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E Wilsdruffer Tageblatt I 8 Natt- Nr. 154 - Mittwoch, den 4 Juli l 928 I Stilles tzofken. Wie in den Bäumen der Nachtwind saust, Und das Licht verglimmt und das Dunkel fällt; Wie ist mein Herze allein in 'der Welt, Und ein Glück so nah — and so fern. Da draußen gehen- nun Stern an Stern Durch die blaue Nacht ihren stillen Gang, Und die Stunden' dehnen sich lang, so lang Und ich sinne und atme bange. Die Wasser rauschen wie Märchentraum, Der Mond auf dem Kirchdache liegt; Wie die Nacht sich wiegt, wie die Nacht sich schmiegt In seine leuchtende Schleier. Ob auch sie an mich denkt, ich- weiß es nicht, Ich weiß nicht, ob einst 'kommt ein Glückstag, Wie klopfet so bang meines Herzens Schlag Mein Sehnen so nah — und so ferne. kÄWe Unfreundlichkeiten gegen Deutschland. Außenminister Rebane zur Entschädigungsfrage. Bei Gelegenheit des estnischen Sängerfcstes in Reval kam der estnische Außenminister Rebane Presse bertretern gegenüber auf die Frage der Entschädigung für s'meignete Güter, die Ausländern gehört hatten, zu sprechen und sagte etwa folgendes: Estland ist mit den Bürgern Finnlands, Dänemarks, d'r Schweiz, Grostbritannicns, Frankreichs, Italiens und : mrikas aus Grund der bestehenden Gesetze zu einer Einigung gelaugt. Keiner dieser Staaten hat versucht, die b Oschädigungssragc mit anderen Fragen zu verquicken. Nur mit den Deutschen ist die Lösung der Ent- - idigungsfragc nicht gelungen. Deutschland hat diese Fr ge bisher mit dem Handelsverträge in Zusammenhang O rächt, über den Bcrhandlungen noch nicht begonnen palen, obgleich Deutschland mit Estland in regen Handels- leriehungen steht. Auf diese befremdlichen und durch nichts berechtigten Angriffe des estnischen Außenministers ist Deutsch land die Antwort nicht schuldig geblieben. In einer halbamtlichen deutschen Erklärung heißt es u. a.: Deutschland hat von der estnischen Re gierung lediglich Gleichstellung seiner Staats angehörigen mit denen anderer Länder hinsichtlich der Zahlung von Agrarentschädigungen verlangt. Diese Gleichstellung ist estnischcrseits zwar theoretisch zugesagt, aber in der Praxis nicht durchgeführt worden. Die deutsche Regierung hat dann vor drei Monaten, um eine schnellere Bereinigung der Streitfrage herbeizuführen, der est- nOhen Negierung den Vorschlag gemacht, die deutschen An'prüche durch eine Pauschalsumme abzugelten. B l diesen Vorschlag ist die Reichsregierung bis jetzt ohue wort geblieben. Die Angriffe des estnischen Außen- m nsters auf die Haltung Deutschlands in dieser Frage ß - um so merkwürdiger, als sich die Reichsregierung c i mit dem Beginn von Handelsvertrags- ' e r h a n d l n n g en einverstanden erklärt hat und über b - gesamten Fragenkomplex gerade jetzt Besprechungen n Gange sind. Müdere Behandlung Güdiirols. Notenwechsel Seipel-Mussolini. Der italienische Gesandte in Wien, Auriti, kehrt aack, längerer Abwesenheit auf seinen Posten zurück. Diese Rückkehr hängt offenbar zusammen mit einem jetzt ver öffentlichten Briefwechsel zwischen dem in Italien all mächtigen Mussolini und dem österreichischen Bun- vecüanzler Seipel, der eine mildere Behandlung Süd- ürols durch Italien ankündigt. In Rom wird darüber folgende amtliche Mitteiluna verökfentlickü: Um die herzlichen Beziehungen, die vor den Kund gebungen für Oberetsch in Österreich zwischen den beiden Negierungen bestanden, wieder herbeizuführcu, fand zwischen Ministerpräsident Mussolini und dem Bundes kanzler Dr. Seipel ein Botschafteuwechscl statt, worin der Bundeskanzler seststellt, daß cs sich für die Bundesregie rung in dieser Sache um eine rein kulturelle Angelegenheit gehandelt habe. Der Bundeskanzler hat dabei erklärt, daß er nie aufgehört habe, die Südtiroler Frage als eine rein innere italienische Angelegenheit zu bewachten, und daß die italienischen Staatsbürger deutscher Nationalität ihre Wünsche und Einwendungen nur an Italien richten müssen. Der Kanzler erklärte weiter, dass die verantwortlichen Persönlichkeiten Öster- reicks immer darauf bedacht waren, sich nicht in die in neren politischen Angelegenheiten zu mischen, und dass sie auch in'Zukunft diese Richtlinien cinhalten werden. Diese Persönlichkeiten hätten nie an anti-italienischen Agita tionen teilgenommcn und sie auch nicht ermutigt. Wenn unverantwortliche Elemente diesen Weg einschlagcn wer- den, werde die Bundesregierung mit allen ihr im Nahmen der Gesetze zur Verfügung stehenden Mitteln dem ent gegentreten. Mussolini hat sofort nach der Veröffentlichung die Rückkehr Auritis nach Wien verfügt. Die Wiener Presse steht dem nunmehrigen Verhalten Italiens mit Recht ziem lich reserviert und abwartend gegenüber. In Deutschland wird man das nämliche Verfahren beobachten und sich den Worten der Neuen Freien Presse anschließen: „Man kann uns Südtirol nicht aus dem Herzen reißen. Die kulturelle Frage steht nach wie vor auf der Tagesordnung. Politisch sind wir ohnmächtig. Politisch müssen wir den Wunsch haben, mit allen Staaten in einem guten Verhältnis zu leben, insbesondere mit den bedeu tenden. Deswegen muß das Ende der großen Spannung mit Italien Genugtuung erwecken." „Musters-Zwillinge. Einen eigenartigen und wohl kaum schlagbaren Rekord haben die Zwillingsbrüder Webber, die in der Gemeinde L ansamlet in Südwales leben, ausgestellt. Die jetzt Sieben undsiebzigjährigen haben beide am 14. Februar ihre goldene Hochzeil geseierl und sind beide Väter von je zehn Kindern. Beide wirken gemeinsam Seite an Seite als Lehrer an der selben Schule 60 Jahre lang und haben stets Tür an Tür bei einander gewohnt. Wohl ein Fall seltener Harmonie. Nie Tscheche! will Orden und Titel. Antrag der Regierung. Die Negierung der Tschechoslowakei legte dem Ab- geordnetenhanse in Prag einen Gesetzentwurf vor, durch den das Gesetz über die Aufhebung des Adels, der Orden und Titel abgeändert wird. Die wesentlichste Änderung besteht darin, daß tschecho- s-owakischen Staatsbürgern auf Grund von Verdiensten um den Staat Orden verliehen werden können. Dem Präsidenten der Republik steht nach dem Entwurf die r-erste Klasse aller Orden und Auszeichnungen zu, aus- s-nommen die Orden und Auszeichnungen für Soldaten s ir Tapferkeit vor dem Feinde. Die Orden wird er auch > ' rh seiner Amtszeit beibehalten. Ferner wird ausdrück- l H bestimmt, daß die Staatsbürger mit Bewilligung des P räsidenten ausländische Orden und Auszeichnungen an- : chmen können. Der Entwurf bestimmt ferner, daß der p räsident der Republik, die Regierung oder ihre Mit- ' ieder einem Staatsbürger für hervorragende Verdienste s '. öffentlichen Interesse ihre Anerkennung aussprechen rönnen. Durch eine Regierungsverordnung können auch entsprechende Titel für jene bestimmt werden, die nicht berufsmäßig Funktionen in der öffentlichen Verwaltung oder im Gerichtswesen versehen. In der Begründung des Entwurfes heißt es, daß die Änderung mit Rücksicht auf die internationalen Be ziehungen des Staates notwendig sei, ferner zeige die Erfahrung, daß die demokratische Republik in großem Maße die Mitwirkung der Bürgerschaft in der öffentlichen Verwaltung und im Gerichtswesen erfordere und daß eine geeignete Form erwogen werden müsse, durch die die An erkennung für hervorragende Verdienste im öffentlichen Leben zum Ausdruck gebracht werden könne. Graf Westarps Wiederwahl. Der Fall Lamba ch. In einer über den ganzen Tag ausgedehnten Sitzung -er Reichstagsfraktion der D e u i s ch n a t i o n a l e n Polkspartei stand auf der Tagesordnung die Aus sprache über den in der Politischen Wochenschrift veröffent lichten Aufsatz „Monarchismus" des Abg. Lambach sowie die Neuwahl des Fraktionsvorstandes. In der Angelegenheit Lambach wurde folgende Entschließung angenommen: „Die deutschnationale Reichs tagsfraktion behandelte in der Hauptsitzung u. a. den Artikel „Monarchismus", den der Abg. Lambach in der Politischen Wochenschrift veröffentlicht hat. Es lag eine Erklärung des Abg. Lambach vor, wonach er mit seinem Artikel die Absicht verfolgt habe, als überzeugter Monar chist und in vollem Einklang mit dem deutschnationalen Parteiprogramm die Werbung für den deutschnationalen Gedanken zu fördern. Die Fraktion ist der Überzeugung, daß der fragliche Artikel für diesen Zweck ungeeignet ist und mißbilligt ihn nach Form und Inhalt." Das Ergebnis der Wahl des Fraktionsvorstandes war folgendes: Zum Vorsitzenden der Fraktion wurde Graf Westarp gewählt. Als stellvertretende Vor sitzende wurden die Abgeordneten Dr. Oberfohren und von L i n d e i n e r - Wi l d a u gewählt. Die Führung der inneren Geschäfte der Fraktion wurde, wie bisher, Ge heimrat Schultz-Bromberg übertragen. Graf Westarp und die Stellvertreter nahmen die Wahl unter lebhaftem Beifall der Fraktion an. HOhesstrsse gegen Kiehach beantragt. Der Prozeß gegen den jugendlichen Raubmörder. Im weiteren Verlaus des Prozesses gegen den 21- iöhr-gen Horst Kiebach, der ein junges Mädchen, Dora N rske, in" einem Berliner Vorortzuge auf brutalste Weise ecmordet hat, wurden die Angehörigen und ein Freund b s Täters vernommen. Ans der Anssage seines eben falls bereits vorbestraften Freundes Büttgen ersieht man wiederum die unglaubliche Roheit, die Kiebach auch nach der Tat noch an den Tag legte. Er kennt für sein Opfer kein Mitleid und benennt das Mädchen mit Ausdrücken der Gasse, die man nicht wiedergcbcn kann. Bezeichnend für die Verbrecherklique um Kiebach ist es, daß der Freund Büttgen, der ihn angezeigt hat, in einem fort belästigt wird und sogar schon mehrfach überfallen worden ist. Die Zuhörer mutet es bei der Veranlagung des Kiebach selt sam an, daß die Braut auch heute noch bei ihm bleiben will, obwohl doch der Angeklagte nicht eine Spur von Reue zeigt und auch im Verkehr mit seinen Angehörigen sich als derselbe Rohling erwiesen hat wie jetzt im Gerichtssaal. Nur einmal bricht er in Tränen aus, als die Mutter von dem zerrütteten Leben in der Familie Kiebach erzählt. Der Pater, der den Gefängnissen Berlins ebenfalls kein Fremder ist, verweigert die Aussage über das Vorleben seines Sohnes und sein Verhältnis zu ihm. Der Staatsanwalt führte aus, daß man bei Horst Kiebach vergeblich nach Mildernngsgründrn suchen müsse. Es liegt nicht etwa, wie der Angeklagte vorzutänjchen suche, Totschlag vor, sondern ein Mord, für den die Kri- minalgeschichtc seinesgleichen sucht. Er beantragte daher T odesstrake, Ser Reichspräsident empfängt einen Maharadscha. Früher kannte man Maharadschas nur aus indischen Märchenerzählungen und vom Film her, wo sie mit Lieb- linaskranen. meterlanaen echten Perlenketten und bühner- 9. Fortsetzung. Nachdruck verboten. Forschend sah sie ihn an. Er mußte lächeln. Das Kind von achtzehn Jahren fragte ihn, den Mann von achtunddreißig, ob er schon eine andere geküßt hatte. „Ja, Lisa," sagte er noch immer lächelnd. „Waren es viele?" Er nickte. „Ein Dutzend?" fragte sie ernst. „Kind ich weiß nicht mehr, wirklich nicht! Nun küss' ich dich alleine! sagte er lachend und preßte seine Lippen tief in die ihren. „Und nun schlas, mein Kleines. Ich habe noch zu arbeiten. Dieser Gang auf der Festung Paß- durgs bringt mich noch auf Selbstmordgedanken Alle Ar chive habe ich bereits durchstöbert und überall seine Exi stenz bestätigt gesunden, aber nirgends einen Anhalts punkt, wo er eigentlich zu suchen ist. Seit sechs Jahren ver geude ich Wochen und Wochen mit Forschen und Nach graben und immer ohne jegliches Resultat. Es ist zum Verrücktwerden!" „Laß den dummen Gang!" bat sie und strich über sein blasses Gesicht. „Das verstehst du nicht, Kind! Ich muß ihn finden! Ich muß! Ich komme sonst nicht zur Ruhe. Und nun schlafe aber! Du hast ganz müde Augen!" Er rückte ihr die Kissen bequem, zog ihr die Decke etwas höher gegen die Brust und ließ sich küssen. „Lasse die Türe zu deinem Arbeitszimmer offen, Her bert!" „Ja, mein Lieb!" Er trat in den anstoßenden Raum, die Türe weit offen mpend. Er setzte sich an seinen Schreibtisch, der mit Bü chern und Zeitschriften derart belagert war, daß kaum mehr ein Blatt Papier daraus Platz fand Gleich daraus raschelten die Blätter unter seinen Händen. Wie er so da saß, veränderte sich der Ausdruck seines Gesichtes Es zeigte nicht mehr den Stempel des liebenden Mannes, sondern trug das Gepräge des großen Denkers und Forschers. Nach einiger Zeit erhob er sich und ging leisen Schrittes an das Lett seiner Frau. Sie schlies friedlich wie ein Kind. Die Lippen halb geöffnet, fühlte er den Atem, der ihrem Munde entströmte, über sein Gesicht gehen Sie hatte beide Arme über dem Kopf gekreuzt. Behutsam nahm er sie herab und legte sie auf die Decke. Fürchtend, sie könnte erwachen durch seine Berührung, blieb er noch eine Weile bei ihr stehen. Sie schlies tief und fest. Befriedigt kehrte er wieder an seinen Schreibtisch zurück. Erst gegen zwei Uhr morgens, als Lisa seinen Namen rief, erhob er sich eilig, löschte das Licht und entkleidete sich geräuschlos. Um sechs Uhr früh saß er bereits wieder über seinen Büchern. Vor dem Eingang zur Halte aus Schloß Frauenstein stand ein Phaethon, der Ruth und Eberhard nach Paßburg bringen sollte. Kelling hatte sie beide eingeladen, mit auf die Festung zu kommen. Er wollte erneut Nachgrabungen anstellen, um den Verlauf des Ganges ausfindig zu machen, und da Ruth und Eberhard wiederholt ihr In teresse dafür bekundet hatten, hatte er sie von seinem Vorhaben verständigt. Ruth knöpfte eben ihren Hellen Staubmantel über dem leichten Wollkleid zusammen und sah ungeduldig nach Eber hard aus Er kam wenige Minuten später raschen Schrittes aus der Halle, einen Brief in der Linken. „Von Trude!" sagte er. „Wenn du ihn noch lesen willst?" Sie riß eilig den Umschlag aus. Es waren nur wenige Zeilen. Aber ihr Gesicht leuchtete in eitel Freude. „Die Kleine kommt am Samstag!" erklärte sie Eber hard „Sonntag ist ja Pfingsten. Das hatte ich ganz vergessen. Wie ich mich freue! Laß mich nicht vergessen, Liebster, daß ich dem Gärtner sage, er soll die Rosen nicht schneiden. Ich brauche sie für Trudes Willkommensgruß." 82 Er nickte und sprang in den Wagen. Der Diener schwang sich gewandt in den Sitz hinter ihm. Im nächsten Augenblick flogen die beiden Traber dahin, die Kiese! nach allen Seiten stiebend Die Straße war breit und gut fahrbar. Man konnte also den feurigen Tieren freien Laus lassen. Die Gegend stand in vollem Lenzesschmuck Es war ein überquellendes Blühen, Knospen und Werden. Es war etwas kühl Die Sonne stand noch nicht allzu hoch Ruth sröstelte. Eberhard bemerkte es und ließ die Traber in Gang fallen Er hüllte Ruth in die Decke ein, die über ihre beiden Knie gelegen war. „Ich hoffe nicht, daß du dich erkältest," sagte er besorgt. „Du hättest ruhig deinen Tuchmantel nehmen können, Ruth!" „Du sollst dich nicht um mich sorgen, Eberhard!" bat sie. „Du weißt, wie schlecht ich dir deine Liebe lohne. Und um ganz ehrlich zu sein: Sterben ist noch lange nicht das Schlimmste. Vielleicht wäre es das Veste für mich." Er wollte etwas erwidern, besann sich aber, daß der Lakai auf dem Rücksitz jedes Wort hören konnte. So schwieg er. Die Straße führte plötzlich steil nach auswärts. Als die Höhe erreicht war, bot sich dem Auge ein entzückendes Bild. Tief unten im Tal lag Paßburg, wie eine Königin zwischen zwei Hügelzügen hingestreckt. Zwei Flüsse umschlangen sie gleich den Armen eines Riesen, der sein Weib an sich preßt. Dort, wo sie sich ineinanderschlangen, wuchtete der Dom mit seinen mächtigen drei Kuppeln, schwer, massiv. Wie Mina retts leuchteten die Spitztürme der anderen Kirchen in den Frühlingshimmel, St Anton aus der Höhe, St Maria, St. Paul tief unten! Die Studienkirche streckte ihre Türme wie zwei stumpfe Pfeile dazwischen, während das Kloster Niederburg mit seiner Kirche sich wie eine scheue Henne unter all das Häusermeer duckte Weiter nach Westen lag — ein mächtiges Viereck — die Kaserne mit einigen Ba taillonen Reichswehr. Wo der Erenzbahnhos sich hin streckte, stiegen qualmende Rauchwolken, die eines Kraters zum Himmel. (Fortsetzung folgt.)