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„Was is n los?!* „Eiscnbahnattentat!" Der Lokomotivführer sprang ab. kalkig ivriß im Gesicht, surrend zischte der hoch gespannte Dampf aus dem Sicherheits ventil. — Fenster wurden aufgeristen angstvolle Rufe. Weinen, Kreischen Scbreien — — -- vergeblich mühte sich das Zugperso nal ab, die Reisenden zu beruhigen. Ein hvchgewachsencr, glattrasierter Herr im Pelzmantel trat auf den Streckenwärter zu: „Ich bin Mitglied des Direktoriums der Reichseifenbahn, hier, mein Ausweis, führen Sie mich!" In müdem Trab trabte Paul Klemm voran: „Da!" „So eine Schweinerei! Aber famos haben Sie das gemacht! Ist es noch weit bis zu Ihrer Wohnung?" „Zwanzig Minuten — — —" „Dann mal los!" — — In Fulda und Herzfeld schrillten die Glocken der Fernsprech ¬ apparate „Sofort eine Draisine mit 60 Meter Reserveschienen und Schraubenmuttern schicken, Staatsanwaltschaft benachrichtigen, versuchtes aber glücklich vereiteltes Eisenbahnattentat bei der Fulöabrücke Am StreckenwärlerhauS Nr. 16 soll die Drai sine kalten Strecke ist bis auf Widerruf für den Verkehr zu sperren!" Der Fremde sah sich um, blickte lächelnd auf die Kinder: „Sie sind — — Witwer, Herr Klemm?" „Nein, aber vor 'n paar Stunden ist 'n Junge angekommen." „Donnerwetter, das heißt, ich wollte sagen: Meinen herz- licbsten Glückwunsch! bind wie lange sind Sie nun hier?" „Seil neun Jahren „So — so," der Reisende trommelte mit den Fingerspitzen gegen die Fensterscheiben, an denen Eisblumen blühten: „Na, dann würden Sie wohl nicht gerade traurig sein, wenn sich anderswo eine bessere und angenehmere Stelle mit vierhundert Mark Monatsgehalt für Sie fände?" „Herr !'" rief das Iosephchc und a! ,,Is' schon gut. Hier, stecken Sie sich mal 'nen Tabak an. bind — Kinder, ihr könnt stolz sein auf euren Vater!" streckte die Patschhändchen nach dem Lich terbaum aus. „Ich hab' auch vier solche Kerlchen daheim, nun sehen Sie nur erst mal nach Ihrer Frau, damit sie sich nicht sorgt!" Das Setkche lag in den Kissen, lächelte stillznfrieden: „Bist als Widder da, Paul?" „Ja, Mudder, als wie geht's?!" „Gut geht's, 's Düwele schläft — bscht! — net aafwccken." „Mache S'e als d'e Tür von drauß'n zu, Herr Klemm!" kommandierte die Gemeindeschwester: „D'e Fraa mag ihr Ruh' Harve!" Ein langgezogener Pfiff, da hielt die Draisine, lag wie ein Stahlblock in dem Zwielicht. „Kinner, geht nor immer zu Lett, Paulineke, paß aaf de annern uff!" sagte der Streckenwärter, als er sich in der Tür umdrehte — Rote, weiße, grüne Lichter huschten an dem Zug entlang. „Nur eine halbe Stunde Geduld, meine Herrschaften, die Strecke muß erst ausgebessert werden!" beschwichtigten die Schaffner: „Nur eine halbe Stunde Geduld!" Doch noch immer standen die Pastagiere herum, fragten, drängten sich an Klemm heran Der gab kurze, wortkarge Antworten, klappte den Mantelkragen hoch. „Meine Damen und Herren!" Der kochgewarbsene, glatt rasierte Herr im Pelzmantel reckte sich auf den Fußspitzen, seine Ltimme hallte wie auf dem Exerzierplatz: „Hier steht der Mann, dem wir unser Leben verdanken! Ein braver, vorbildlich pflicht treuer Beamter, Vater von sieben Kindern, der jüngste Bub ist heut abend vom Christkindchen gebracht worden, und da meine ich " Was er noch sagen wollte, blieb unverständlich in dem Tu multe, Dutzende von Händen streckten sich Paul Klemm entgegen. Und schon gingen zwei junge Herren herum, barhäuptig trotz der schneidenden Kälte, sammelten in ihren Hüten — — Keiner schloß sich aus, keiner!" „Dürfen wir bitten?" Der Fremde zählte nach. „Eintauscndfünfhundcrl — sechshundert, siebenhundert Mark — —" Er griff in die Tasche, legte drei Scheine hinzu: „Um die Summe rund zu machen! Und da sich die RcichSeisenbahn nicht lumpen lasten kann, werde ich eine Gratifikation in gleicher Höhe für Sie beantragen!" „Dch, liewer ?err !" „Nehmen Sie nur so—o!" „Strecke frei!" meldete der Fuldaer Fahrdienstleiter. — „Alles einsteigen!" Aber da raste etwas heran, wie ein weißgekleidetes, nur son derbar wohlbeleibtes Gespenst — der Koch der „Mitropa", stellte keuchend einen riesigen Korb mit Weinflaschen, kaltem Braten, Schokolade, Obst, Zigarren, Waffeln in den Schnee. „Wen nur —," sagte er lakonisch: „Den Koib schicken Sie mal mit nach Fulda, gelt?" Ein schriller Pfiff, schwere, schwarze Rauchballen pufften aus dem niedrigen Schlot empor, langsam drehten sich die Rä der — Aus einem Fenster lugte ein frisches, von Blondhaar um zitiertes Mädchenanklitz, eine kleine Hand winkte, und nun em glockenklarer Sopran, allmählich vernehmbar, unirdiscb fast m dem Dunkel der Christnacht: „D du fröhliche, v du selige, gnadenbringcnde Weiknacktszcil ' Ganz heimlich, ganz verstohlen wischte sich Paul Klemm übe: die Augen — — es mochte ihm wohl ein Kohlenstäubchen hinein geflogen sein