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— Der Gesamtbetrag der Stiftungen u«V schenke im Königreich Sachsen, soweit ste überhaupt be kannt geworden sind, bezifferte sich im zweiten Vierteljahr 1907 für die Kirche auf 33200 Mark, für christliche Liebeswerke (Innere Misston und Gustav Adolf-Verein) auf 62012 Mark, für die Schule auf 78900 Mark und für das allgemeine Volkswohl auf 2374710 Mark, sowie für sonstige Zwecke auf 864582 Mark, zusammen also auf 3413404 Mark. — Sehr honigarm dürfte das Jahr 1907 werden. Die seit langem vorherrschende regnerische und windige Witterung behinderte den Ausflug der Bienen bisher schon sehr, und jetzt zur Lindenblüte, der Haupteintragsperiode, ist infolge des stürmischen Wetters die Ernte der fleißigen Immen gleich Null. Wenn also nicht andere vom Wetter mehr begünstigte Gegenden einen Ausgleich herbeiführen, dürfte der Honig Heuer sehr teuer werden. Im Wils- druffer Bezirke find einzelne Völker verhungert. — Erfindungskaufgesuche. Dbs Patentbureau O. Krueger LCo. in Dresden schreibt uns: Die häufigen Anfragen, wie man sich solchen Anfragen gegenüber Ver halten solle, veranlassen un» zu einer allgemeinen Aus- spräche. ES ist nämlich, wenn das Angebot von Er- findungen unter Chiffre verlangt wird, die größte Vorsicht zu raten, denn man weiß ja nicht, in wessen Hände die Versendung gelangt. Mindestens sollte man die Unter lagen für eine Erfindung niemals früher herauSgeben, als bis man sich die gesetzlichen Schutzrechte gesichert hat. Selbst bei solchen Gesuchen, welche mit Namen unterzeichnet find, soll man sich vorher genau erkundigen, was es für eine Firma ist. Wir find speziellen Fällen gegenüber immer gern zu Rat und Auskunft (kostenlos) bereit. — Eine originelle Geburtsanzeige befindet sich in der Sonntagsnummer des „Dresdner Anz.". Sie lautet: Telegramm. Zu unseren 7 herzigen Jungen hat sich heute morgen wieder in aller Herrgottsfrüh, zwar nicht das erhoffte Mägdelein, dafür aber wohl als voll gültiger Ersatz ein prächtiges Zwillingsbrüderpaar glücklich eingestellt! Wir glauben aus diesem elementaren Ereignis schließen zu dürfen, daß die heutige eiserne Zeit immer noch Männer bedarf als liebliche Blüten aus dem zarten Geschlechte und wissen uns bet diesem Gedanken in Hinblick aus das Vaterland reichlich zu trösten in dem Rufe: „Hurra, Hurra, nun sind es neun" — „Fest steht und treu die Wacht am Rhein!" Allen lieben Freunden und Bekannten und wen es sonst interessiert hiermit diese fröhliche, aber letzte solche Nachricht. Eduard Rost und Frau. Dresden-Striese«, Ermelstraße 2, am 18. Juli 1907. — Geographie schwach! Wir lesen in aus wärtigen Blättern folgende Notiz: „Am Fuße des Oster- berges bei Wilsdruff ist der 15jährige Glasarbeiter Ludwig in der Weißeritz ertrunken; es ist auch möglich, daß der junge Mensch Selbstmord begangen hat." Wir überlassen die Weißeritz, die mindestens 10 Kilometer von uns entfernt fließt, gern dem Plauenschen Grunde! — Für die nächsten Freitag, nachmittags 6 Uhr stattfindende öffentliche Stadtgemeinderatssitzung ist folgende Tagesordnung aufgestellt worden: 1. Ge schäftliche Mitteilungen. 2. Erhöhung des Zinsfußes für Einlagen bei der Sparkaffe. 3. Gesuch des ländlichen Spar- und Vorschußvereins zu Röhrsdorf wegen Instand setzung der BiSmarckstraße. 4. Baugesuch der Frau Marie verw. Krippenstapel. 5. Baugesuch der Firma Eger L Koch. 6. Baugesuch der Firma Theodor Müller. — Vom Schützenfest. Die trockene Witterung, die von Anfang an das Fest begünstigte, hielt während der Dauer des ganzen Festes an. DaS blieb naturgemäß nicht ohne Einfluß auf den Besuch des Festes. Die Fieranten, dieinfolge auswärtiger Veranstaltungen größeren Stils übrigens nicht besonders zahlreich erschienen waren, erzielten durchgängig befriedigende Umsätze. Am Montag vormittag erfolgte zunächst das Einholen der Fahne durch die Fahnenkompagnie, die mit schützenbrüderltcher Pünkt lichkeit zum Rapport im Hotel Adler eintraf. In der Hitze des Gefechts hatten vorher der Wachkommandant und der Tambourmajor ihre Chargen gewechselt; beide verrieten dabei ein ungewohntes Anpassungsvermögen und erregten mit dem gelungenen Witz allgemeine Heiterkeit. Der Rapport trug auch diesmal den feucht-fröhlichen Charakter, der diesen Teil des Festes von jeher auSzeichnete. Manche Dienstverfehlung und mancher guter Witz wurden hierbei empfindlich bestraft — ganz unbeschadet darum, ob in einzelnen Fälle die Zeugenaussage stichhaltig waren oder nicht. Meistens waren sie'S sicher nicht! Die Bewirtung durch Herrn Hotelier Gtetzelt entsprach dem alten, guten Rufe deS Hauses. In vorgerückter Stunde und Stimmung erfolgte der Ausmarsch nach der Schützenwiese, wo sich bald ein fröhliches Treiben entwickelte wie am Sonntag. Vom Schiebstand herüber erschollen in rascher Folge Böllerschüsse, die verrieten, daß auf der Königsscheibe mancher gute Treffer getan worden war. Als Schützen könig wurde am späten Abend Herr Restaurateur Johann Kny proklamiert. Unter Buntfeuer und Aufleuchten von Raketen erfolgte der feierliche Einzug. In dichtgedrängten Reihen begrüßten vielen Hunderte daS neugebackene Königs paar und seine zahlreiche Begleitung. Bis in die Nacht hinein herrschte in der Stadt munteres Leben und Treiben. Gestern erfolgte in der Parkschänke die Auszahlung der Schießgewinne. Morgen abend findet im Schützenhaus das übliche Königsabendbrot statt. Damit erreicht die Reihe der Festlichkeit ihr Ende. — Der Bezirksobstbauverein Tharandt — Sektion Wilsdruff — veranstaltete gestern im Hotel Adler wiederum ein ObstverwertungSkursus. An ihm nahmen 20 Damen aus Stadt und Land teil. Den unterricht gab in der ihm eigenen anschaulichen, überaus instruktiven Form Herr Gartenbauinspektor Braun bart-Großenhain. In seinem einführenden Vor trag verbreitete er sich über die Ernte der Kern- und Beeren- flüchte, über ihre Behandlung beim Einsieden, über die Beschaffenheit der Konservierungsgläser u. s.Lw. Als- dann begann der praktische Unterricht, wozu die teil nehmenden Damen Beerenfrüchte aller Art mitgebracht hatte«. ES wäre recht wünschenswert gewesen, daß an dem Kursus weit mehr Damen teilgenommen hätten. Sicher aber ist anzunehmen, daß die Zweckmäßigkeit derartiger Kurse in immer weitere Kreise dringt, und daß dadurch die künftige» Kurse einen besseren Besuch auf zuweise» haben. Vor allem werden die Damen, die die zwei ersten Kurse besuchten, sicher gern bereit sein, für eine weitere Empfehlung derselben Sorge zu trage» Der Sektion und vor allem ihrem Leiter, Herrn Ober lehrer Thomas gebührt für die Veranstaltung solcher Kurse allgemeine Anerkennung. — W-tt-rausficht für morgen: Nach Aufklärung des Wetters trocken und meist heiter, schwache Luft bewegung, wärmer. — Keffelsdorf, 24. Juli. In der letzten hiesigen Gemeinderatssttzung wurde Herr Kaufmann P. Heinzmann einstimmig zum Gemeindeältesten gewählt. Man darf die Gemeinde zu dieser Wahl von Herzen beglück wünschen. Herr Heinzmann genießt die besondere Wert schätzung aller Gemeindeglieder. Von der Umsicht und Tatkraft, durch die er sein Unternehmen einer überaus erfreulichen Entwicklung entgegenführte, wird die Gemeinde manchen Gewinn haben, zumal Herr Heinzmann im Diexste der Allgemeinheit schon auf den verschiedensten Gebieten eine ersprießliche Tätigkeit entfaltet hat. — Keffelsdorf, 22. Juli. Das evang.-luther. Landeskonsistorium hat den canä rkeol. Leucht, bisher Lehramtskandidat in Schandau, zunächst zum unordinierten Htlfsprediger in Keffelsdorf bestimmt. Seine Vorstellung wird kommenden Sonntag vor der Gemeinde durch Herrn Pfarrer rkeol. Leßmüller stattfinden. — Eine zweite Weidegenoffenschaft wird in unserer Nähe, in Mohorn errichtet werden. Unter Mit wirkung deS landwirtschaftlichen Kreisvereins bez dessen Vorsitzenden, Herrn Geh. Oekonomterat Andrä, ist von Interessenten der Ankauf des Erbgerichtsgutes in Mohorn in die Wege geleitet worden. Das Gut umfaßt ca. 130 Acker; die inzwischen gegründete Genossenschaft hat sich daS Vorkaufsrecht für den Kaufpreis von 168000 Mark gesichert. Die Haftsumme der einzelnen Genoffen beträgt dreihundert Mark für jeden erworbenen Geschäftsanteil. Mitglieder deS Vorstandes sind die Herren Professor Dr. Karl Kohlschmidt in Freiberg, Gutsbesitzer Richard Stirl in Mohorn, Gutsbesitzer Moritz Henker in Mohorn und Gutsbesitzer Otto Lommatzsch in Herzogs- Walde. — In Grotzopitz wurde gestern nachmittag durch Blitzschlag die Scheune des Gutsbesitzers Zimmermann eingeäschert. Aus Sachsen. Wilsdruff, 24. Juli 1907. Verhaftet wurde der in der Dresdner Gesellschaft sehr bekannte Steinsetzobermeister und Straßenbaumcister Paul Bruno Mros, ein sehr vermögender Mann. Er ist des Meineids verdächtig und soll auf seinem Jagd revier im Müglitztale Sittlichkeitsvergehen begangen haben. — Aus dem Fenster gestürzt hat sich im Hause Rähnitzgaffe 27 die Packerswitwe Kießling. Ein gering fügiges Vorkommnis erregte sie derart, daß sie sich zu einem Fenster des dritten Stockes hinausstürzte. Sie blieb mit den Füßen an der Dachrinne hängen. Ihre Tochter, die ihr auf dem Fuße gefolgt war, vermochte ste noch an den Beinen zu erfassen. Da ihr aber trotz ihrer Hilferufe keine Unterstützung wurde, versagten ihr die Kräfte und ihre Mutter stürzte in den Hof hinab. Schwerverletzt aber noch lebend wurde sie nach dem Krankenhause ge- bracht, wo ste bald darauf starb. Eine Gewerbe- und Industrie-Ausstellung ist im Amtshofe in Rabenau eröffnet worden, um darzu- tun, was einheimischer Gewerbefleiß und Kunstsinn zu leisten vermögen. Ausgestellt haben 65 Firmen, darunter 52 Rabenauer. Rabenau ist der Sitz einer umfangreichen und bedeutenden Stuhl- und Möbelindustrie. Eine großeBrotbäckerei mit den technisch modernsten BetrtebSetnrichtungen versehen, beabsichtigt der über 12000 Mitglieder zählende Allgemeine Konsumverein für Chemnitz und Umgegend zu errichten. Etwa 100 Bäcker meister liefern jetzt den Bedarf an Backwaren für den Verein. Die nicht unbedeutenden Mittel zum Bau dieser Bäckerei sollen durch Begebung von Bäckerei-Anteilscheineu an die Mitglieder in Höhe von je 25 Mk. beschafft werden, wie eS andere Konsumvereine auch mit Erfolg getan haben. — Die Bäcker können ja wieder „als Gehilfen gehen"! Ein Kuriosum eigener Art dürfte es wohl sein, daß im schönen Städtchen Rotzwein fünf Baumeister existieren, welche ihrem Namen nach unter Außeracht. lassu«g der Orthographie einen ganz originellen Satz bilden und lautet derselbe folgendermaßen: „Heile, Mittag, Kocht, Thomas, Wachs". Einen recht eigenartigen Nistplatz hat sich ein Rotschwänzchenpaar im Hofraum einer Webfabrik in Hainichen ausgesucht. Die Transmission ist mit einer Holzverkleidung umgeben, damit der Treibriemen vor Witterungseinflüssen geschützt ist. Am untern Ende der Holzverkleidung, die hier eine schmale Oeffnung hat, un mittelbar unter dem Treibriemen, befindet sich das Nest. Der während des Betriebes im Gange befindliche Riemen, der fast daS Nest streift, sowie der starke Verkehr im Hofe genieren die Tierchen nicht im geringsten. In Kleinneuschönberg verschwand die 11jährige Tochter eines Maschinenarbeiters. Von dem Kinde fehlt jede Spur. Einen tüchtigen Schreck bekam eine Gutsbesitzerin in Goesdors bei Pirna, als dieser Tage beim Heuein- fahren daS dem Wagen vorgespannte Pferd auf einer Wiese langsam unter die Erde versank. Früher ist unter diesem Wiesengrundstück Bergbau getrieben und später find Holz balken über die Stollen gezogen worden. Diese haben sich infolge der starken Nässe in der letzten Zeit gesenkt und so versank auch das Pferd iu die Tiefe. Nach vielstündiger Arbeit konnte eS ohne ernstliche Verletzungen dem dumpfen Grabe entrissen werden. Vor mehrere« Jahren ist schon an derselben Stelle eine Kuh versunken, ohne daß Rettung möglich war. Erschossen hat sich am Sonntag nachmittag vor den Augen von Passanten in der Breitestraße in Zittau der 37jährige Arbeiter Zeiske aus Korschlitz, Kreis Oels. Der Grund zum Selbstmord dürfte iu ehelichen Zer würfnissen zu suchen sein. Vor wenigen Monaten ging die Nachricht durch die Zeitungen, daß iu der Buchholzer Stadtkasse ei» aus früherer Zeit stammendes größeres Defizit entdeckt worden sei. Jetzt ist es gelungen, dieses Defizit durch mehrere Mehreinahme» und Minderausgaben derart zu tilgen, daß voraussichtlich schon im nächsten Jahre wieder mit einem Uebrrschuß zu rechnen sein wird. Der Mordprozetz Ha«, der sich in diesen Tagen vor dem Schwurgericht in Karls ruhe abspielte, hat in seinem Verlaufe zu sensationellen Vorfällen geführt. Der Angeklagte Rechtsanwalt Dr. Karl Hau, außerordentlicher Professor an der George- Washington-Univesttät in Baltimore, wird beschuldigt, am 6. November v. I. seine Schwiegermutter, die Witwe des großherzogl. Medizinalrats Dr. Molitor auS Karls ruhe in der Lichtenthaler Allee zu Baden-Baden nieder- geschossen zu haben. Die Frau deS Angeklagten hatte auf die iu der Presse verbreitete falsche Nachricht, daß dieser ein Geständnis abgelegt habe, durch Selbstmord geendet. Nach der Anklageschrift soll der Beklagte, der infolge seiner flotten Lebensweise sehr oft in Geldverlegenheit war und welcher erwartete, daß er nach dem Tode seiner Schwiegermutter eine größere Erbschaft antreten könne, diese seine Schwiegermutter ermordet haben. Der Vor sitzende hielt in der ersten Sitzung am verflossenen Mitt woch dem Angeklagten folgendes vor: „Sie klingelten, in Baden-Baden angekommen, bei Frau Molitor an; daS Dienstmädchen ging ans Telephon und sagte, da ist Mister Hau, der telephoniert. Sie sagten durchs Telephon, Frau Molitor möchte einmal auf das Postamt kommen, darauf kam die Antwort, Frau Molitor fühle sich unwohl und wünsche nicht auSzugehen. Sie erwiderten, es sei dringend notwendig zu kommen, Postinspektor Brav habe über ein vorher an Frau Dr. Molitor gesandtes Telegramm eine wichtige Mitteilung zu machen. Ueber diese« Telegramm konnte aber niemand weiter etwas wissen, als der Schreiber und Absender. Frau Molitor ging dann in die Nachbar villa und holte ihre Tochter Olga ab, weil sie allein zu gehen sich fürchtete. Sie ging dann mit ihrer Tochter Olga nach dem Postamt. Die Villa Molitor ist ziemlich hochgelegen. Wenige Schritte von der Villa entfernt, in der Kaiser Wilhelmstraße, wurde axS nächster Nähe eis Schuß auf Frau Molitor abgefeuert, der sie sofort tötete. Der Täter lief dann in die Stadt hinunter, während Olga Molitor in ihrer furchtbaren Bestürzung um Hilfe schrie. Es ist festgestellt, daß Ste 20 Minuten nach diesem Vorfall mit dem Zuge 6 Uhr 15 Min. nach Karlsruhe zurückgefahren sind und zwar jetzt ohne Bart." Hau gab auch selbst zu, daß er von Karlsruhe gekommen nnd einen falschen Bart getragen. Gegen Schluß der Verhandlung, in der sich der Beklagte meistens auSschwieg und jegliche Antwort verweigerte, mochte es sich auch um die für ihn belasteudsteu Punkte handeln — er räumte schweigend alles ein, was einwandfreie Zeugen aussagten, — gab er doch Aufschluß. Er erkälte unter großer anhaltender Bewegung des Publikums, warum er vor dem Morde von England nach Baden gefahren, nämlich um vor der Abreise nach Amerika seine Schwägerin, für die er leiden- schaftliche Empfindungen hatte, noch einmal zu sprechen. Seiner Frau habe er nichts davon sagen dürfen, da ste aus ihre Schwester sehr eifersüchtig war, ebenso durfte er auch von seiner Schwiegermutter nicht gesehen werden. Er habe durch das Telephongespräch seine Schwiegermutter von Hause weglocken wollen, um Olga dann allein zu treffen. Als er beide zusammen ankommen sah, sei er ge flohen, um nicht gesehen zu werden. Während der ganzen Verhandlung konnten keine direkte» Beweise für die Schuld des Angeklagte» Hau gebracht werden und doch wurde Hau wegen Mordes zum Tode und dauerndem Verlust der Ehrenrechte verurteilt. Die Zeugin Olga Molitor, die beim Morde neben ihrer Mutter ging, sagte sogar auf die Frage des Vorsitzenden, wie es sich mit der vom Tatorte fliehenden Gestalt verhalte, aus: „Zwei Gestalten waren es. Hinter mir hörte ich Schritte und dann sah ich die fliehenden Gestalten." Auch sonst traten große Widersprüche während der Verhandlung auf. Der als möglicher Täter in Betracht kommende Diener Wieland, welcher anfangs nicht aufzufinden war, wurde von der Zeugin Molitor als klein und ansehnlich geschildert; bei seiner Zeugenvernehmung repräsentierte er sich als eine große schlanke Gestalt in Haus Größe. Nach einem Be richte aus Karlsruhe waren die Geschworenen fast durch» weg wetterfeste Schwarzwaldbauern, denen man die un geheuere Erregung angesichts ihrer schweren Verantwortung nicht ansah. Das Hauptinteresse konzentrierte sich auf Olga Molitor. Das Publikum folgte in großen Trupps der Dame auf der Straße, sodaß sie häufig nicht wußte, wie ste sich diesen Zudringlichkeiten entziehen sollte. So gar Rufe wie Muttermörderin und weitere Beschimpfungen wurden gehört. Der Angeklagte bewahrte seine kalte Ruhe. Eine wenig beneidenswerte Rolle spielte die Staatsan waltschaft. In den Debatten, die überall geführt werden, äußerten sich bekannte Juristen dahin, daß daS gegen Hau in Anwendung gebrachte Jnquisitionsverfahren nicht zu billigen sei. Eiue Duellforderung, welche der Verteidiger R.-A. Dr. Dietz an den Staatsanwalt Dr. Bleicher gelangen ließ, erregte naturgemäß eben falls das größte Aufsehen. Wie verlautet ist auch eiue Strafanzeige wegen Vergehens gegen 8 1? des Preßge- setzes und eine wegen Beleidigung desselben Zeugen gegen die Staatsanwaltschaft bei der Oberstaatsanwalt schaft durch einen Journalisten erstattet worden. (Durch Vermittelung der Staatsanwaltschaft waren anscheinend auS der Anklageschrift ungünstige Mitteilungen an die