Volltext Seite (XML)
Die Wählerliste ließt noch auf hiesiger Natsregistratur bis zum 29. November zur Einsichtnahme der Beteiligten aus. Im Kircheuvorstand verbleiben die Herren Stadtrat Dinudorf, Stadtrat Kauf, mann Goerne, Bürgermeister Kahlenberger und Stadtgutsbesttzer Uibrig aus Wilsdruff, Herr Ortslichter Ohmann aus Grumbach und Herr Gutsbesitzer Zschoche aus Sochsdors. Die Kirchgemeinde Wilsdruff wird gebeten, sich an dem Wahlakt (1. De zember) zu beteiligen und dadurch ihren kirchlichen Sinn zu betätigen und zu beweisen, daß sie das Amt eiueS Kirchenvorstehers in seiner Bedeutung für das kirchliche Gemeinde« leben zu würdigen weiß. Wilsdruff, den 27. November 1907. ims Der Kirchenvorstand. Wolke, Pfarrer, Vorsitzender. pslMsche Rttn-scha«. Wilsdruff, den 28. November 1907. Des Kaisers Talisman. Folgende seltsame Geschichte setzt ein englisches Blatt seinen Lesern vor: „Es wird interessieren, zu erfahren, daß der Kaiser den berühmten Talisman der Hohevzollern mit noch England gebracht hat, mit dem Jahrhunderte lang der Glaube an die übernatürliche Macht verbunden gewesen ist, die seinen Träger vor Not und Gefahr jeder Art beschütze. Dieser kaiserliche Talisman, ein massiver Goldring mit einem viereckigen dunkelfarbigen Stein, den der Kaiser immer am Mittelfinger seiner linken Hand tragen soll, hat eine hochromantische Geschichte. Sein Ur sprung wild bis in jene fernen Tage zurückgeführt, da die Ahnen des Herrschers, die Markgrafen von Nürnberg, zum Kampf um das Heilige Grab gegen die Ungläubigen auszogen. Der Ring, der in einem blutigen und harten Ringen unter den Mauern Jerusalems erbeutet wurde, kam in den Besitz des Markgrafen Friedrich, von dem er auf seine Nachfolger überging und von Geschlecht zu Ge- schlecht als kostbares Erbe bis zur Gegenwart von den Hohevzollern getragen wurde. Der Spruch aus dem Koran, der den Ring einst schmückte, als er von Saladin und feinen Nachfolgern getragen wurde, ist entfernt und an seiner Stelle ein Kreuz etngegraben worden." Hier zu Lande ist von solchem Talisman nichts bekannt! Die Flintenangst der Genossen. In einem Artiiel, der die Frage behandelt, was die Genossen ihren Kindern zu Weihnachten schenken sollen, richtet der „Vorwärts" folgenden Apell an die sozial demokratischen Eltern: „Zuletzt noch an alle Eltern die dringende Aufforderung: kauft keine Säbel, Flinten, Uniformen! Bedenkt man, daß die Eindrücke in der Jugend sich am tiefsten einprägen und oft fürs spätere Leben nachhaltig wirken, so ist die Warnung nur zu berechtigt. Fort aus dem Hause mit dem närrischen Plunder! Früh genug fallen die Söhne des Volkes dem Moloch zum Opfer, früh genug müssen sie ihm ihre schönsten Jugendjahre, ihre Gesund- heil und oft ihr Leben opfern. Früh genug kommen sie in die militaristische Dressuranstalt, wo sie auf den „inneren" Feind abgerichtet werden, um im gegebenen Moment auf Vater und Mujter zu schießen! Darum noch einmal: „Fort aus dem Hause mit dem bunten närrischen Plunder!" Die „D. Tagesztg." bemerkt dazu: Diese Aufforderung ist schon früher manchmal an die Genossen gerichtet worden, scheint aber wenig Erfolg gehabt zu haben. Das liegt vielleicht daran, daß die sozialdemokratische Partei nicht in der Lage war, einen vollwertigen Ersatz für die Flinten, die Säbel und die Uniformen zu schaffen. Bei den kleinen Mädchen würde die Sache ja noch geben, wenn man ihnen Puppen in roter Muse mit den sym- pathischen Gesichtszügen von Rosa Luxemburg schenkte. Was soll man aber den Jungen auf den Weihnachtstisch legen? Vielleicht Nußknacker mit dem Munde Stadthagens? Einen Scheck auf 97 Millionen Mark hat ein russischer Botschaftsrat Sonnabend Vormittag dem japanischen Botschafter zu London überbracht. Es ist näm- lich eine Anweisung der russischen Regierung auf die Bank von England 4860440 Lstrt. 19 Shilling 6 Pence. Da- mit hat Rußland an Japan die Schuld bezahlt, die es im Portsmouther Friedensvertrag für die Behausung und Beköstigung der russischen Kriegsgefangenen auf sich nahm. Anfänglich forderte Japan 50 Millionen Rubel. Die jetzt bezahlte Summe ist um rund 1400000 Millionen Rubel geringer. Sie beträgt nach unserem Gelde 97208819,30 Mark. Es handelt sich um etwa 50000 Gefangene. Die kleinen Anhängsel sind wohl durch Kursumrechvuvgen von Jens, Rubel auf Pfund, Shilling und Pence entstanden. Dieser Scheck war übrigens nach der „B. Z. am Mittag" nicht der größte in der Finanzgeschichte; der größte jemals gezogene Scheck wurde ebenfalls von Japan in der Bank von England vorgewiesen, nämlich vor rund zwölf Jahren, als der chinesische Gesandte in London dem japanischen Gesandten Baron Hoyaschi einen Scheck über nahezu 212V» Millionen Mark einhändigte, als erste Abzahl ung auf die chinesische Kriegsentschädigung an das sieg- reiche Japan. Die Einkassierung dieses Schecks vollzog sich übrigens in der denkbar einfachsten Weise. In Gegen wart hoher Bankbeamter übergab der chinesische Gesandte seinem japanischen Kollegen dos wertvolle Papier, das Baron Hoyaschi in der üblichen Weise quittierte und zu- gleich mit einem bereits vorbereiteten Auftrage der Bank- Icituvg übergab, es sei der Betrag als Guthaben auf das „Konto Japan" in der Bank von England zu schreiben. Es wurde also einfach das chinesische Depot auf das „Konto Japan" übertragen. Der neue Skandal im belgischen Königshaus wird jetzt abgeleugnet. Wie der „Fränk. Kurier" mttteilt, ist daS Gerücht über die bevorstehende Trennung des bel gischen Prinzenpaares Albert nach Erkundigung an zu ständiger Stelle falsch. Die Prinzessin sei nach einer Entbindung schwer an den inneren Organen erkrankt, worunter ihr subjektives Befinden stark gelitten habe. Der Zustand sei jetzt in langsamer Besserung. Sie weilt gegenwärtig in Bad Kreuth bei ihren Eltern, wo auch ihr Gemahl ist. Aur Stadt und Land. MMkilungea aus dem Leserkreise für diese Rubrik nehmen wir jederzeit dankbar entgegen. WtIsdruff, den 28. November 1907. — Im Landtage wies Finanzminister Dr. Rüger darauf hin, daß dem Staate durch den Wassergesetzentwurf außerordentlich große Lasten auferlegt würden. Noch tn )en Jahren 1902-03 hätten sich die beiden Kammern )ohin geeinigt, daß die Flußregulierungen nicht Sache >es Staates, sondern der Gemeinden seien. Die Deckung«, rage sei keineswegs eine leichte. In dem Reichs-Etat lerlange das Reich von Sachsen 127 Millionen Matrikularbeiträge. Das sei ein Betrag, wie er in solcher Höhe noch nie dagewesen sei. Es sei un- möglich, daß Sachsen solchen Ansprüchen auf die Dauer gewachsen sei. Das glauben wir gern. — Wie nunmehr bestimmt verlautet, ist zum Nach folger des Herrn Oberlandesgerichtspräffdente« Dr. jur. h c. Lößnitzer, der wie bereits gemeldet, am 1. Januar von seinem Amte zurücktritt, der vortragende Rat Dr. jnr. Börner ernannt worden. Dr. Karl Hein rich Börner wurde am 20. Juni 1844 in Wilsdruff als Sohn des Riemermetsters Börner geboren. Seine Laufbahn als Jurist begann er bet dem damaligen Ge- richtsamt seiner Vaterstadt, an dem er vom 1. April 1867 bis !869 als Referendar wirkte. Von hier ward er an das Gerichtsamt Neusalza versetzt. Im Jahre 1870 wurve er Referendar und Auditor — wie es damals noch hieß — bei dem vormaligen Apellationsgerichte in Dresden, darauf nach abgelegter zweiter Staatsprüfung Assessor bei dem vormaligen Gerichtsnmt Dresden, kam 1873 als solcher mit dem vorzugsweise erteilten Charakter als Gerichtsrat an das vormalige Bezirksgericht Leipzig. 1882 kam er als Landgerichts-Direktor nach Dresden, 1889 wurde er als Geh. Justizrat in das Justizministerium berufen und 1901 wurde er Geheimer Rai mit dem Range eines Ministerialdirekdirektors. Er ist stellvertre ¬ tender Bundesratsbevollmächttgter und als solcher wieder holt im Reichstage zur Geltung gekommen. In juristischen Kreisen ist er durch seine langjährige Mitarbeit an dem Bürgerlichen Gesetzbuche rühmlichst bekannt geworden. — Wie kurz erwähnt, soll das sächsische Heer um ei« Bataillon verstärkt werden. Dieses soll als 3. Bataillon dem 177. Regiment zugeteilt werden. Das Regiment, das jetzt in Dresden steht, besteht bisher nur aus zwei Bataillonen. Das neugebildete 3. Bataillon wird jedoch ebenso wie das 1. oder 2. Bataillon dieses Regiments seinen Standort in Freiberg erhalten und mit dem 1. Oktober 1908 gebildet werden. Jedenfalls ent spricht die von vielen Blättern gebrachte Meldung, alle drei Bataillone des 177. Regiments würden vom 1. Ok tober 1908 ab in Freiberg garnisoniert, nicht den Tat sachen, denn das Kasernement an der Chemnitzerstraße ist zunächst nur für zwei Bataillone gebaut. — Für die morgen Donnerstag, nachmittags 6 Uhr statifindende öffentliche Stadtgemeinderatssttzung ist folgende Tagesordnung aufgestellt worden: 1. Ge schäftliche Mitteilungen. 2. Gesuch deS Herrn Schneider meisters Hegenbart um Erteilung der Schankkonzession für die Schänke zur alten Post. 3. Gewährung einer Weih- nachtsspende für die Bezirksanstalt Hilbersdorf. 4. Be ratung des Haushaltsplans für 1908 und zwar: a) der Armenkasse, b) der Parochialkasse, c) der Feuerlöschkasse, ä) der Hebammenpenstonskasse, e) der Beamtenpensionskasse, t) des städtischen Baufonds. 5. Wahl eines Stadtrates an Stelle des ausgeschiedenen Herrn Stadtrat Wätzel. — Wir stehen vor der Stadtverordnete«, Ergänzungswahl. Die Agitation scheint sich auch diesmal erfreulicherweise in einer ruhigen, sachlichen, jeder persönlichen Gehässigkeit und Rancune fremden Form zu bewegen. Wir haben es bisher abgelehnt, an dieser Stelle für einzelne Kandidaten einzutreten; wir werden es ditsmal aus naheliegenden Gründen erst recht tun. Wohl aber richten wir auch diesmal an die Wähler die Bitte um allseitige Ausübung des Wahlrechts. Bei dieser Ge legenheit möchten wir ein paar Worte erwähnen, die der Stadtverordneten - Vorsteher einer preußischen Stadt (Sorau) kürzlich an seine Kollegen richtete. Die Stadt verordneten, so könne man in der alten Städtordnung vom Jahre 1808 lesen, bedürfen weder einer besonderen Instruktion oder Vollmacht der Bürgerschaft, noch seien sie verpflichtet, über ihre Beschlüsse Rechenschaft zu geben. „Das Gesetz und ihre Wahl sind ihre Vollmacht, ihre Ueberzeugung und ihre Ansicht vom gemeinen Bcsteu der Stadt ihre Instruktion, ihr Gewissen aber die Behörde, der sie deshalb Rechenschaft zu geben haben. Sie sind im vollsten Sinne Vertreter der ganzen Bürgerschaft, mithin so wenig Vertreter des ein zelnen Bezirks, der sie gewählt hat, noch einer Korporation, Zunft oder dergleichen, zu der sie zufällig gehören." Das sind goldene Worte, denen wir nichts hinzuzufügen haben. — In dir in voriger Nummer abgedruckte Notiz über das Bürgerjuvilä««» des Herrn Privatus Ritthausen hat sich infolge eines von beteiligter Seite am Telefon hervorgerufenen Irrtums ein Fehler eingeschlichen. Das Glückwunschschreiben des Stadtgemeinderats wurde dem Jubilar durch Herrn Bürgermeister Kahlenberger in Gegenwart des Herrn Siadtrat Goerne überreicht, nicht aber durch letzteren. — Dem Bericht über die letzte Versammlung des Gewerbevereins sei hinzugefügt, daß Herr Möbel- fabrikanl Heinrich Ranft erklärte, er werde eine Wieder wahl als Stadtverordneter unter keinen Umständen wioder annehmen. Die Versammlung sah sich deshalb zu ihrem allseitigen Bebauern gezwungen, von der Wieder- auistellung des Herrn Ranft Abstand zu nehmen. üb, die Mutter meines Kindes! — vor W Am Pranger. Von Berthold Karsten. (Schluß.) „Wo du zuerst gewesen bist?" »Ja -" „Und — und — „Ich war siebzehn Jahre alt," fuhr Mira leise fort, „ein Ktnd, scheu, schutzlos, sehnsüchtig " Eine furchtbare Ahnung stieg im Herzen des BaronS auf. Mit einem Schritt stand er dicht vor Mira und rang die Hände. Sein Sprechen war ein heiseres Schreien. „Hab' Erbarmen!" Sie schloß die Augen. Der Schmerz grub tiefe Falten um ihren Mund. „Keinem hat mein Herz gehört als dir!" beteuerte sie mit leiser Stimme, ohne Pathos, in schlichter Wahr haftigkeit. Er mußte ihr glauben. Aufschluchzend barg er sein Gesicht in den Händen. „Mira! Warum hast du mir das verschwiegen?" Da legte sie zaghaft ihre Hände auf seine Schultern und ließ sie mit einer schmerzlichen Liebkosung an seinen Armen hinabgleiten. „Aus grenzenloser, egoistischer Liebe, — aus feiger Mattyerzigkelt", sagte sie. „Als ich deine Mutter gesehen hatte, wußte ich, daß ein Geständnis das Ende unseres Glückes bedeuten müßte." Er starrte sie aus verzweifelten Augen an. „Wie eine Heilige warst du mir!" stammelte er. „Was nun, — waS nun?!" Mira antwortete nicht. Ihre Seele zagte und harrte, ob seine Liebe stark genug sein würde, ein Wort der Ver zeihung zu finden. Gericht als die Geliebte eines Verbrechers entlarvt, — vor aller Welt entehrt —!" Sie zuckte wie unter Peitschenhieben zusammen. Da packte er sie am Arm und herrschte sie an: „Sag mir alles! Hörst du? — Alles will ich wissen!" Seine rauhe Hand tat ihr weh; aber sie machte keinen Versuch zur Befreiung. „Jä", sagte sie, „ich war seine Geliebte." Er stieß sie von sich und lachte laut auf. Das Lachen eines Wahnsinnigen. „Ah! — und das wirst du ihnen sagen, wenn du vor dem Richtertisch stehst, der ganzen Welt wirst du das pikante Vergnügen bereiten, einzugestehen, daß die Baronin von Dornbach eine Gefallene ist, daß die Ver wandte der Fürsten von Holm-Bertenbusch das Verhältnis eines Zuchthäuslers gewesen ist! — Diese Schmach — diese Schmach!" Mira zog die Schultern hoch und schüttelte sich, als ob sie fröre. Es schien, als wünschte sie ihre Glieder so dicht wie möglich an ihren Körper anzuschmiegen, um nicht mehr so viel von diesem Roum zu beanspruchen, der ihr nicht länger gehörte. „Und wenn ich mich nun nicht an den Pranger stellen lasse?" fragte sie. „Wenn ich fort bin, — wenn es ihnen unmöglich ist, mich zur Stelle zu schleppen " Ein Schimmer von Hoffnung flog über sein ver zerrtes Gesicht. „Das würde den ärgsten Skandal verhüten", sagte der Baron. Gleich aber verzagte er von neuem. «Nein, nein, — wie wäre das zu erreichen —" „Es ist zu erreichen!" kam eS fest aber unendlich traurig von ihren Lippen. Der Baron ging schwer atmend mit raschen Schritte» auf und ab. Es war eine qualvolle Spannung in dem Schweigen der beiden Menschen, als warteten sie auf die grausame Erfüllung ihres Schicksals. „Vielleicht —, wenn wir für einige Monate außer Landes gehen", sagte Hellmut. „Wir?" fragte Mira. „Nein — wir haben keine gemeinsamen Ziele mehr," Sie ging an ihm vorüber zur Türe. Als sie die Hand auf die Klinke legte, rief er sie an: „Mira —!" Aber sie hörte nicht auf ihn. Sie schritt durch die Korridore des Schlosses — in den Seitenflügel hinein — über die Dieuertreppe hinunter. Ein einziges Mal nur zögerte ihr Fuß. Der heiße Wunsch, ihrem Knaben Lebewohl zu sagen, wollte sie übermannen. Sie bezwang ihn. Sie fürchtete, daß sie dann vielleicht nicht mehr die Kraft haben würde, deren sie bedurfte. Sie ging über den Hof, dann durch die kleine Gitter pforte in den Park hinein. Die Sonne stand hoch am Himmel. ES war ein Flimmern und Leuchten rings umher. Die Vögel sangen. Die heiße Luft war gesättigt von Blumendüsten, schwer und betäubend wie Wcihrauchwolken. In die dichtesten Laubgänge hinein nahm Mira ihren Weg, instinktiv, damit sie der Versuchung nicht er läge, nach dem Schlosse sich umzusehen, das mit seinen hundert blinkenden Fensteraugen erstaunt ihr nachschaute. Endlich, endlich schimmerte es silbergrau durch das Gezweig! Die junge Frau beschleunigte ihre Schritte. Dort war der Steg und unter ihm die barmherzige Tiefe des großen stillen Sees! Und oben in dem Zimmer, das Mira verlassen hatte, in diesem Zimmer, das ganz erfüllt war von dem Zauber ihres Wesens, saß ein schwacher Mann und weinte bitterlich.