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I. Beilage znnr Frtnrkenbergev Tageblatt Nr. SD» Montag, den S4. Dezember 1»28 ^7. Iabrgang Iulfest und Christnacht. Von K. R. Neubert. Dir große französische Revolution mag uns vorerst für Än« kleine Nebenbetrachtung ein Beispiel geben: Gesetzt den Kall, es kämen heute Gewaltherrscher ans Ruder, die alle kirch- !lichen und religiösen Gebräuche abschasften und ihre Ausübung stür strafbar erklärten: „Es gibt keine Ostern, keine Himmelfahrtl Es gibt kein Weihnachtsfest!" Bürger Superintendent liest am Christabend nicht mehr das Weihnachtskapitel, Bürger T. lars ^sich am heiligen Abend nicht mehr den Christbaum anzünoen, Nicht mehr bescheren, Bürger Z- darf keine Weihuachislieder jstngsn und mutz auch seinen Kindern verbieten, datz sie >n ihrer kindlichen Einfalt das strafbare Lied hiNausjubcln: „Vom Himmel hoch da komm ich her . . Diesen Fall-gesetzt, Hütte man mit dem Weihnachtsfest nicht Ursprünge und Neste heid nischer Sitten und Gebräuche abgeschafft, könnten jene Gewalt herrscher ihr Tun nicht mit dem Mantel der „Aufklärung um- lhängen und rechtfertigen? Dagegen empört sich sofort unser Glauben, unsere Weihnachtsseligkeit. Weihnachten ist ja das schönste und deutscheste und reichste Fest. k Es ist aber doch interessant, sich einmal zu vergegenwärtigen, datz der Weihnachtsbaum, den wir in froher Stimmung an- UezUndet haben und den unsere Kinder freudig umlanzen, sein jungen Goethe unbekannt war, datz er niemals als Kind um iden Christbaum gesprungen und in die strahlenden Lichter ge sehen hat. — Beiläufig spricht er einmal im Jahre 1774 von einem „aufgeputzten Baum", unserem lieben, alten, immergrünen Weihnachtsbaum. Während so in der Herausbildung und Pflege des Weihnachtsfestes neue Gebräuche auftauchten und im Laufe der Jahrhunderte sich immer mehr einbürgerten und heute schließlich unser, das Weihnachtsfest darstellen, liegen doch i Andererseits diesem unseren Fest unstreitbar heidnische Festsilten Augrunde. Ein Blick auf die Wintersonnenwendfeiern der Dor- i fahren vermittelt uns aufklärende Eindrücke über die religiöse Einstellung der Alten. Im Kult und Mythos der alten Kultur spielt die Sonnen wende die bedeutendste Rolle. Von den Mittelmcerländern bis hinauf nach Indien zeigt sich ihr Einfluß auf das Volksleben, Per immer größer und nachhaltiger wird, je mehr man nach Norden zieht, in die kälteren Regionen, wo die Sonne der all- Anächtige, geheimnisvolle Gottschöpfer ist, der den Menschen nicht - Ämmer gnädig gesinnt ist und kommt und geht und schwindet, um ! Wieder anfzuleuchten. Man kann es sich wohl vorstellen, welche ' Rolle dieser Naturvorgang der Sonnenwende für den Urmenschen Hespielt hat, welch« Erschütterungen seiner Leben.weise und seiner Phantasie im Gefolge waren. Auf diesen wunderbarsten Aller Naturvorgängc, die der moderne Mensch längst in Zahle» And wissenschaftlichen Hypothesen gebannt hat, konzentriert sich die geistige Kraft des Wilden, des Urmenschen, seine Phantasie Erhält Nahrung, und mit jenen seltsamen, mystischen Schauer», die auch heute der Aufgeklärte empfindet angesichts der Unsatz- iharkeit des Sternenhimmels, steht er unter der Allmacht des Himmels. s: Die Völker der subpolaren Zonen haben zwei große Kult- keste, für die wir eine Erklärung in eben den angedeutctcn Raturvorgängen finden. Sie kennen die Polarnacht und die Mitternachtssonnenzeit. Wenn das Licht am Himmel erlischt, kommt die Besinnlichkeit über den Menschen, vielleicht ahnen sie t-- —— — schon die Existenz des über allem waltende» Gottvaters sie lasten in ihrer urhaften Seele nach Deutung für diese Natur vorgänge, und es kommt über sie jene Seelenstimmung, die wir heute auch laut gesetzlichem Feiertag jedesmal im November empfinden: Butztagsstimmung! Die Sonne ist Im Norden für Wochen und Monate versunken, trübe ist die Welt, leer, öde. Der Urmensch leidet zwar weder an Migräne noch an Grippe, aber diese Stimmung nach dem Sommerwechscl macht ihn zur Besinnlichkeit geneigt, er wird vielleicht mit dem Fasten an- gefangen haben, wie es nach manchen Forschungen glaubwürdig scheint. Dann aber, da «r das Nahen der Wende spürt, da die Sonne wieder zu fühlen ist, erst mit linder Wärme und dann i Altdeutsches Weihnachtslied. (Aus dem 14. Jahrhundert.) Es kumt «in schif geladen recht uf sin höchstes bort, es bringt uns d«n sun des vaters, bringt uns das ewig wort. Uf einem stillen wag« kumt uns das schisfelcin cs bringt uns riche gäbe, die Herren künigin. Das schiflei» das gat stille und bringt uns riche» last, der segel ist die minne, der heilig geist der mast. mit ihrem großen, ersehnten Leuchte», da hat er Grund, Freuden- Herdfeuer anzuziinden, da feiert er das Erscheinen des neuen Gottes, dessen Vater der Himmel ist. Iulfest! Weihnachten, das Fest zur Erinnerung an die Geburt Christi. ! die Eeburtsstunde der Mcnschheitscrlösung, wie damals für die Urmenschen das Wiedererscheinen der allmächtigen, lcbensspen- denden Sonne, ist erst gegen Ende des 3. Jahrhunderts in die aLendländische Kirche «ingcführt worden. In der Nacht vom 24. zum 2S. Dezember feiern wir die Geburt des Heilandes. Der Tag der Geburt Christi stebt aber durchaus nicht fest. So geschah «s, daß die Weihnachtsfeier nicht immer an diesen Tage» lag. Ursprünglich feierte man Christi Geburt am <>. Januar, und erst gegen Ende des 4. Jahrhunderts wurde der 24. Dezember als Geburtstag des Heilandes anerkannt. Er galt nach dem julianische» Kalender als Tag der Wintersonnenwende. I» dieser Zeit begannen die alten Germanen ihr Iulfest mit Eber opfern und Julklapp, der germanischen Sitte des Ueberraschungs- geschenkes. Die symbolische Beziehung des Julfestes zu unserem Christfest liegt nahe. Wie für die Heiden das Licht am Himmel anfging, so war für di« Menschheit Christus der geistige Sonnen aufgang. 1 Die WelhnachtsftaöL Sethlehem. , Von der hochgcbauten Stadt Jerusalem führt eine breite, -verhältnismäßig gepflegte Straße durch die Ebene Nephaim am Wüsten Gebirge Juda vorüber gen Bethlehem, der Wcihnachts- padt. Durch die Jaffastraße und das altehrwürdige Iaffator gelangt man zu Fuß oder im Sattel des Pferdes, des Maul- Neres oder Esels oder im starkmotorige» Auto hinab zum Virket les Sultan (Suliansteich) ins Hinomtal der Steinwüste Juda, von wo man einen herrlichen Ausblick über Altjerusalcm zur ehr würdigen Kuppe des Oelbergs genießt. Oede, kahl und steinig 'zieht sich das Hügelland hin. Nur ein Beduine steht vielleicht Arlt seinem Reit- und Packtier am Wegesrand oder auf dürrem -Geäst eines fast verdorrten Baumes sitzt ein verliebtes Felscn- ^aubenpaar. Dann taucht dort vorne, über zwei niedrige Hügel gebaut, die Weihnachtsstadt Bethlehem auf, die heut« ungefähr Zehntausend Einwohner aufweist. Die moderne, neu« Straße iführt zuerst durch die Neustadt mit ihren massiven, neuzeitlich«», und doch im orientalischen Stile gebauten Häusern, in deren Gärten der Granatapfel blüht und der Lorbeer Schatten spendet. ^Weiterhin schreitet man durch die engen Gassen der Altstadt. Vie sind nicht so belebt, wie die Bazarstraßen in Jerusalem. Nur hier und da begegnet man einem Reiter und bewundert dl« Schönheit vorüberkommender Frauen in der altehrwürdigen Marienlracht Bethlehems. Fleißige Loute bevölkern Bethlehems Allstadt, die aus Perlmuttermuscheln, durch tollkühne Taucher aus der Tiefe des Roten Meeres emporgehoben, herrliche Gegen stände, besonders den aparten, weltbekannten Schmuck des Sternes von Bethlehem schnitze». Hier und da begegnet man einer urwüchsigen Gestalt, einer Beduinin aus der Wüste, trotz der Hitze die sehnigen Glieder in einen Pelzmantel gehüllt, einen fast nur in Lumpen gehüllten Knaben auf dem gebeugten Nücke», oder es reitet stolz auf seinem Streithusan (Rotz) ein bis an die Zähne bewaffneter Hadscheuja-Scheich dahin. An der Missions kirche, der erst in den neunziger Jahren des vorigen Jahr hunderts erbaute» Weihnachtskirche, vorübergehend, betritt man gerne einen jener altertümliche» Höfe, wo herrlich blaue Passionsblumen die halbzerfallcnen Mauern umranken und in öder Fensternische die Turteltauben, die In der Krone der Zypresse gurren, de» Horst gebaut. Dann gelangt man außer halb der Stadt in die üppigen Anpflanzungen von Feigen und Oliven und überschaut diesen Reichtum, von dem die Wohl habenheit dieses Landstriches ausgeht, bis hinüber zu de» Zinnen und Mauern des christlichen Dorfes Bet Dschala. So zeigt sich dem Reisende» vo» heut« Bethlehem, die Weih nachtsstadt, die mitnichten die Kleinst« war unter den Fürsten tümern in Juda. Denn hier wurde der Welt vor fast zwei tausend Jahren der ersehnte Erlöser geschenkt, zu dem der Stern von Bethlehem den suchenden Seelen den Weg weist. Weihnachten 1S1S. Von seltsam inniger, warmer Schlichtheit sind d!« deutsche«) Weihnachtslioder, von einem seligen Zauber, der auch den kalt herzigsten Spötter ergreift — aber keines vermag uns so zu rühren, keines trägt so den Geist des heilige» Festes In sich, wie die liebe, alte Weise von der „Stillen, heiligen Nacht..." Einfach und schlicht In Wort und Ton, von zwei schlichten Menschen geschaffen, der Welt geschenkt an einem Heiligen Abend, die schönste Weihnachtsgabe. lieber hundert Jahre, hundert Weihnachten sind vergangen seit der Zeit. In Oberndorf im Salzburgischen erklang zum ersten Male das schönste Weihnachtslied der Welt, Der ehr würdig« Pfarrer Mohr, der Seelenhirte der Oberndörfer, dichtet» fdie Weise. Franz Gruber, Kantor und Organist an der alten St.-Nikolai-Kirche, fand die beglückende, versöhnende Melodie. Am 24. Dezember des Jahres 1818, abends, wurde das Lied zum ersten Male gesungen im Gotteshaus« von Oberndorf. Da ahnte wohl noch niemand, welch eine lichte, rein« Zukunft diesem Lied«, aller Lieder beschieden sein würde. Erst am Vormittage hatte der Pfarrer die Worte gefunden. Er saß allein in seinem Stübchen, andächtig und weihnachtlich gestimmt, blättert« in feiner Weihnachtspredigt. So leicht kamen die Gedanken ge flogen, da formte er sie zu Worten und schrieb sie nieder. „Stille Nacht, heilige Nacht . . ." Zauber dieser reinen, hehren, un endlichen Nacht. Er halt« gar nicht bemerkt, datz der Freund die Stube betreten hatte. Aber dann erwacht« Mohr und las dem Musiker Gruber das Gedicht vor. Der sprach kein Wort; wundersam ergriffen, ging an das Spinett und schlug -inen Akkord an, einen zweiten, dann noch einen. Er sang die Worte, formte sie und kleidete sie in Töne, hell und klar strömte die Melodie durch den Naum. Immer wieder spielte sie der Musiker Franz Gruber. Dann schrieb er sie nieder. Wir kennen sie alle. Regeln -es Weihnachtsaberglaubens. Keiner könnte es sagen, wie sie entstanden, wer sie erfunden^ Wie fremde Spielweisen haben sie sich im Volksmunde er halten, einmal kamen diese Lieder angeflogen aus Urtiefen und fernen Wäldern, einer brachte sie ins Dorf und sang sie, und ein Hauch blieb zurück auf de» Lippen der anderen und lebte fort, ein Lied, eine Weise von Frühling und Liebe. Uner schöpflich, unergründbar ist die Phantasie des Volkes. Wie rankt sie ihre Blüten nm das Weihnachtssest, aus Glauben und mystischem Hoffe», aus Aberwitz und Schwärmerei gebiert sie seltsame Wünsche und Geschehnisse, die zu Bräuche» werde», wie jene Lieder, vo» denen niemand weitz, woher sie kamen, wer sie erfand . . . Sie sind heute »och lebendig, Aberglauben und Zauberei haben noch ihr« Regeln erhalten durch den Gang um stürzlerischer Jahrhunderte. Das Weihnachtsfest, das mit seinem feierliche», strahlenden Geschehen eine so große Nolle im Volksleben spielt, hat die Phantasie der Menschen von jeher besonders angeregt zum Glaube» und zum Aberglaube». Auch im 20. Jahrhundert lassen sich noch hier und da Sitten und Gebräuche feststelle», di« an Aberglauben grenzen. Gewiß werden sie oft nur eben als hergebrachter Brauch ausgeführt, als traditionelle Weih nachtssitte, aber steckt in dieser Befolgung sonderbarer Regel» des Aberglaubens nicht auch trotz aller Aufgeklärtheit —- Aberglaube? So gilt im Obcrlnntal heute noch die heimliche Weih- »achtsregel. sich unter drei Brücken das Gesicht zu waschen, während die Glocken zur Christnacht läuten. Wer das tut, flüstert der Volksmund, sicht in dieser Stunde alle Geschehnisse des kommenden Jahre. Und es schleicht sich manch Mädchen Leim Klang der Glocke» u»ter die Brücke» und netzt das Gesicht mit Wasser und sicht . . . sicht ... In einer anderen Gegend Deutschlands hat sich die Ucbcrlicfcnmg erhalten, das Futter für die Pferde ins Freie zu stellen, damit die Tiere im nächsten Jahre gesund bleiben. In der Christnacht glaubt man eben an das Walten geheimer Mächte. Und bei Kamern geht der Knecht, dessen Pferde krank ünd, in der Christnacht mit einem Bündel Heu dreimal um die Kirche, dann gibt er das Heu den kranken Pferden . . . In deutsch-böhmischen Dörfern acht die Sage nm, datz Wasser, um Mitternacht, an der Wende zum heiligen Tagg an einer Quelle geschöpft, sich in Wein verwandele für den. der auf diesem Gauge kein Wort über die Lippen gebracht hat und nicht eher spricht, bis am Morgen wieder die Weihnachtsglockcn ertönen . . .