nur zwecks Ausbildung von Pflegerinnen d»! wären, daß es nicht darauf ankomme, ob die Säuglinge „inr Dreck" lägen, und daß alle Säuglingsheime in Deutschland zusammengenommen noch nicht hundert Säuglingen das Leben gerettet hätten. Wie sagt doch nur Mephistopheles im .Faust" ? „Der Geist der Medizin ist leicht zu fassen: Ihr durchstudiert die groß' und kleine Welt, Um eS am Ende gehn zu lassen, Wie's Gott gefällt."