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Betrachtung für den Ssnntng Rsgnte 4YO7. Luc. 21, 36: „Seid wacker allezeit und betet!" Das Gebet ist und bleibt das Hauptstück des per sönlichen Christentums; denn es ist eine Wurzel aller Tugenden, eine Rüstung wider alle Untugenden, eine Arzenei wider alle Anfechtungen, Trübsale und Nöte, ein Schutz wider alle Feinde, ein nötiges Vorbereitungsmittel zum jüngsten Gericht. Durch's Gebet wird das Gemüt von der Erde losgerissen und mit dem Himmel vereinigt; durch's Gebet bekommt der Mensch seine geistige Stärke aus Gott; denn so oft wir Christum mit gläubigem Seufzer anrufen, geht eine Kraft von ihm aus, die uns erhält, erquickt und stärkt. In uns sind wir schwach, aber wenn wir beten, werden wir stark in Gott, und seine Kraft beweist sich in unserer Schwachheit. Darum sollen wir wacker — wachsam und nüchtern sein zum Gebet, ja allezeit sollen wir beten. Das tun wir, wenn wir mit unserem Gemüte immer bei Gott find; denn das Gebet ist nichts anderes, als eine Erhebung des Herzens zu Gott; wenn wir alle unsere Werke mit dem Gebet anfangen und endigen; denn das Mittel hat seine Güte von Anfang und Ende; wenn wir uns allezeit bereit halten zum Beten und uns alles dessen enthalten, was die Andacht im Gebet hindern kann; wenn wir gern immer beten wollen und des Betens nimmer müde werden. Gern glauben wollen ist schon ein Funke des Glaubens, gern beten wollen, heißt schon gebetet. Das Verlangen der Elenden hörst du, o Herr. Ja, auch der betet allezeit, der sich immer ängstigt, daß es mit seinem Gebet nicht recht fort will. Oft sind wir so daran, daß kein Seufzer im Herzen sich finden will; darüber betrüben wir uns und beten damit am allerkräftigsten. Allezeit beten wir auch, wenn wir immerdar einen gottseligen, heiligen Wandel führen; denn ein heiligt Leben ist ein tätiges Gebet. And einen solchen Beter hat Gott lieb. Ja, fürwahr! Ein Stimmungsbild aus dem Reichstage. Ein erhebendes, prächtiges Bild unten im Saale und ringsherum auf den Tribüne«. Nicht nur die große Zugkraft eines großen Tages im deutschen Parlament illustriert es, sondern cs beweist das große Interesse des deutschen Volkes in alle« seinen Teilen an dem jetzigen Stand der politischen Dinge. Die Hofloge ist überfüllt mit unserem Kaiserhause nahestehenden fürstlichen und adeligen Herrschaften. Die Damen in eleganter Heller Toilette, die Herren zumeist in Uniform. Herr von Kar. dorff, der langjährige Führer der Freikonservativen im Reichstag, findet in der Hofloge keinen Platz mehr und muß, ein gutes Zeichen seiner Rüstigkeit, stundenlang stehen. Auf den anderen Tribünen ist ebenso bis hinauf zu den Ausgangstüren kein Stehplatz geschweige denn eine Sitzgelegenheit frei. Leute von Rang und Namen, die im Theater nur in den Logen sitzen, nehmen heute mit einem Galerieplatz gern fürlieb. Sie wollen Bülow sprechen hören. Die Berliner Zeitungen sind mit allen Chefredakteuren vertreten, die ausländischen Journalisten vazu in übergroßer Zahl, sodaß es schwer hält, sich einen Schrerbtischplatz zu erobern. Noch bevor das langanhaltende Klingelzeichen ertönt, erscheint Fürst Bülow mit dem neuesten Staatssekretär, Herrn v. Löbell. Er verneigt sich nach allen Seiten und nimmt behaglich in seinem Ministersessel Platz. Neben ih« setzt sich Posadowsky, dann folgen V-Tschirschky, Stengel, Dernburg, Mühlberg, Nieberding, Arnim, v. Twele. Später gesellt sich auch der Postminister zu seinen Kollegen. Der Präsident eröffnet die Sitzung und erteilt, ent. gegen der allgemeinen Annahme, Bülow werde zuerst sprechen, dem Zentrumsführer Freiherrn v. Hertling das Wort, einem der begabtesten und elegantesten Redner des Reichstages. Seine Ausführungen waren ein seltener Genuß für das Ohr und vor allem für Kopf und Herz. Hertling ist der gute nationale Geist des Zentrums. Er will heute nicht mit dem Reichskanzler abrechnen, wie die Zeitungen meldeten. Nur mit den Fragen der äußeren Politik will er sich beschäftigen sineira — ohne Zorn—, damit das Ausland seine Rede nicht migverstche, dafür aber nicht sine swäio — ohne Eifer. Und er hielt sein Versprechen. Unter ungeteilter Aufmerksamkeit des Hauses begründete er den Zentrumsantrag, der Reichskanzler möge in periodischen Abständen dem Reichstage amtliches Material über unsere Beziehungen zu dem Ausland zu- gehen lassen, ging dann auf die sogenannte Einkreisungs politik des Königs von England ein, besprach die älteren Beziehungen Englands zu Frankreich, Rußland und Japa« und die neueren zu Italien und Spanien. Mit feinem Takt, aber doch mit leiser Ironie streifte er die Unmöglich keiten einer Abrüstungssrage und schloß unter demon strativem Beifall, eine ruhige, konsequente, aber nicht nervöse Politik zu treiben, um in den anderen Nationen nicht den Schein einer Schwäche aufkommen zu lassen. Statt der erwarteten Reichskanzlerrede folgte der bedeutsamen Ansprache des Freiherr» v. Hertling die Rede des Herrn Winkler namens der Konservativen. Der Reichskanzler wollte erst alle bürgerlichen Parteien zu Worte kommen lassen. Natürlich hatte Herr Winkler nach seinem Vorredner einen schweren Stand. Ohne bei der Unruhe des Haases andere als seine Fraktion fesseln zu können, sprach er mit dem ihm zur Verfügung stehende« sympathischen Organ über den Ernst der politischen Lage, die den Standpunkt seiner Partei stärke, immer dafür zu sorgen, daß der Kriegsminister unsere Schlagfertigkeit betonen könne. 36 Jahre habe das deutsche Volk gern Frieden gehalten. Es werde aber immer bereit sein, zu verteidigen, was es erworben. Mit allgemeinen Ah! wurde der nationalle Führer Bassermann auf die Tri büne geleitet. Ec schließt sich den Hertlingschen AuS- führungen an. Deutschland möge eine feste Politik treiben, eine Politik der Ruhe, nicht der großen Worte. Angesichts unserer geographischen Lage müßten wir nach allen Seiten unsere Augen offen halten, aber nicht nervös werden. Unsere Isolierung könnte uns iogar mit Stolz erfüllen. Die völlige Aufmerksamkeit, die bei den Schlußworten Bassermanns einsetzte, konnte auch Fürst Hatzfeldt, der Sprecher der Freikonservativen, während seiner Rede er halten. Nach einem Lob über die staatsmännischen.Aus führungen Hertlings suchte er das unberechtigte Mißtrauen gegen Deutschland damit zu erklären, daß es ein Neuling — 44 — oll ich von euch denken, mit einem alten Socius so Verstecken pielen zu wollend Es ist ja eine famose Idee, den reizenden Blond kopf als einzige Augenweide unter all die ausgehungerten Leute zu setzen, der Silberton des Haares ist glücklich wiedergegeben, und den Augenaufschlag unter den zolllangen Wimpern haben sie treu der Natur abgelauscht. Bis sie das Bitd ausstellen, ist mein Käthchen längst über alle Berge, die Mama sprach das Wort Montreux." „Ihr Käthchen?" Palmer runzelte unwillig die Stirn. „Sprechen sie einmal ernst, Marcel. Wollen sie das Mädchen heiraten?" Beaulieu öffnete seine schwarzen Augen weit vor Erstaunen und seine Brauen verschwanden unter seinem Lockenhaar. „Plagt euch der Böse?" rief er überlaut. „Heiraten? Ich? Und Kathi Wismar? Mensch, Freund, Kollege, was ficht euch an? Nicht einmal der verrückteste Traum der durchschwärmtesten Nacht hat mir diesen Gedanken eingegeben. Auch Kathi ist ein viel zu verständiges Mädel, um jemals einer so unmöglichen Idee Raum zu geben. Das hindert aber nicht, daß ich meine kleine Sennerin aus brüderlichem Herzen liebe und ihr den besten Mann von der Welt wünsche, zum Beispiel euch, Paul Gerhard Palmer." „Mich? Sie scherzen, Beaulieu." „Mitnichten, lieber Freund. Wer das Mädel heiratet, bekommt einen Schatz — zwar nicht an Geld — denn was davon vorhanden ist, braucht die kluge Mama für sich — aber an Klugheit, Liebens würdigkeit und Charakter — und das will was sagen heutzutage, wo die Väter und Mütter den jungen Frauenzimmern zumeist mit Gewalt den letzten Gedanken und das letzte Nestchen Gefühl aus Leib und Seele trichtern. — ^.ääio, überlegt es euch, csro amico, ich habe mich warm gesprochen euretwegen. Kommt ihr heute abend zu Taloni?" „Nein, was soll ich dort? Es wird da nur gespielt und sie wissen, ich hazardiere nicht. Auch sie, Marcel, täten besser, nicht hinzugehen — wie soll das einmal enden?" „No io so! sagt der Italiener. Einstweilen ist die Karre wieder flott, und — Lprös moi le ä^Iuge". Er stülpte seinen weichen, grauen Filzhut fester auf, nickte Palmer freundlich zu und verließ mit leisem Pfeifen das Atelier. Sechstes Kapitel. Sin Vormnnct. Die Baronin von Wismar saß in ihrem hübschen Salon in den „Vier Jahreszeiten," einen Handspiegel in der Rechten, in welchem sie sich aufmerksam beschaute. Ein Ausspruch einer ihrer Münchener „Freundinnen", die sie gestern besucht, klang ihr dabei unablässig im Ohr: „Ja, ja, liebste Wismar, sie konservieren sich — 41 - „Entschuldigen Sie," sagte er mit einem kindlich-verlegenen Lächeln, „es ist nur, weil hier in diesen großen Städten und Gast häusern so viel gestohlen werden soll; ich trage es immer bei mir." Der Maler hielt seine Hand fest. „Das lassen Sie einstweilen nur ganz aus dem Spiele, mein bester Herr Storrmann," sprach er lachend; „wollen zuerst einmal sehen, ob ich meine Sache gut machen werde. Dazu gehört aber allerlei — verschiedene Angaben Ihrerseits, sodann ein Bild, wenn möglich mehrere, und wenn es kleine, wohlgetroffene Photographien wären ihrer verstorbenen Gattin — um diese es handelt es sich vermutlich." Storrmanns Brust hob und senkte sich stürmisch. „Es war meine einzige Tochter," sagte er in gedämpftem Tone. Eine Pause entstand; mit bebender Hand barg der Mann seine Banknoten wieder in ihrem Versteck; dann zog er ein mit einer Schnur umwickeltes Päckchen aus seiner Brusttasche. Gerhard wickelte es langsam auseinander, zwei Photographien fielen heraus. Die erste in Visttenkartenformat zeigte ein etwa sechsjähriges, bildhübsches Kind, das auf einem Stuhle kniete und mit den runden Aermchen eine Puppe fest an die Brust gedrückt hielt; das zweite Bild war ein Kabinettporträt, und hier mochte das Mädchen etwa vierzehnjährig sein. Es war elegant gekleidet, das Haar floß in langen Locken herab, die zierliche Gestalt stützte sich in freier, anmutiger Haltung mit der rechten Hand leicht auf ein geschnitztes Treppengeländer. „Ist sie in diesem Alter ge—" begann Gerhard. „Nein, nein." Der andere stieß die Worte aufgeregt hervor und machte von seiner Uhrkette ein ziemlich großes Medaillon los. „So — genau so sah sie aus, als sie — als sie mir genommen wurde, und so wünsche ich sie auch zu haben, nicht anders." Der Maler stieß einen Ruf der Bewunderung aus, so taufrisch, einzig liebreizend und unschuldsvoll war das süße Gesichtchen, welches der schmale Goldrand umgab. Die Züge in ihrer reinen Schönheit gehörten unfireitig dem Vater; allein der duftige Schmelz der Jugend und Unschuld lag wie eine Verklärnng darüber. „Man sollte meinen, sie sei auch hier noch ein Kind." „Sie zählte noch nicht siebzehn Jahre." „Und welche Stellung wünschen Sie?" „Sie saß ost mit dem einen Arm gestützt und sann vor sich hin; auch fand ich sie häufig, die Hände übereinander gelegt, mit großen Augen in die Weite schauend, als sollten ihr Wunder begegnen; immer hat sie, so lustig sie zuweilen war, etwas Träumerisches, Nachdenkliches gehabt. Wenn sie sie ungefähr so malen wollten —" „Gut. Und welche Farbe des Kleides bestimmen Sie?" „Am liebsten hätte ich ein zartes Blau; sie trug sich gern so, und ich sah fie zuletzt darin."